BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/6423 21. Wahlperiode 01.11.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Prof. Dr. Jörn Kruse (AfD) vom 24.10.16 und Antwort des Senats Betr.: Vier Jahre Staatsvertrag mit den Muslimen – Eine Bilanz (II) Anlässlich des dreieinhalbjährigen Bestehens des Staatsvertrages, den der Senat am 13. November 2012 mit den islamischen Glaubensgemeinschaften (vertreten durch den DITIB Landesverband Hamburg e.V., den Rat der islamischen Glaubensgemeinschaften in Hamburg e.V. (SCHURA) und den Verband der islamischen Kulturzentren e.V.) geschlossen hat, wurde er in Drs. 21/4035 danach gefragt, inwieweit seine Vertragspartner in den vergangenen Jahren ihren Verpflichtungen nachgekommen sind. Auf die dabei formulierte Frage, wie das Verhältnis der muslimischen Glaubensgemeinschaften Hamburgs (MGH) zur jüdischen Gemeinde in Hamburg beschaffen sei, erklärte er: „Nach Kenntnis des Senats arbeiten Vertreter der an der Weiterentwicklung des Religionsunterrichts beteiligten islamischen Religionsgemeinschaften regelmäßig und intensiv auch mit Vertretern der Jüdischen Gemeinde in Hamburg zusammen.“1 In Hinblick auf den Umgang, die die MGH zu den anderen in Hamburg vertretenen Konfessionen pflegen, versicherte der Senat: „Die von den islamischen Religionsgemeinschaften vorgeschlagenen Konzepte und Modelle betonen die Hochachtung, die vonseiten des Islam Juden und Christen entgegengebracht wird und werden soll.“2 Dass diese Beschreibungen offenbar nicht den Anspruch auf Authentizität erheben können, geht aus einem Artikel des „Hamburger Abendblattes“ vom 5. September 2016 hervor. In ihm wird darüber berichtet, dass die Jüdische Gemeinde seit geraumer Zeit harsche Kritik am Staatsvertrag übt und sich offenbar durch Äußerungen verschiedener islamischer Gemeinschaften bedroht fühlt. In diesem Zusammenhang weist sie darauf hin, dass zahlreiche Mitglieder des zur Blauen Moschee gehörenden Islamischen Zentrum Hamburgs (IZH), einer Organisation, von der bekannt ist, dass sie von der iranischen Regierung gesteuert wird, am al-Quds-Tag3 teilgenommen hätten. Dabei handelt es sich um eine Feststellung, die besonders in Hinblick auf eine aktuelle Einschätzung des Hamburger Verfassungsschutzes von Bedeutung ist, der zufolge das IZH „extremistische Bestrebungen“ verfolgt.4 Aber auch die Deutsch-Israelische Gesellschaft hat mittlerweile ihrer Besorgnis über die Haltung der im Staatsvertrag begünstigten Organisationen Ausdruck verliehen. Ihr Vorsitzender, Herr Stefan Hensel, kritisierte die naive 1 Confer Drs. 21/4035. Seite 3. 2 Confer ibidem. 3 Der al-Quds-Tag ist ein gesetzlicher Feiertag in der Islamischen Republik Iran, an dem jährlich gegen die israelische Besatzung Jerusalems demonstriert wird. 4 Islamverträge – Kritik an „naiver“ Umsetzung. „Hamburger Abendblatt“, 5. September 2016. Seite 10. Drucksache 21/6423 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Haltung des Senats gegenüber der SCHURA, dem größten islamischen Trägerverband der Hansestadt. Während der IZH, der auch ihr Mitglied ist, offen zu Terror aufrufe, verniedlichte die SCHURA islamistischen Terror gegen Menschen jüdischen Glaubens. Vor diesem Hintergrund – so Philipp Stricharz, Zweiter Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Hamburg, – zeige sich seine Gemeinde ob der bislang nicht erfolgten Reaktion des Senats äußerst irritiert. Aber