BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/5388 21. Wahlperiode 02.08.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein (FDP) vom 25.07.16 und Antwort des Senats Betr.: Führt die Inklusion von Rot-Grün zu einem Aussetzen der Schulpflicht? (II) In der Antwort auf eine Anfrage der FDP-Fraktion teilte der Senat mit, dass die Zahl der Schüler, die nach § 12 (5) HmbSG im Haus- und Krankenhausunterricht durch das „Bildungs- und Beratungszentrum Pädagogik bei Krankheit /Autismus“ (BBZ) beschult werden, seit Einführung der Inklusion im Schuljahr 2010/2011 um rund ein Drittel zugenommen hat (Drs. 21/5095). Diese Angabe nährt den Verdacht, dass es vermehrt Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf gibt, die nicht wie früher auf einer Förderschule optimal gefördert wurden, sondern aufgrund der von Rot-Grün zu verantwortenden Inklusion auf eine Regelschule gehen, die sie eben nicht ideal fördern kann, weshalb sie gar nicht mehr auf eine Schule gehen, sondern im Hausund Krankenhausunterricht landen. In der Zeitschrift „Hamburg macht Schule. Zeitschrift für Hamburger Lehrkräfte und Elternräte“, Heft 2/2016, ist ein Bericht über das BBZ (Seiten 46 – 49). In diesem von der Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB) herausgegebenem Heft heißt es: „Eine räumliche Veränderung des BBZ und eine Ausweitung ihres (sic) Bildungs- und Beratungsangebotes ist in Planung.“ (Zitat Seite 47). Darüber hinaus ist in diesem Artikel beschrieben, dass im Falle eines Nachfrageüberhangs beim BBZ Wartelisten geführt werden, die nach Dringlichkeit bedient werden. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Anspruch auf integrative schulische Förderung wurde mit dem Zwölften Gesetz zur Änderung des Hamburgischen Schulgesetzes vom 20. Oktober 2009 eingeführt. Die Bürgerschaft beschloss die Einführung mehrheitlich mit den Stimmen der CDU und GAL am 7. Oktober 2009. Das Bildungs- und Beratungszentrum Pädagogik bei Krankheit/Autismus (BBZ) beschult schwer erkrankte Kinder und Jugendliche, wobei der Genesungsprozess im Vordergrund steht. Bei Krankheit ruht die Schulpflicht, der Rechtsgrundsatz der körperlichen Unversehrtheit hat Priorität. Es ist der zuständigen Behörde ein Anliegen, auch schwer und langfristig erkrankten Kindern die Chance zu eröffnen, den aufgrund von Krankheit versäumten Lernstoff nachzuholen, womit eine bestmögliche Reintegration in die Regelklasse unterstützt werden soll. Hierzu wurden die Angebote des BBZ in den letzten Jahren ausgeweitet. Heute ist es möglich, für längerfristig oder dauerhaft erkrankte Schülerinnen und Schüler individuelle Angebote zusammenzustellen. Diese Ausweitung und Anpassung der Maßnahmen erfolgte auch aufgrund der gestiegenen Fallzahlen. Ob ein erkranktes Kind im oder durch das BBZ beschult werden kann, ohne den Prozess der Genesung zu beeinträchtigen, entscheiden die Sorgeberechtigten in Abstimmung mit Ärzten und Therapeuten. Drucksache 21/5388 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. In Drs. 21/5095, Antwort auf Fragen 1. und 2., teilt der Senat mit, der Haus- und Krankenhausunterricht im BBZ nach § 12 (5) HmbSG finde nur dann statt, wenn „die Sorgeberechtigten einen Antrag“ stellen. Bedeutet dies, dass schulpflichtige Kinder, die „längere Zeit oder auf Dauer erkrankt“ sind, keinen Haus- und Krankenhausunterricht erhalten, wenn die Sorgeberechtigten keinen Antrag stellen? Wenn ja: Wie verfährt die zuständige Behörde in diesen Fällen? Werden sie überhaupt erfasst? Können die Schulen oder andere Institutionen keinen solchen Antrag stellen? Nein. Unterricht in den Klinikschulen wird unabhängig von einer Antragstellung erteilt, siehe auch Drs. 20/11869. Mobiler Unterricht, der auch als Hausunterricht in der Wohnung der erkrankten Schülerin/des erkrankten Schülers organisiert sein kann, erfolgt auf Antrag der Sorgeberechtigten. Die Schulen können die Sorgeberechtigten zum Angebot des Mobilen Unterrichts beraten, der Antrag selbst ist durch die Sorgeberechtigten zu stellen. 