BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/5426 21. Wahlperiode 05.08.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Bernd Baumann, Prof. Dr. Jörn Kruse, Dr. Alexander Wolf und Dirk Nockemann (AfD) vom 28.07.16 und Antwort des Senats Betr.: Ermittlung der wahren Herkunft und Identität der Flüchtlinge Circa 70 Prozent der nach Deutschland einreisenden Flüchtlinge sind nicht in Besitz identitätsklärender Papiere wie Personalausweis, Führerschein oder Reisepass. Eine erhebliche Anzahl von ihnen täuscht sodann über ihre Identität und gibt sich etwa als Syrer, Iraker oder Afghane aus, um die Chancen im Asylverfahren und damit ihre Bleibeperspektive zu verbessern.1 Dies macht aufwendige Überprüfungen zur Identität notwendig, die eine möglichst präzise regionale Zuordnung der Flüchtlinge zum Ziel haben, das Asylverfahren aber deutlich verlängern. Nicht zuletzt der Fall des Würzburger IS- Terroristen, der mit Axthieben fünf Menschen teils schwer verletzte, führt die Schwierigkeiten beim Klären der wahren Herkunft vor Augen: Während der Täter bei der Registrierung angab, Afghane zu sein, zweifeln Experten aufgrund seiner Aussprache in einem Bekennervideo sowie des Auffindens eines pakistanischen Dokuments daran und gehen davon aus, er stamme aus Pakistan. Angaben des Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen zufolge haben gerade auch mehr als zwei Drittel aller minderjährigen in Deutschland Schutzsuchenden keine oder falsche Papiere .2 In diesem Fall bedarf es neben der Klärung der genauen Herkunft auch der Ermittlung des Alters der Flüchtlinge, da nicht selten die Minderjährigkeit lediglich vorgetäuscht wird. Dies erfordert ebenfalls kostenintensive Nachforschungen und Untersuchungen. Diese aufgezeigten Probleme betreffen auch einen Großteil der Hamburg zugewiesenen Flüchtlinge. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Für die erstmalige Erfassung der Personalien neu ankommender Flüchtlinge und den Abgleich mit vorhandenen Datenbanken (zum Beispiel Ausländerregister (AZR), Visa- Datenbank) ist die Zentrale Erstaufnahmeeinrichtung (ZEA) zuständig. Seit Mai 2016 wird in Hamburg das Verfahren zur Ausstellung des Ankunftsnachweises praktiziert. Durch die Nutzung der vom BAMF zur Verfügung gestellten sogenannten Personalisierungsinfrastrukturkomponente (PIK) erfolgt dabei im Rahmen der Datenerfassung zunächst ein schneller Abgleich der Fingerabdrücke zur Prüfung, ob die Person bereits bekannt ist. Neben der Erfassung der Kerndaten erfolgt auch die Speicherung der Fingerabdrücke im AZR. Mit der Einführung der PIK werden die Fingerabdrücke entsprechend der Neuregelungen durch das Datenaustauschverbesserungsgesetz im 1 So auch der Innensenator von Berlin Frank Henkel (CDU), rbb online, „Zwei Drittel der Flüchtlinge kommen ohne Papiere nach Berlin“ vom 02.03.2016. 