BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/5584 21. Wahlperiode 23.08.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Mareike Engels (GRÜNE) und Annkathrin Kammeyer (SPD) vom 15.08.16 und Antwort des Senats Betr.: Wohnperspektiven für Frauenhausbewohnerinnen Eine Gruppe der vordringlich Wohnungssuchenden ist die Gruppe der Frauenhausbewohnerinnen und ihre Kinder. Die Verweildauer in den letzten Jahren war durchgehend höher, als der reine Schutzbedarf der Frauen (und Kinder ) es erfordert hätte. Dies liegt unter anderem daran, dass sie keine Wohnung finden. Dies ist belastend für die Frauen, bedeutet aber auch, dass Kapazitäten in den Frauenhäusern länger vorgehalten werden müssen, die dann anderen Frauen in einer akuten Notsituation fehlen können. Wichtig für Frauenhausbewohnerinnen ist, für sich eine neue Lebensperspektive entwickeln zu können. Dazu gehört eigener Wohnraum, aber auch ein existenzsichernder Job. Ansonsten droht im schlimmsten Fall die Rückkehr in die alten gewaltbelasteten Strukturen. In Hamburg werden Frauenhausbewohnerinnen bei der Wohnungssuche durch „Vivienda – Wohnung für Frauen“ unterstützt. Dieses Projekt gehört zur Lawaetz – wohnen & leben gGmbH und ist nicht nur bei der Wohnungssuche, sondern auch beim Einzug und in der Übergangszeit in der neuen Wohnung eine Unterstützung für die Frauen. Bei Bedarf übernimmt Vivienda außerdem eine Sicherungsleistung gegenüber der/m Vermieter/in. Wir fragen den Senat: Der Senat beantwortet die Fragen teilweise auf Grundlage von Auskünften der im Auftrag der Behörde für Arbeit, Soziale, Familie und Integration (BASFI) fachlich zuständigen Träger wie folgt: 1. Für die Jahre 2015 und 2016: Wie lange war die Verweildauer in den Frauenhäusern? Wie viele Frauen mussten drei Monate oder länger im Frauenhaus bleiben? Wie viele über sechs, wie viele über zwölf Monate? Die Verweildauer wird in den Frauenhäusern halbjährlich erfasst, jedoch ist aufgrund der Erhebungslogik nur der Jahreswert aussagekräftig und vergleichbar. Außerdem wurden bis 2015 Umzüge zwischen den Frauenhäusern nicht berücksichtigt, sodass manche Frauen und Kinder doppelt erfasst waren. Seit 2016 ist dies behoben und jede Person wird in der Verweildauer nur einmal berücksichtigt. Seit 2014 entwickelten sich die Werte der durchschnittlichen Verweildauer in den Hamburger Frauenhäuser folgendermaßen: Zeitraum Durchschnittliche Verweildauer in Tagen 01.01.2014 - 31.12.2014 74,9 01.01.2015 - 30.06.2015 89,1 01.01.2015 - 31.12.2015 76,8 01.01.2016 - 30.06.2016 94,1 Drucksache 21/5584 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Die individuelle Verweildauer wird jährlich mit dem Sachbericht festgestellt (siehe Drs. 21/2635). Insofern liegen für 2016 noch keine Daten vor. 2015 meldeten die Frauenhäuser folgende Werte: Aufenthaltsdauer in den Hamburger Frauenhäusern 2015 Intervall Frauen Kinder Gesamt bis unter 3 Monate 534 430 964 3 bis unter 6 Monate 67 63 130 6 bis unter 12 Monate 64 54 118 12 und mehr Monate 41 27 68 Gesamt 706 574 1.280 a. Was sind die Gründe, dass Frauen länger als sechs Monate im Frauenhaus bleiben mussten? b. Wird in den Frauenhäusern erhoben, wie viele Frauen nicht ausziehen können, weil sie keinen Wohnraum finden? Wenn ja, wie viele Frauen sind dies? Auch die Gründe für den Aufenthalt über sechs Monate werden in den Frauenhäusern nur jährlich festgestellt, sodass für 2016 noch keine Daten vorliegen und für 2015 folgende Angaben gemacht wurden: Gründe für