BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/5983 21. Wahlperiode 11.10.16 Große Anfrage der Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein, Katja Suding, Michael Kruse, Dr. Wieland Schinnenburg, Jens Meyer (FDP) und Fraktion vom 15.09.16 und Antwort des Senats Betr.: Umstrukturierung Justizvollzug – Fehlen wichtige Grundlagen bereits im Planungsprozess? Für die Umstrukturierung des Jugendvollzugs richtete der Senat eine 6,5 Millionen Euro teure Projektgruppe ein. Diese soll vor allem Planungskosten für Baumaßnahmen ermitteln. Am 7. September 2016 veröffentlichte Senator Steffen einen Zwischenbericht zur geplanten Umstrukturierung und schlussfolgerte , dass eine Zusammenlegung von Jugend- und Frauenvollzug mit Schleswig-Holstein sinnvoll wäre. Eine mögliche Verlegung des geschlossenen Jugendvollzugs nach Neumünster und Schleswig kann aber eine aufeinander aufgebaute Resozialisierungsarbeit für Jugendliche und Heranwachsende gefährden. Außerdem fehlen wichtige Datengrundlagen. Aus der Drs. 21/5713 ergibt sich, dass die Justizbehörde die Daten im Vollzug, der Jugendgerichtshilfe, der Jugendbewährungshilfe weder auswertet noch veröffentlicht, obwohl diese vorliegen. Dabei ist eine systematische Dokumentation, Bündelung, Auswertung und Aufbereitung der Daten dringend notwendig, auch als Grundlage für Resozialisierungsmaßnahmen und um einen zukunftsgewandten Strafvollzug zu organisieren. Gerade im Jugendvollzug sind diese Bemühungen ausschlaggebend für eine gelingende Wiedereingliederung in die Gesellschaft . Vor dem Hintergrund der geplanten Veränderungen ist daher eine genauere Analyse der derzeitigen Situation in Hamburg dringend notwendig. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Ziel des Prüfvorhabens zur Neustrukturierung des Hamburger Justizvollzuges ist es, Strukturen für einen zukunftsfähigen Justizvollzug zu schaffen. Unter Wahrung hoher qualitativer Ansprüche an die Aufgabenerfüllung soll eine Vollzugskonzeption entwickelt werden, die den besonderen Bedürfnissen der jeweiligen Vollzugsbereiche Rechnung trägt und die Beibehaltung eines differenzierten Behandlungsangebotes auch in zahlenmäßig kleineren Gefangenengruppen ermöglicht. Eine enge Kooperation mit dem Land Schleswig-Holstein, für die es bereits bewährte Formen der Zusammenarbeit im Justizvollzug gibt, und die Zusammenlegung von Vollzugseinrichtungen stellen hier eine ernstzunehmende Option dar. Nach dem jahrelangen Rückgang der Gefangenenzahlen sind in den unterschiedlichen Arten des Jugendvollzuges verhältnismäßig kleine Vollzugsgruppen entstanden, die es erschweren, ein möglichst breites, differenziertes und individuelles Angebot an schulischen, beruflichen und therapeutischen Maßnahmen vorzuhalten. Erschwert wird die Erfüllung der Vollzugsaufgaben zudem durch die bauliche Struktur der JVA Hahnöfersand und das große Anstaltsareal. Aufgrund der verzweigten Bauweise und Drucksache 21/5983 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 des erheblichen Geländesicherungsaufwandes wird viel Personal gebunden. Auch erweisen sich die baulichen Gegebenheiten im Hinblick auf die Erfordernisse eines modernen Jugendvollzuges teilweise als nicht mehr zeitgemäß. Aus vollzugsfachlicher Sicht ist schließlich die mangelnde räumliche Anbindung des offenen Vollzuges an die Innenstadt nicht zufriedenstellend. Somit ist gerade die nachhaltige Sicherung der pädagogischen Resozialisierungs- und Integrationsarbeit für Jugendliche und Heranwachsende das Ziel des Prüfprozesses. Bei der Summe von 6,5 Millionen Euro handelt es sich nicht um die Kosten der Projektgruppe , sondern um die Planungskosten zur Kostenermittlung der durchzuführenden Baumaßnahmen im Projekt Justizvollzug 2020 nach den Maßgaben des kostenstabilen Bauens. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. In Schleswig-Holstein und Niedersachsen werden Daten im Jugendvollzug ausgewertet und veröffentlicht. Wird im Zusammenhang mit dem Vorhaben der Umstrukturierung des Jugendvollzugs eine Rückfallstatistik in Hamburg erstellt beziehungsweise ausgewertet? Wenn ja, a. wie hoch sind die Rückfallraten (aufgelistet nach Delikten) in den letzten fünf Jahren der jugendlichen ohne vorhergehende Bewährung Inhaftierten (bitte nach Alter jünger als 18 Jahre und über 18 Jahre darstellen)? b. wie hoch sind die Rückfallraten (aufgelistet nach Delikten) in den letzten fünf Jahren der mit widerrufener Bewährung Inhaftierten (bitte nach Alter jünger als 18 Jahre und über 18 Jahre darstellen)? c. Wenn nein, warum werden die Daten weder ausgewertet noch veröffentlicht ? 2. Welche Daten für eine fachgerechte Vollzugsplanung der jugendlichen Inhaftierten liegen dem Senat vor (Staatsangehörigkeit, Migrationshintergrund , Familiensituation, Wohnsituation, schulische und berufliche Qualifikation, Drogenabhängigkeit, Verschuldung, Freizeitverhalten, Beherrschen der deutschen Sprache et cetera)? a. Welche Daten liegen dem Senat zu den strafrechtlichen Vorgeschichten , Delikten der Inhaftierten vor? b. Inwiefern werden die Gefangenenpersonalakten in Bezug auf Daten der Vollzugsplanung ausgewertet? Wenn nein, wie stellt der Senat dennoch eine fachgerechte Planung der künftigen Struktur des Jugendvollzugs in Hamburg sicher? 3. Eine Erhebung der Besuche für Inhaftierte durch Rechtsanwälte und Angehörige im Zeitraum Januar 2016 bis Februar 2016 wurde vorgenommen .1 Wenn diese möglich war, warum werden Besuchsdaten nicht auch für Jugendgerichtshelfer, Jugendbewährungshelfer und die Mitarbeiter freier Träger erhoben? Wurden die Akten des Fachamtes für Straffälligen - und Gerichtshilfe ausgewertet? Wenn nein, warum nicht? Siehe Drs. 21/5713, 21/5780 und 20/11916. 4. Die Quoten der Entlassungen auf Bewährung nach § 88 JGG und nach § 35 BtMG sind von 18 Prozent in 2006 auf 7 Prozent in 2015 zurückgegangen .2 a. Welche Konsequenzen hat der Senat daraus gezogen? 1 Vergleiche Schriftliche Kleine Anfrage Drs. 21/5713 vom 30.08.2016. 2 Vergleiche Schriftliche Kleine Anfrage Drs. 21/5713 vom 30.08.2016. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5983 3 b. Welche Maßnahmen wird der Senat in welchem Zeitrahmen zur Verbesserung der Situation ergreifen? Die Anzahl der bedingten Entlassungen aus der Jugendstrafhaft beträgt im Jahr 2015 nicht 7 Prozent, sondern 36 Prozent. Die Angabe des Anteils von 7 Prozent ist durch die damalige Fragestellung bedingt, da nach der Anzahl der Entlassungen aus Untersuchungshaft und Jugendstrafhaft in einem Jahr gefragt war und hierzu die Anzahl bedingter Entlassungen nach § 88 JGG und Rückstellungen nach § 35 BtmG in Relation gesetzt wurden. Nunmehr ist die Gesamtzahl der Entlassungen aus der Jugendstrafhaft in Bezug zur Anzahl bedingter Entlassungen nach § 88 JGG und Rückstellungen nach § 35 BtmG gesetzt worden. Jahr Bedingte Entlassungen aus der Jugendstrafhaft in Prozent 2006 68 % 2007 68 % 2008 50 % 2009 54 % 2010 61 % 2011 44 % 2012 39 % 2013 30 % 2014 28 % 2015 36 % Die Ursache für den Rückgang der Anzahl der bedingten Entlassungen liegt in den umfassenden Problemlagen der Jugendlichen begründet. An diesen wird während der Haftzeit mit den Jugendstrafgefangenen weiterhin intensiv gearbeitet. Die