2 www.br.de/nachrichten/amoklauf-wuerzburg-bahn-100.hmtl. Drucksache 21/5426 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 AZR erfasst. Es erfolgt bereits bei der ersten Überprüfung (Fast-ID) eine Prüfung der Daten beim BKA. Gleichzeitig wird die Eurodac-Auswertung angestoßen. Diese wird dem BAMF direkt übermittelt. Eine weitergehende Überprüfung der Identität erfolgt, soweit diese nicht durch eindeutige Dokumente belegt ist, im Zuge des Asylverfahrens durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Rahmen der Anhörung und der Auswertung der erkennungsdienstlichen Behandlung. Das BAMF hat auf wiederholte Nachfragen mitgeteilt, es sei grundsätzlich nicht verpflichtet, Parlamentarische Anfragen aus Hamburg zu beantworten. Soweit das BAMF im Rahmen des Verfahrens die gegebenenfalls auch nur mündlich angegebenen Daten zur Identität übernimmt , werden diese durch die Ausländerbehörde im weiteren Verfahren fortgeführt. Ergeben sich nach vollziehbarem beziehungsweise rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens aufgrund neuer Erkenntnisse Zweifel an der Identität, ist die Ausländerbehörde im Zuge der Erteilung eines Aufenthaltstitels oder der Rückführung bei bestehender Ausreiseverpflichtung für die Prüfung der Identität zuständig. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele der Hamburg zugewiesenen Flüchtlinge sind nicht in Besitz identitätsklärender Papiere? Angabe bitte aufgeschlüsselt für die Jahre 2010 – 2016 in absoluter Zahl sowie Prozentzahl, unterschieden nach keine Papiere und falsche Papiere! Im ausländerbehördlichen Fachverfahren besteht die Möglichkeit, (für den Identitätsnachweis maßgebliche) Personaldokumente zu erfassen. Darüber hinaus sollen Staatsangehörigkeiten, die (noch) nicht nachgewiesen sind, mit einem zweiten Staatsangehörigkeitsschlüssel „998 – ungeklärt“ ergänzt werden. Die Aussagekraft von Auswertungen nach diesem Merkmal hängt somit entscheidend von der umfassenden und sorgfältigen Dateneingabe ab. Insbesondere vor dem Hintergrund der stark angestiegenen Flüchtlingszahlen und der vielen neu eingestellten Beschäftigten im vergangenen Jahr kann es zu Lücken bei der Datenerfassung dieses Merkmals gekommen sein. Darüber hinaus ist eine rückwirkende Auswertung (auf den Zeitpunkt der Einreise bezogen) nicht möglich. Die im Folgenden dargestellten Zahlen beziehen sich auf die Personen, die im jeweiligen Jahr eingereist und zum Stichtag 28. Juli 2016 noch im hiesigen Fachverfahren als aktive Datensätze ermittelbar sind. Da maßgebliche Personaldokumente oftmals erst beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgelegt werden, erfolgt die Dateneingabe hier zeitversetzt, sobald die Ausländerbehörde davon Kenntnis erlangt. Es ist somit davon auszugehen, dass im Laufe der Sachbearbeitung bislang nicht vorgelegte Pässe oder andere Dokumente nachträglich erfasst werden. Auch mögliche Erfassungslücken, die insbesondere im vergangenen Jahr aus personellen oder zeitlichen Gründen aufgetreten sein könnten, würden damit geschlossen werden, sodass ein kontinuierlicher Rückgang der Zahlen zu erwarten ist. Die Staatsangehörigkeit kann sich im Übrigen auch aus anderen Umständen oder nicht maßgeblichen Dokumenten ergeben. Jahr ohne erfasstes Personaldokument mit nicht nachgewiesener Staatsangehörigkeit mit nachgewiesener Staatsangehörigkeit total prozentual3 total prozentual³ 2010 36 3,9 % 41 4,5 % 2011 65 5,2 % 41 3,3 % 2012 159 11,8 % 37 2,7 % 2013 200 9,5 % 48 2,3 % 2014 1.351 34,2 % 145 10,7 % 2015 3.545 21,1 % 5.981 35,7 % 2016 3.480 52,8 % 1.665 25,3 % Zahlen zu „falschen Pässen“ werden statistisch nicht erfasst, siehe auch Dr. 21/2253. 