BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/5619 21. Wahlperiode 26.08.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Dennis Thering und Birgit Stöver (CDU) vom 18.08.16 und Antwort des Senats Betr.: Kostensteigerung aus heiterem Himmel bei der Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße (B4/75)? Wie am 17. August 2016 durch eine Äußerung des Pressesprechers der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (BWVI) öffentlich bekannt wurde, kommt es bei der Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße zu einer Kostensteigerung in nicht unerheblichem Maße. Statt der bisher veranschlagten 136 Millionen Euro geht der Realisierungsträger, die DEGES Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (DEGES), neuerdings von Kosten in Höhe von 235 Millionen Euro aus. Die Mehrkosten von rund 100 Millionen Euro wird der Bund finanzieren, sodass das Projekt an sich nicht gefährdet ist. Dennoch stehen einige Ungereimtheiten im Raum, die es aufzuklären gilt. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße (B 75) und die Anpassung der Gleisanlagen werden von der Freien und Hansestadt Hamburg (FHH) im Auftrag des Bundes und der Deutschen Bahn AG (DB AG) geplant und durchgeführt. Baulastträger ist der Bund. Realisierungsträger ist die DEGES Deutsche Einheit Fernstraßenplanungsund -bau Gmbh (DEGES). Die Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (BWVI) ist als Bedarfsträger und Auftraggeber der DEGES kontinuierlich in den Planungs-, Abstimmungs- und Finanzierungsprozess eingebunden. Der Senat begrüßt es ausdrücklich, dass es in enger konstruktiver Zusammenarbeit mit dem Bund im Rahmen dieses Pilotprojektes zur Bündelung von Straße und Schiene gelungen ist, neben dem Neubau der Bundesstraße zusätzliche Mittel des Bundes für die Modernisierung im Schienenbereich zu erhalten. So können notwendige Modernisierungen (zum Beispiel eine umfassende Ertüchtigung im Eisenbahnbereich sowie Verbesserungen des Lärmschutzes und der Leittechnik) um Jahre vorgezogen werden. Die Genehmigung der Kostenfortschreibung durch den Bund erfolgte am 24. Juni 2016. Mit Zustimmung des Bundesministeriums der Finanzen wurde der Straßenbauplan 2016 entsprechend fortgeschrieben. Die BWVI hat bereits im Rahmen eines Pressetermins zu den Gleisbauarbeiten in Wilhelmsburg am 27. Mai 2016 über den aktuellen Stand des Projekts sowie über die aktuelle Kostenplanung informiert. Es handelt sich um Auftragsverwaltungen des Bundes, für die keine Zuständigkeit der Hamburgischen Bürgerschaft gegeben ist. Die Kostenfortschreibung der Haushaltsunterlage wurde vom Bund mit Schreiben vom 24. Juni 2016 genehmigt. Auswirkungen auf den Hamburger Haushalt sind nicht gegeben, sodass eine kurzfristige Information nicht erforderlich war. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: Drucksache 21/5619 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 1. Trifft es zu, dass es bei der Verlegung der B4/75 zu einer Kostensteigerung von knapp 100 Millionen Euro auf dann 235 Millionen Euro kommt? Wenn ja, a) was sind die genauen Gründe für diese Kostensteigerung und zu welchen Teilen verteilen sich die Mehrkosten auf die verschiedenen Kostentreiber? Auf Grundlage der aktuellen Kostenschätzung verteilen sich die Kostensteigerungen gegenüber der Planung aus dem Jahr 2010 im Wesentlichen auf folgende Bereiche: I. Aufwendungen für Kampfmittelsondierungen und -räumungen Diese konnten in der Kostenschätzung 2010 nicht in der erforderlichen Höhe angesetzt werden, da die dafür notwendigen Luftbildauswertungen damals noch nicht vorlagen . II. Maßnahmen für Untergrundverbesserungen Im Jahr 2010 wurde davon ausgegangen, dass die Baumaßnahmen auf vorbelasteten Böden (im Wesentlichen durch schwere Güterzüge) durchgeführt werden müssten. Hierzu wurden entsprechende Kosten einkalkuliert. Gleichwohl haben sich im Rahmen der Ausführungsplanung die erforderlichen Maßnahmen für Untergrundverbesserungen als aufwändiger herausgestellt. III. Bauwerke Bei allen Bauwerken, insbesondere bei den Lärmschutzwänden an der Bahnanlage, haben vertiefte Baugrunduntersuchungen im Zusammenhang mit einem geänderten geotechnischen Regelwerk zu aufwändigeren und kostensteigernden Gründungsmaßnahmen und Baubehelfen geführt. Darüber hinaus wurden beim Bau der Bahnbauwerke in der Hafenbahnzufahrt aufwändigere Baubehelfe bei Hilfsbrücken und allen bahntechnischen Gewerken erforderlich. Dies resultiert unter anderem aus der Notwendigkeit von kleineren Gleisradien in diesem Bereich, wodurch Sonderanfertigungen der Hilfsbrücken erforderlich wurden. Weiterhin sind Kostensteigerungen am Gleisüberbau nach Prüfung der Entwurfsplanung und unter Berücksichtigung zwischenzeitlich aktualisierter Bahnvorschriften entstanden. IV. Bahngewerke Bei sämtlichen Bahngewerken wie Gleis- und Tiefbau, Leit- und Sicherungstechnik, Oberleitungsanlagen, Weichenheizungen, Gleisfeldbeleuchtungen, Telekommunikationsanlagen sowie Sicherungsleistungen waren Kostenerhöhungen zu verzeichnen, da in der fortschreitenden und vertieften Planung Forderungen der DB Netz berücksichtigt werden mussten. Nach derzeit geltendem Regelwerk