2. Wie erklärt der Senat die deutliche Zunahme der vom BBZ im Haus- und Krankenhausunterricht beschulten Schüler seit 2010 um ein Drittel? Siehe Drs. 20/12223. Der Anstieg geht unter anderem auf die Neuorganisation der vormaligen Schule für Haus- und Krankenhausunterricht (HuK) im Zuge der Gründung des BBZ zurück, siehe Vorbemerkung. Infolge einer Erhöhung der für Haus- und Krankenhausunterricht zur Verfügung stehenden Personalressourcen (siehe Drs. 20/11869) konnten die Angebote des BBZ verändert und ausgebaut werden. Überdies wurden Sorgeberechtigte verstärkt für die Angebote des BBZ sensibilisiert. 3. Wie viele Schüler stehen zurzeit auf der Warteliste für einen Platz im BBZ und wie viele in den vergangenen Schuljahren seit 2010/2011? 4. Wie lang ist die durchschnittliche Wartezeit auf einen Platz im BBZ und wie lang war sie in den vergangenen Schuljahren seit 2010/2011? 5. Nach welchen Kriterien werden Schüler von der Warteliste aufgenommen ? Sobald ein Antrag auf unterrichtliche Versorgung im Rahmen des Mobilen Unterrichts gestellt wurde, beginnt die Bearbeitung im BBZ. Das schulersetzende beziehungsweise schulergänzende Unterrichtsangebot wird individuell und flexibel an die gesundheitliche Situation der einzelnen Schülerin beziehungsweise des einzelnen Schülers angepasst. Die Zahl der zu versorgenden Schülerinnen und Schüler ändert sich daher fast täglich und wird von der zuständigen Behörde ebenso wenig statistisch erfasst wie die jeweilige Bearbeitungszeit. Grundsätzlich soll den Schülerinnen und Schülern nach Antragseingang so zeitnah wie möglich ein passendes Angebot gemacht werden. Dabei sind im Anschluss an die Prüfung der Anträge auf Vollständigkeit vielfältige und individuelle Kriterien wie die Art der Erkrankung, die Prognose der Unterrichtsfähigkeit, die Möglichkeit der Beteiligung der Schülerin/des Schülers an bestehenden Gruppenangeboten inklusive Gruppenkompatibilität und verfügbarer Plätze, die vorrangig zu versorgenden Unterrichtsfächer , die angestrebten Schulabschlüsse in Abhängigkeit von den Fachkompetenzen der Lehrkräfte, zeitnah bevorstehende Abschlussprüfungen oder die Mobilität der Schülerin/des Schülers zu berücksichtigen. Zurzeit (Stand 27. Juli 2016) befinden sich Anträge von 20 Schülerinnen und Schülern in Bearbeitung, bei denen es sich überwiegend um Vorankündigungen für eine Versorgung nach geplanten Operationen beziehungsweise Entlassungen aus der Psychiatrie handelt. Im Übrigen siehe Drs. 20/11869. 6. Was geschieht mit schulpflichtigen Schülern, die auf der Warteliste stehen ? Ruht in solchen Fällen die Schulpflicht? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5388 3 Wenn Schülerinnen und Schüler aus gesundheitlichen Gründen nachweislich nicht in der Lage sind, am Unterricht teilzunehmen, ruht ihre Schulpflicht, siehe auch Drs. 21/5095. 7. Welche räumlichen Veränderungen und Ausweitungen des Angebots der BBZ sind konkret geplant und zu wann? Die Überlegungen der zuständigen Behörde hierzu sind noch nicht abgeschlossen. 8. In Drs. 21/5095, Antwort auf Fragen 3. – 6., teilt der Senat mit: „Aufgrund des Aufenthaltsorts und der Schwere der Beeinträchtigung kann ein solches Angebot auch nicht für alle Schülerinnen und Schüler organisiert werden.“ a. Was ist mit „Aufenthaltsort“ gemeint? Mit Aufenthaltsort ist der Ort gemeint, an dem sich die Schülerin beziehungsweise der Schüler krankheitsbedingt aufhält. In Einzelfällen kann der Aufenthaltsort einer Schülerin beziehungsweise eines Schülers krankheitsbedingt, zum Beispiel bei Kuren, Rehabilitationsmaßnahmen oder Unfällen, auch außerhalb Hamburgs liegen. b. Wie viele Schüler werden aus diesen Gründen nicht im Rahmen des Haus- und Krankenhausunterrichts beschult? Wenn diese Zahlen statistisch nicht erfasst werden: warum nicht? Die Zahl der im Laufe eines Schul- oder Kalenderjahres aus den vorgenannten Gründen nicht durch das BBZ betreuten Schülerinnen und Schülern wird durch die zuständige Behörde nicht erfasst. Eine statistische Erfassung würde voraussetzen, dass im Anschluss an die Krankmeldung von Schülerinnen/Schülern bei ihren Stammschulen die Schwere und voraussichtliche Dauer der Erkrankung und der jeweilige Aufenthaltsort zunächst aller Schülerinnen und Schüler erhoben werden müssten, um davon ausgehend die Gruppe, auf die die Aussage gemäß der oben genannten Frage zutrifft, zu identifizieren. Dies wäre mit einem nach Art und Umfang nicht zu vertretenden Aufwand für die Schulen verbunden , zumal es sich bei der hier erfragten Gruppe um wenige Einzelfälle handeln dürfte und sich der individuelle Genesungsprozess in seinem Verlauf und seine Dauer im Vorwege oftmals nicht eindeutig bestimmen lassen. c. Ruht für diese Schüler die Schulpflicht? Siehe Antwort zu 6. 