3 Anteil an der Gesamtheit der Personen, die im selben Jahr eingereist und noch immer als aktiver Datensatz erfasst sind. In den übrigen Fällen ist ein Personaldokument erfasst. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5426 3 2. Welches Herkunftsland benannten diese Flüchtlinge jeweils? Bitte für die Jahre 2010 – 2016 aufgeschlüsselt in absoluten Zahlen und getrennt nach genanntem Herkunftsland angeben! Siehe Anlage. 3. Welche Maßnahmen werden zur Bestimmung a. der wahren Herkunft, b. des tatsächlichen Alters durchgeführt? Bitte jeweils alle Maßnahmen nennen! Siehe Drs. 21/1358, 21/2253, 21/2983, 21/3552, 21/4000 und 21/4347 sowie Vorbemerkung . 4. Bei wie vielen Hamburg zugewiesenen Flüchtlingen wurden diese Maßnahmen bislang durchgeführt? Angabe bitte in absoluten Zahlen! Die erforderlichen Maßnahmen werden im Rahmen der sachbearbeitenden Tätigkeit durchgeführt. Eine statistische Erfassung erfolgt nicht und würde eine händische Durchsicht aller elektronischen Aufenthaltsakten erfordern. Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 5. In welchem Stadium des Verfahrens werden diese Maßnahmen durchgeführt ? Siehe Antwort zu 3. bis 3. b. 6. Wie viel Zeit nehmen diese Maßnahmen jeweils im Durchschnitt in Anspruch und in welchem zeitlichen Umfang verzögern diese Maßnahmen im Durchschnitt das Asylverfahren? Siehe Drs. 21/1358 und 21/4347 und Vorbemerkung. 7. Wie hoch sind die Kosten dieser Maßnahmen a. insgesamt, b. pro identitätsunklarem Flüchtling, c. im Einzelnen (hier bitte für jede mögliche Maßnahme gesondert die Kostenbenennen!)? Eine gesonderte Erfassung der Kosten von Verfahren zur Identitätsfeststellung erfolgt nicht, da die Maßnahmen regelhaft im Rahmen der täglichen sachbearbeitenden Tätigkeit anfallen. Für Einzelmaßnahmen (zum Beispiel Vorstellungen bei Auslandsvertretungen ) können Gebühren entstehen, die jedoch nicht in auswertbarer Form erfasst werden. Im Übrigen siehe Vorbemerkung und Drs. 21/4347. 8. In wie vielen Fällen führten die Maßnahmen zu dem Ergebnis, dass die tatsächliche Herkunft beziehungsweise das wirkliche Alter der Flüchtlinge nicht mit der beziehungsweise dem von ihnen angegebenen übereinstimmt ? Angabe bitte in absoluten Zahlen! Dies wird statistisch nicht erfasst, siehe auch Drs. 21/2983 und Vorbemerkung. 9. Aus welchen Ländern kamen diese über ihre Identität täuschenden Flüchtlinge tatsächlich? Bitte in absoluten Zahlen und nach Herkunftsland getrennt angeben! Dies wird nicht in auswertbarer Form erfasst, siehe auch Antwort zu 4. und Vorbemerkung . 10. Welche Sanktionen werden an die Täuschung geknüpft und in wie vielen Fällen wurden derartige Sanktionen bereits verhängt? Siehe Drs. 21/1358 und 21/2983. Drucksache 21/5426 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 11. In wie vielen Fällen führen auch die vorgenommenen Maßnahmen nicht zweifelsfrei zu einer Identitätsklärung? Siehe Antwort zu 9. 12. Gibt es Schätzungen, in wie vielen Fällen das Ergebnis der Überprüfung als nicht korrekt erachtet werden muss, also als nicht mit der tatsächlichen Gegebenheiten nicht übereinstimmt? Nein. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5426 5 Anlage Die genannten, nicht nachgewiesenen Staatsangehörigkeiten sind der folgenden Übersicht zu entnehmen (zur Erfassungsmethodik siehe Antwort zu 1.): Jahr Anzahl angegebene Staatsangehörigkeit 2010 11 Ägypten 10 Sonstige asiatische Staatsangehörigkeit 6 Algerien 3 Montenegro 2 ungeklärt 2 Iran 1 Indien 1 Guinea 2011 14 ungeklärt 12 Ägypten 8 Sonstige asiatische Staatsangehörigkeit 5 Guinea 4 Algerien 4 Indien 3 Aserbaidschan 3 Georgien 2 Marokko 1 Bosnien und Herzegowina 1 Montenegro 1 Türkei 1 Ukraine 1 Serbien 1 Benin 1 Mauretanien 1 Tunesien 1 Irak 1 Nepal 2012 38 Afghanistan 26 Ägypten 14 Sonstige asiatische Staatsangehörigkeit 13 Russische Föderation 11 Guinea 6 Syrien 5 Montenegro 4 Mazedonien 4 Algerien 4 Irak 4 Iran 3 Serbien 3 Gambia 2 Bosnien und Herzegowina 2 Türkei 2 Benin 2 Mali 2 Marokko 2 Guinea-Bissau 1 Kosovo 1 Angola 1 Cote d'Ivoire 1 Nigeria 1 Niger 1 Tschad 1 Tunesien Drucksache 21/5426 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 6 Jahr Anzahl angegebene Staatsangehörigkeit 1 Aserbaidschan 1 Georgien 1 Indien 1 Bangladesch 1 Tadschikistan 2013 52 Afghanistan 41 Russische Föderation 33 Ägypten 15 Iran 10 Guinea 6 Marokko 5 Syrien 5 Sonstige asiatische Staatsangehörigkeit 4 Algerien 3 Türkei 3 Senegal 3 Aserbaidschan 3 ungeklärt 2 Montenegro 2 Kosovo 2 Cote d'Ivoire 1 Mazedonien 1 Äthiopien 1 Mali 1 Guinea-Bissau 1 Seychellen 1 Tunesien 1 Nicaragua 1 Armenien 1 Georgien 1 Indien 1 Irak 2014 522 Afghanistan 170 Syrien 118 Iran 107 Russische Föderation 78 Somalia 70 Ägypten 53 Sonstige asiatische Staatsangehörigkeit 47 Kosovo 32 Eritrea 23 Irak 18 ungeklärt 17 Serbien 13 Bosnien und Herzegowina 12 Armenien 10 Guinea 9 Ukraine 8 Albanien 6 Türkei 5 Algerien 5 Marokko 4 Nigeria 4 Ghana 3 Montenegro 2 Benin 2 Tunesien Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5426 7 Jahr Anzahl angegebene Staatsangehörigkeit 2 Indien 2 Kasachstan 1 Äthiopien 1 Libyen 1 Mali 1 Burkina Faso 1 Guinea-Bissau 1 Sierra Leone 1 Tansania 1 Vietnam 1 Libanon 2015 1.498 Afghanistan 684 Syrien 356 Iran 323 Irak 171 Sonstige asiatische Staatsangehörigkeit 139 Eritrea 90 Somalia 83 Russische Föderation 41 Kosovo 28 Serbien 21 ungeklärt 20 Albanien 20 Bosnien und Herzegowina 12 Mazedonien 10 Ägypten 9 Armenien 7 Ghana 5 Georgien 4 Ukraine 4 Nigeria 4 Libanon 3 Montenegro 2 Gambia 2 Tunesien 1 Türkei 1 Cote d'Ivoire 1 Niger 1 Guinea 1 Kamerun 1 Tansania 1 Honduras 1 Indien 1 Tadschikistan 2016 1.352 Afghanistan 550 Irak 441 Syrien 392 Iran 193 Russische Föderation 151 Sonstige asiatische Staatsangehörigkeit 131 Eritrea 68 Somalia 26 Albanien 26 Ägypten 24 Ghana 21 Kosovo 18 Serbien Drucksache 21/5426 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 8 Jahr Anzahl angegebene Staatsangehörigkeit 18 ungeklärt 12 Türkei 7 Bosnien und Herzegowina 6 Mazedonien 6 Marokko 5 Armenien 4 Georgien 3 Guinea 3 Libanon 2 Montenegro 2 Nigeria 2 Guinea-Bissau 2 Vietnam 1 Ukraine 1 Weißrussland 1 Algerien 1 Benin 1 Cote d'Ivoire 1 Libyen 1 Senegal 1 Sierra Leone 1 Aserbaidschan 1 Kasachstan 1 Jordanien 1 Kuwait 1 Pakistan 1 Turkmenistan 1 Saudi-Arabien