BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/5283 21. Wahlperiode 22.07.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Martin Dolzer (DIE LINKE) vom 14.07.16 und Antwort des Senats Betr.: Unterkunft für LGBTI-Geflüchtete? LGBTI (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender and Intersexual Persons) als „besonders Schutzbedürftige Personen“ fliehen aus Herkunftsländern in denen sie verfolgt werden oder Homosexualität unter Strafe steht. In diesen Ländern werden die Betroffenen diskriminiert, verfolgt, inhaftiert, gefoltert, mit dem Tod bedroht oder hingerichtet. Auch in Großunterkünften, Erstaufnahme- und Folgeeinrichtungen, in denen Geflüchtete aus verschiedenen Herkunftsländern, Menschen aus dem gleichen Herkunftsland- oder Ort oder auch Bekannte und Verwandte untergebracht sind, besteht kein verlässlicher Schutz vor verbaler, psychischer und körperlicher Gewalt für LGBTI-Geflüchtete. Wer sich im Flüchtlingsheim als schwul, lesbisch, inter- oder transsexuell outet (oder geoutet wird), muss mit Mobbing, manchmal sogar mit körperlichen Übergriffen rechnen. Homophobie ist leider auch unter Bewohnern/- innen in den Flüchtlingsunterkünften verbreitet. Betroffene berichten davon, dass sie ihre Identität verstecken und „unsichtbar “ werden müssen. Oftmals verlassen sie ihre Zimmer nicht und/oder gehen aus Angst nicht zu Sprachkursen. Andere gehen ausschließlich zum Essen und zum Schlafen in die Unterkunft – sie leiden unter Todesangst vor dem Entdecktwerden. Dieser enorme Druck führt zu Retraumatisierungen und psychosomatischen Symptomen wie Ängsten, Depressionen, Anpassungsstörungen . Ein Outing bedeutet oftmals den „sozialen Tod“. Bei einem Besuch verschiedener Vertreter/-innen von Behörden, Politik und LGBTI-Institutionen in der ZEA Hellmesberger Weg, die vom Senat als eine der zwei ZEA mit Schutzräumen für LGBTI ausgestattete ZEA bezeichnet wurde, wurden unter anderem die Feststellungen getroffen, dass kein Sicherheitsgefühl bei LGBTI-Personen aufkommen kann unter folgenden Bedingungen: beengten Gängen im Wohntrakt nur einem Speisesaal nach oben offenen Räumen nicht abschließbaren Duschen, keinen Kabinen, sondern Vorhängen (es wird von verbaler und sexueller Belästigung berichtet) Drucksache 21/5283 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 einem Kompartiment innerhalb der Unterkunft mit (ungeouteten, geouteten und nur teilweise geouteten) LGBTI zu belegen, würde kurz bis mittelfristig ein Zwangsouting bedeuten keinem Diskretionsabstand beim Info-Point der Sozialarbeiter/-innen keinen schlüssigen Sicherheits- und Gewaltschutzkonzepten, die die spezifischen Lebensumstände von LGBTI berücksichtigen keinem Konzept im Umgang mit erneuter Unterdrückung, die ja oftmals nicht offensiv geäußert wird keinem Raumkonzept, dass nicht zu einem Zwangsouting führt Von LGBTI-Institutionen wird zu Recht kritisiert, dass es nicht sein darf, dass „LGBTI Personen als Toleranz-Übungsobjekte für Nicht-Tolerante Menschen instrumentalisiert werden.“ Es gibt in Hamburger Unterkünften zwölf vom MHC dokumentierte Übergriffe auf LGBTI-Geflüchtete und acht weitere bei der Linksfraktion vorgetragene Übergriffe. Es muss davon ausgegangen werden, dass nicht sämtliche Übergriffe dokumentiert sind. Zudem wird von Fällen berichtet, dass Dolmetscher/-innen, die im Auftrag des BAMF arbeiten oder über Länder und Kommunen in den Aufnahmeeinrichtungen beschäftigt werden, homophob sind und aus ihrer Einstellung keinen Hehl machen. Schon mehrmals haben Anwälte/-innen berichtet, dass Dolmetscher/-innen