BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/5581 21. Wahlperiode 23.08.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Dirk Nockemann und Dr. Joachim Körner (AfD) vom 15.08.16 und Antwort des Senats Betr.: Verkehrte Welt – Sonderbehandlung für LSBTI-Flüchtlinge Seit Herbst 2015 wird in den Medien vermehrt darüber berichtet, dass es in diversen Flüchtlingsunterkünften zu Gewalt gegenüber Minderheiten komme. In diesem Zusammenhang war vor allem von den Angehörigen religiöser Gruppen wie Christen und Jesiden die Rede, die im Alltag mit den zum Teil massiven Anfeindungen ihrer muslimischen Mitbewohner konfrontiert seien („Wir hassen Dich, weil du Christ bist!“).1 Dass der Senat dieses Phänomen lange verharmlost hat und es selbst dann noch leugnete, nachdem es sogar in einer Studie beschrieben worden war2, ändert jedoch nichts daran, dass seine Existenz eine Tatsache ist, die faktisch auch für Hamburger Erst- und Folgeunterbringungen eine immer größere Rolle spielt.3 Obwohl oder vielleicht gerade weil entsprechende Medienberichte die Darstellung des Senats widerlegen, der zufolge es sich bei der Drangsalierung von Minderheiten um Einzelfälle handelt, hat er es bislang tunlichst vermieden , konkrete Antworten zu geben und stattdessen auf andere Drucksachen verwiesen. Dies war auch bei zwei Schriftlichen Kleinen Anfragen der Fall, die die AfD-Fraktion bereits im Februar 2016 zu dem Thema eingereicht hatte .4 Bei der Beantwortung stellte sich allerdings heraus, dass der Senat bereits seit der 20. Legislaturperiode von Fällen wusste, bei denen christliche Flüchtlinge in Hamburg von muslimischen Mitbewohnern bedroht worden waren .5 Erhellend ist dabei vor allem die Aussage des Senats, dass sich Streitigkeiten zwischen Flüchtlingen in erster Linie an „alltäglichen Situationen“ entzündeten und die Religionszugehörigkeit dabei lediglich „vorgeschoben“ werde.6 Die Aufwertung des Schutzbedürfnisses religiöser Minderheiten ist daher bis heute nicht erfolgt. Das Prinzip, dem zufolge Motive wie Hass auf Minderheiten lediglich als Vorwand dienten, scheint nun offenbar nicht mehr zu gelten. Denn am 4. August 2016 hat der Senat in einer Pressemitteilung erklärt, sogenannte LSBTI- Geflüchtete (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender and Intersexual Persons) 1 Confer Drs 21/3166. 2 Hierzu: Religiös motivierte Übergriffe gegen christliche Flüchtlinge in Deutschland. Eine Erhebung von Open Doors Deutschland. 3 Über religiös motivierte Gewalt gegen Christen in Hamburger Flüchtlingsunterkünften hatten auch die Tagesthemen in ihrer Sendung vom 3. Februar 2016 berichtet. Dabei ging es um das Schicksal dreier junger Syrer, die zum Teil körperlich und seelisch misshandelt sowie mit dem Tode bedroht worden waren. 4 Confer Drs. 21/3166, 21/3293. 5 Confer Drs. 20/12626, 21/2912. 6 Confer Drs. 21/3166. Drucksache 21/5581 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 ab sofort besonders schützen zu wollen. Dazu reserviere die Stadt gegenwärtig Appartements, die gemäß dem Frauenhaus-Modell genutzt werden sollen. Laut Senatorin Melanie Leonhard habe sich der Senat zu dieser Maßnahme entschieden, nachdem geoutete Flüchtlinge immer wieder davon berichtet hatten, dass „ihnen Verwandte und Bekannte nachtstellten und sie unter Druck setzten, ihrer sexuellen Orientierung abzuschwören.