BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/6416 21. Wahlperiode 28.10.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Inge Hannemann (DIE LINKE) vom 20.10.16 und Antwort des Senats Betr.: Reichsbürger/-innen in den Jobcentern, Arbeitsagenturen und Grundsicherung Nach den inzwischen tödlichen Schüssen auf einen Polizeibeamten in Mittelfranken durch einen sogenannten Reichsbürger flammt erneut die Diskussion über Bürger/-innen auf, die die Bundesrepublik nicht anerkennen und sich selbst als „Reichsbürger/-innen“ bezeichnen. So behaupten sie, dass das Deutsche Reich noch bestehe und sprechen dem Grundgesetz, Gerichten oder Behörden ihre Legitimität ab. Demnach sei die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich illegal und juristisch nicht existent oder die BRD eine GmbH. Dabei berufen sie sich häufig auf die Weimarer Verfassung. Sie weigern sich, Steuern, Bußgeldbescheide oder sonstige staatliche Gebühren zu bezahlen. Weiterhin handeln selbsternannte „Reichsregierungen“, „Staaten“ oder „Exilregierungen“ mit eigenen Pässen. Zwar lehnen die „Reichsbürger/ -innen“ alle Gesetze ab, jedoch nicht den Bezug von Hartz IV, Arbeitslosengeld I oder Leistungen nach dem SGB XII. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Unter dem Begriff „Reichsbürger" ist eine Vielzahl unterschiedlichster Personen zu verstehen, die unter Berufung auf eine staatsrechtliche Fortdauer der Verfassung des Deutschen Reiches die gegenwärtige Legitimität der durch das Grundgesetz vorgegebenen Exekutive, Legislative und Judikative nicht anerkennen. Im August 2016 wurden Flyer mit der Aufforderung verteilt, Hamburger mögen eine Staatsbürgerschaft für den „Bundesstaat Freie und Hansestadt Hamburg" beantragen. Die Polizei wurde durch sogenannte Reichsbürger aufgefordert, diesen Ablauf verantwortlich zu gewährleisten . Gegen eine Verantwortliche wurde durch die Polizei ein Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen unrechtmäßig verwendeter Wappen und Siegel der Freien und Hansestadt Hamburg eingeleitet. Darüber hinaus führt das Landeskriminalamt derzeit ein Verfahren wegen Störung des öffentlichen Friedens und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gegen einen bekennenden „Reichsbürger". Im Verlauf des Ermittlungsverfahrens stellte dieser Beschuldigte gegen den polizeilichen Sachbearbeiter eine Forderung in Höhe von 500.000 Euro, sollte dieser sich nicht „legitimieren“ können. Die Forderung nach der Legitimation begründet sich aus der absoluten Ablehnung der Exekutive. Diese Art der Forderung wird als sogenannte Malta-Masche bezeichnet (siehe hierzu auch BT.-Drs. 18/9978 – http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/099/ 1809978.pdf). Die „Reichsbürgerbewegung“ ist im Übrigen derzeit kein Beobachtungsobjekt des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg. Im Rahmen der Beobachtung rechtsextremistischer Bestrebungen liegen dem LfV Hamburg Erkenntnisse über einzelne Angehörige dieser Szene Hamburgs vor, die „Reichsbürgerthesen“ vertreten. Drucksache 21/6416 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Das LfV Hamburg bewertet auch weiterhin regelmäßig, ob Gruppierungen mit Schnittmengen zum Rechtsextremismus eigene Bestrebungen gemäß § 4 Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz entwickeln. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen teilweise auf der Grundlage von Auskünften von Jobcenter team.arbeit.hamburg (Jobcenter) und der Agentur für Arbeit Hamburg (Agentur) wie folgt: 1. Welche Kenntnisse liegen Jobcenter team.arbeit.hamburg, Agentur für Arbeit Hamburg oder der Grundsicherung Hamburg über die Anzahl von Leistungsberechtigten nach dem SGB II, SGB III, SGB XII vor, welche in der sogenannten Reichsbürgerbewegung aktiv sind oder sich als „Reichsbürger/-innen“ bezeichnen? Lediglich im Bezirksamt Wandsbek ist ein Leistungsbezieher aus dem Bereich des zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) bekannt, der sich selbst in seinen Absenderdaten als „Reichsbürger“ bezeichnet. Jobcenter team.arbeit.hamburg und der Agentur für Arbeit liegen keine Erkenntnisse vor. Gemäß § 60 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) können Sozialleistungen jedoch aufgrund fehlender Mitwirkung versagt werden , wenn nach konkreter Aufforderung kein gültiger Personalausweis oder Reisepass im Sinne des Personalausweisgesetzes oder ein amtliches Ersatzdokument vorgelegt wird. 2. Welche Erkenntnisse und Einschätzungen hat der Senat über das Spektrum der sogenannten Reichsbürger/-innen und dessen Entwicklung in den letzten fünf Jahren? Der Staatsanwaltschaft Hamburg liegen zum erfragten Zeitraum folgende Erkenntnisse vor: In zwei Ermittlungsverfahren wurde den jeweils beschuldigten Personen vorgeworfen , eine Urkundenfälschung durch Vorlage eines vorgeblich vom Verkehrsministerium des Freistaates Preußen ausgestellten Führerscheins bei einer Polizeikontrolle begangen zu haben. In einem weiteren Verfahren führte die beschuldigte Person ein Auto im öffentlichen Straßenverkehr, bei dem er das EU-Zeichen mit einem Aufkleber, der eine Fahne in den Farben der Reichskriegsflagge zeigte, überklebt hatte. In einem weiteren Verfahren handelte es sich vermutlich um einen „Germaniten“, der im Laufe des Verfahrens diverse Schreiben eines sogenannten GSD/GSDI „Trust des indigenen Volkes Germaniten“ vorlegte, die eine Zugehörigkeit seiner Person zu dieser Gruppierung nahelegen. In einem weiteren Ermittlungsverfahren wird der angeklagten beschuldigten Person vorgeworfen, Bedienstete des Jobcenter beleidigt zu haben. Bei der Hauptverhandlung kam es zu erheblichen Störungen durch Zuschauer, die der Gruppierung der sogenannten Reichsbürger zuzuordnen sind. Aus einem weiteren Sachverhalt sind drei Ermittlungsverfahren erwachsen. In einem Verfahren wird wegen Urkundenfälschung ermittelt, weil die beschuldigte Person am Hamburger Flughafen bei der Ausreise einen Reisepass des „Deutschen Reiches“ vorlegte, der in Aufmachung und Inhalt einem Reisepass der Bundesrepublik Deutschland stark ähnelte. Da die beschuldigte Person angegeben hatte, den Reisepass von zwei Männern erhalten zu haben, wurde gegen diese ebenfalls jeweils ein Verfahren wegen Urkundenfälschung eingeleitet. In zwei Verfahren reichte die beschuldigte Person in Reaktion auf die Anklageschrift ein Sammelsurium von Ausdrucken zur Akte, die angeblich beweisen, dass die Bundesrepublik Deutschland kein Staat, sondern eine GmbH sei. Mit einem weiteren Schreiben hat die Person sich sodann an die „Firma: Amtsgericht Hamburg -Barmbek“ gewandt, einen „Vertrag über Schadensersatz“ beigelegt und darauf hingewiesen, dass sich die befasste Kollegin zukünftig auf der Grundlage Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/6416 3 des beigefügten Vertrages durch konkludentes Handeln schadensersatzpflichtig mache. Der ordentlichen Gerichtsbarkeit liegen zum erfragten Zeitraum folgende Erkenntnisse vor: Vor allen Amtsgerichten kam es zu mehreren Vorfällen, bei denen sogenannte Reichsbürger und Germaniten auftraten. Gegenüber Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Geschäftsstelle wird häufig mit einer Strafanzeige gedroht und es werden hohe