BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/5317 21. Wahlperiode 26.07.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dirk Nockemann (AfD) vom 18.07.16 und Antwort des Senats Betr.: Chaos bei Abschiebungen Zuletzt ist immer wieder thematisiert worden, dass Abschiebungen ausreisepflichtiger Ausländer aus Deutschland nicht schnell und zielstrebig genug erfolgten und somit geltendes Recht nicht konsequent durchgesetzt werde. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hatte in diesem Zusammenhang einen fehlenden „politischen Willen zur Durchsetzung des Aufenthaltsrechts“ bei den Bundesländern ausgemacht und zudem auf die „mangelnde Kooperation der Ausreisepflichtgen“ hingewiesen. Zuletzt hatte der Innenminister kritisiert, dass viele Abschiebungen verhindert würden, weil sich die entsprechenden Ausländer in hoher Anzahl krankschreiben ließen. Er nannte einen Wert von 70 Prozent, von dem er aber später einräumte, dass dieser auf keiner statistischen Erhebung beruhe. In einer aktuellen Stunde im Bundestag am 23.06.2016 verteidigte er dennoch seine grundsätzliche Aussage und führte an, dass Stichproben ergeben hätten , dass sich in der Berliner Ausländerbehörde 80 Prozent der Menschen krankgemeldet hätten, die zur Klärung ihrer Identität in die Botschaft ihres Herkunftslandes sollten. Bei einer Evaluierung in Nordrhein-Westfalen hätten 70 Prozent der Ausreisepflichtigen psychische Erkrankungen geltend gemacht. „Derart hohe Zahlen über Krankenstände und Atteste wiedersprechen einfach jeder Lebenserfahrung“, so de Maizière. Aber nicht nur erstmalige Ausweisungen beziehungsweise Abschiebungen ausreisepflichtiger Ausländer schlagen in großer Zahl fehl, auch bereits abgeschobene Ausländer kehren regelmäßig nach Deutschland zurück, auch wenn diese mit Wiedereinreissperren belegt sind. So war es konkret im Falle des albanischen Messerstechers, der am 8. April dieses Jahres verurteilt worden ist, was Gegenstand einer vorangegangenen Anfrage (Drs. 21/4127) war. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie viele Ausreisepflichtige gab es am 30.06.2016 in Hamburg, wie viele davon waren geduldet und aus welchem Grund waren diese jeweils geduldet (bitte Rechtsgrundlage und sachlichen Grund angeben)? Am 30. Juni 2016 waren insgesamt 6.747 Personen ausreisepflichtig, davon waren 5.294 Personen im Besitz einer Duldung. Die Duldungsgründe sind der folgenden Übersicht zu entnehmen: Duldungssachverhalte Zahl der Ausreisepflichtigen im geduldeten Aufenthalt Duldung nach § 60a Abs. 1 AufenthG 11 Drucksache 21/5317 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Duldungssachverhalte Zahl der Ausreisepflichtigen im geduldeten Aufenthalt Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG (gültig bis 05.09.2013) 18 Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG aus sonstigen Gründen 3.471 Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wegen familiärer Bindungen zu Duldungsinhabern 165 Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wegen fehlender Reisedokumente 1.557 Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG aus medizinischen Gründen 19 Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 2 AufenthG 4 Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG 21 Duldung nach § 60a Abs. 2b AufenthG 2 Duldung nach § 60a AufenthG (alt) 26 Gesamt 5.294 Quelle: Ausländerzentralregister (AZR), Stand 30.06.2016 2. Wie viele Rückführungsversuche hat es im Jahre 2016 bisher insgesamt gegeben? Wie viele davon wurden vollzogen und wie viele scheiterten? Aus welchen Gründen scheiterten die Rückführungsversuche jeweils? Siehe Drs. 21/3227, 21/3646, 21/3915, 21/4293, 21/4734 und 21/5124. 3. Wie viele der Abschiebungen des Jahres 2016 erfolgten unangekündigt und wie viele der unangekündigten Abschiebungsversuche scheiterten aus welchem Grund? Abschiebungen dürfen gemäß § 59 Absatz 1 Satz 8 AufenthG grundsätzlich nicht angekündigt werden. Im Übrigen siehe Antwort zu 2. 