BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/564 21. Wahlperiode 29.05.15 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 22.05.15 und Antwort des Senats Betr.: Problematik rechtsextremer und neonazistischer V-Personen Medienberichten zufolge haben die Verfassungsschutzbehörden der Bundesländer dem Bundesverfassungsgericht mehrere Aktenordner und einen Schriftsatz übersandt, die beweisen sollen, dass sie tatsächlich rechtzeitig alle V-Leute in der Führungsebene der NPD abgeschaltet haben. Den Berichten zufolge sollen am 1. Dezember 2011, dem Tag, nach dem sich eine BundLänder -Arbeitsgruppe zur Prüfung der Erfolgsaussichten eines abermaligen Verbotsverfahrens konstituiert hat, elf V-Leute für das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz in Führungsgremien der NPD tätig gewesen sein. Elf solcher V-Personen sollen jedenfalls auf der Liste aufgeführt sein. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Senat ist der Auffassung, dass zur Ermittlung von Informationen für ein Verbot extremistischer Organisationen der Einsatz von Quellen grundsätzlich erforderlich ist. Der Senat folgt mit dieser Einschätzung im Übrigen dem Bundesverfassungsgericht, das in seinem Beschluss vom 18. März 2003 unter anderem ausführt, dass „gerade der Schutz von Individualrechtsgütern wie Würde, Leben und Gesundheit, der staatlichen Stelle obliegt, es von Verfassung wegen erfordern“ könne, „unabhängig von Verbotsverfahren die nachrichtendienstliche Beobachtung in geeigneter Weise fortzusetzen.“ Dazu zähle im Einzelfall auch „der Einsatz von V-Leuten“, da häufig „allein mit Hilfe von V-Leuten interne, nicht öffentlich verfügbare Informationen über den Aufbau extremistischer Organisationen, die Führungspersonen, die tatsächlichen – nicht nur öffentlich deklarierten – Ziele, die Strategie und Taktik, die Planung und Durchführung konkreter Maßnahmen und Kampagnen sowie über die Mitgliederzahl und die Verbindungen zu anderen Organisationen erlangt werden“ könnten. (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 18. März 2003 – 2 BvB 1/01). Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele der wahrscheinlich elf V-Leute, die auf der Liste stehen, wurden (auch) vom Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz geführt/ bezahlt? Um dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit Rechnung zu tragen, wird der Bundesrat laut seiner Mitteilung vom 15. Mai 2015 den Text des Schriftsatzes auf der Internetseite des Bundesrats einstellen, sobald gewährleistet ist, dass die Antraggegnerin den Schriftsatz und seine Anlagen erhalten hat. Zuvor soll von der mit der Verfahrensdurchführung betrauten Stelle und den beteiligten Ländern abgestimmt werden, welche Informationen aus Gründen der Gefährdung der operativen Tätigkeit der beteiligten Stellen geschwärzt werden müssen. Dieser Klärungsprozess ist derzeit noch nicht abgeschlossen . Eine vorzeitige Veröffentlichung würde die Vertrauenswürdigkeit des Senats im Drucksache 21/564 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 laufenden Verfahren gefährden und muss daher aus Gründen des Staatswohls unterbleiben . Bis zu diesem Zeitpunkt der Veröffentlichung kann die Frage nur gegenüber dem nach § 24 Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) für die parlamentarische Kontrolle des Senats auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes zuständigen Kontrollausschuss (PKA) beantwortet werden. 2. Wie viele der auf der Liste aufgeführten genannten V-Leute waren in welchem Führungsgremium des Hamburger Landesverbandes der NPD tätig ? Siehe Antwort zu 1. 3. Wie hat der Senat belegt, dass der/die V-Personen des LfV in führenden Positionen bei der NPD tatsächlich abgeschaltet sind und auch keine „Nachsorge“ erfolgt? Siehe Antwort zu 6. 4. Wann und wie erfolgte die Abschaltung des/der V-Personen des LfV? Siehe Antwort zu 1. 5. Laut „FAZ“ vom 15.5.15 wurde „im Regelfall“ eine „Abschaltprämie“ ausgezahlt . Wurde an V-Personen des LfV eine solche „Abschaltprämie“ ausgezahlt , und wenn ja, in welcher Höhe? Detaillierte Informationen zum Einsatz und zur Führung von V-Leuten, einschließlich der Frage, ob eine Bezahlung erfolgt oder nicht, berühren Art und Weise der Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel in extremistischen Szenen und würden Rückschlüsse auf laufende und zukünftige Maßnahmen des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg zulassen. Dies gilt auch für die Frage, ob Abschaltprämien gezahlt wurden . Eine derartige Offenlegung der Arbeitsweise des Verfassungsschutzes beeinträchtigt dessen Effizienz bei der Beobachtung und Bekämpfung extremistischer Bestrebungen und macht den Verfassungsschutz für Extremisten ausrechenbar. Daher können weitere Informationen aus Gründen des Staatswohls im Rahmen der Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage nicht veröffentlicht und nur dem nach § 24 HmbVerfSchG für die parlamentarische Kontrolle des Senats auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes zuständigen Kontrollausschuss (PKA) mitgeteilt werden. 