Schadensersatzforderungen geltend gemacht. Weiterhin nahmen sogenannte Reichsbürger – sei es als Partei beziehungsweise Beteiligte oder als Zuschauer eines Verfahrens – mittels Mobiltelefon Videoaufzeichnungen der mündlichen Verhandlung im gerichtlichen Verfahren vor. Zum Teil werden diese Filme sodann im Internet auf der YouTube-Plattform eingestellt. Auch in Ordnungswidrigkeitsverfahren vor dem Oberlandesgericht treten mehrfach die sogenannten Reichsbürger auf, die Gesetze sowie die Legitimation der Verwaltungsbehörden und Gerichte infrage stellen. In jüngerer Zeit werden bei dem Präsidenten des Amtsgerichts Schadensersatzforderungen in nicht unerheblicher Höhe geltend gemacht und bei Nichtzahlung mit der Zwangsvollstreckung gedroht. Zudem sind in zwei Fällen sogenannte Reichsbürger an Richter herangetreten und haben Schadensersatzforderungen geltend gemacht (sogenannte Malta-Masche). Bei dem Verwaltungsgericht hat es in den letzten Jahren vereinzelt Verfahren mit Beteiligten gegeben, die aufgrund ihres Vorbringens beziehungsweise Begehrens dem Spektrum der sogenannten Reichsbürger im weiteren Sinne zuzuordnen sein dürften. Inhaltlich betrifft dies beispielsweise Streitigkeiten um eine Feststellung des Bestehens beziehungsweise Nichtbestehens der deutschen Staatsangehörigkeit auf Grundlage des früheren Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes beziehungsweise des jetzigen Staatsangehörigkeitsgesetzes. In einem weiteren Verfahren wurde im Rahmen der mündlichen Verhandlung ein Polizeieinsatz erforderlich, da Personen im Publikum sich weigerten, das Aufnehmen der Verhandlung mit Mobiltelefonen zu unterlassen. In der Arbeitsgerichtsbarkeit hat es ein Klageverfahren eines sogenannten Reichsbürgers gegeben. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 3. Hat sich die Anzahl der sogenannten Reichsbürger/-innen als Leistungsberechtigte nach dem SGB II, SGB III und SGB XII in den letzten fünf Jahren bei Jobcenter t.a.h., Agentur für Arbeit Hamburg und Grundsicherung verändert? Wenn ja, in welchem Maße? Bitte jeweils auflisten. Siehe Antwort zu 1. 4. Werden die sogenannten eigenen Pässe der selbsternannten „Reichsregierungen “, „Staaten“ oder „Exilregierungen“ durch Jobcenter t.a.h., Agentur für Arbeit Hamburg und Grundsicherung anerkannt? Nein. 5. Sind dem Senat Vorfälle bekannt, in denen Mitglieder oder Sympathisanten der Reichsbürgerbewegung von im Vorfeld benannten Behörden nach der sogenannten Malta-Masche Geld fordern? Wenn ja, wie viele und welche Behörden sind davon betroffen? Bitte jeweils einzeln auflisten. Siehe Vorbemerkung und Antwort zu 2. 6. Wie ist der interne Umgang mit sogenannten Reichsbürgern/-innen bei Jobcenter t.a.h. Agentur für Arbeit Hamburg und in der Grundsicherung Drucksache 21/6416 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 geregelt? Gibt es dazu fachliche Hinweise, interne Empfehlungen oder ähnliches? Wenn ja, bitte anhängen oder ausführlich erläutern. Hierzu gibt es keine fachlichen Hinweise oder Empfehlungen. Im Übrigen siehe Antwort zu 1. 7. Ist dem Senat bekannt, ob Mitarbeiter/-innen der oben genannten Behörden sich der sogenannten Reichsbürgerbewegung angeschlossen haben? Wenn ja, wie ist der Umgang damit? Hierzu liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor. 8. Inwieweit ist dem Senat bekannt, wonach Angehörige oder Sympathisanten der Reichsbürgerbewegung durch „Papierterror“ (via Fax, Post, E-Mail) die Arbeit bei Jobcenter t.a.h., Agentur für Arbeit Hamburg oder der Grundsicherung behindern oder lahmlegen? Bitte jeweils einzeln nach Behörde auflisten. Siehe Antwort zu 1.