Herausforderungen sind derart vielschichtig geworden, sodass vermehrt die gesamte Haftzeit ausgeschöpft werden muss. Die Ermöglichung einer bedingten, vorzeitigen Haftentlassung ist weiterhin ein angestrebtes Vollzugsziel. c. Intensivieren die Jugendgerichtshelfer und Jugendbewährungshelfer ihre Kooperation mit dem Jugendvollzug? Sind sie beteiligt bei der Vollzugsplanung, bei der Entlassungsplanung, beim Übergangsmanagement ? Wenn ja, wodurch und mit welchen dokumentierten Fallzahlen? Die Jugendgerichtshilfe und die Jugendbewährungshilfe des Fachamtes Straffälligenund Gerichtshilfe im Bezirksamt Eimsbüttel wirken mit jeweils unterschiedlichen Aufgaben und Befugnissen im gesamten Jugendstrafverfahren mit und werden bei der Vollzugs- und Entlassungsplanung wie auch beim Übergangsmanagement beteiligt. Ihre Beteiligung ist im Hamburger Jugendstrafvollzugsgesetz (HmbJStVollzG) normiert und in den jeweiligen Kooperationsvereinbarungen zwischen Jugendgerichtshilfe , Jugendbewährungshilfe und der JVA Hahnöfersand präzisiert. Der Umfang und die Intensität ihrer Beteiligung richten sich nach den Erfordernissen des Einzelfalles. Fallzahlen werden statistisch nicht erhoben. 5. In der Periode vom 1.Januar 2014 bis 31. Dezember 2016 wird das ESF- Projekt „Berufliche Integration von jugendlichen Gefangenen“ gefördert. a. Plant der Senat diese Förderung weiter fortzusetzen? Wenn nein, warum nicht? Siehe Drs. 21/6079. b. Wie viele Teilnehmer/-innen an dem Projekt gab es in den Jahren 2014 bis 2016? 2014 127 2015 85 2016 bis 27.09.2016 38 Drucksache 21/5983 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 c. Inwieweit werden Jugendgerichtshilfe und Jugendbewährungshilfe bei dem Projekt beteiligt? Das Übergangsmanagement der JVA Hahnöfersand erstellt hinsichtlich der getroffenen Maßnahmen regelmäßig Beiträge für die Vollzugsplanung. Die Vollzugspläne werden der Jugendgerichtshilfe/Jugendbewährungshilfe einzelfallbezogen zur Verfügung gestellt. Für die Fortsetzung der Maßnahme nach der Entlassung arbeiten Jugendgerichtshilfe und Jugendbewährungshilfe mit dem Projekt „agentur jobtransfer“ zusammen. d. Gibt es jährliche Berichte über die Ergebnisse und über Rückfallquoten der jugendlichen Inhaftierten? Wenn nein, warum nicht? Die Ergebnisse des Übergangsmanagements werden ausschließlich in Form von Vermittlungszahlen ermittelt. Die Erfassung von Rückfallquoten wäre nur mit einer systematischen Kontrolle der Bundeszentralregisterauszüge möglich und kann aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht systematisch erfolgen. 6. In wie vielen Fällen wurden Entlassene in den Jahren 2012 bis 2016 durch freie Träger, Jugendgerichtshelfer oder Jugendbewährungshelfer am Entlassungstag abgeholt? 7. Eine Erfassung von Daten der Hauptproblemlagen (beispielsweise Wohnsituation, Verschuldung oder schulische und berufliche Qualifikation ) der Inhaftierten/der Entlassenen findet nicht statt. a. Plant der Senat eine solche Erfassung von Daten? Wenn ja, wann wird diese umgesetzt? Wenn nein, warum nicht? Siehe Drs. 21/5713. b. Welche Probleme konnten durch welche Intervention von welchen Trägern in Hamburg verbessert werden? Im Aufnahmeverfahren wird ermittelt, welche Probleme beziehungsweise Voraussetzungen der jeweilige Gefangene hat. In der Zusammenarbeit mit diversen Kooperationspartnern (agentur jobtransfer, Jugendbewährungshilfe, Jugendgerichtshilfe, Jugendberufsagentur, Aktive Suchthilfe, Jugend hilft Jugend, Integrationshilfen e.V.) wird die schulische/berufliche Planung des Einzelnen vorgenommen. Die Beratung durch externe Fachleute im jeweiligen