“ Das Ziel sei es, LSBTI-Geflüchtete „so gut wie möglich vor weiterem psychischen Druck zu bewahren.“7 Diese Entscheidung ist gleich in verschiedener Hinsicht brisant. Denn einerseits räumt der Senat mit ihr implizit ein, dass es in Hamburger Flüchtlingsheimen regelmäßig zur Drangsalierung von Minderheiten kommt, die für die Betroffenen eine Gefahr darstellen – ein Umstand, den er bislang lediglich als Ausnahmeerscheinung dargestellt hatte. Die Tatsache, dass er nun jedoch nicht etwa Christen beziehungsweise Jesiden, sondern vielmehr homo- und transsexuellen Personen einen speziellen Schutz angedeihen lässt, ist insofern bemerkenswert, als diese Gruppe im Vergleich zu den religiösen Minderheiten, denen man eine entsprechende Behandlung bis heute verwehrt, eine verschwindende Minderheit darstellt. Diese Unverhältnismäßigkeit wird zusätzlich noch dadurch verstärkt, dass die Angehörigen religiöser Minderheiten bislang nicht nur psychischer, sondern immer wieder auch akuter physischer Gewalt ausgesetzt gewesen sind8 – ein Phänomen, das auch im Rahmen der genannten Studie von Open Doors beschrieben worden ist. Erhellend ist die Entscheidung des Senats aber auch deshalb, weil angesichts des quantitativen Übergewichts, das die Muslime in allen Hamburger Flüchtlingsheimen haben, klar ist, dass die Diskriminierung der LSBTI- Geflüchtete von ihnen ausgeht. Damit sind sie neben den zahlreichen Übergriffen auf religiöse Minderheiten nun offenbar auch für die Drangsalierung sexueller Randgruppen verantwortlich. Dadurch erhärtet sich einmal mehr der Verdacht, dass muslimische Flüchtlinge eine stark ausgeprägte Affinität zur Intoleranz und Gewalttätigkeit gegenüber Minderheiten aufweisen. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Der Senat beantwortet die Fragen teilweise auf Grundlage von Angaben der im Auftrag der Behörde für Arbeit, Soziale, Familie und Integration (BASFI) sowie der Behörde für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung (BWFG) fachlich zuständigen Träger wie folgt: 1. In wie vielen Fällen ist es in Hamburger Flüchtlingsunterkünften bislang zu Diskriminierungen beziehungsweise Übergriffen gegen Personen gekommen, die der Senat als LSBTI-Geflüchtete versteht? Bitte die Einzelfälle gesondert sowie nach der jeweiligen Unterkunft auflisten. 2. Ist dem Senat bekannt, in welchem Verhältnis die involvierten Personen dabei jeweils zueinander standen? Falls ja, wie oft ereigneten sich die angezeigten Vorfälle im Familien- beziehungsweise Bekanntenkreis? 3. Aus welchen Herkunftsländern stammen die Beteiligten? Bitte jeweils für Opfer und Täter nennen. 7 Stadt reserviert Apartments für besonders schutzbedürftige LSBTI-Geflüchtete. Pressestelle des Senats am 4. August 2016. 8 So etwa der Iraner Amirali H., der von muslimischen Mitbewohnern seiner Unterkunft bis zur Bewusstlosigkeit geprügelt wurde, nachdem es zuvor zu verbalen Anfeindungen gegen sein religiöses Bekenntnis gekommen war. Confer Drs. 21/3166. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5581 3 Es liegen keine verlässlichen Daten zum Ausmaß von Gewalt und Diskriminierung gegen LSBTI*-Geflüchtete vor, da nicht jeder Übergriff zu einer Beschwerde oder Anzeige führt (siehe Drs. 21/4174). Daten zur sexuellen Orientierung beziehungsweise sexuellen Identität werden statistisch nicht erfasst (siehe Drs. 21/3649). Als Suchparameter konnten daher bei der Polizei nur die feststehenden Katalogwerte Hasskriminalität (Oberbegriff) und sexuelle Orientierung (Unterthema), die jegliche sexuelle Orientierungen von Opfern umfassen, genutzt werden. Die Recherche wurde auf die Statistikjahre 2015 und 2016 beschränkt. Für 2015 ergaben sich zwölf Vorgänge und für das Jahr 2016 6 Vorgänge. Fälle im Sinne der Fragestellung sind der Polizei bisher nicht bekannt geworden. Bei den LSBTI*-Beratungsstellen sowie am Runden Tisch gegen Rassismus, Homound Transphobie sind Fälle bekannt, bei denen es zu Übergriffen gegen LSBTI*- Personen gekommen ist. Eine systematische Erfassung erfolgt jedoch nicht. 4. Ist der Senat der Meinung, dass die erfolgten Übergriffe gegen „LSBTI- Geflüchtete“ mit der im Islam postulierten Ächtung von Homosexuellen zu tun haben? Die Antwort bitte ausführlich begründen. Der Senat hat sich hiermit nicht befasst. 5. Welcher Art von „psychischem Druck“ waren die Betroffenen dabei ausgesetzt ? Wurden Sie tatsächlich „nur“ dazu gedrängt, ihrer sexuellen Orientierung abzuschwören oder hat es womöglich auch körperliche Übergriffe gegeben? Entfällt, siehe Antwort zu 1. bis 3. 6. Ist es dabei bereits zu Gerichtsurteilen gekommen? Falls ja, in welchen Fällen? Soweit seit 1. Januar 2015 in der für die Verfolgung von Straftaten mit politischem Einschlag bei der Staatsanwaltschaft Hamburg zuständigen Abteilung 71 eine Liste über Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit homophober Gewalt händisch geführt wird, lag in keinem der dort insgesamt erfassten neun Verfahren der Tatort in einer Flüchtlingsunterkunft oder stand auf Täter- oder Opferseite im Zusammenhang mit Geflüchteten. Im Übrigen siehe Antwort zu 1. bis 3. 7. Welchen Anteil haben die „LSBTI-Geflüchteten“ gegenwärtig an der Gesamtzahl der Flüchtlinge? Die entsprechenden Angaben bitte sowohl in absoluten Zahlen als auch prozentuell angeben? 8. Wie groß fällt der Vergleichswert in Hinblick auf Personen aus, die zur Gruppe der religiösen Minderheiten gehören, nachweislich also keine sunnitischen Muslime sind? Bitte ebenfalls mittels absoluter wie prozentueller Angaben nennen. Hierüber liegen keine Erkenntnisse vor, da die entsprechenden Daten statistisch nicht erfasst werden (siehe Drs. 21/2912 und Drs. 21/3649). 9. Wie hoch belaufen sich die Kosten für die geplante Sonderunterbringung der „LSBTI-Geflüchteten“? Bitte auch die monatlich zu erwartenden Aufwendungen nennen, sofern die Apartments angemietet werden. Die Kosten können derzeit noch nicht beziffert werden. Die Gespräche sind insoweit noch nicht abgeschlossen. 10. Was muss passieren, damit der Senat anerkennt, dass in Hamburger Flüchtlingsunterkünften auch religiöse Minderheiten nicht nur in Einzelfällen , sondern regelmäßig Opfer von schwerwiegenden Diskriminierungen werden und eine Aufwertung ihres Schutzbedürfnisses verdienen? Der Senat trägt dem Schutzbedürfnis einzelner Personen in den Unterkünften Rechnung . Diskriminierungen und Bedrängungen in den Unterkünften werden verfolgt. Das Schutzbedürfnis Einzelner wird unter anderem auch dadurch berücksichtigt, dass aufgrund rückläufiger Flüchtlingszahlen die Unterbringungsqualität in den Unterkünf- Drucksache 21/5581 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 ten durch geringere Belegungszahlen, die Einrichtung von Schutzräumen und Verlegungen im Bedarfsfall verbessert werden kann. Im Übrigen siehe Drs. 21/3166 und Drs. 21/3200.