BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/5892 21. Wahlperiode 16.09.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Karin Prien (CDU) vom 09.09.16 und Antwort des Senats Betr.: Wie steht es um die zugesagte verstärkte Grundwerte- und Rechtsvermittlung des Senats gegenüber Flüchtlingen in Hamburg? Gedrängt von der Forderung der CDU, Flüchtlinge in Form einer zu unterzeichnenden „Grundlagenvereinbarung für den Aufenthalt in Hamburg“ auf unsere Werte und Normen zu verpflichten (Drs. 21/3017), hatten SPD und GRÜNE einen ähnlichen, aber deutlich abgeschwächten Antrag in die Bürgerschaft eingebracht (Drs. 21/3193). Dieser hatte zur Folge, dass der Senat unter anderem einen Flyer zur Orientierungshilfe für die Flüchtlinge verfassen ließ. Verbindlich sollten die Orientierungshilfen spätestens mit Eröffnung des Ankunftszentrums in Meiendorf werden. Da die Eröffnung inzwischen erfolgt ist, stellt sich die Frage, inwieweit der Senat diese Forderung auch umgesetzt und ob er weitere, darüber hinausgehende Maßnahmen ergriffen hat. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Information über Grundwerte und Normen in Deutschland, der Vermittlung dieser Werte und dem Meinungsaustausch hierzu widmen sich nach der Ankunft der Schutzsuchenden in Deutschland zahlreiche staatliche und nicht staatliche Akteure mit vielfältigen unterschiedlichen Ansätzen. Es handelt sich mithin um ein Bündel unterschiedlicher , thematisch aber ineinandergreifender Maßnahmen, nicht um ein spezielles einförmiges Format. Der Senat wird der Hamburgischen Bürgerschaft hierüber im Rahmen der Beantwortung des bürgerschaftlichen Ersuchens Drs. 21/3193 berichten. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wann wurden die Informationsbroschüren jeweils überarbeitet? Was ist jeweils geändert worden? Die Broschüre „Willkommen in Hamburg“ wurde im April 2016 erstellt. Eine Überarbeitung erfolgte seitdem nicht. 2. Wie oft wurden die Flyer bereits gedruckt? Gab es mehrere Auflagen? Wenn ja, wie viele mit welchen Stückzahlen? Es wurde bislang eine Auflage mit 80.000 Exemplaren gedruckt. Die Stückzahl pro Sprache stellt sich wie folgt dar: - Hocharabisch: 35.000 Stück - Farsi: 25.000 Stück - Tigrinya: 10.000 Stück - Englisch: 5.000 Stück - Deutsch: 5.000 Stück Drucksache 21/5892 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 3. Wo ist der aktuelle Stand im Internet zu finden? http://www.hamburg.de/innenbehoerde/werte/ 4. In welchen Sprachen liegt der Flyer gedruckt, in welchen nur online vor? Sind weitere Sprachen in Planung? Die Flyer sind in den in der Antwort zu 2. benannten Sprachen sowohl gedruckt als auch online verfügbar. Die Überlegungen, weitere Sprachen zur Verfügung zu stellen, sind noch nicht abgeschlossen. 5. Wurde die Verwendung einer leicht verständlichen Sprache berücksichtigt ? Wenn nein, warum nicht? Ja. 6. Welche Möglichkeiten haben Analphabeten, um sich die Orientierungshilfen zu erschließen? Die Inhalte des Flyers werden während der Erstinformationsgespräche in den Erstaufnahmeeinrichtungen besprochen. Darüber hinaus haben Analphabeten die Möglichkeit , sich den Flyer von anderen Personen vorlesen zu lassen. 7. Ab wann erhielten die Bewohner von Erstaufnahmen diesen Flyer verbindlich ? Wurde er ab dann nur verbindlich an Neuankömmlinge verteilt oder erhielten ihn auch bereits dort lebende Flüchtlinge? Wenn ja, erhielten ihn alle oder wie umfangreich dürfte die Verbreitung stattdessen erfolgt sein? Seit Mai 2016 erhalten alle neu ankommenden Personen den Flyer am Infotresen im Ankunftszentrum ausgehändigt. Darüber hinaus laufen die Inhalte des Flyers als Bildschirmpräsentation auf den Monitoren der Wartehalle. Für die bereits in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebrachten Personen erfolgte im Juni 2016 in einer einmaligen Aktion die Aushändigung. Die Inhalte der Flyer werden in den Beratungsgesprächen von den Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern mit den Bewohnerinnen und Bewohnern besprochen und es wird auf die Flyer hingewiesen. 