BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/5608 21. Wahlperiode 23.08.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 17.08.16 und Antwort des Senats Betr.: Wie realistisch ist die Gefangenenprognose des Justizsenators? Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Verhältnisse im Strafvollzug und die Prognose der Gefangenenzahlen maßgeblich durch Bevölkerungsentwicklung , Migrationsbewegungen, politische Entscheidungen, volkswirtschaftliche Veränderungen sowie die Strafrechts- und Kriminalitätsentwicklung beeinflusst werden. Diese Faktoren und Rahmenbedingungen haben sich in den letzten Monaten erheblich verändert. Tausende von Flüchtlingen im weitesten Sinne strömen zu uns, unsere Justizvollzugsanstalten laufen voll. Der Vorsitzende des Bundes der Strafvollzugsbediensteten erklärte im vergangenen Herbst: „Bei einer prognostizierten Zuwanderung in Höhe von einer Million Menschen werden voraussichtlich in rund 30.000 Fällen Strafverfahren durchgeführt werden müssen, die erfahrungsgemäß zu rund 2.000 Verurteilungen zu Freiheitsstrafen ohne Bewährung führen werden. Für diese Fälle werden die Bundesländer zusätzliche Haftplatzkapazitäten vorhalten müssen.“ Zwischen April 2015 und April 2016 stieg die Belegung von 1.549 um 11 Prozent auf 1.723 Gefangene und auch am 1. Juli 2016 waren in Hamburgs Haftanstalten 1.709 Plätze belegt, Drs. 21/3877 und 21/5121. Trotzdem spricht der Justizsenator lediglich von „regelhaft vorkommenden Schwankungen “ und hält für die kommenden Jahre an einer durchschnittlichen Belegung der Hamburger Justizvollzugsanstalten mit 1.700 Gefangenen fest. In der vergangenen Legislaturperiode ging die zuständige Behörde noch von einer durchschnittlichen Belegung der Hamburger Justizvollzugsanstalten mit 1.900 Gefangenen aus, Drs. 20/4930. In dem nunmehr vom Senat vorgelegten Haushaltsplan-Entwurf 2017/2018 des Einzelplans 2 sind einige Kennzahlen deutlich gestiegen, die auf die künftige Auslastung der Justizvollzugsanstalten erheblichen Einfluss haben könnten: Während die Justizbehörde im fortgeschriebenen Plan 2016 von 145.000 Neuzugängen bei den Ermittlungsverfahren in Bekanntsachen ausgeht (B- 234-01-001), plant sie für die Folgejahre 2017 bis 2020 jeweils mit 155.000 Neuzugängen. Auch bei den Jugendlichen und Heranwachsenden geht sie von steigenden Zahlen aus: Statt 25.000 im Jahr 2016 werden ab 2017 jeweils 27.000 erwartet (B_234_01_002). Die geplanten Neuzugänge der Ermittlungsverfahren in Unbekanntsachen steigen ebenfalls um 10.000 von 155.000 auf 165.000 an (B 234_01_003). Drucksache 21/5608 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Darüber hinaus verkündete der Justizsenator kürzlich stolz, dass der Senat im Haushaltsplan-Entwurf 2017/2018 die Hamburger Staatsanwaltschaft stärkt und eine eigene Schwerpunktabteilung zur Bekämpfung der Einbruchskriminalität mit fünf zusätzlichen Stellen für Staatsanwälte schafft. Objektiv betrachtet ist davon auszugehen, dass der erwartete Anstieg bei den Ermittlungsverfahren und eine verbesserte Bekämpfung der Einbruchskriminalität auch zu mehr Verurteilungen führen werden, die teilweise in Freiheitsstrafen ohne Bewährung münden. Um eine vernünftige Planung künftiger Haftplatzbedarfe vornehmen zu können, bedarf es einer realistischen Gefangenenprognose. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Nach Abschluss der Baumaßnahmen wird sich die gegenwärtig reduzierte tatsächliche Belegungsfähigkeit der Untersuchungshaftanstalt (UHA) wieder deutlich erhöhen. Daneben bestehen in den Justizvollzugsanstalten Kapazitäten durch Stationen, die in der Vergangenheit infolge des Rückgangs der Gefangenenzahlen stillgelegt wurden und die bei Bedarf reaktiviert werden könnten. Vor diesem Hintergrund bestehen keine Engpässe bei den Haftplatzkapazitäten. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele Gefangene befanden sich am 1. August 2016 insgesamt in Hamburgs Justizvollzugsanstalten? Am 1. August 2016 befanden sich 1.717 Gefangene in den Hamburger Justizvollzugsanstalten . Eine stichtagsbezogene Betrachtung ist grundsätzlich keine taugliche Grundlage für eine langfristige Planung, da es im Justizvollzug regelhaft zu nicht unerheblichen Belegungsschwankungen kommt. 