4. Kann der Senat den von Bundesinnenminister de Maizière geäußerten Verdacht bestätigen, dass in vielen Fällen falsche ärztliche Atteste ausgestellt werden, um eine Abschiebung zu verhindern? Ungeachtet der Frage, was unter dem Begriff „falsches ärztliches Attest“ zu verstehen sei, werden entsprechende Zahlen von der zuständigen Behörde nicht erhoben. Zur Anzahl der gescheiterten Abschiebungen nach Vorlage eines ärztlichen Attests siehe Antwort zu 2. 5. In wie vielen Fällen scheiterte eine Abschiebung an strafrechtlichen Ermittlungen gegen den jeweiligen Ausreisepflichtigen? Gibt es Fälle, in denen der Senat einen Zusammenhang zwischen der Begehung einer Straftat und der sich daraus ergebenden Verlängerung des Aufenthalts sieht? Zu den Gründen, die zum Scheitern einer Abschiebung führten, siehe Antwort zu 2. Darüber hinaus sind die „Gründe“ der Betroffenen für die Begehung einer Straftat der zuständigen Behörde nicht bekannt. 6. In wie vielen Fällen hat es im Jahr 2016 Abschiebungen aus Hamburg innerhalb des Dublin-Verfahrens gegeben, also in andere europäische und damit sichere Drittstaaten? Siehe Antwort zu 2. 7. Wie viele Ausreisepflichtige befanden sich zum 30.06.2016 aus welchem Grund in Haft? Diese Angabe wird bei der Behörde für Inneres und Sport statistisch nicht erfasst. Zur Auswertung wäre die händische Durchsicht der elektronischen Akten aller ausreisepflichtigen Personen erforderlich. Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5317 3 Auch in der Justizbehörde liegen keine auswertbaren Informationen zu dieser Frage vor. Die Ausreisepflicht von Gefangenen wird im Rahmen der Prüfung von Lockerungen und der Entlassung im Einzelfall mit der Ausländerbehörde geprüft, eine Klärung für alle in Haft befindlichen Gefangenen erfolgt nicht. Die Frage, ob ein Gefangener Asylbewerber ist, beziehungsweise allgemein der ausländerrechtliche Status eines Gefangenen, wird in den Anstalten nicht systematisch, sondern im Einzelfall ermittelt, wenn dies für den weiteren Vollzugsverlauf von Bedeutung ist. Elektronisch erfasst werden allerdings Verfügungen gemäß § 456a der Strafprozessordnung . Diese Verfügungen betreffen Gefangene, die vollziehbar ausreisepflichtig sind und abgeschoben werden können, sobald die Vollstreckungsbehörde im Hinblick auf die bevorstehende Abschiebung von der weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe absieht. Hierzu siehe Anlage. 8. Wie viele Abschiebungen sind bisher im Jahre 2016 aus der Haft erfolgt? In 2016 erfolgten acht Rückführungen aus Abschiebehaft und 39 Rückführungen aus Strafhaft. 9. Wie viele Asylbewerber gab es zum 30.06.2016 in Hamburg? Laut AZR waren am 30. Juni 2016 15.475 Personen im Besitz einer Aufenthaltsgestattung zur Durchführung eines Asylverfahrens. 10. Wie viele davon waren tatverdächtig in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ? In der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfolgt die statistische Erfassung eines Falles und der dazugehörigen Tatverdächtigen (TV) mit Abschluss aller polizeilichen Ermittlungen. Im ersten Halbjahr 2016 wurden für Hamburg in der PKS 2.916 TV mit dem Aufenthaltsstatus Asylbewerber erfasst. Die Polizei erhebt weder Daten über Tatverdächtige, gegen die zu einem bestimmten Stichtag ein Ermittlungsverfahren geführt wird, noch den Wohnort von TV. Für die Beantwortung der Frage, wie viele der TV mit dem Aufenthaltsstatus Asylbewerber in Hamburg wohnhaft sind, wäre eine Durchsicht aller Hand- und Ermittlungsakten des ersten Halbjahres 2016 bei der Polizei erforderlich. Die händische Auswertung von mehr als einhunderttausend Ermittlungsakten ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Im Übrigen ist die PKS auf Jahresauswertungen ausgelegt. Innerhalb eines