auch die DITIB ist mittlerweile vom CDU-Landesvorsitzenden Roland Heintze kritisiert worden, der gegenüber dem Senat ernsthafte Zweifel daran formulierte, dass mit der DITIB faktisch einer staatlichen Organisation der Türkei Mitspracherechte an innenpolitischen Fragen eingeräumt werde. Dabei handelt es sich um Kritik, die die AfD-Fraktion bereits im Mai beziehungsweise Juni 2017 in den Drs. 21/4559 und 21/4874 geübt hatte. Als gänzlich inakzeptabel erweist sich indes auch die Feststellung, dass offenbar kein regelmäßiger Austausch zwischen dem Senat und den Vertragspartnern stattfindet. Angesichts der antisemitischen Haltung, die etwa die Äußerungen des IZH sowie das ihnen von der SCHURA entgegengebrachte Verständnis erkennen lassen, kommt in der passiven Haltung des Senats ein Verstoß gegen Artikel 11 des Staatsvertrages zum Ausdruck. Dort heißt es: „Die Vertragsparteien werden bedarfsabhängig Gespräche zur Intensivierung ihrer Beziehungen führen.“5 Deshalb ist auch die Äußerung des Senats in Hinblick auf die verbindliche Einhaltung der im Vertrag fixierten Wertegrundlagen infrage zu stellen, der zufolge von den Vertretern der islamischen Religionsgemeinschaften religiöse Toleranz als eines der Grundprinzipien und grundlegenden Ziele betrachtet wird. Dies gilt auch für die eingangs erwähnte Erklärung des Senats, der zufolge die von den islamischen Religionsgemeinschaften vorgeschlagenen Konzepte und Modelle die Hochachtung der Muslime gegenüber Juden unterstreichen soll. Dies klingt zwar gut, erweist sich vor dem Hintergrund der im Beitrag des „Hamburger Abendblattes “ zutage geförderten Erkenntnis, dass dies offensichtlich auch die „Vernichtung Israels“ miteinschließt, als leere Sprechblase. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie erklärt der Senat auf den Vorwurf der Jüdischen Gemeinde und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, auf die antisemitischen Äußerungen des IZH sowie auf die verständnisvolle Haltung der SCHURA nicht entschieden zu reagieren beziehungsweise sie gleichgültig zur Kenntnis zu nehmen? Der Senat sieht in ständiger Praxis von einer Kommentierung zu Äußerungen der Presse ab. 2. Welche Konsequenzen zieht der Senat aus der Teilnahme von Mitgliedern des IZH am al-Quds-Tag sowie der mehrfach von ihr artikulierten Forderung, Israel zu zerstören? Bitte bei der Beantwortung auch auf die Einschätzung des Hamburger Verfassungsschutzes eingehen, der zufolge das IZH „extremistische Bestrebungen“ verfolgt. Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg beobachtet nach § 4 des Hamburgischen Verfassungsschutzgesetzes das Islamische Zentrum Hamburg (IZH) und berichtet hierüber im Rahmen seiner Medienarbeit (jährlicher Verfassungsschutzbericht , Internetbeiträge, Pressestatements). Im Übrigen siehe Antwort zu 9. 3. Wie reagiert der Senat auf die beschönigende Haltung, die die SCHURA in Hinblick auf das Betragen des IZH an den Tag legt? Sind bereits Konsequenzen erfolgt? 5 Confer Artikel 11. Staatsvertrag. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/6423 3 4. Ist der Senat angesichts der oben geschilderten Zusammenhänge noch immer der Meinung, dass die islamischen Glaubensgemeinschaften in ihrer Arbeit bedingungslos zu dem Grundsatz der Hochachtung der jüdischen Glaubensgemeinschaft stehen? Siehe Drs. 20/5649 und 21/6433. Im Übrigen hat sieht der Senat keine Veranlassung, zu den ihm vom Fragesteller unterstellten Auffassungen Stellung zu nehmen. Zum tatsächlichen Inhalt der in Bezug genommenen Äußerungen des Senats siehe Drs. 21/4035. 