6. Welche Stellungnahmen und Unterlagen hat das LfV dem Bundesverfassungsgericht infolge des Beschlusses vom 19. März 2015 zugeleitet? Zusammen mit einem Erläuterungsschreiben wurden dem Bundesverfassungsgericht drei aus Quellenschutzgründen zum Teil geschwärzte interne Vermerke aus dem Bereich der VP-Führung zur Verfügung gestellt, eine sogenannte Abschalterklärung sowie zwei vom Staatsrat der Behörde für Inneres und Sport erteilte Weisungen vom 28.Dezember 2012 und 15. Mai 2013 zu Vorkehrungen zur Sicherstellung eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Die vom LfV vorgenommene interne Dokumentation belegt, dass die Anweisungen beachtet und umgesetzt wurden. Gleiches gilt für die ebenfalls an das Bundesverfassungsgericht übersandten Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 29. Mai 2013 und des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 10.Dezember 2013, in denen nochmals daran erinnert wird, die Vorkehrungen zum Schutz eines rechtsstaatlichen Verfahrens strikt zu berücksichtigen, und in denen weitere Einzelheiten zur Umsetzung mitgeteilt wurden. 7. Inwieweit hat sich nach Auffassung des Senats beziehungsweise der zuständigen Behörde bestätigt oder nicht bestätigt, dass der vollständige Verzicht auf die Verwendung von Informationen, die von Quellen ermittelt werden, durch allgemein zugängliche öffentliche Materialien kompensiert wird, wie es laut „FAZ“ vom 15.5.15 im Antrag von Dezember 2013 ausgeführt ist? Nach Auffassung des Antragstellers konnte in diesem Fall der bewusste Verzicht auf Quelleninformationen durch die Fülle an Zitaten aus öffentlich zugänglichen Materialien, insbesondere Druckschriften und Internetauftritten, ausgeglichen werden, die allesamt den verfassungsfeindlichen Charakter der NPD belegen. Insofern teilt der Senat diese Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/564 3 Bewertung. Zum grundsätzlichen Stellenwert der Information von Quellen bei der Beobachtung und Bekämpfung extremistischer Bestrebungen siehe Vorbemerkung. 8. In der „WELT“ vom 21.5.15 fasst der Hamburger Verfassungsschutzchef Torsten Voß seine Kritik an der weitgehenden Abschaltung von V-Personen durch die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen wie folgt zusammen : „Es könnte sein, dass wir sehr spät mitbekommen, wenn Rechtsextreme aus Thüringer Kameradschaften ankündigen, in Hamburg oder anderen Bundesländern an Demonstrationen teilzunehmen.“ a. Wie viele Hinweise auf die Ankündigung von Rechtsextremen aus Thüringen Kameradschaften, an Demonstrationen in Hamburg oder anderen Bundesländern teilnehmen zu wollen, hat das Landesamt für Verfassungsschutz in den vergangenen zehn Jahren erhalten, die von V-Personen in Thüringer Kameradschaften stammen und die es ohne V-Personen nicht oder sehr viel später erhalten hätte? Bitte detailliert darstellen. Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg führt keine Statistik über Posteingänge einzelner Länder. Eine vorläufige elektronische Auswertung ergab, dass das LfV Thüringen zwischen 2005 und Mai 2015 rund 100 nach der Verschlusssachenanweisung (VSA) eingestufte Vorgänge zum Phänomenbereich Rechtsextremismus an das LfV Hamburg übermittelt hat, die von V-Personen stammenden Informationen enthalten . Eine mit Blick auf die Fragestellung detaillierte Auswertung aller circa 100 Vorgänge war in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Beispielhaft können hier aber drei Meldungen genannt werden: 2011 berichtete das LfV Thüringen über die Anreiseabsichten einer größeren Gruppe von Rechtsextremisten aus Thüringen zur 1.-Mai-Demonstration in Halle/Saale (Sachsen-Anhalt). 2012 wurden Informationen zur Beteiligung Thüringer Rechtsextremisten an einer Szene-Veranstaltung im August 2012 in Wismar (Mecklenburg-Vorpommern ) übermittelt. Das LfV Thüringen konnte aufgrund von Quelleninformationen Ende Mai 2012 auch Auskunft darüber geben, wie viele Thüringer Rechtsextremisten sich an der Demonstration zum sogenannten Tag der deutschen Zukunft am 2. Juni 2012 in Hamburg beteiligen wollten. Die Beispiele verdeutlichen, dass V-Leute im Vorfeld rechtsextremistischer Demonstrationen und anderer Veranstaltungen wichtige Informationen über die Anzahl, Herkunft und gegebenenfalls auch Gewaltbereitschaft anreisender Teilnehmer liefern. Diese Informationen fließen in die Lagebeurteilung ein. Mindestens ebenso wichtig sind aus Sicht des LfV Hamburg Meldungen von V-Personen anderer Landesämter über Aktivitäten Hamburger Rechtsextremisten im dortigen Zuständigkeitsbereich. