BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/5306 21. Wahlperiode 26.07.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Philipp Heißner (CDU) vom 18.07.16 und Antwort des Senats Betr.: Vorstellungsverfahren der Viereinhalbjährigen Seit dem Schuljahr 2003/2004 werden die Viereinhalbjährigen in den Hamburger Grundschulen vorgestellt, um Kinder mit Förderbedarfen in den Bereichen sprachlicher, körperlicher, kognitiv-geistiger und emotionaler Entwicklung zu identifizieren und sie dann anschließend entsprechend fördern zu können. Zentraler Aspekt ist hierbei das frühzeitige Erkennen von Sprachförderbedarfen . So wichtig die Förderung von Kindern ist, deren Entwicklung in einzelnen Bereichen nicht dem zu erwartenden Stand entspricht, so wichtig ist es auch, den Kindern, die über Entwicklungsbeschleunigung oder besondere Begabungen verfügen, eine angemessene Förderung zukommen zu lassen. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Auf welcher Rechtsgrundlage, aus welchem Anlass und mit welcher Zielsetzung werden die Vorstellungsverfahren durchgeführt? 2. Wo werden die Vorstellungsverfahren durchgeführt? Das kooperative Vorstellungsverfahren für Viereinhalbjährige wird gemeinsam von Kitas und Schulen gestaltet. Rechtsgrundlagen sind § 42 Absatz 1 Hamburgisches Schulgesetz (HmbSG) für die Schulen und § 9 Absatz 2 Landesrahmenvertrag (LRV) für die Kitas. Es findet sowohl in Kitas als auch in Schulen statt. Etwa eineinhalb Jahre vor der geplanten Einschulung werden alle Hamburger Kinder mit ihren Eltern zur Beratung und gegenseitigen Information zu einem Vorstellungsgespräch in die Grundschule eingeladen. Die Gespräche finden in enger Kooperation mit den pädagogischen Fachkräften der Kitas statt, die den Eltern zur Vorbereitung Entwicklungsgespräche anbieten. Im Rahmen des Vorstellungsverfahrens gewinnen die Pädagoginnen und Pädagogen der Grundschulen frühzeitig einen Eindruck vom Kompetenzstand der Kinder. Sie informieren die Eltern über Erwartungen, die vonseiten der Schule zukünftig an die Kinder gestellt werden, und beraten sie hinsichtlich der Möglichkeiten zur weiteren Förderung ihrer Kinder. Im Mittelpunkt der Gespräche stehen die Überprüfung des Entwicklungsstandes des Kindes und – insbesondere im Falle eines besonders fortgeschrittenen beziehungsweise deutlich verzögerten Entwicklungsstandes – die Beratung der Eltern hinsichtlich möglicher Maßnahmen zur Entwicklungsförderung. Ziel ist es, allen Kindern eine erfolgreiche Teilnahme am Unterricht der ersten Klasse zu ermöglichen und zur Unterstützung geeignete Fördermaßnahmen im vorschulischen Jahr anzubieten. 3. Wer sind die Beteiligten bei den Vorstellungsverfahren? Drucksache 21/5306 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Zu den Beteiligten gehören die Kinder mit ihren Sorgeberechtigten sowie das pädagogische Personal in rund 1.000 Kitas und 203 staatlichen Grundschulen sowie einzelne Schulen in privater Trägerschaft. 4. Welche Tests werden von welcher Institution durchgeführt? Das Hamburger Vorstellungsverfahren für Viereinhalbjährige ist nicht als „Test“ angelegt , sondern als Beobachtungsverfahren in einem altersgerechten Setting. Auf der Grundlage standardisierter Beobachtungs- und Dokumentationsinstrumente werden Kompetenzen in unterschiedlichen Bildungsbereichen eingeschätzt. Die Inhalte orientieren sich an den zentralen Kompetenzbereichen der Hamburger Bildungsempfehlungen für Kindertageseinrichtungen sowie an der Richtlinie für Vorschulklassen. Dazu gehören Kompetenzen in den Bereichen Selbstkonzept/emotionale Entwicklung, soziale Kompetenzen, lernmethodische Kompetenzen sowie Kompetenzen für den sprachlichen, musisch-künstlerischen, mathematischen und naturwissenschaftlichen Bereich. Ausgewiesen werden jeweils Förderbedarfe, altersgemäße Entwicklungen und Hinweise auf besondere Begabungen. Die Einschätzungen werden sowohl von den Kitas als auch von den Grundschulen vorgenommen. Zur differenzierten Sprachstanddiagnose wird in den Schulen zusätzlich der sogenannte Bildimpuls (Hamburger Verfahren zur Analyse des Sprachstands, HAVAS) von dafür qualifizierten Fachkräften durchgeführt. 