5. Wie viele antisemitische beziehungsweise israelfeindliche Verfehlungen, Äußerungen, Handlungen des IZH und anderer islamischer Organisationen , die selbst beziehungsweise über ihre Trägerverbände dem Staatsvertrag unterliegen, sind dem Senat seit November 2012 bekannt? Bitte jeweils anhand des Datums sowie des Sachverhalts aufschlüsseln. Antisemitische beziehungsweise israelfeindliche Äußerungen des IZH oder anderer islamistischer Organisationen werden von LfV Hamburg nicht gesondert erfasst. Für die Beantwortung im Sinne der Fragestellung wäre eine Auswertung mehrerer Hundert Vorgängen erforderlich, dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Äußerungen anderer Vertragspartner im Sinne der Fragestellung sind dem LfV Hamburg derzeit nicht bekannt. 6. Wie rechtfertigt der Senat, dass mit Mustafa Yoldas eine Person zum Vorstand der SCHURA zählt, deren Ziel als Angehöriger der Milli-Görüs- Bewegeung nach Einschätzung des Verfassungsschutzes in der „weltweiten Einführung einer islamischen Staats- und Gesellschaftsordnung unter Führung der Türkei“ besteht? 7. Wie rechtfertigt der Senat, dass mit Ajatollah Reza Ramezani eine Person im Vorstand der SCHURA vertreten ist, die gemäß den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes auf Geheiß der iranischen Regierung handelt, die in der Vergangenheit wiederholt gefordert hat, Israel zu vernichten ? Die Vorstände religiöser Gemeinschaften werden von diesen bestimmt und unterliegen keiner staatlichen „Rechtfertigung“. 8. Wie erklärt der Senat, dass offenbar kein regelmäßiger Austausch zwischen ihm und den Vertragspartnern stattfindet? Ist er womöglich der Ansicht, dass die dokumentierten Vorfälle nicht durch die formulierte „Bedarfsabhängigkeit“ gedeckt sind? Gespräche mit den Vertragspartnern finden nach Maßgabe des Artikels 11 des Vertrages statt. Im Übrigen siehe Antworten zu 2. sowie 3. und 4. 9. Was tut der Senat konkret, um das Sicherheitsempfinden der Jüdischen Gemeinde zu verbessern? Die Gefährdungseinschätzungen zu den Objekten der jüdischen Gemeinde unterliegen einer ständigen, an aktuellen Lageerkenntnissen orientierten Betrachtung. Die daraus resultierenden Schutzmaßnahmen befinden sich auf einem hohen Sicherheitsniveau . Darüber hinaus stehen das Landeskriminalamt und das Polizeikommissariat 17 als Ansprechpartner für Vertreter der jüdischen Gemeinde zur Verfügung. Es findet ein stetiger Informationsaustausch statt. Das LfV Hamburg informiert darüber hinaus im Rahmen seiner gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben über die Gefahren, die von Extremisten ausgehen. Vertreter des LfV stehen auf Anforderung für Beratungen in Einzelfällen zur Verfügung. Im Übrigen siehe Antwort zu 2. 10. Plant der Senat, die Eignung von DITIB-Imamen, bei denen es sich faktisch um Beamte des türkischen Staates handelt, kritisch zu hinterfragen ? Siehe Drs. 21/1987. Drucksache 21/6423 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 11. Wie viele Kooperationsprojekte zwischen den islamischen Gemeinschaften in Hamburg und der Jüdischen Gemeinde beziehungsweise der Deutsch-Israelischen Gesellschaft hat es seit November 2012 gegeben? Wie viele von ihnen werden gegenwärtig fortgeführt? Dazu liegen den zuständigen Behörden keine Erkenntnisse vor.