es aufgrund ihrer Vorurteile und Ressentiments unterließen innerhalb eines Interviews, Angaben einer beziehungsweise eines Asylsuchenden zu seiner/ihrer Homosexualität korrekt zu übersetzen. Homophobie und die Verurteilung all jener, die von der Heteronormativität abweichen, sind in dieser frühen Phase des Verfahrens ein großes Problem, da die Sprachmittlung zwischen dem Mitarbeitenden des BAMF und dem Menschen, der sein Recht auf Asyl wahrnehmen möchte, von überragender Bedeutung ist. Nur eine kultursensible und LGBTI-kompetente Sprachmittlung kann ein faires Asylverfahren gewährleisten. Um LGBTI bei der Unterbringung und Versorgung effektiv zu schützen, bedarf es einer Sensibilisierung aller am Asylverfahren beteiligter Stellen sowie verbindlicher Gewaltschutzkonzepte und Schutzräume. Deshalb wäre eine geschützte sichere Unterkunft für LGBTI-Geflüchtete in Hamburg ein guter Weg. Ich frage den Senat: Die Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen sowie trans- und intergeschlechtlichen Menschen ist eine Querschnittsaufgabe mit dem Ziel der gleichberechtigten Teilhabe. Dazu gehört auch der Schutz geflüchteter LSBTI*-Personen, folglich misst der Senat dem Schutz von geflüchteten Frauen, Kindern, aber auch LSBTI*- Personen einen hohen Stellenwert bei, denn gerade diese Zielgruppen gelten als besonders schutzbedürftig. Ausdruck hierfür ist die Verpflichtung aller Träger von Einrichtungen zur Unterbringung von Geflüchteten (Zentrale Erstaufnahme (ZEA), Erstaufnahmeeinrichtungen (EA), öffentlich-rechtliche Unterbringung (örU)) bis zum 31. August 2016 ein einrichtungsspezifisches Schutzkonzept vorzulegen (siehe Drs. 21/4174). Berücksichtigt wird dabei jede Gewaltform, die sich gegen Frauen, Kinder, LSBTI*- Personen richtet. Verbindliche Bestandteile der Konzepte sind standardisierte Inter- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5283 3 ventionsabläufe bei Verdacht oder erfolgter Gewalt sowie präventive Maßnahmen zur Verhinderung von Gewalt. Die schnelle Verlegung in Folgeunterkünfte oder in eigenen Wohnraum (zum Beispiel über die Wohnbrücke) ist dabei Teil der Schutzstrategie. Die zuständigen Behörden arbeiten – gemeinsam mit LSBTI*-Einrichtungen und den Betreibern der Unterkünfte – darüber hinaus an individuellen Lösungen, die der Lebenssituation und dem Schutzbedürfnis der Betroffenen am besten entsprechen. Zur personellen und organisatorischen Verankerung des Schutzes vor Gewalt in den Einrichtungen gehören ebenso die Sensibilisierung und Qualifizierung des eingesetzten Personals für Fragestellungen zu LSBTI*-Personen. Zudem wird im Rahmen der Umsetzung des Rechts auf Hilfe und Unterstützung die Zielgruppe LSBTI*-Personen ausdrücklich berücksichtigt. Darüber hinaus fördert die zuständige Behörde Präventionsansätze , die vor allem darauf abzielen, Kommunikationsstrukturen entstehen zu lassen, in denen relevante Themen – wie auch Gewalt, Mobbing et cetera – angemessen und angstfrei angesprochen sowie an die zuständigen Stellen adressiert werden können. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Bisher wird eine separate, geschützte Unterkunft abgelehnt. Dafür werden , wie beispielsweise in der Sitzung des Ausschusses für Wissenschaft und Gleichstellung, fachliche Gründe geltend gemacht. Welche fachlichen Gründe sind dies? 2. Auf welcher Grundlage wurden diese fachlichen Gründe festgestellt (empirische Erhebungen, Literatur, weitere Quellen)? Bitte Grundlage genau benennen. Separate Unterkünfte für Frauen – also auch für lesbische, bisexuelle Frauen und Trans*-Frauen – existieren (siehe Drs. 21/4174). Darüber hinaus sind die zuständigen Behörden im Gespräch mit den LSBTI*-Einrichtungen, den Betreibern der Unterkünfte und anderen Einrichtungen. Die Überlegungen hierzu sind noch nicht abgeschlossen. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 3. In der ZEA Hellmersberger Weg gibt es sogenannte geschützte Plätze. Wie sieht dieses Schutzkonzept genau aus? Die EA Hellmesbergerweg hält Plätze für LSBTI*-Personen vor, siehe Drs. 21/4174 sowie Vorbemerkung und Antwort zu 6. 4. Ist in dem Schutzkonzept der ZEA ein Schutz vor Mobbing und psychischer Gewalt mitgedacht? Wenn ja: Wird meist traumatisierten Menschen zugemutet ihnen unbekannten Betreuungspersonen aktiv von Mobbing und/oder verbalen und psychischen Übergriffen zu berichten? Wenn ja: Wie wird gewährleistet, dass sich LGBTI-Geflüchtete an sensibilisierte Mitarbeiter wenden können ohne erneute Diskriminierung beispielsweise durch homophobe Dolmetscher/-innen, Security et cetera zu erleben oder befürchten zu müssen? Wenn nein: Warum wurde dieser Schutz nicht mitgedacht? 5. Ist der Schutz vor körperlicher Gewalt in dem Schutzkonzept so angelegt , dass körperliche Gewalt gegen LGBTI-Geflüchtete verhindert wird oder erst nach erfahrener Gewalt ein Schutz angeboten wird? Wenn Letzteres: Wird dies als ausreichender Schutz gewertet? Siehe Vorbemerkung. 6. Ist der Senat der Ansicht, dass Duschvorhänge in Räumen ohne abschließbare Kabinen vor verbalen und sexuellen Übergriffen schützen können? Wenn ja: Wie ist das möglich? Drucksache 21/5283 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Wenn nein: Wie und wodurch will der Senat diesen Umstand ändern? In jeder Unterkunft gibt es nach Geschlechtern getrennte Sanitärbereiche, die durch Abtrennungen wie Duschvorhänge oder Seitenwände zum Schutz der Privatsphäre beitragen. Ein vollständiger Schutz vor Übergriffen kann hierdurch nicht gewährleistet werden. Deshalb gibt es ergänzend, wie beispielsweise in der Erstaufnahmeeinrichtung im Hellmesbergerweg, separate, abschließbare Sanitärcontainer für schutzbedürftige Personen einschließlich LSBTI*. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 7. Ist der Senat der Ansicht, dass bei einzelnen Räumen für LGBTI- Geflüchtete in einer ZEA ein Zwangsouting bei Inanspruchnahme wahrscheinlich ist? Wenn ja: Wie will der Senat das verhindern? Wenn nein: Wie kommt der Senat zu einer solchen Einschätzung? Nein. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 8. Wie bewerten die BASFI und die Behörde für Wissenschaft und Gleichstellung das Konzept der ZEA Hellmersberger Weg in Bezug auf LGBTI- Geflüchtete? Siehe Vorbemerkung. 9. Wurden für eine Evaluation der Praxis der ZEA Berichte und Erfahrungswerte von ehemaligen und jetzigen Bewohnern/-innen, Mitarbeitern /-innen und Beratungsstellen erhoben? Wenn ja. mit welchem Ergebnis? Wenn nein: warum nicht? Die zuständige Behörde ist im Austausch mit den einschlägigen Beratungsstellen sowie mit den Betreibern der Unterkünfte. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 10. Sind dem Senat Übergriffe auf LGBTI-Unterkünfte für Geflüchtete in Berlin bekannt? 11. Sind dem Senat Fälle von Dolmetschern/-innen bekannt, die im Auftrag des BAMF arbeiten oder über Länder und Kommunen in den Aufnahmeeinrichtungen beschäftigt werden, die es aufgrund ihrer Vorurteile und Ressentiments unterließen innerhalb eines Interviews oder Gesprächs Angaben einer beziehungsweise eines Asylsuchenden zu seiner/ihrer Homosexualität korrekt zu übersetzen? Dem Senat liegen hierzu keine Erkenntnisse vor.