8. Mit Inbetriebnahme des Ankunftszentrum Meiendorf sollten laut Drs. 21/3193 alle Ankommenden von Anfang an umfassendere Orientierungshilfen verbindlich an die Hand gegeben bekommen. a) Erhalten alle im Ankunftszentrum Meiendorf Ankommenden von Anfang an Orientierungshilfen? Wenn nein, warum nicht? Je nach ergangener Verteilungsentscheidung beziehungsweise Sachverhalt erhalten die Betroffenen im Ankunftszentrum verschiedene Unterlagen, zum Beispiel den Willkommensflyer und weitere Unterlagen zur weiteren Verwendung. b) Inwieweit sind die Orientierungshilfen inzwischen „umfassender“? Bitte darstellen, welche Unterlagen hinzugekommen sind. Im Zuge der Inbetriebnahme des Ankunftszentrums oder eingetretener Rechtsänderungen wurden die Unterlagen erforderlichenfalls an die neuen Prozesse angepasst oder neu erstellt (zum Beispiel Checkliste für das Ankunftszentrum, der Ankunftsnachweis , das Merkblatt über mögliche Leistungskürzungen). Hierbei handelt es sich insbesondere um rechtliche Hinweise und Informationen zum weiteren Verfahren. Neu hinzugekommen ist der Willkommensflyer. Weitergehende Informationen erhalten die Betroffenen durch das Sozialmanagement in den Unterkünften. Im Übrigen sie Vorbemerkung . 9. In welcher Form wird in Informations- und Beratungsgesprächen immer wieder Bezug auf die Orientierungshilfen genommen? Wie oft finden solche Gespräche mit jedem einzelnen Flüchtling im Durchschnitt statt? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5892 3 Während der Ausgabe der Unterlagen im Rahmen der Sachbearbeitung im Ankunftszentrum werden diese erläutert. Informations- und Beratungsgespräche finden in den Unterkünften statt. Nach Auskunft der Betreiber der Erstaufnahmeeinrichtungen wird auf die Orientierungshilfen anlassbezogen je nach Beratungsbedarf Bezug genommen . Wenn Informationen aus der Orientierungshilfe nützlich und zielführend sind, werden diese genutzt. Die durchschnittliche Anzahl solcher Gespräche lässt sich nicht bemessen, da die Bewohnerinnen und Bewohner das Beratungsangebot unterschiedlich stark nutzen und in einem Beratungsgespräch meistens mehrere Themen besprochen werden. 10. Die verlängerten Aufenthaltszeiten in den Erstaufnahmen sollten dafür genutzt werden, damit sich die Bewohner mit den rechtsstaatlichen Grundlagen, gesellschaftlichem Konsens und sozialen Verhaltensweisen in Deutschland auseinandersetzen. In welcher Form erfolgt diese Auseinandersetzung und wie wird sie vom Senat unterstützt? 11. Welche weiteren Möglichkeiten bieten der Senat und seine Behörden den Flüchtlingen an, sich mit den Werten und Normen in diesem Land vertraut zu machen? Die Vermittlung von Werten und Normen ist integraler Bestandteil der behördlichen Fachpolitiken sowie der bezirklichen und der zivilgesellschaftlichen Arbeit vor Ort. Ziel ist, das Alltagsleben, die Schul- und Bildungssysteme, die Gesundheitssysteme und gesellschaftlichen sowie staatlichen Strukturen besser verstehen zu können. In der Ankommensphase, die die ersten vier Wochen in den Erstaufnahmeeinrichtung umfasst, stehen für die Geflüchteten die Orientierung über das Zusammenleben in der Unterkunft sowie die nächsten Schritte des