5. Wie werden Testergebnisse, Einschätzungen und ergänzende Angaben (zum Beispiel von Eltern) für das einzelne Kind zusammengeführt und aufgearbeitet? Das Vorstellungsverfahren für Viereinhalbjährige sieht vor, dass die Kitas ihre Einschätzungen zu jedem Kind in einem sogenannten Protokollbogen B zusammenfassen und bei Einverständnis der Sorgeberechtigten an die Schulen weitergeben. Die Schulen ergänzen die Kompetenzeinschätzung der Kitas um ihre Beobachtungen und dokumentieren Förder- und Unterstützungsbedarfe. Auch besondere Begabungen und Möglichkeiten der weiteren Förderung werden hierbei dokumentiert. Falls Eltern der Weitergabe der Kita-Einschätzungen nicht zustimmen, die Informationen aus der Kita nicht rechtzeitig in der Schule eintreffen oder das Kind keine Kita besucht, nimmt die Schule eine Einschätzung mit dem sogenannten Protokollbogen C vor. Die Ergebnisse werden mit den Sorgeberechtigten in einem Beratungsgespräch besprochen. Falls empfohlen, werden Maßnahmen zur Unterstützung beziehungsweise Förderung besprochen und geplant. Ergänzende Angaben vonseiten der Sorgeberechtigten werden im Protokollbogen vermerkt. Zur Auswertung der Ergebnisse auf systemischer Ebene werden die Ergebnisse der Vorstellungsgespräche von den Schulen für jedes Kind in anonymisierter Form an das Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung (IfBQ) geschickt und dort zusammenfassend analysiert und aufbereitet. Zu Instrumenten und Auswertungsergebnissen siehe www.hamburg.de/bsb/monitoring-evaluation-diagnoseverfahren/ 4025966/artikel-vorstellung-4-5-jaehrigen/. 6. An wen werden welche Testergebnisse in welcher Form kommuniziert? Siehe Antworten zu 1. und 2. sowie zu 5. 7. Wie ist das weitere Verfahren, wenn bei einem Kind ein besonderer Förderbedarf festgestellt wird, in den Bereichen a. Sprachentwicklung? b. körperliche, kognitiv-geistige und emotionale Entwicklung? Wurde im Vorstellungsverfahren ein ausgeprägter Sprachförderbedarf nach § 28a HmbSG festgestellt, ist seit dem Schuljahr 2006/2007 der Besuch einer Vorschulklasse oder auf Antrag der Eltern der Besuch einer Kita und die Teilnahme an zusätzlichen Sprachfördermaßnahmen im Jahr vor der Einschulung verpflichtend. Ist im Vorstellungsverfahren ein besonders weit vorangeschrittener Entwicklungsstand bezüglich kognitiver und sozial-emotionaler Kompetenzen deutlich geworden, werden Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5306 3 die Eltern über entsprechende Förderangebote für besondere Begabungen und die Möglichkeit der frühzeitigen Einschulung informiert. Wird im Vorstellungsverfahren ein spezieller sonderpädagogischer Förderbedarf nach § 12 HmbSG in den Bereichen „Hören, Sehen, geistige Entwicklung, körperliche und motorische Entwicklung oder Autismus“ vermutet, werden mit den Eltern Hinweise und Empfehlungen für geeignete Fördermaßnahmen für die Zeit bis zur Einschulung in die erste Klasse besprochen. Die Eltern dieser Kinder werden vom Förderkoordinator der Schule im Herbst vor der Einschulung und damit circa ein Jahr nach dem Vorstellungsverfahren erneut zu einem Beratungsgespräch eingeladen. Im Gespräch soll gezielt über mögliche Fördermaßnahmen und geeignete Schulen informiert werden. Um optimale Einschulungsbedingungen zu schaffen, soll bei Vorhandensein einer speziellen Behinderung frühzeitig ein Feststellungsgutachten veranlasst werden. 8. Existieren Programme des Senats, um bei Kindern im Kindergartenalter besondere Begabungen festzustellen, die gegebenenfalls eine besondere Förderung sinnvoll erscheinen lassen? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? 