den Aufenthalt über 6 Monate in den Hamburger Frauenhäusern 2015 Frauen Kinder Gesamt Wohnungssituation 53 44 97 Anhaltende Gefährdung/ psychosoziale Gründe 16 12 28 Aufenthaltsrechtliche Probleme 14 7 21 Sonstige Gründe 8 8 16 c. Wird der Verbleib der Frauen unmittelbar nach ihrem Aufenthalt im Frauenhaus dokumentiert? Wenn ja, bitte die wesentlichen Verbleibarten und ihre Häufigkeit angeben. Der Auszugstatus der Frauen wird ebenfalls nur jährlich festgestellt, sodass für 2016 noch keine Daten vorliegen und für 2015 folgende Angaben gemacht wurden: Auszugstatus 2015 in allen Hamburger Frauenhäusern Frauen Kinder Gesamt Anderes Frauenhaus 151 139 290 Eigene neue Wohnung 92 83 175 zu Freunden/Bekannten/Familie 86 71 157 Zurück in die alte Wohnung gemeinsam mit dem Täter* 75 74 149 Andere Einrichtung 42 29 71 Unbekannt 42 29 71 Obdachloseneinrichtung 46 21 67 Zurück in die alte Wohnung ohne den Täter 29 31 60 WG-Zimmer 5 1 6 GESAMT 568 478 1.046 * Eine Rückkehr zum Täter erfolgt bei diesen Fällen gegen die Empfehlung der Frauenhäuser und aus ausdrücklichem freiem Willen der Frau. 2. Was genau gehört zum Leistungsumfang von Vivienda? Wie viele Stellen gibt es? Das Projekt Vivienda der Lawaetz – wohnen & leben gGmbH unterstützt Frauenhausbewohnerinnen , die besondere Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche haben, bei der Akquisition von Wohnraum und bei der Integration in Wohnung und Wohnumfeld. Die Beratung der Mitarbeiterinnen bezieht sich dabei ausschließlich auf mietvertragsbezogene Themen. Das Projekt verläuft in drei Phasen: Zunächst werden in einer Anbahnungsphase (zehn Stunden) die wesentlichen Rahmenbedingungen für die Wohnungsfindung Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5584 3 geklärt und gegebenenfalls Besichtigungen durchgeführt. Nach Abschluss des Mietvertrages werden die Frauen für zwei Monate (20 Stunden) in der aktiven Beratungsphase bei der Organisation der erforderlichen Maßnahmen beraten, wie zum Beispiel Beratung zu Rechten und Pflichten im Mietverhältnis, Wohnungsübergabe, Strom-, Gas- und Wasseranmeldung et cetera. Im Anschluss können sich die Frauen für weitere zehn Monate in der bedarfsbezogenen Beratungsphase bei Fragen oder Problemen rund um das Mietverhältnis an die Mitarbeiterinnen von Vivienda wenden. Gleichzeitig können die Vermieterinnen/Vermieter bis zu drei Jahre nach Vertragsabschluss bei Bedarf die Vermittlung durch Vivienda einfordern. Sollte während dieser Zeit ein Mietverhältnis enden, bei dem ein Schaden entstanden ist, der über die Kautionssumme hinausgeht, wird Vermietern/-innen als Sicherheitsleistung eine Entschädigung von bis zu 60 Euro pro Quadratmeter garantiert. Im Projekt Vivienda arbeiten zwei Mitarbeiterinnen der Lawaetz – wohnen & leben gGmbH mit zusammen 34 Wochenstunden. 3. Wie viele Frauenhausbewohnerinnen wurden seit Beginn des Projekts im Oktober 2014 aufgenommen? Insgesamt wurden bislang 92 Frauenhausbewohnerinnen in das Projekt Vivienda aufgenommen. Diese verteilen sich zu den Halbjahresstichtagen wie folgt: Zeitraum Aufnahmen 01.10.2014 - 31.12.2014 17 01.01.2015 - 30.06.2015 22 01.07.2015 - 31.12.2015 26 01.01.2016 - 30.06.2016 27 GESAMT 92 a. Wie viele konnten erfolgreich in eine Wohnung vermittelt werden? Welche Größe hatten die vermittelten Haushalte jeweils? Seit Oktober 2014 konnten insgesamt 48 Frauen (darunter einige mit Kindern) in eine Wohnung vermittelt werden. Diese verteilen sich zu den Halbjahresstichtagen wie folgt