Asylverfahrens im Vordergrund. Jede Form der Sozialberatung und jedes Angebot von Haupt- und Ehrenamtlichen, das in den Erstaufnahmen angeboten wird, beinhaltet immer auch die Auseinandersetzung mit Werten und Normen. Dies gilt für die Erläuterung der Hausregeln genauso wie für das frühe Heranführen von Eltern an die Elternarbeit in der Kindertagesbetreuung oder der Schule. Die schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen werden unmittelbar nach der Ankunft bereits in den Lerngruppen beschult. Die zuständige Behörde hat Unterrichtsmaterialien entwickelt: „Miteinander leben – Grundrechte vertreten – Gesellschaft gestalten“, siehe http://li.hamburg.de/wertebildung/. In den Erstaufnahmen werden ferner seit Sommer 2016 drei unterschiedliche freiwillige Veranstaltungsformate angeboten: Akademie der Polizei: Projekt „Kriterien für den beruflichen und sozialen Erfolg in Deutschland“ – Hamburg verstehen, Erfolge haben, ich bin dabei!“ Das Projekt setzt auf eine zielgruppenorientierte Vermittlung von Normen und Werten, die nach Sprachgruppen unterteilt ist. Ein Team aus Bürgernahen Beamtinnen und Beamten und muttersprachlichen Vermittlerinnen und Vermittlern führt eine Informationsveranstaltung durch mit dem Ziel, gegenseitiges Vertrauen aufzubauen und die grundlegenden Werte alltagsbezogen zu vermitteln. Der Auftaktveranstaltung folgen weitere, vertiefende Veranstaltungen. Landeszentrale für politische Bildung: Informationsveranstaltungen Gemäß ihrer Aufträge liegt der Fokus dieser Veranstaltungen auf der politischen Bildung . Ebenfalls nach Sprachgruppen unterteilt werden Informationen über das politische System in Deutschland und in Hamburg sowie die jüngere Zeitgeschichte vermittelt . Für einen höheren Praxisbezug werden die Veranstaltungen mit einer Exkursion, beispielsweise ins Rathaus, verknüpft. Eine einfach verständliche Publikation für Asylsuchende ist in mehreren Sprachen in Vorbereitung. Hamburgischer Richterverein e.V.: Gesprächsforen in den Unterkünften Dieses Format wird von einer Richterin und einem Richter im Tandem ehrenamtlich durchgeführt. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf der Gewaltenteilung und der Arbeit der Justiz. Anhand von alltagspraktischen Beispielen soll eine adressatengerechte Vermittlung stattfinden. Drucksache 21/5892 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 12. Gibt es in dem ganzen Prozess des Vertrautmachens auch Hinweise darauf, welche Werte und Normen in diesem Land verpflichtend für alle hier lebenden Menschen gelten? Wenn ja, wo ist das in welcher Form für welche Werte und Normen der Fall? Mit dem Flyer „Willkommen in Hamburg“ (http://www.hamburg.de/innenbehoerde/ werte) werden die zentralen Werte und Grundrechte aufgegriffen, die Grundlagen für ein gedeihliches Zusammenleben in der Gesellschaft sind. Darüber hinaus enthalten die Hausordnungen der Erstaufnahmeeinrichtungen Regeln für das Zusammenleben in den Unterkünften, die auf diesen Grundlagen beruhen. So sind darin die Aspekte gegenseitiger Rücksichtnahme, die Achtung der Persönlichkeit anderer sowie das Verbot von Gewaltanwendung enthalten. Über die Hausordnung werden die Bewohnerinnen und Bewohner bei Einzug informiert, das Sozial- und Unterkunftsmanagement vor Ort wirkt auf deren Einhaltung hin. Die Grundwerte sind beispielsweise auch Thema im Schulunterricht und in den Integrationskursen. In der Kindertagesbetreuung und der Elternarbeit werden sie alltagsbezogen ebenfalls vermittelt. 