9. Nach Auskunft des Senats in Drs. 21/5095, Antwort auf Frage 8., ist eine „Umschulung in eine Sonderschule oder in ein ReBBZ (…) nur im Einvernehmen mit den Sorgeberechtigten möglich“, auch wenn sie pädagogisch zielführend wäre. Bedeutet dies, dass in dem Fall, in dem ein Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf auf einer Regelschule nicht hinreichend gefördert werden kann, sodass er im Regelsystem unbeschulbar ist – auf einer Förderschule jedoch prinzipiell eine optimale Beschulung möglich wäre –, der Wille der Sorgeberechtigten über der Schulpflicht steht? Wenn ja: Wie lässt sich das mit dem staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag gemäß Artikel 7 GG vereinbaren? Wie viele derart gelagerte Fälle gibt es zurzeit in Hamburg? Wie verfährt die zuständige Behörde in diesen Fällen? Sowohl in den allgemeinen Schulen als auch in Sonderschulen erhalten Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf ein individuelles Bildungs- und Erziehungsangebot, über das der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag gemäß Artikel 7 GG sowie die Schulpflicht erfüllt werden kann. Im Übrigen siehe Drs. 21/5095. 10. Inwiefern unterscheiden sich die Angebote des Haus- und Krankenhausunterrichts des BBZ von den temporären Lerngruppen in Kooperation Drucksache 21/5388 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 von der BSB, der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie, Integration (BASFI) und den Bezirken? Die Angebote richten sich an unterschiedliche Zielgruppen. Während das BBZ Angebote für Schülerinnen und Schüler, die aufgrund einer längerfristigen oder dauerhaften Erkrankung nicht am Regelunterricht ihrer Stammschule teilnehmen können, vorhält, zielen die Angebote der temporären Lerngruppen auf Schülerinnen und Schüler mit besonders herausforderndem Verhalten, bei denen die jeweiligen Maßnahmen von Schule und Jugendhilfe zur Integration und Stabilisierung nicht ausreichen und eine Teilhabe am Unterricht gefährdet ist. 11. Die Rahmenvereinbarung „Regionale Kooperation zwischen Schule und Jugendhilfe für die Bildung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit besonders herausforderndem Verhalten“ zu den temporären Lerngruppen trat am 1. Februar 2013 in Kraft. a. Wie bewerten die zuständigen Behörden diese Richtlinie nach drei Jahren, auch auf der Grundlage des in der Richtlinie vorgesehenen jährlichen Monitorings? Auf der Grundlage der genannten Rahmenvereinbarung sind insgesamt 41,5 Kooperationsangebote mit 419 Plätzen für Kinder und Jugendliche, deren Verhalten für die beiden Systeme der Schule und Jugendhilfe eine Herausforderung darstellt, entstanden . Die vereinbarte und systematische Zusammenarbeit ist eine wichtige Voraussetzung , um den Förder- und Hilfebedarfen der Kinder und Jugendlichen mit ihren Familien gerecht werden zu können. Zudem kann eine individuelle Unterstützung der Eltern in Erziehungsfragen realisiert werden. Vor diesem Hintergrund bewerten die zuständigen Behörden die Richtlinie und die mit ihr geschaffene Möglichkeit der temporären Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit besonders herausforderndem Verhalten in speziellen Lerngruppen insgesamt als positiv. b. Gibt es Pläne, diese Richtlinie zu überarbeiten? Nein. 12. In der Präambel dieser Richtlinie wird von einem Bedarf von 300 bis 400 Kindern und Jugendlichen ausgegangen. Nach Auskunft des Senats sind zurzeit rund 385 Plätze eingerichtet (Drs. 21/4750). a. Gibt es Wartelisten? Wenn ja: Wie viele Schüler stehen auf diesen Wartelisten und wie lang ist die durchschnittliche Wartezeit? Nein. b. Werden die Platzzahlen auch in Zukunft als auskömmlich eingeschätzt ? Ja. c. Gibt es Pläne zur Veränderung des Systems der temporären Lerngruppen ? Nein. Im Übrigen siehe Antwort zu 11.b.