Bereich stellt eine grundsätzliche Verbesserung der Betreuung dar. 8. Die Maßnahmen des Übergangsmanagements für jeden Inhaftierten werden in einem Evaluationsbogen erfasst. a. Inwieweit wurden die Evaluationsbögen mit welchem Ergebnis ausgewertet ? Es wird statistisch erfasst, wie viele Gefangene an welchen Maßnahmen des Übergangsmanagements teilgenommen haben. Die Auswertung erfolgt im Rahmen der bundesweiten Evaluation des Jugendstrafvollzugs. Ein Ergebnis liegt noch nicht vor. b. Wenn ja, wie haben sich die Fallzahlen in den Jahren 2012 bis 2016 entwickelt? Zeitraum Zugänge Abgänge Vermittlung*) Kalenderjahr 01.04.2012-31.03.2013 106 34 2012: 64 01.04.2013-31.03.2014 73 70 2013: 53 01.04.2014-31.03.2015 21 70 2014: 58 01.04.2015-31.03.2016 19 21 2015: 23 01.04.2016-27.09.2016 8 13 2016: 10 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/5983 5 *) Die tatsächlichen Vermittlungen werden im Evaluationsbogen nicht erhoben, sodass hier die Zahlen des Zwischennachweises zugrunde gelegt wurden. Die rückläufigen Fallzahlen resultieren aus der seit 2012 ebenfalls rückläufigen Zahl der Jugendstrafgefangenen im geschlossenen und offenen Vollzug (vergleiche im Übrigen Drs. 21/435). Weiterhin ist eine massive Veränderung der zu betreuenden Klientel seit 2014 zu verzeichnen. Ein zunehmend großer Anteil der Jugendstrafgefangenen hat keine Deutschkenntnisse, weshalb die Vermittlung ausreichender Sprachkenntnisse aufwändiger ist. Diese sind jedoch Voraussetzung für die Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt. Hinzu kommt der bei einer größer werdenden Anzahl von Jugendstrafgefangenen ausländischer Nationalität nicht geklärte Aufenthaltsstatus, der die Vermittlung erschwert sowie bei gerade dieser Gefangenengruppe eine unzureichende oder fehlende Bereitschaft zur Mitarbeit am Vollzugsziel. c. Gibt es Jahresberichte? Wenn nein, warum nicht? In den Jahren 2014 und 2015 wurden für das Projekt jeweils Zwischennachweise und für das Jahr 2016 ein Zwischen- und Verwendungsnachweis erstellt. 9. Die größte Zahl der Entlassungsadressen liegt im Stadtteil Altona, gefolgt von Billstedt. Welche Konsequenzen zieht der Senat aus dieser Tatsache? Welche Informationen bezüglich der Wohnsituation der Entlassenen liegen dem Senat beziehungsweise der zuständigen Behörde oder anderen zuständigen Stellen vor? Die überwiegende Anzahl der Jugendstrafgefangenen nimmt ihren Wohnsitz nach der Haftentlassung am Ort ihrer Sozialisation. Dieser Umstand wird bei der Entlassungsvorbereitung berücksichtigt. Bei Entlassung aus der Jugendstrafhaft werden die Angaben zur Entlassungsanschrift von den Gefangenen gegenüber der zuständigen Vollzugsabteilungsleitung gemacht und dort überprüft. Die Entlassungsanschrift wird vor der Entlassung in das Datenbanksystem der Anstalt eingepflegt. Die Entlassungen aus der Untersuchungshaft erfolgen weniger planbar, da sie vom Verfahrensverlauf abhängen und sehr kurzfristig erfolgen können. Gefangene, denen eine Unterkunft über die Ausländerbehörde zugewiesen wird, können teilweise erst nach der Entlassung erfahren, wo sie untergebracht werden. 10. Von insgesamt 622 verurteilten Jugendlichen im Jahr 2014 gab es bei über 609 bereits Angaben über frühere Strafen oder Maßnahmen wegen Verbrechen und Vergehen.3 Inwiefern verspricht sich der Senat eine Verbesserung der Lage durch eine geplante Umstrukturierung des Jugendvollzuges? Siehe Drs. 21/5780. 11. In welchem Zeitrahmen werden nun die Kostenplanungen nach dem Zwischenbericht erstellt? Siehe Drs. 21/6032. 3 Vergleiche Schriftliche Kleine Anfrage Drs. 21/5713 Anlage 2.