BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/6430 21. Wahlperiode 01.11.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Karin Prien (CDU) vom 24.10.16 und Antwort des Senats Betr.: Gruppenvergewaltigung einer 14-Jährigen in Harburg – Welche Konsequenzen zieht der Senat daraus und wie steht es um das Opfer? Im Frühjahr dieses Jahres wurde ein 14 Jahre altes Mädchen in einer Wohnung in Harburg von vier Jugendlichen beziehungsweise jungen Männern vergewaltigt. Ein weiteres Mädchen war anwesend und filmte die Tat. Alle an der Tat Beteiligten wurden jüngst zu unterschiedlich langen Haftstrafen verurteilt . Allerdings wurden die Haftstrafen bei den vier minderjährigen Tätern zur Bewährung ausgesetzt, was diese und ihre Familien wiederum triumphierend entgegennahmen. Das Urteil wurde vom Landgericht mit dem Vorrang „erzieherischer Aspekte“ im Jugendstrafrecht begründet. Das Schicksal des Opfers tritt dabei in den Hintergrund. Das Mädchen steht laut Berichten der Tageszeitung „Die Welt“ in der Obhut des Jugendamtes Wandsbek und bewohnte demnach eine Einrichtung für Jugendliche in Lurup (vergleiche „Von ihren Peinigern ‚zum Objekt herabgewürdigt‘“, „Die Welt“ vom 21.10.2016, online erschienen); sie konnte an dem Prozess allerdings selbst nicht teilnehmen, da das Gericht nicht weiß, wo sie sich gegenwärtig aufhält. Laut der „Bild“-Zeitung ist das Mädchen seit Mai dieses Jahres nicht auffindbar (vergleiche „Bewährungsstrafen für Gruppenvergewaltiger!“, „Bild“- Zeitung vom 20.10.2016, online erschienen). Dies vorausgeschickt frage ich den Senat: Bei dem 14-jährigen Mädchen handelt es sich um das Opfer einer Straftat. Darüber hinaus handelt es sich bei einem Teil der erfragten Informationen um unter anderem auch aus Gründen des Opferschutzes geschützte Sozialdaten im Sinne der §§ 35 SGB I, 61 fortfolgende SGB VIII, 67 fortfolgende SGB X. Nach dem umfassenden Sozialdatenbegriff der SGB I, VIII und X sind nicht nur alle in den Jugendamtsakten befindliche Daten bezüglich des betroffenen Kindes Sozialdaten, sondern auch alle Daten über Dritte. Dies gilt auch für Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse von Trägern der freien Jugendhilfe. Die Übermittlung solcher Informationen durch den Senat kommt damit nur unter den engen gesetzlichen Voraussetzungen infrage. Gemäß § 67 b Absatz 1 S. 1 SGB X ist die Verarbeitung von Sozialdaten, zu der gemäß § 67 Absatz 6 S. 1 SGB X auch das Übermitteln gehört, nur zulässig, soweit eine Rechtsvorschrift im SGB dies erlaubt oder anordnet oder soweit der Betroffene schriftlich eingewilligt hat. Im SGB existiert keine Übermittlungsbefugnis zugunsten des Parlaments. Eine vorherige schriftliche Einwilligung der Betroffenen, die eine Übermittlung zulassen würde, liegt derzeit nicht vor. Auch der Umstand, dass viele Informationen bereits in den Medien verbreitet wurden, rechtfertigt eine Übermittlung von Sozialdaten nur dann, wenn die öffentlich bekannten Informationen nachweislich aus einer zuverlässi- Drucksache 21/6430 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 gen Quelle stammen. Nicht als „öffentlich bekannt“ und damit dem Sozialdatenschutz unterliegend gelten Informationen aus „zweiter Hand“, vom Hörensagen und solche, deren Ursprung nicht bekannt ist. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Liegen dem zuständigen Jugendamt beziehungsweise der Polizei zwischenzeitlich neue Erkenntnisse über den Verbleib des Mädchens vor? Wenn ja welche? Wenn dies nicht der Fall ist: a. Welche Anstrengungen werden vom Jugendamt beziehungsweise der Polizei unternommen, um das Mädchen ausfindig zu machen? b. Wie erklärt sich das zuständige Bezirksamt Wandsbek das Verschwinden einer sich in Obhut des Jugendamtes befindenden Minderjährigen ? c. Wann hatte das zuständige Jugendamt zuletzt Kontakt zu dem Mädchen? d. Ist die Polizei in die Ermittlung des Aufenthalts eingeschaltet worden ? Wenn ja wann und durch wen? Wenn nein, warum nicht? Im Hinblick auf das zu schützende Persönlichkeitsrecht des betroffenen minderjährigen Opfers sieht der Senat davon ab, nähere Angaben zu machen, die auf Informationen beruhen, die im Rahmen der Strafermittlung erlangt wurden; im Übrigen siehe Vorbemerkung. 