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. b. Wie viele Hinweise auf die terroristischen Strukturen und Verbrechen des NSU-Netzwerks hat das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz in den Jahren bis zu seinem zufälligen Auffliegen durch die zahlreichen V-Personen aus Thüringen und anderen Bundesländern erhalten, die im engen Umfeld der „Zwickauer Zelle“ tätig waren? Und wie sieht das Landesamt den Beitrag dieser V-Personen (i) zum jahrelangen NSU-Terror und (ii) zu seiner Aufklärung? Dem LfV lagen bis zu seiner Aufdeckung keine Hinweise auf Aktivitäten des NSU vor. Das LfV hat hierzu weder vom Bundesamt für Verfassungsschutz noch von einer Landesbehörde für Verfassungsschutz Informationen erhalten. Bis heute liegen keine Hinweise auf direkte persönliche Kontakte Hamburger Rechtsextremisten zu den Mitgliedern des NSU-Trios vor (siehe Drs. 20/11661). 9. Im „Hamburger Abendblatt“ vom 22.5.15 begründet Verfassungsschutzchef Torsten Voß die Bedeutung von V-Personen in rechtsextremen Organisationen mit Hinweis auf das Verbot des „Hamburger Sturms“ im Jahr 2000: „Ohne Informationen durch V-Leute wäre dieses Verbot Drucksache 21/564 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 damals nicht möglich gewesen.“ Das Verbot wurde mit der aktiv kämpferischen aggressiven Haltung gegenüber der bestehenden Gesellschaftsordnung begründet, bis hin zur konkreten Bedrohung des politischen Gegners . a. Welche entscheidenden Hinweise auf die aktiv kämpferische aggressive Haltung, auf aktive Bezüge auf den Nationalsozialismus, auf rassistische und ausländerfeindliche Inhalte, verächtliche Äußerungen über die demokratische Staatsform und die Bedrohung politischer Gegner zum Beispiel durch Anti-Antifa-Listen haben V-Personen geliefert, die das LfV aus öffentlichen Quellen und unter Berücksichtigung antifaschistischer Recherche-Arbeit nicht hätte erhalten können ? Das Verbot der Vereinigung „Hamburger Sturm“ stützte sich auf offen zugängliche Materialien und auf Quelleninformationen. Für das Verbot dieser Vereinigung nach dem Vereinsgesetz war der schwierige Nachweis zu führen, dass es sich beim „Hamburger Sturm“ um einen organisatorischen Zusammenschluss handelt, dessen Mitglieder sich einer organisierten Willensbildung gemäß § 2 Absatz 1 Vereinsgesetz unterworfen haben. Zudem mussten seine Mitglieder und deren Funktionen innerhalb der Vereinigung identifiziert werden. Dieser Nachweis konnte entscheidend nur durch den Einsatz von V-Personen (Quellen) erbracht werden. Die von V-Leuten des LfV Hamburg stammenden Erkenntnisse wurden in Form eines Behördenzeugnisses für die Verbotsverfügung verwendet. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. b. Wie viele V-Personen waren im „Hamburger Sturm“ bis zu seinem Verbot 2000 aktiv? c. Wie viele dieser V-Personen waren zum Zeitpunkt des (rechtskräftigen ) Verbots wegen Straftaten verurteilt? Eine Offenlegung, wie viele V-Personen bei der Erkenntnisgewinnung zum „Hamburger Sturm“ mitgewirkt haben, kann zu einer Enttarnung dieser Quellen führen. Unter den führenden Personen des „Hamburger Sturm“ befanden sich Rechtsextremisten, die nach wie vor an exponierter Stelle in der Hamburger Szene wirken. Auch unter den sonstigen Anhängern des „Hamburger Sturm“ waren solche, die bis heute im rechtsextremistischen Spektrum aktiv sind oder über einschlägige Kontakte verfügen. Bei einer Offenlegung der Anzahl der Quellen ist davon auszugehen, dass recherchiert werden könnte, welche Personen eine Quelle gewesen sein könnten. Die Enttarnung wäre für diese mit unabweisbaren Gefahren für ihre gesamte Existenz, auch für Leib und Leben, verbunden. Zudem würde es eine solche Deanonymisierung von Quellen dem Verfassungsschutz mittel- und langfristig schwer machen, Zugänge in die extremistische Szene zu gewinnen, da eine Kernvoraussetzung für die Arbeit die Zusage der Vertraulichkeit ist. Eine solche Offenlegung würde über den Rechtsextremismus hinaus auch in andere Phänomenbereiche, insbesondere Islamismus und Linksextremismus, ausstrahlen . Schließlich würden detailliertere Informationen zum Einsatz und zur Führung von V-Leuten (Quellen), aktuell und in der Vergangenheit, nach wie vor Rückschlüsse auf laufende und zukünftige Maßnahmen des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg zulassen. Daher können weitere Informationen aus Gründen des Staatswohls nur dem nach § 24 HmbVerfSchG für die parlamentarische Kontrolle des Senats auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes zuständigen Kontrollausschuss (PKA) mitgeteilt werden. Im Übrigen siehe Vorbemerkung.