BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/62 21. Wahlperiode 17.03.15 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 10.03.15 und Antwort des Senats Betr.: Eskalationen und Rechtsverstöße unter Einsatzleitung von Hartmut Dudde Nach Medienberichten sind der Chef der Hamburger Bereitschaftspolizei und sein Stellvertreter von ihren Posten zurückgetreten und haben um ihre Versetzung gebeten. Hintergrund sollen Meinungsverschiedenheiten mit dem Gesamteinsatzleiter der Polizei Hartmut Dudde sein. Entscheidend sollen dabei die Ereignisse während des NPD-Aufmarsches am 7. Februar 2015, eine Woche vor der Bürgerschaftswahl, gewesen sein. Nachdem Kundgebung und Gegenproteste ohne nennenswerte Zwischenfälle verlaufen waren, soll die Gesamteinsatzleitung angeordnet haben, dem NPD-Lautsprecherwagen den Weg durch die noch laufende und angemeldete Antifa-Kundgebung zu bahnen, was dann auch zu den völlig unnötigen und erwartbaren Auseinandersetzungen geführt hatte und in den Medien als „Wahlkampfhilfe für Hardliner“ bezeichnet wurde. Hartmut Dudde hat unter dem Rechtspopulisten und früheren Innensenator Ronald Schill Karriere gemacht. Gegen den „diktatorischen Führungsstil“ und ein „Kartell des Schweigens“ unter der Führung von Peter Born und Hartmut Dudde hatten sich bereits im August 2010 mehrere Polizeiführer in einem gemeinsamen „Brandbrief“ gewandt. In Medienkommentaren wird Dudde als „Überzeugungstäter“ bezeichnet, der genau wisse, was er nicht dürfe und es dennoch tue. Gerichtlich wurden mehrere Einsätze unter Born und Dudde als rechtswidrig eingestuft. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Verwaltungsgerichtliche Verfahren zu polizeilichen Einsätzen richten sich gegen die Freie und Hansestadt Hamburg als Beklagte. Für die Freie und Hansestadt Hamburg handelnde Personen haben vor den Verwaltungsgerichten keinen Parteienstatus. An polizeilichen Einsatzlagen im Zusammenhang mit Versammlungen wirken unterschiedliche Beteiligte der Polizei wie Versammlungsbehörde, Gesamteinsatzleiter und einzelne Abschnittseinsatzleiter mit. Die gerichtlichen Entscheidungen sind daher nicht – wie in der Frage unterstellt – einem einzelnen Beteiligten zuzurechnen, auch wenn die Fragestellungen im Abschnitt II. durch die Bezugnahme auf einen Beamten einen entsprechenden Eindruck suggerieren könnten. Sie sind teilweise veröffentlicht. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: I. Einsatz der Polizei bei der Kundgebung der NPD am 7.2.2015 1. Welche Stelle ordnete zu welchem Zeitpunkt an, dem NPD-Lautsprecherwagen den Weg in diese Richtung zu bahnen? Drucksache 21/62 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Der Einsatzleiter der Polizei nach dem Ende der NPD-Veranstaltung um 14.09 Uhr. 2. Welche anderen Strecken wären möglich gewesen und warum wurde diese gewählt? Die Polizei hat nach Lagebeurteilung die aufgrund der Gesamtumstände geeignetste Strecke gewählt. Von darüber hinausgehenden Angaben wird aus Gründen der Einsatztaktik der Polizei abgesehen. II. Rechtsverstöße unter Leitung von Hartmut Dudde Mehrfach wurden Polizeieinsätze unter der Leitung von Peter Born und Hartmut Dudde gerichtlich als rechtswidrig eingestuft. 