BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/5315 21. Wahlperiode 26.07.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Alexander Wolf (AfD) vom 18.07.16 und Antwort des Senats Betr.: Antisemitismus unter muslimischen Jugendlichen – Werden die muslimischen Gemeinden in die Präventionsarbeit eingebunden? Eine Studie von Jürgen Mansel und Viktoria Spreyer aus dem Jahr 2010 mit über 2.000 befragten Schülern gibt Auskunft über das Ausmaß von Antisemitismus bei Jugendlichen aus verschiedenen kulturellen und religiösen Sozialisationskontexten . In der Untersuchung werden sehr differenziert die unterschiedlichen Facetten des Antisemitismus, wie er je nach kultureller und religiöser Herkunft vertreten ist, aufgezeigt. Danach ist bei Jugendlichen aus muslimischen Sozialisationskontexten vor allem ein israelbezogener, religiös legitimierter und klassischer Antisemitismus feststellbar. Jeder fünfte arabischstämmige Jugendliche stimmte der Aussage zu: „In meiner Religion sind es die Juden, die die Welt ins Unheil treiben“. Noch höhere Werte wurden beim klassischen Antisemitismus gemessen: Der Aussage: „Juden haben in der Welt zu viel Einfluss” stimmten 35,8 Prozent der arabischen und 20,9 Prozent der türkischstämmigen Schüler zu. Bei Schülern ohne Migrationshintergrund lag der Wert bei lediglich 2,1 Prozent.1 Lehrer, Sozialarbeiter und Vertreter jüdischer Glaubensverbände berichten unterdessen verstärkt von antisemitischen Beschimpfungen auf deutschen Schulhöfen. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, kommentiert die verbalen Übergriffe: „Bedauerlicherweise erhalten wir immer wieder Meldungen aus unterschiedlichen Schulen sowie Sportvereinen über die Verwendung des Wortes „Jude“ als Schimpfwort unter Kindern und Jugendlichen.“ Dies geschehe gerade in Schulen mit einem hohen Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund.2 Schuster bedauert, dass antijüdische Beleidigungen vielerorts einfach so hingenommen und als Bagatelle abgetan würden. „Für mich ist und bleibt es jedoch ein Ausdruck von Antisemitismus auf dem Pausenhof“. Eltern und Lehrer stünden gemeinsam in der Pflicht; auch muslimische Verbände sollten Judenhass entschiedener bekämpfen.3 Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1 Mansel, Jürgen, Spaiser Viktoria (2010): Soziale Beziehungen, Konfliktpotentiale und Vorurteile im Kontext von Erfahrungen verweigerter Teilhabe und Anerkennung bei Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund. Abschlussbericht, Dezember 2010 (05.10.2012), Seite 25. 2 „Die Welt“ online (2015): „Wenn "Du Jude" Schimpfwort auf dem Schulhof wird“, unter: http://www.welt.de/regionales/baden-wuerttemberg/article140311744/Wenn-Du-Jude- Schimpfwort-auf-dem-Schulhof-wird.html (abgerufen am 16.07.2016). 3 Vergleiche ebenda. Drucksache 21/5315 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Der Begriff „muslimischer Antisemitismus“ ist in der wissenschaftlichen Debatte sowie der aktuellen Forschung kein abgesicherter Begriff, daher wird er im Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) nicht verwendet. Zum dargelegten Zusammenhang zwischen Antisemitismus, Muslimen beziehungsweise dem Islam und (muslimischem ) Migrationshintergrund liegen keine belastbaren Daten oder repräsentativen Forschungsergebnisse vor, die eine allgemeine Einschätzung zum Phänomen judenfeindlicher Einstellungen unter Menschen mit muslimischem Migrationshintergrund zulassen. Vergleiche hierzu unter anderem den Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus, Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Stand August 2011, Seite 78 fortfolgende sowie die Studie „Fragile Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014“, hrsg. von Andreas Zick/Anna Klein (2015). Die zitierte Studie von Mansel und Spaiser stellt bei einigen muslimischen Jugendlichen Zusammenhänge zwischen einer erfahrenen oder gefühlten Benachteiligung und einer gruppenbezogenen Abwertung von Juden fest. Hieraus kann jedoch nicht auf einen allgemeinen Zusammenhang zwischen Muslimen und Antisemitismus geschlossen werden. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Gibt es eine vergleichbare Studie über das Ausmaß von Antisemitismus unter Hamburger Jugendlichen? Der für Bildung zuständigen Behörde ist keine derartige Studie für Hamburg bekannt. 2. Muslimischer Antisemitismus gilt als israelbezogen, religiös legitimiert und klassisch. Welche Fortbildungsveranstaltungen bietet das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung für Lehrkräfte an, die einen konkreten Bezug zum muslimischen Antisemitismus haben? Bitte die letzten drei Veranstaltungen zu diesem Thema mit Datum, Ort, Veranstalter , Titel und Referenten angeben. Das LI bietet schulinterne und zentrale Beratungs- und Fortbildungsangebote für Lehrkräfte, Sozialpädagoginnen und -pädagogen sowie Schulleitungen an Hamburger Schulen zu den unterschiedlichen Erscheinungsformen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit an (Islamismus, Islamfeindlichkeit, Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus). Aus den in der Vorbemerkung genannten Gründen wird Antisemitismus als gesamtgesellschaftliches Problem behandelt, die Präventionsstrategien beziehen sich daher nicht auf einzelne Gruppen wie zum Beispiel Muslime. Im aktuellen Fortbildungsprogramm des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) für das zweite Halbjahr 2015/2016 bietet das LI beispielweise Fortbildungen zum Umgang mit Antisemitismus und Verschwörungstheorien im Unterricht, zum Umgang mit konfrontativen Äußerungen von Schülern, zum Nationalsozialismus und Holocaust in Schulklassen mit und ohne Migrationsgeschichte und eine Begegnungsund Studienreise nach Israel an. In einer Fortbildungsveranstaltung gab es dezidierte Bezüge: - Dreiteilige Fortbildung des LI am 29.03./19.04./03.05.2016: „NS, Holocaust, Antisemitismus , Judentum, Israel und Palästina – das ist mir zu kompliziert für den Unterricht in heterogenen Klassen!“, Dozentin: Elisabeth Rosa-Robra. Im kommenden Halbjahr sind zwei Veranstaltungen am LI geplant, die eine Auseinandersetzung mit der Konstruktion eines Zusammenhangs zwischen Antisemitismus und Migrationshintergrund beziehungsweise Religionszugehörigkeit ermöglichen. 3. In welchem Ausbildungsmodul und in welchem Umfang wird das Thema muslimischer Antisemitismus (auch teilweise) im Hamburger Referendariat für angehende Lehrkräfte angeboten? Der nachgefragte Begriff entspricht weder terminologisch den fachlichen und fachdidaktischen Standards noch empirisch der Unterrichtsrealität, auf die die zweite Phase vorbereitet, siehe Vorbemerkung. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5315 3 In den Fachseminaren und in besonderen Veranstaltungen der Abteilung Ausbildung wird gezielt über extremistische Ideologien informiert sowie im Sinne der Prävention auf die Gefahren der Radikalisierung von Jugendlichen hingewiesen und darauf vorbereitet , diesen Gefahren zu begegnen. Dazu gehört die Aufklärung über gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, über alle Formen des Rassismus, des Islamismus und auch gezielt über Antisemitismus. Darüber hinaus werden in der Seminarausbildung vielfältige Angebote zum interkulturellen Lernen gemacht. Sie sollen die Lehrkräfte darauf vorbereiten, Schülerinnen und Schüler verschiedener ethnischer Herkunft und Religionszugehörigkeit zu verstehen und in ein demokratisches Gemeinwesen zu integrieren. In der Ausbildung werden vielfältige theoriebezogene und praxisnahe Vorgehensweisen praktiziert wie zum Beispiel die Thematisierung normativer Fragen der politischen und historischen Bildung, der Besuch außerschulischer Lernorte (Schulmuseum, KZ- Gedenkstätte Neuengamme et cetera), die Einladung von regionalen Jugendbeauftragten der Polizei, Einladung von Zeitzeugen et cetera. Im Rahmen der „Holocaust Education“ führt die Abteilung Ausbildung seit vielen Jahren Veranstaltungen mit Überlebenden des Holocaust durch, an der Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst mit ihren Schulklassen teilnehmen. Dabei werden jährlich circa 100 Schülerinnen und Schüler und ihre Lehrkräfte erreicht. Dort wird über Antisemitismus in einer sehr konkreten Form aufgeklärt, da auf die Biographie der anwesenden Überlebenden Bezug genommen wird. Außerdem hat die Abteilung Ausbildung für die Lehrkräfte mehrerer Fachseminare aus dem Bereich der politischen und historischen Bildung eine Veranstaltung zum Islamismus durchgeführt, an der Vertreter aus dem LI, aus Kirchen, aus der Jugendpsychiatrie und Sozialarbeit, aus der SCHURA sowie vom Verfassungsschutz teilgenommen haben. Dieses Veranstaltungsformat wird 2017 wiederholt. 4. Inwieweit wurden die zuständigen Fachseminarleiter in der Hamburger Lehrerausbildung und die zuständigen Fachreferenten im LI in Bezug auf das Problem des muslimischen Antisemitismus fortgebildet? Bitte die konkreten Maßnahmen in diesem Bereich erläutern. Das LI ist Teil des Beratungsnetzwerks Prävention und Deradikalisierung und des Beratungsnetzwerks gegen Rechtsextremismus und kooperiert mit Beratungsstellen verschiedener Behörden und Träger, mit denen eine enge inhaltliche Abstimmung stattfindet, so zum Beispiel Arbeit und Leben Hamburg und KIgA e.V. (Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus). Fachseminarleitungen und Personen, die Fortbildungen leiten, nehmen an Tagungen teil und bilden sich regelmäßig fort, unter anderem in Israel/Yad Vashem sowie in regionalen und überregionalen Netzwerken. 5. Inwieweit werden die Hamburger muslimischen Verbände/Gemeinden in die Präventionsarbeit gegen muslimischen Antisemitismus in den Schulen oder außerhalb der Schulen mit eingebunden? 6. Inwieweit werden die Hamburger jüdischen Verbände/Gemeinden in die Präventionsarbeit gegen muslimischen Antisemitismus in den Schulen oder außerhalb der Schulen mit eingebunden? Sowohl die muslimischen Verbände und Gemeinden als auch die jüdischen Gemeinden sind wichtige Kooperationspartner der für Bildung zuständigen Behörde. Themenbezogen finden Treffen zur Abstimmung und Vernetzung statt. Im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus , Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ (http://www.demokratie-leben.de) fördert die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) das Modellprojekt „Neue Wege – Prävention von Antisemitismus bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ der Türkischen Gemeinde in Hamburg und Umgebung e.V. (TGH). Das Projekt verfolgt das Ziel, neue Zugänge zum Thema Antisemitismus für Jugendliche mit Migrationshintergrund zu erschließen und die Auseinandersetzung mit historischen und gegenwärtigen Erscheinungsformen des Antisemitismus anzuregen. Das Projekt wird Drucksache 21/5315 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 gemeinsam mit der Jüdischen Gemeinde in Hamburg und dem Anne Frank Zentrum, Berlin, umgesetzt. 7. Gibt es sunnitische Moscheen, Glaubensvertreter oder Verbände, die eine Zusammenarbeit mit Schulklassen zum Thema muslimischer Antisemitismus abgelehnt haben? Der für Bildung zuständigen Behörde sind keine derartigen Fälle bekannt. 8. Sind Fälle bekannt, in denen Hamburger Schüler muslimischen Glaubens den Besuch eines Konzentrationslagers aufgrund antisemitischer Überzeugungen boykottierten? Bitte die Schulleitungen der allgemeinen Hamburger Schulen kontaktieren und dazu abfragen. Der für Bildung zuständigen Behörde sind keine derartigen Fälle bekannt. Aufgrund der Sommerferien war eine Schulabfrage nicht möglich.