Berichtsjahres unterliegt der PKS-Datenbestand einer ständigen Pflege, zum Beispiel durch Hinzufügen von nachträglich ermittelten Tatverdächtigen oder der Herausnahme von Taten, die sich im Nachhinein nicht als Straftat erwiesen haben. Zur begrenzten Aussagekraft unterjähriger Daten siehe Drs. 16/4616. Im Vorgangsverwaltungs- und -bearbeitungssystem MESTA der Staatsanwaltschaft Hamburg werden die zur Beantwortung der Fragen erforderlichen Informationen zum ausländerrechtlichen Status einer Person – konkret ob sie ausreisepflichtig ist oder es sich um einen Asylbewerber handelt – nicht erfasst. Da diese Umstände häufig auch nicht aktenkundig sind, würde selbst eine händische Auswertung sämtlicher Akten der Staatsanwaltschaft keine Beantwortung der Fragen ermöglichen. 11. Wie viele Asylbewerber befanden sich zum 30.06.2016 aus welchem Grund in Haft? Dies wird statistisch nicht erfasst. Im Übrigen siehe Antwort zu 7. 12. Bei wie vielen Asylbewerbern in Hamburg war zum 30.06.2016 die Identität ungeklärt? Eine auswertbare Möglichkeit zur Erfassung einer geklärten oder ungeklärten Identität im ausländerbehördlichen Fachverfahren besteht nicht. Darüber hinaus werden in vielen Fällen Identitätsklärungen vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Rahmen der Prüfung der Asylanträge (vergleiche § 24 Asylgesetz) vorgenommen. 13. Bezug nehmend auf die Schriftliche Kleine Anfrage Drs. 21/4127: Wie erklärt es sich der Senat, dass ein bereits ausgewiesener und mit Wie- Drucksache 21/5317 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 dereinreisesperre belegter Ausländer erneut in die Bundesrepublik Deutschland einreisen konnte und dies offenbar auch mit Kenntnis der entsprechenden Ausländerbehörde? Die Kontrolle der Außengrenzen obliegt mit Ausnahme der Schengen-Außengrenze am Hamburger Hafen nicht den Hamburger Behörden, sodass diese einen illegalen Grenzübertritt nicht verhindern können. Der Betroffene hat sich illegal wieder in die Bundesrepublik Deutschland begeben. Die damals zuständige Ausländerbehörde München hat davon erst im Nachhinein Kenntnis erlangt. 14. Aus welchem Grund konnte die geplante Abschiebung im Jahre 2013 durch die Ausländerbehörde München nicht durchgeführt werden? Hierzu liegen den Hamburger Behörden keine Informationen vor. 15. Wieso ist jemandem, der sich unerlaubt in Deutschland aufhielt, der sich unerlaubt aus München nach Hamburg begeben hatte und der zudem unter Bewährung stand, lediglich (wiederholt!) eine Meldeauflage für München erteilt worden? Wieso ist er nicht zwangsweise nach München verbracht worden? Die ausländerrechtliche Zuständigkeit für den Betroffenen lag zu der Zeit in München. Die Erteilung der Meldeauflage durch das Einwohnerzentralamt erfolgte auf Anweisung der Ausländerbehörde München. Eine weitergehende Bitte um Amtshilfe wurde nicht gestellt. 16. Was waren in diesem konkreten Fall die Bewährungsauflagen? Gehörte dazu auch die Aufenthaltspflicht in München? Siehe Antwort zu 14. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5317 5 Anlage Stichtag 30.06.2016 Insassen mit notierter § 456 a StPO Verfügung JVA Anzahl Insassen Delikte Anzahl Delikte Billwerder 18 Begünstigung und Strafvereitelung 1 Raub 2 Bildung terroristischer Vereinigung 1 Gefährliche Körperverletzung 1 Vergehen gg. das BtmG 6 Diebstahl in besonders schweren Fällen 1 Diebstahl 6 Fuhlsbüttel 16 Vergehen gg. das BtmG 6 Einfuhr von Betäubungsmittel 1 Körperverletzung 1 Menschenhandel 1 Erpresserischer Menschenraub 1 Betrug 1 Diebstahl 1 Vergewaltigung 1 Sex. Nötigung 1 Versuchter Totschlag 1 Schwerer Bandendiebstahl 1 Glasmoor 7 Vergehen gg. das BtmG 5 Einfuhr von Betäubungsmittel 2 Sozialtherapeu- tische Anstalt 5 Vergehen gg. das BtmG 1 Körperverletzung 1 Diebstahl 1 Vergewaltigung 1 Schwerer Raub 1 Hahnöfersand 0 -- 0 Untersuchungshaftanstalt 1 Vergehen gg. das BtmG 1