13. Der Senat war aufgefordert worden zu prüfen, inwieweit eine Art Rechtskundeunterricht , wie er in Bayern erfolgt, auch für Hamburg infrage kommt. Welche Stelle hat wann die Prüfung begonnen, wann beendet und mit welchem Ergebnis? Welche Folgen hat das Ergebnis? Der Hamburgische Richterverein e.V. konzipiert derzeit in Absprache mit der für Erstaufnahme zuständigen Behörde ein Projekt, in dessen Rahmen Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte ehrenamtlich in einer Einrichtung der öffentlichen Unterbringung geflüchtete Menschen in einem beziehungsweise mehreren rund 90-minütigen Gespräch(en) über die ersten Schritte zur Eingewöhnung in Deutschland und in die Rechtsordnung informieren sollen. Dies soll mittels Unterstützung von Dolmetschern geschehen. Durch diese Gespräche in kleiner Runde soll ein belehrender Eindruck vermieden werden und der eingeschränkten Homogenität der Teilnehmerinnen und Teilnehmer Rechnung getragen werden. Das Konzept sieht eine thematisch passende Einbindung im Zusammenhang mit einem Projekt vonseiten der Polizei vor, in dessen Rahmen sprachkundige Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte mit geflüchteten Menschen arbeiten. Der Hamburgische Richterverein e.V. strebt einen baldigen Beginn des Pilotprojekts an. 14. Am 8. September 2016 verkündete die Akademie der Polizei, dass bei ihr künftig das Institut für Transkulturelle Kompetenz angesiedelt sein werde. Dieses solle im Rahmen der Aus- und Weiterbildung von Polizisten diese mit inter- und transkulturellen Kompetenz ausstatten. Außerdem solle in Flüchtlingsunterkünften über westliche Werte und Normen aufgeklärt werden. a) Wann wurde die Gründung des Instituts beschlossen? Erste Gespräche über die Gründung des Instituts für transkulturelle Kompetenz (ITK) sind im September 2015 aufgenommen worden. Die weiteren Planungen hierzu sind durch den Leiter der Akademie der Polizei und dem designierten Leiter des ITK in Absprache mit der Leitung der Behörde für Inneres und Sport bis Jahresende 2015 abgeschlossen worden. b) Ab wann nimmt es offiziell seine Arbeit auf? Das ITK hat seine Arbeit am 2. Februar 2016 aufgenommen. c) Wie viele Mitarbeiter/VZÄ wird es beim Start haben? Das ITK verfügt über vier feste Mitarbeiter (vier Vollzeitäquivalente). d) Sind weitere VZÄ geplant? Wenn ja, zu wann wie viele? Entfällt. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5892 5 e) Wie viele der Mitarbeiter sollen wie oft in Flüchtlingsunterkünften über Werte und Normen lehren? Das Konzept des ITK sieht vor, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Kontakt zu den Leitungen der Flüchtlingseinrichtungen aufbauen und beständig halten. Auf diesem Weg werden die Veranstaltungen zur Vermittlung von Werten und den Aufgaben der Polizei in einem demokratischen Rechtsstaat vorbereitet. Darüber hinaus koordiniert das ITK die Tätigkeiten der muttersprachlichen Honorarkräfte sowie der regional zuständigen Beamten für den besonderen Fußstreifendienst (BFS) in den Flüchtlingseinrichtungen. f) Soll dieser Unterricht künftig für alle Flüchtlinge verpflichtend sein? Nein. g) Gibt es bereits Lehrmaterial? Wenn ja, ist es einsehbar? Wenn nein, wer erstellt es zu wann? Es handelt sich um ein genuin ethnologisches Konzept, für das die muttersprachlichen Referentinnen und Referenten vom ITK einen orientierenden Leitfaden für die Gespräche erhalten. Dessen Inhalte sind mit den verschiedenen beteiligten Dienststellen der Polizei und den Einrichtungsleitungen abgestimmt. Für die Vorträge der BFS gibt es einen festen Themenkatalog über die Aufgaben der Polizei in einem demokratischen Rechtsstaat. Leitfaden und Themenkatalog werden vom ITK ausgegeben und befinden sich derzeit in der Erprobungsphase.