2. Das vergewaltigte Mädchen soll in einer Jugendwohnung in Lurup gewohnt haben, aus welcher sie laut zuvor erwähnter Presseberichte nachts in die Wohnung nach Harburg, in der sich die Tat ereignete, fuhr. Dazu folgende Fragen: a. Welche Organisation hat die Trägerschaft der erwähnten Jugendwohnung ? Siehe Vorbemerkung. b. Inwieweit erfolgt eine Kontrolle solcher Wohnungen und des Trägers ; welche staatliche Stelle ist mit der Durchführung von Kontrollen beauftragt? Die für die Erteilung der Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII zuständige Behörde soll nach § 46 SGB VIII nach den Erfordernissen des Einzelfalls an Ort und Stelle überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Erteilung der Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII weiter bestehen. In Hamburg obliegt diese Aufgabe der BASFI. c. Wer ist in diesem konkreten Fall für die Aufsicht der Bewohnerinnen der besagten Wohnung zuständig gewesen? Die Aufsichtspflicht obliegt den Betreuerinnen und Betreuern der Jugendhilfeeinrichtungen in der die Minderjährigen untergebracht sind. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. d. Inwieweit war es dem 14-jährigen Mädchen erlaubt, sich spät in der Nacht von Lurup auf den Weg nach Harburg zu machen? Siehe Vorbemerkung. e. Welche Maßnahmen sind infolge dieses Verbrechens gegenüber dem Träger unternommen worden? Hat es interne Untersuchungen gegeben? Sind disziplinarische Maßnahmen eingeleitet worden? Der Vorfall wurde zum Anlass genommen, eine örtliche Prüfung nach § 46 SGB VIII durchzuführen. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/6430 3 3. Welche Schule besucht(e) das Mädchen (zuletzt)? Welche Maßnahmen wurden wegen der Schulabsenz eingeleitet? Die erfragten Daten zum Schulverhältnis der Jugendlichen können aufgrund der personenbezogenen Inhalte nach Hinzuziehung weiterer Informationen – beispielsweise aus dem Internet, sozialen Netzwerken oder der Presse – zur Identifizierung der Jugendlichen führen. Es wird daher aus Datenschutzgründen von einer Beantwortung dieser Teilfrage abgesehen. Die Maßnahmen für die Einhaltung der Schulpflicht sind in der Handreichung zum Umgang mit Schulpflichtverletzungen geregelt. Siehe: www.hamburg.de/bsb/handreichungen/3639432/schulpflichtverletzungen/ Im Übrigen siehe Drs. 21/6234 und 21/2476 sowie Vorbemerkung. 4. Auf welche Versorgungs- und Betreuungsangebote haben jugendliche Opfer von Vergewaltigungen Anspruch? Das Hamburger Opferhilfesystem bietet eine Vielzahl von kostenfreien und anonymen Unterstützungsangeboten für Menschen, die von Gewalt bedroht und/oder betroffen sind. Ein Überblick über die einzelnen Leistungsbereiche und Schwerpunkte der Einrichtungen findet sich im Konzept zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Menschenhandel und Gewalt in der Pflege (Drs. 20/10994) sowie unter folgenden Link: http://www.hamburg.de/opferschutz/. Die Beratungsstellen für Betroffene von sexueller Gewalt sind unter http://www.hamburg.de/sexuelle-gewalt/ aufgeführt. Hierbei ist insbesondere auf NOTRUF für vergewaltigte Frauen und Mädchen e.V. hinzuweisen. 