BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/5634 21. Wahlperiode 26.08.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Jennyfer Dutschke (FDP) vom 18.08.16 und Antwort des Senats Betr.: Was kostet die Stadt das vom Senat praktizierte Vergabe- und Beschaffungswesen im Bereich der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen ? Öffentliche Ausschreibungen und Vergabeverfahren wurden im vergangenen Jahr vielfach dadurch ausgehebelt, dass der Senat auf die „regelhaft gegebene Eilbedürftigkeit“ aufgrund der hohen Flüchtlingszahlen abstellte, wie zum Beispiel bei der Vergabe von Betriebsträgerschaften (Drs. 21/2312, Drs. 21/2775, Drs. 21/5109). Im Rahmen der Vergabe von Cateringdienstleistungen verweist der Senat auf die Zuständigkeit der Betreiber der Erstaufnahmen, die „nicht alle zur Ausschreibung verpflichtet sind“, und entzieht sich damit seiner Verantwortung , die Betreiber nicht zur Einhaltung der für die Stadt geltenden Vergaberichtlinien vertraglich verpflichtet zu haben. Das hat dazu geführt, dass ein Betreiber sogar nur dann alternative Angebote einholte, „sofern (es) zeitlich möglich (war)“ (vergleiche Drs. 21/4159). Ähnliches gilt für die Vergabe von Wach- und Sicherheitsdienstleistungen (vergleiche Drs. 21/3549) und Reinigungsdienstleistungen (vergleiche Drs. 21/4328). Bei der Beschaffung von Containern wurde das Konzept der Vergabe neu definiert. Hier erfolgte zwar oft eine freihändige Vergabe, jedoch wurde vielfach lediglich ein einziger Anbieter zur Abgabe eines Angebots aufgefordert. Eine Vergleichbarkeit von Kosten und Leistungen erfolgte also de facto vielfach nicht (vergleiche Drs. 21/5303, Drs. 21/5511). In der Frage nach Vereinbarungen zwischen Betreibern (freien Trägern) von Erstaufnahmen und der Freien und Hansestadt Hamburg verweist der Senat lediglich auf eine „Leistungsbeschreibung für den Betrieb der Zentralen Erstaufnahmen 1“ (vergleiche Drs.21/2312, Drs. 21/2718, Drs. 21/2775 alle aus dem Winter 2015/2016). Auch Mitte Mai 2016 sieht die Lage nicht anders aus (vergleiche Drs. 21/4378). Einziger Hinweis zur „Auftragsvergabe durch den Betreiber an Dritte“ betrifft gemäß Leistungsbeschreibung den Verbleib der „Gewährleistung für die vereinbarungsgemäße Durchführung (...) beim Betreiber“. Dass die Betreiber, wie in Drs. 21/4378 beschrieben, auf „das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit hingewiesen“ werden, ist aus dem einzig existenten Papier zur Vereinbarung über den Betrieb von Erstaufnahmen durch freie Träger nicht ersichtlich. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1 http://suche.transparenz.hamburg.de/dataset/leistungsbeschreibung-betrieb-zea. Drucksache 21/5634 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Aufgrund der in der zweiten Jahreshälfte 2015 sprunghaft gestiegenen Zugangszahlen von Flüchtlingen bundesweit wie auch in Hamburg waren alle für die Aufnahme, Unterbringung und Versorgung von Schutzsuchenden Verantwortlichen in der Situation , funktionierende Lösungen zu finden, mit denen gewährleistet werden konnte, dass keine Obdachlosigkeit Tausender Menschen eintrat. Siehe hierzu auch Drs. 21/2312. Die Vergaberegelungen sehen hierfür Regelungen bei besonderer Eilbedürftigkeit vor, die in dieser Situation zur Anwendung kommen mussten, um Engpässe in der Aufnahme , Unterbringung und Versorgung und damit Obdachlosigkeit zu verhindern. Einer dieser Engpässe ergab sich im Bereich der personellen Besetzung von Leistungen rund um den Betrieb, die Sicherheit und die Versorgung der Schutzsuchenden. Der städtische Betreiber f & w fördern und wohnen AöR (f & w) war in der zweiten Jahreshälfte 2015 aufgrund des extrem schnellen Aufwuchses der Unterkunftsbedarfe nicht mehr in der Lage, die für die Einrichtung und den Betrieb von neuen Erstaufnahmeeinrichtungen erforderlichen personellen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. In dieser Situation erklärten sich die Hilfsorganisationen auf Bitten der zuständigen Behörde bereit, selbst für Erstaufnahmeeinrichtungen als Betreiber einzutreten. Ein über die Vergabestelle der Polizei durchgeführtes Interessebekundungsverfahren für andere Interessenten verlief ohne entsprechende Angebote. Vereinbart wurde, dass die Übernahme der Aufgabe als Betreiber auf der Basis der mit f & w abgeschlossenen Leistungsvereinbarung