9. Wie ist das Verfahren, wenn bei einem Kind im Rahmen des Vorstellungsverfahrens eine besondere Begabung festgestellt wird? Werden auch für diese Kinder beispielsweise Förderpläne aufgestellt? Die Förderung der Kinder erfolgt auf Grundlage der für alle Kitas verbindlichen „Hamburger Bildungsempfehlungen für die Bildung und Erziehung von Kindern in Tageseinrichtungen “. Diese sehen die bewusste Beobachtung und Dokumentation der individuellen Entwicklungsfortschritte eines jeden Kindes vor. Es liegt in der Trägerverantwortung , zu entscheiden, welche Beobachtungsinstrumente in einer Kita eingesetzt werden. Ausgehend von den Beobachtungsergebnissen beziehungsweise vom individuellen Entwicklungsstand erfolgt die gezielte Förderung in der Kita. Im Übrigen siehe Antworten zu 4. und 5. 10. Wie hat sich die Anzahl der Vorstellungsverfahren in den letzten sieben Jahren entwickelt? Wie hoch ist dabei die jeweilige Quote der erfassten Viereinhalbjährigen eines Jahrgangs? Beides bitte nach Schuljahren aufschlüsseln. Die nachfolgende Tabelle weist für die letzten sieben Jahre die Anzahl der zur Vorstellung eingeladenen Kinder aus sowie den Anteil der Kinder, zu denen der zuständigen Behörde auswertbare Ergebnisse aus dem Vorstellungsverfahren vorliegen. Tab. 1: Anzahl der zur Viereinhalbjährigenvorstellung eingeladenen Kinder und Anteil der Kinder, zu denen auswertbare Ergebnisse für die Durchgänge 2009/2010 bis 2015/2016 vorliegen Durchgang Anzahl der zur Vorstellung eingeladenen Kinder Anteil der Kinder, zu denen auswertbare Ergebnisse vorliegen absolut prozentual 2009/10 14.581 12.696 87,1 2010/11 15.443 14.119 91,4 2011/12 14.852 14.275 96,1 2012/13 15.262 14.565 95,4 2013/14 15.927 14.750 92,6 2014/15 16.278 15.542 95,4 2015/16 16.068 15.611 97,2 Quelle: IfBQ; Monitoring des Vorstellungsverfahrens für Viereinhalbjährige Differenzen zwischen der Anzahl der vorzustellenden Kinder und der ausgewerteten Bögen ergeben sich unter anderem durch Wegzüge, verspätete Vorstellungen und nur teilweise ausgefüllte Protokollbögen. 11. Eine Studie aus dem Jahr 2010 (Erfahrungen der Kooperation von Kitas und Schulen bei der „Vorstellung der Viereinhalbjährigen“) hatte erge- Drucksache 21/5306 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 ben, dass die Zusammenarbeit zwischen Kitas und Grundschulen noch nicht optimal gestaltet ist. Welche Maßnahmen hat der Senat in der Zwischenzeit eingeleitet, um die organisatorische und fachliche Zusammenarbeit zwischen Kitas und Grundschulen zu verbessern? Mit welchem Ergebnis? Wo bestehen aktuell noch Verbesserungsbedarfe? Das Vorstellungsverfahren für Viereinhalbjährige wird kontinuierlich weiterentwickelt und optimiert. Zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Kitas und Grundschulen wurde seit 2010 die Kooperation schrittweise institutionalisiert. Seit dem Durchgang 2013/2014 werden die gemeinsamen Protokollbögen auf der Basis eines abgestimmten Aufgaben- und Zeitplans in Kitas und Schulen verbindlich eingesetzt. Seit 2012 bieten die beiden zuständigen Behörden jährlich zum Schuljahresbeginn eine gemeinsame Informationsveranstaltung zur kooperativen Durchführung des Vorstellungsverfahrens für Kolleginnen und Kollegen aus Kitas und Schulen an. Diese wird sehr gut besucht und hat gemeinsam mit dem zwischen beiden Behörden abgestimmten Informationsmaterial zum Vorstellungsverfahren zu einem deutlichen Anstieg der Zufriedenheit der Kooperationserfahrungen beim Vorstellungsverfahren in Kitas und Schulen geführt. Die gestiegene Zufriedenheit und verbesserte Zusammenarbeit wird auch in den regelhaft vom IfBQ durchgeführten Befragungen der Kita- und Schulleitungen zur Umsetzung des Vorstellungsverfahrens deutlich. Nach Angaben der befragten Kitaund Schulleitungen haben die beteiligten Kitas im Jahr 2015/2016 durchschnittlich mit fünf verschiedenen Schulen kooperiert und die beteiligten Schulen haben durchschnittlich mit 16 verschiedenen Kitas zusammengearbeitet. Im Mittel gab es Vorstellungsgespräche mit 77 Kindern je Schule und mit 20 Kindern je Kita.