1. Von welchen entsprechenden Urteilen hat der Hamburger Senat beziehungsweise die zuständige Hamburger Behörde Kenntnis? Bitte angeben : Jahr, Anlass, Urteilstenor, Aktenzeichen, das als rechtswidrig erkannte polizeiliche Handeln, Beteiligung von Hartmut Dudde. Die zuständige Behörde hat von folgenden Urteilen Kenntnis: 1. Jahr: 2007 Anlass: Versammlung mit dem Tenor: „Weg mit dem § 129 a! Einstellung aller Verfahren! Gegen Sicherheitswahn und Überwachungsstaat!" am 11. Dezember 2007. Im Übrigen siehe www.juris.de; Aktenzeichen: Verwaltungsgericht (VG) Hamburg 19 K 1460/08 2. Jahr: 2008 Anlass: Spontandemonstration gegen polizeiliche Maßnahmen vor der Roten Flora am 6. Juli 2008. Sachverhalt aus dem Tatbestand des verwaltungsgerichtlichen Urteils (Zitat): „Am frühen Morgen des 6.7.2008 kam es im Bereich Schulterblatt in Höhe der sog. „Roten Flora“ zu einem Streit zwischen zwei Personen (männlich und weiblich ). Die männliche Person wurde aus einer Gruppe von Besuchern der „Roten Flora“ mit Reizgas besprüht. Die Polizeibeamten nahmen die männliche Person fest. Bei der Festnahme der Person, die zuvor den Pfefferspray verwendet hatte, wurden die eingesetzten Polizeikräfte aus einer umstehenden Menschenmenge mit Flaschen und Steinen beworfen. Dabei entstanden sowohl ein Sach- als auch ein Personenschaden auf Seiten der Polizei. Einige Personen begaben sich in die „Rote Flora“. Daraufhin sperrten Polizeikräfte das Gebäude der „Roten Flora“ ab. Gegen 11.24 Uhr drangen Polizeikräfte gewaltsam in das Gebäude ein und nahmen mehrere Personen vorläufig fest.“ Urteilstenor (Zitat): „1. Es wird festgestellt, dass die beschränkende Verfügung Nr. 1 aus dem Bescheid der Freien und Hansestadt Hamburg (Behörde für Inneres - Polizei) vom 6.7.2008 rechtswidrig gewesen ist, soweit sie sich auf Transparente bezog. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/62 3 2. Es wird festgestellt, dass die Wegnahme eines seitlichen Transparentes auf der linken Seite des Aufzugs auf der Schanzenstraße Höhe Lagerstraße durch Beamte der Beklagten rechtswidrig gewesen ist. 3. Es wird festgestellt, dass die Art und Weise der seitlichen polizeilichen Begleitung des Demonstrationszuges rechtswidrig gewesen ist, soweit die Polizeibeamten im Anschluss an die Sicherstellung des Plakates in einer Weise in einer durchgehenden Reihe neben dem Demonstrationszug gegangen sind, dass der Zu- und Abgang zu diesem für Teilnehmer und Dritte deutlich erschwert wurde. 4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.“ Aktenzeichen: VG Hamburg 5 K 2190/08 Rechtswidriges Handeln: Der Urteilstenor zu 1. bezieht sich auf die folgende vor Ort erlassene Auflage: „Transparente und Plakate mit einer Gesamtlänge von über 150 cm dürfen flächenmäßig nur frontal zur Marschrichtung getragen werden , nicht aber längs der Außenseiten des Aufzuges. Das gleiche gilt für Seile.“ Im Übrigen siehe weiteren Urteilstenor. 3. Jahr: 2008 Anlass: Versammlung mit dem Tenor: „Für grenzenlose Bewegungsfreiheit – keine Abschiebungen am Flughafen Hamburg“ am 22. August 2008. Im Übrigen siehe www.juris.de; Aktenzeichen: VG Hamburg 2 K 1769/09 Herr Dudde war bei den Versammlungen, auf die sich die Urteile zu 1. – 3. beziehen, jeweils Leiter des Einsatzabschnitts „Aufzug“. Die Entscheidung über die Auflösung hat bei der unter 3. beschriebenen Versammlung der Gesamteinsatzleiter getroffen. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 2. Welche Folgen hatten diese Gerichtsurteile? Die Polizei überprüft anhand der in Urteilen getroffenen Feststellungen regelmäßig, ob ihr Handeln künftig anders auszurichten ist. Dies ist auch in den genannten Fällen geschehen. Soweit sich aus den Urteilen, die sich an Besonderheiten des dem jeweiligen Verfahren zugrunde liegenden Lebenssachverhalt ausgerichtet haben, auch auf andere Lebenssachverhalte übertragbare Grundsätze ableiten lassen, werden diese in der Folge beachtet. So verzichtet zum Beispiel die Versammlungsbehörde beziehungsweise die Polizei seit Ende des Jahres 2011 darauf, Auflagen zur Länge von Transparenten zu erteilen. 3. Sind derzeit weitere Verfahren vor dem Verwaltungsgericht anhängig? Wenn ja, welche? Bitte angeben: Anlass, Jahr des Anlasses, Aktenzeichen , das infrage stehende polizeiliche Handeln, Beteiligung von Hartmut Dudde. Ja, nach Kenntnis der Polizei sind derzeit zwei Verwaltungsgerichtsverfahren anhängig . Beide beziehen sich auf den Polizeieinsatz vom 2. Juni 2012 anlässlich der Versammlung „Tag der deutschen Zukunft – Unser Signal gegen Überfremdung“ und mehrere dagegen gerichtete Versammlungen: 1. Aktenzeichen: VG Hamburg 13 K 2672/12 Drucksache 21/62 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Die Klägerin nahm nach ihren Abgaben an der Gegendemonstration „Kein Aufmarsch Tag der deutschen Zukunft in Wandsbek oder anderswo“ in der Wagnerstraße/ Gauckstraße teil. Ihre Klage richtet sich auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer behaupteten Ingewahrsamnahme. 2. Aktenzeichen: VG Hamburg 11 K 2550/12 Der Kläger nahm an einer Sitzblockade an der Einmündung Eilbeker Weg/ Seumestraße teil und versuchte, mit weiteren Teilnehmern der Sitzblockade, die Marschstrecke des Aufzuges „Tag der deutschen Zukunft – Unser Signal gegen Überfremdung “ zu blockieren beziehungsweise den Aufzug zu verhindern. Nach erfolgter Auflösungsverfügung durch die Polizei kam der Kläger der Pflicht, sich zu entfernen, nicht nach. Er wurde zunächst wegen vorangegangener Straftaten vorläufig festgenommen und nach Beendigung der strafprozessualen Sachbearbeitung in Gewahrsam genommen. Die Klage richtet sich auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme. Herr Dudde war bei dem Polizeieinsatz Leiter des Einsatzabschnitts „Versammlung“. Die Entscheidung über die in Rede stehenden Ingewahrsamnahmen der Kläger hat in beiden Fällen der Gesamteinsatzleiter getroffen. Darüber hinaus sind nach Kenntnis der Polizei fünf Anträge auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für beabsichtigte Klagen zu dem Polizeieinsatz vom 21. Dezember 2013 anlässlich des Aufzuges „Rote Flora verteidigen – Esso-Häuser durchsetzen! Gegen rassistische Zustände – Bleiberecht für alle!“ beim VG Hamburg anhängig. Die verwaltungsgerichtlichen Aktenzeichen lauten: 8 K 6132/14, 8 K 88/15, 8 K 109/ 15, 8 K 110/15 und 8 K 128/15. Die Klagen sollen sich auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit folgender polizeilicher Maßnahmen richten: Anhalten der Kläger als Versammlungsteilnehmer, Anwendung unmittelbaren Zwangs, Freiheitsentziehung, Identitätsfeststellung, Durchsuchung, Fotografieren und Erteilung eines Platzverweises. Herr Dudde war bei diesem Einsatz Leiter des Einsatzabschnitts „Aufzug“. Im Übrigen siehe Vorbemerkung.