erfolgt. Aufgrund der Situation wurden die Verträge mündlich geschlossen und es wurde vereinbart, schriftliche Vertragsabschlüsse später nachzuholen. Schriftliche Verträge konnten aufgrund der für alle Beteiligten erforderlichen Prüfungen und formalen Abläufe nicht kurzfristig erstellt werden. Die Gespräche hinsichtlich eines Abschlusses schriftlicher Verträge begannen Anfang 2016, konnten bisher aufgrund von Detailfragen aber noch nicht abgeschlossen werden. Um den Hilfsorganisationen ein Mindestmaß an Planungssicherheit zu gewährleisten und Personalumschichtungen beziehungsweise Personalgewinnung zu ermöglichen, wurde mündlich eine Vertragsdauer von jeweils zwei Jahren ab Inbetriebnahme der Einrichtungen vereinbart. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. In circa wie vielen und welchen Fällen (Dienstleistungen, Beschaffungen, Bau) haben der Senat beziehungsweise zuständige Dienststellen der Freien und Hansestadt Hamburg auf welcher konkreten Rechtsgrundlage mit der Begründung der „Eilbedürftigkeit“ trotz entsprechender Schwellenwerte bei der Auftragsvergabe auf „europäische“ beziehungsweise nationale, öffentliche oder zumindest beschränkte Ausschreibungsverfahren gänzlich verzichtet? (Bitte aufschlüsseln nach Art der Dienstleistung, Beschaffung, Bau sowie prinzipiell zu nutzender Vergabeart .) 2. In circa wie vielen und welchen Fällen (Dienstleistungen, Beschaffungen, Bau) haben der Senat beziehungsweise zuständige Dienststellen der Freien und Hansestadt Hamburg beschränkte oder freihändige Vergaben durchgeführt, bei denen weniger als drei Anbieter zur Abgabe eines Angebots aufgefordert wurden? 3. In circa wie vielen und welchen Fällen (Dienstleistungen, Beschaffungen, Bau) ist auf ein Vergabeverfahren gänzlich verzichtet worden, weil nicht der Senat beziehungsweise die Freie und Hansestadt Hamburg, sondern ein nicht an das Vergaberecht gebundener dritter Betreiber einer Erstaufnahme Auftraggeber einer Dienstleistung/Beschaffung war? Zur Beantwortung der Fragen wäre eine händische Auswertung aller Rechnungen hinsichtlich der Berücksichtigung des jeweils geltenden Ausschreibungsverfahrens beziehungsweise ob hiervon aufgrund der Eilbedürftigkeit abgewichen worden ist, erforderlich. Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Eine automatisierte Abfragemöglichkeit besteht nicht. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5634 3 4. Warum ist in der eingangs erwähnten Leistungsbeschreibung Betrieb ZEA kein Gebot festgehalten, dass die Betreiber von Erstaufnahmen zu Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verpflichtet? 5. Warum ist in der eingangs erwähnten Leistungsbeschreibung Betrieb ZEA keine Regelung implementiert, die die Betreiber von Erstaufnahmen dazu verpflichten, die für die Freie und Hansestadt Hamburg geltenden Vergaberichtlinien bei Beschaffungen und der Vergabe von Bau- und Dienstleistungen an Dritte einzuhalten? 6. Die eingangs erwähnte Leistungsbeschreibung Betrieb ZEA sieht vor, dass sämtliche Beschaffungen für den Betrieb der Einrichtung (Mobiliar, Technik, sonstige Gerätschaften, für den Betrieb erforderliche Gegenstände , alle Verbrauchsmaterialien, Sachleistungen und Lebensmittel zur Versorgung der Bewohner) durch den Betreiber erfolgen. a. Ist schriftlich vereinbart, dass die Betreiber zu Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verpflichtet sind? Wenn ja: Wann wurde diese Vereinbarung getroffen? Wo ist sie veröffentlicht? Falls sie nicht veröffentlicht ist, warum nicht? Wenn nein: warum nicht? b. Ist schriftlich vereinbart, dass die Beschaffungen im Rahmen der für die Freie und Hansestadt Hamburg geltenden Vergaberichtlinien erfolgen muss? Wenn ja: Wann wurde diese Vereinbarung getroffen? Wo ist sie veröffentlicht? Falls sie nicht veröffentlicht ist, warum nicht? Wenn nein: warum nicht? c. Ist schriftlich vereinbart, dass die Betreiber bei Beschaffungen mindestens (drei) Vergleichsangebote einholen müssen? Wenn ja: Wann wurde diese Vereinbarung getroffen? Wo ist sie veröffentlicht? Falls sie nicht veröffentlicht ist, warum nicht? Wenn nein: warum nicht? 