2. Auf Basis welcher Kriterien wurden die Kennzahlen der Produktgruppe 23401, die die Neuzugänge bei den Ermittlungsverfahren betreffen, ermittelt? Die Planung der Kennzahlen im Haushaltsplan-Entwurf erfolgte auf der Basis der Ist- Werte der letzten Jahre unter besonderer Beachtung der kurzfristigen Entwicklung im Jahr 2015. Unabhängig davon beobachtet zuständige Behörde die aktuellen Belegungszahlen im Justizvollzug laufend. 3. Geht die zuständige Behörde davon aus, dass mehr Ermittlungsverfahren grundsätzlich auch zu mehr Verurteilungen führen? Falls nein, weshalb nicht? 4. Geht die zuständige Behörde davon aus, dass grundsätzlich aus mehr Ermittlungsverfahren auch mehr Verurteilungen zu Freiheitsstrafen ohne Bewährung resultieren? Falls nein, weshalb nicht? Aus der Gesamtzahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren lassen sich keine generellen Folgerungen für die Anzahl der Verurteilungen und das jeweilige Strafmaß ziehen. Es gilt die Unschuldsvermutung. In einem Rechtsstaat ist einem Tatverdächtigen jeweils eine Straftat nachzuweisen. Dies ist Aufgabe des Ermittlungsverfahrens und des sich hieran gegebenenfalls anschließenden Gerichtsverfahrens. Die richterliche Unabhängigkeit ist verfassungsrechtlich garantiert. 5. Geht die zuständige Behörde davon aus, dass die bei der Staatsanwaltschaft neu zu errichtende Schwerpunktabteilung zur Bekämpfung der Einbruchskriminalität mit fünf zusätzlichen Staatsanwälten und fünf zusätzlichen Servicekräften mehr Verurteilungen nach sich ziehen wird? Falls nein, weshalb nicht? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5608 3 Eine umfassende Kriminalitätsbekämpfung ist für den Senat ein wichtiges Anliegen. Daher verstärkt der Senat im Haushaltsplan-Entwurf 2017/2018 die Hamburger Staatsanwaltschaft durch fünf zusätzliche Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie fünf weitere Servicekräfte. Um das Vorgehen von Diebesbanden gezielter herausarbeiten zu können, bekommt die Staatsanwaltschaft eine eigene Schwerpunktabteilung zur Bekämpfung der Einbruchskriminalität . Angesiedelt wird diese innerhalb der Hauptabteilung Organisierte Kriminalität, in der weitreichende Erfahrungen mit derartigen Strukturen vorhanden sind. Neben der Verfolgung der Einbruchskriminalität werden auch Jugendschutzverfahren und die Bekämpfung der Jugendkriminalität von den neuen Ressourcen profitieren. Zum einen sollen Verfahren schneller abgeschlossen, zum anderen Rückfallquoten gesenkt werden, indem wieder mehr Zeit in Präventionsarbeit, wie Ermahnungsgespräche , investiert wird. Im Hinblick auf die Festnahmen der Besonderen Aufbauorganisation (BOA) Castle hat die Auswertung der Verfahren (siehe Drs. 21/5475) ergeben, dass die ermittelten Täter in der Regel verurteilt wurden, zu Verfahrenseinstellungen ist es kaum, zu Freisprüchen nicht gekommen. Im Hinblick auf das gerichtliche Verfahren wird die Aufgabe der Spezialabteilung insbesondere darin bestehen, Tathintergründe und -zusammenhänge aufzuklären sowie Vortaten auch im Ausland zu ermitteln, um den Gerichten eine bessere Entscheidungsgrundlage zu verschaffen. In welchem Umfang die intensivere Zusammenarbeit zwischen der künftigen Spezialabteilung der Staatsanwaltschaft und der BAO die Aufklärungsquote steigern wird, kann noch nicht prognostiziert werden. Im Übrigen siehe Antwort zu 3. und 4. 6. Auf Basis welcher Kriterien wurde die Kennzahl B_236_01_010 „durchschnittliche Belegung gesamt“ ermittelt? a. Inwiefern wurde hierbei die Erhöhung der Neuzugänge der Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft um insgesamt 22.000 gegenüber dem fortgeschriebenen Plan 2016 berücksichtigt? b. Wie wird konkret die Absenkung der durchschnittlichen Belegung gesamt von 1.800 (Fortgeschriebener Plan 2016) auf 1.700 für die Jahre ab 2017 bis 2020 begründet? Mangels gesicherter Erkenntnisse hinsichtlich der weiteren Entwicklung hatte die Erhöhung bei der Staatsanwaltschaft keinen Einfluss auf die Planung der Kennzahl B_236_01_010. Diese Kennzahl stellt die durchschnittliche Belegung der Hafträume im Justizvollzug je Monat dar. Die Planzahl orientiert sich an den Ergebnissen der letzten Jahre. Im Übrigen siehe Antwort zu 3. und 4. sowie Vorbemerkung.