wird eine neue Bahnanlage errichtet werden. Die neu errichtete Leit- und Sicherungstechnik wird auf europäische Streckenstandards vorgerüstet werden, dazu wird der Neubau zweier Elektronischer Stellwerke erforderlich. Aufgrund aktualisierter Baubetriebsplanungen der DB Netz für die Strecke Hannover – Hamburg mussten vorgesehene Bauabläufe umgeplant werden. Darüber hinaus wurden im Bahnbereich wiederholt unbekannte Hindernisse angetroffen, die zu weiteren Erschwernissen im Bauablauf geführt haben. Kostensteigernd wirkt sich auch eine schwierige Marktsituation aus, die durch wenige Anbieter und eine mittelfristige Bindung von speziellen Arbeitsgeräten auf anderen DB-Netz-Baustellen gekennzeichnet ist. b) welche genauen Entwicklungen und Veränderungen sind ursächlich dafür, dass das mit dem von der BWVI im Jahr 2013 festgestellten Plan1 festgelegte Finanzvolumen von 135 Millionen Euro nun deutlich überschritten wird? 1 http://www.hamburg.de/bwvi/abgeschlosseneplanfeststellungsverfahren /2779484/wilhelmsburger-reichsstrasse/. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5619 3 Während bei den Gesamtkosten ein Anstieg von circa 72 Prozent zu verzeichnen ist, sind die Kosten infolge von Planänderungen im Planfeststellungsverfahren um weniger als 5 Prozent angestiegen. Hier sind im Wesentlichen zusätzliche oder geänderte Bauwerke für Geh-, Rad- und Unterhaltungswege zu nennen. Bei der Aktualisierung der Kostenschätzung wurde darüber hinaus die allgemeine Baupreisentwicklung von circa 10 Prozent berücksichtigt. c) inwiefern wird der Eigenanteil der Freien und Hansestadt Hamburg (FHH) an der Finanzierung der verschiedenen Maßnahmen bei der Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße dadurch beeinflusst? Wie hoch fällt gegebenenfalls der finanzielle Mehraufwand der FHH aus und über welche Produktgruppe welches Aufgabenbereichs welches Einzelplans wird der Mehrbedarf gegebenenfalls gedeckt? Die Kostensteigerung hat keinen Einfluss auf den Eigenanteil der FHH. Die FHH hat mit dem damaligen Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (heute BMVI) im Rahmen einer Finanzierungsvereinbarung im Jahr 2009 einen festen Beitrag in Höhe von 10,4 Millionen Euro vereinbart. Darüber hinaus entstehen der FHH Kosten im Zuge von kreuzungsbedingten Leistungen im Hafenbereich . Die FHH hat sich darüber hinaus zum Rückkauf der später entbehrlichen Alttrasse bereit erklärt. Die Verhandlungen hierzu sind noch nicht abgeschlossen. d) wann wurde welche Stelle in der BWVI erstmalig von welcher Institution über diese Kostensteigerung informiert und welche Maßnahmen hat diese Stelle der BWVI daraus abgeleitet? e) wann wurden der Präses und der für Verkehr zuständige Staatsrat der BWVI erstmalig von welcher Institution über diese Kostensteigerung informiert und welche Maßnahmen haben der Präses und der Staatsrat der BWVI daraus abgeleitet? f) seit wann wusste der Pressesprecher der BWVI von der Kostensteigerung und wer hat ihm dies mitgeteilt? Die Auftragsverwaltung Hamburg wurde mit Schreiben der DEGES vom 9. Juli 2015 über die Kostensteigerung informiert und hat nach Prüfung der Haushaltsunterlage mit Schreiben vom 23. Juli 2015 dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) durch eine erste Kostenfortschreibung die Steigerung mitgeteilt. In diesem Zusammenhang wurde auch die Behördenleitung der BWVI informiert. 2. Welche Stelle ist für die Planung und die Ausführung der Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße verantwortlich? 3. Welche Stelle ist für die aktuelle Kostensteigerung gegenüber der Planung und bei der Ausführung der Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße verantwortlich? Das Amt für Verkehr und Straßenwesen innerhalb der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation ist als Auftragsverwaltung des Bundes tätig. Im Übrigen siehe Vorbemerkung . 4. Wie haben sich die von der FHH beziehungsweise der BWVI seit Beginn des Planungsprozesses zur Verfügung gestellten finanziellen und personellen Planungsmittel entwickelt? Bitte jahresweise aufschlüsseln. Die FHH stellt als Auftragsverwaltung des Bundes für die Fernstraßen in Hamburg die Mittel für Planung, Entwurf und Baubegleitung zur Verfügung. Der Mittelabfluss in Millionen Euro stellt sich in den Jahren 2008 bis 2015 wie folgt dar: 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Prognose 2016 0,6 1,8 2,4 2,5 2,5 2,7 5,4 6,9 4,9 5. Haben Vertreter des Senats beziehungsweise der BWVI vor dem öffentlichen Bekanntwerden der Kostensteigerung Vertreter der beiden Regierungsfraktionen über diese Kostensteigerung informiert? Drucksache 21/5619 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Wenn ja, wann hat wer aus dem Senat beziehungsweise der BWVI welche Vertreter der Regierungsfraktionen über die Kostensteigerung informiert und warum wurden gegebenenfalls nicht alle Bürgerschaftsfraktionen früher darüber informiert? 6. Warum wurden die Bürgerschaft und speziell die Abgeordneten des Verkehrsausschusses der Bürgerschaft bis zum heutigen Tage nicht vom Senat beziehungsweise der BWVI über die Kostensteigerungen informiert ? Siehe Vorbemerkung.