7. Bestehen über die Leistungsbeschreibung hinaus schriftliche Vereinbarungen zwischen Freier und Hansestadt Hamburg und Betreibern der Erstaufnahmen? a. Wenn ja: welche konkret? Haben diese den Charakter eines formgerechten Vertrags? Handelt es sich um mündliche Abmachungen beziehungsweise (schriftliche) Anweisungen? Wann wurden diese Vereinbarungen geschlossen? b. Wenn nein: warum nicht? Bis zum Sommer 2015 wurden die Erstaufnahmeeinrichtungen ausschließlich von f & w fördern und wohnen AöR betrieben. f & w ist aufgrund seiner Rechtsform sowohl an die bestehenden Vergaberichtlinien als auch an das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gebunden. Ein entsprechender Hinweis an den lange alleinigen Betreiber war deshalb nicht erforderlich. Darüber hinaus wurden in den vergangenen Monaten gemeinsam mit den Hilfsorganisationen unter Beteiligung von f & w ein Musterbetreibervertrag und die zugrunde liegende Leistungsbeschreibung überarbeitet. Sie befindet sich derzeit in der finalen Abstimmung. 8. Aus Drs. 21/5109 geht hervor, dass sich der Senat nach nun offenbar über einem Jahr des laufenden Betriebs der Erstaufnahmen in Vertragsverhandlungen mit den Betreibern dieser Unterkünfte befindet. a. Womit begründet der Senat die plötzlich erforderlich gewordenen Verträge zwischen Betreibern der Erstaufnahmen und der Freien und Hansestadt Hamburg? Drucksache 21/5634 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Es bestand von Anfang an Einvernehmen mit den Hilfsorganisationen, dass eine schriftliche vertragliche Vereinbarung (Rahmenvertrag) geschaffen werden sollte. b. Was ist Gegenstand der Vertragsverhandlungen? c. Wie weit sind die Vertragsverhandlungen vorangeschritten? d. Wann ist mit einem Abschluss der Vertragsverhandlungen zu rechnen beziehungsweise an welchen Standorten oder mit welchen Betreibern wurde Verträge bereits verabschiedet? Siehe Antworten zu 4. bis 7. b. und 8. a. e. Werden die Verträge nach Schwärzung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse im Transparenzportal veröffentlicht? Wenn ja: wann und wo genau? Wenn nein: warum nicht? Ja, nach Unterzeichnung der Verträge werden sie im Transparenzportal veröffentlicht. f. Ist die Einhaltung der Beschaffungs- und Vergaberichtlinien der für die Freie und Hansestadt Hamburg geltenden Regelwerke Gegenstand der Verträge? Wenn ja: Welche Vereinbarungen wurden diesbezüglich getroffen? Wenn nein: warum nicht? g. Was ist darüber hinaus (unter Wahrung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse) Gegenstand der geschlossenen Verträge? Siehe Antworten zu 4. bis 8. 9. Gemäß Drs. 21/2312 ist die Vergabe für den Betrieb der Erstaufnahmen für eine Laufzeit von zwei Jahren vergeben worden. a. Zählt für die Laufzeit das Datum der Vergabeentscheidung oder der Zeitpunkt der Inbetriebnahme? Es gilt der Zeitpunkt der Inbetriebnahme. b. Der Ablauf der zwei Jahresfrist steht für einige Standorte bevor: Wird der Folgebetrieb neu vergeben? Wenn nein: warum nicht? Wenn ja: Wie erfolgt die Vergabe? Siehe Drs. 21/2113 und 21/5231. 10. In Drs. 21/5109 heißt es, die Vergabeentscheidung über die Betriebsträgerschaften der im Jahr 2016 geschaffenen Erstaufnahmen erfolgte bereits im Jahr 2015. a. Ist beispielsweise für die laut Drucksache geplante Inbetriebnahme des Standorts Fiersbarg im Mai 2016 ein Vergabeverfahren erfolgt? Wenn ja: bitte konkretisieren. Wenn nein: warum nicht? Nein, die Inbetriebnahme des Standortes sollte bereits im Dezember 2015 erfolgen. Der Zeitpunkt verschob sich aufgrund eines Rechtsstreits. b. Ist für andere Erstaufnahmen, die im Jahr 2016 den Betrieb aufnahmen beziehungsweise aufnehmen sollen, ein Vergabeverfahren erfolgt? Wenn nein: warum nicht? Wenn ja: für welche Standorte? Nein, da die Vergabe des Betriebs bereits im Jahr 2015 erfolgte. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5634 5 11. Wie ist der aktuelle Status quo der in Drs. 21/5109 erwähnten geplanten nationalen Ausschreibung zum Betrieb der öffentlich-rechtlichen Folgeunterkunft Am Aschenland II? Die Veröffentlichung der Vergabebekanntmachung erfolgt nach derzeitigem Stand voraussichtlich Ende August 2016, nach Angebotsfrist und Bieterverfahren soll der Vertragsschluss zum 1. Dezember 2016 erfolgen. 12. Wie weit ist die Prüfung im Hinblick auf die Vergabe der Betriebsträgerschaft von Folgeunterkünften an freie Träger? Siehe Drs. 21/5109 und 21/5335. Die sich aus dem Vergabeverfahren ergebenden Erkenntnisse sollen evaluiert werden und als Grundlage für weitere Entscheidungen dienen.