5. Welche besonderen Betreuungsmaßnahmen beziehungsweise -angebote sehen die Jugendämter in Hamburg in solchen Fällen vor? Den Hamburger Bezirksämtern und dem KJND stehen zum Schutz von Mädchen und junge Frauen vor (sexueller) Gewalt zwei Schutzeinrichtungen zur Inobhutnahme am Tag und in der Nacht zur Verfügung. Es handelt sich hierbei um das Hamburger Mädchenhaus des LEB und die Einrichtung Zuflucht des Trägers basis & woge. Im Rahmen der weiteren Hilfeplanung werden für eine längerfristige stationäre Aufnahme Einrichtungen ausgewählt, die den besonderen individuellen Bedürfnissen nach Schutz, Betreuung und gegebenenfalls Therapie im Einzelfall gerecht werden. Fallbezogen arbeiten die Jugendämter, der KJND und die Träger der Jugendhilfe eng mit spezialisierten Beratungsstellen, dem Kinderkompetenzzentrum und der Rechtsmedizinischen Untersuchungsstelle für Opfer von Gewalt am UKE sowie niedergelassenen Therapeuten zusammen (siehe http://www.hamburg.de/familienwegweiser/ 118212/sexueller-missbrauch-beratungsstellen/). 6. Laut der zitierten Presseberichte war die an der Tat beteiligte Freundin des Opfers ebenfalls in der Jugendwohnung in Lurup untergebracht. Sind dem Senat aus diesem und dem letzten Jahr weitere Fälle bekannt, bei denen Bewohner solche Einrichtungen beziehungsweise unter der Obhut vom Jugendamt stehende Minderjährige straffällig geworden sind? Bitte auflisten nach Geschlecht, Alter, zuständigem Jugendamt der Täter und Art der Straftat. Die erfragten Angaben werden weder bei den für die Jugendhilfe zuständigen Stellen noch bei der Polizei statistisch erfasst. Zur Beantwortung der Frage wäre deshalb entweder eine Auswertung von circa 2.500 Jugendhilfeakten stationär untergebrachter Kinder und Jugendlichen, oder aber eine Auswertung sämtlicher Hand- und Ermittlungsakten, welche mehrere Zehntausend Vorgänge innerhalb des erfragten Zeitraums erfasst, erforderlich. Diese Auswertung ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 7. Welche Präventionsmaßnahmen führen die Jugendämter durch, um die sich in ihrer Betreuung befindenden Kinder und Jugendlichen sowohl Drucksache 21/6430 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 über Sexualstraftaten aufzuklären als auch, um sie vor Übergriffen zu schützen? Alle vom Jugendamt beauftragten Einrichtungen verfügen über ein Schutzkonzept, in dem auch die Prävention von sexuell grenzverletzendem Verhalten zum Nachteil der Betreuten beschrieben ist. Beteiligungs- und Beschwerdemöglichkeiten der Jugendlichen sollen ebenfalls präventive Wirkung entfalten. Bei Bedarf kann im konkreten Einzelfall das Ziel Sexualaufklärung zusätzlich im Hilfeplan verankert werden. 8. In welcher Weise und ab welcher Klasse ist das Aufklären über Sexualstraftaten beziehungsweise nicht einvernehmlichen Sex Inhalt der Sexualerziehung an den Hamburger Schulen? Diese Thematik wird im Rahmen der Sexualerziehung in allen Jahrgangsstufen und Schulformen altersangemessen aufgegriffen (siehe http://li.hamburg.de/contentblob/ 4075234/14b189e8be08f3387f4793bbf64a570a/data/pdf-bildungsplaeneaufgabengebiete .pdf). In den Rahmen- und Bildungsplänen zum Aufgabengebiet Sexualerziehung ist unter anderem festgehalten, dass Schülerinnen und Schüler am Ende der Jahrgangsstufe 2 bestimmte Formen von körperlicher Annäherung als unangenehm wahrnehmen und dieses äußern können sowie Hilfe holen, wenn sie oder andere belästigt werden. Am Ende der Jahrgangsstufe 4 können Schülerinnen und Schüler sexuelle Übergriffe als Unrecht bezeichnen und nehmen bestimmte Formen von körperlicher Annäherung als Überschreiten der eigenen Grenzen wahr und ordnen dieses als Unrecht ein. Für weiterführende Schulen ist vorgegeben, dass Schülerinnen und Schüler am Ende der Jahrgangsstufe 6 Beispiele für sexuelle Grenzverletzungen und Gewalt nennen und bestimmte Situationen als Grenzverletzungen und damit als Unrecht einordnen können. Sie unterscheiden zwischen Signalen von Zuneigung und Distanz und akzeptieren , wenn andere nicht berührt werden wollen. Bis zum ersten Schulabschluss können die Jugendlichen Kriterien für eine gewaltfreie Partnerschaft entwickeln sowie zwischen sexuellen Situationen mit hohem (zum Beispiel sexuelle Gewalt) und niedrigem beziehungsweise keinem Risiko unterscheiden. Sie holen Hilfe und greifen gegebenenfalls ein, wenn andere (sexuell) belästigt werden. Im Übrigen siehe Drs. 21/5580.