auf die Haushaltsgrößen: Zeitraum Größe der durch VIVIENDA vermittelten Haushalte GESAMT 1 Person 2 Personen 3 Personen 4 Personen 5 Personen 01.10.2014 - 31.12.2014 1 2 0 1 0 4 01.01.2015 - 30.06.2015 4 2 5 1 2 14 01.07.2015 - 31.12.2015 3 6 5 1 1 16 01.01.2016 - 30.06.2016 5 5 3 1 0 14 GESAMT 13 15 13 4 3 48 b. Wie viele konnten nicht vermittelt werden? Was waren hier die Hauptgründe? Zum 30. Juni 2016 hatten insgesamt 39 bei Vivienda gemeldete Frauen keine Wohnung vermittelt bekommen. Davon befanden sich 15 Frauen noch in der Vermittlung und eine Frau hatte bereits ein konkretes Wohnungsangebot. Die übrigen 23 Frauen waren ohne Vertragsabschluss aus dem Projekt ausgetreten. Von diesen hatten die meisten eigenständig eine Wohnung gefunden oder sie mussten wegen Regelverstößen das Frauenhaus verlassen. 4. Wie häufig wurden zusätzliche Beratungsstunden (nach den zwei Monaten fest vereinbarter Beratung) für die Frauen in Anspruch genommen? In der bedarfsbezogenen Beratungsphase haben 30 der insgesamt 48 Frauen sich für weitere Beratung an Vivienda gewandt. Zusammen haben sie 160,5 Beratungsstunden in Anspruch genommen. Diese Angaben verteilen sich zu den Halbjahresstichtagen wie folgt: Drucksache 21/5584 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Zeitraum Anzahl der Frauen (erstmalige Inanspruchnahme) Stundenzahl 01.10.2014 - 31.12.2014 0 0,0 01.01.2015 - 30.06.2015 8 40,5 01.07.2015 - 31.12.2015 9 67,0 01.01.2016 - 30.06.2016 13 53,0 GESAMT 30 160,5 5. Wie häufig haben Vermieter/-innen Vivienda kontaktiert und, wenn bekannt, aus welchen Gründen? Insgesamt haben sich die Vermieterinnen/Vermieter 28 Mal an Vivienda gewandt. Anlass waren in drei Fällen Nachbarschaftskonflikte und in zwei Fällen der Wohnungszustand (Instandsetzung und Einhaltung von Mieterpflichten). Die übrigen 23 Meldungen erfolgten wegen Mietrückständen, die in den meisten Fällen auf Umstellungsschwierigkeiten zurückzuführen waren (Mietübernahme durch Jobcenter oder eigene Zahlung). Alle gemeldeten Schwierigkeiten konnten erfolgreich behoben werden . 6. Wie häufig wurde eine Sicherungsleistung übernommen? Wenn ja, warum und wenn nein, warum nicht? Bislang musste in keinem Fall eine Sicherheitsleistung gezahlt werden, weil in keinem Mietverhältnis ein übermäßiger Schaden entstanden ist. Keines der Mietverhältnisse musste bislang vorzeitig beendet werden. 7. Konnte die durchschnittliche Verweildauer der Bewohnerinnen im Frauenhaus gesenkt werden? Die durchschnittliche Verweildauer in den Frauenhäusern ist von 2014 auf Ende 2015 leicht angestiegen (siehe Antwort zu 1.). Dies ist auf die gestiegene Anzahl geflüchteter Frauen zurückzuführen, die bei häuslicher Gewalt auch in den Frauenhäusern Zuflucht finden (siehe Drs. 21/3461). Diese Zielgruppe hat meist noch größere Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche und eine Verlegung in Unterkünfte speziell für Frauen ist aus Schutzgründen nicht in allen Fällen möglich. Folglich müssen geflüchtete Frauen noch länger in den Frauenhäusern verweilen als die anderen Bewohnerinnen. Da aktuell 20 Prozent der Frauenhausplätze durch geflüchtete Frauen belegt sind (Stichprobenabfrage in den Einrichtungen vom 31.07.2016), wären die Auswirkungen auf die durchschnittliche Verweildauer möglicherweise noch deutlich höher, wenn nicht zugleich Maßnahmen wie das Vivienda-Projekt einen schnelleren Auszug für Frauenhausbewohnerinnen ermöglichen würden. Die vorliegenden Daten ermöglichen allerdings keine Differenzierung nach den jeweiligen Auswirkungen. Zugleich werden für geflüchtete, von Gewalt bedrohte und betroffene Fauen weiterhin die alternativen Schutzmöglichkeiten verbessert (siehe Drs. 21/4174). 8. Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen Vivienda und den bezirklichen Fachstellen für Wohnungsnotfälle? Wie viele Frauen aus dem Vivienda- Projekt konnten mit einem Dringlichkeitsschein versorgt werden? Bei Frauenhäusern handelt es sich um besondere Wohnprojekte mit spezifischen Beratungs- und Betreuungsaufgaben, mit denen Frauen und Kinder individuell beraten und auf dem Weg in ein Leben ohne Gewalt unterstützt werden. Demgemäß regelt die Fachanweisung vordringlich Wohnungssuchender und deren Ergänzung zum Gesamtkonzept der Verbesserung der Versorgung vordringlich Wohnungssuchender, dass Frauen aus Frauenhäusern zur Zielgruppe der anerkannt vordringlich wohnungssuchenden Haushalte gehören, die einen Dringlichkeitsschein erhalten und damit in der Frage der Wohnungsversorgung unter die Zuständigkeit der bezirklichen Wohnungsämter fallen. Eine Schnittmenge zu den durch die Fachstellen für Wohnungsnotfälle betreuten Dringlichkeitsbestätigungsinhabern/-innen ist insofern nicht vorgesehen. In den Einzelfällen, in denen eine Zusammenarbeit (Zwischenfinanzierung von Mietkosten und Anerkennung erhöhter Genossenschaftsanteile) stattfand, konnten konstruktiv Lösungen gefunden werden. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5584 5 Beinahe allen Frauen des Projektes wurde durch das Wohnungsamt ein Dringlichkeitsschein zugesprochen. Lediglich in drei Fällen war dies nicht möglich: Zwei der Frauen hatten keinen gesicherten Aufenthaltsstatus und eine Frau aus einem schleswig -holsteinischen Frauenhaus hatte mehr als sechs Monate nicht in Hamburg gelebt. 9. Wie bewertet der Senat das Projekt Vivienda? Daten bitte, sofern möglich, halbjährlich ab Start des Projekts angeben. Das Projekt Vivienda erfüllt die Zielsetzung in vollem Umfang. Für 48 Frauen und ihre Kinder, die bereits längere Zeit erfolglos gesucht hatten, konnte eine Wohnung gefunden werden. Dies bedeutet eine enorme Erleichterung für die betreffenden Personen, die damit wieder ein unabhängiges Leben aufnehmen können. Gleichzeitig werden dadurch kostenintensive Schutzplätze frei, die für akut bedrohte Frauen und ihre Kinder frei gehalten werden müssen. Die umfassende Beratung in der Anfangsphase führte zu überwiegend reibungslosen Aufnahmen der Mietverhältnisse und nur geringen nachträglichen Beratungsbedarfen. Dass die Mitarbeiterinnen von Vivienda als Ansprechpartnerinnen längerfristig zur Verfügung stehen und eine Sicherheitsleistung zugesagt wird, konnte die Vorbehalte vieler Vermieter/-innen überwinden. Gleichzeitig unterstreichen die dargestellten Daten, dass diese Vorbehalte unbegründet sind und Frauenhausbewohnerinnen keine problematischen Mieterinnen sind und keinen besonderen Unterstützungsbedarf haben. Nicht zuletzt zeigt sich der Erfolg des Projektes daran, dass nach beinahe zwei Jahren noch keines der Mietverhältnisse beendet wurde. Deshalb wurde das Projekt nach einem Jahr Projektlaufzeit bis mindestens September 2017 verlängert, um so weiterhin ein zentraler Bestandteil der verschiedenen Maßnahmen des Senats zu bleiben, um die Wohnungssuche für Frauenhausbewohnerinnen zur unterstützen, wie im Konzept zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Menschenhandel und Gewalt in der Pflege dargestellt (siehe Drs. 20/10994).