BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/6573 21. Wahlperiode 11.11.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Annkathrin Kammeyer (SPD) und Mareike Engels (GRÜNE) vom 03.11.16 und Antwort des Senats Betr.: Perspektiven für Frauenhausbewohnerinnen (II) Frauen, die in Frauenhäusern Schutz vor häuslicher Gewalt finden, sind häufig auch ökonomisch in einer prekären Lage und müssen sich auf dem Arbeitsmarkt (re-)integrieren. Über das ESF-Projekt „Aufbruch“ zur (Re-)Integration von Opfern häuslicher Gewalt in den Arbeitsmarkt werden Frauen aus Frauenhäusern und Ratsuchende aus dem Hilfesystem Opferschutz bei ihrer beruflichen Integration unterstützt. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Menschen, die von häuslicher oder familiärer Gewalt bedroht und/oder betroffen sind, müssen zumeist umfangreiche Veränderungen vornehmen, um sich dauerhaft aus den Gewaltbeziehungen lösen zu können. Die Rückkehr oder der Eintritt in ein Arbeitsverhältnis ist dabei ein wichtiger Bestandteil, um auch wirtschaftlich unabhängig zu sein. Zumeist werden sie jedoch durch multiple Problemlagen daran gehindert: Viele der überwiegend weiblichen Opfer waren zuvor nicht oder längere Zeit nicht berufstätig und haben Kinder, die sie infolge der Trennung alleine erziehen. Auch sprachliche Schwierigkeiten und geringere Qualifikationen erschweren häufig die Arbeitsfindung. Zu diesen Aspekten kommen Folgeerscheinungen der Gewalterfahrungen hinzu wie psychische Traumata, körperliche Einschränkungen oder ganz praktische Hemmnisse wie der Ausschluss bestimmter Stadtteile wegen der Gefahr, auf den oder die Täter/in zu treffen. All diese Komponenten müssen bei der (Re-)Integration von gewaltbedrohten und/oder -betroffenen Menschen in den Arbeitsmarkt berücksichtigt werden. Nur durch eine persönliche Begleitung und stufenweise Qualifizierung unter Berücksichtigung der individuellen Problemlagen kann langfristig das Ziel einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung erreicht werden. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Was gehört zum Leistungsumfang des ESF-Projekts Aufbruch? Wie viele Stellen gibt es dort? Im Rahmen des ESF-Projektes „Aufbruch – Coaching zu Bildung und Arbeit“ werden die Teilnehmenden (TN) individuell beraten und erhalten Coachings mit Qualifizierungs - und Berufswegeplanung. Die Beratenden vermitteln individuell passende und umfassende Informationen zu Möglichkeiten der Qualifizierung und Beschäftigung und recherchieren passgenaue Angebote. Zum Leistungsumfang gehört außerdem die Unterstützung der TN im Bewerbungsprozess unter anderem durch Workshops und die Vermittlung in Qualifizierungen, Ausbildungen und arbeitsmarktbezogene Maßnahmen sowie in Beschäftigungsverhältnisse. Während der individuellen Begleitung erfolgt eine enge Zusammenarbeit mit der Jugendberufsagentur, Weiterbildungsträgern , (Ausbildungs-)Betrieben und Behörden. Nach der Vermittlung ist eine Nachbe- Drucksache 21/6573 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 treuung (zum Beispiel bei der Integration in den Arbeitsplatz, bei Anträgen zur finanziellen Absicherung, beim Abbau weiterer Beschäftigungshemmnisse) sichergestellt. Das Projekt legt darüber hinaus besonderen Wert auf die Sensibilisierung der Regeleinrichtungen für die spezifische Situation von Personen mit Erfahrungen von häuslicher und familiärer Gewalt und/oder Zwangsheiraten. Die Sensibilisierung erfolgt im Rahmen der fallbezogenen Gespräche unter anderem im Kontext der Begleitungen. Ergänzt wird dies über die Gremien- und Öffentlichkeitsarbeit des Projekts . Eine detaillierte Projektbeschreibung ist auf der Homepage des ESF in Hamburg verfügbar : http://www.esf-hamburg.de/contentblob/4647784/data/esfprojektbroschuere .pdf (Seite 51 folgende). Im ESF- Projekt gibt es 1,5 Vollzeitäquivalente: 0,75-Stelle Projektleitung, 0,5-Stelle Projektmitarbeiterin/Beraterin und 0,25-Stelle Verwaltung. 2. Wie viele Ratsuchende wurden seit Beginn des Projekts im Jahr 2014 aufgenommen? Auf welchen Zugangswegen kommen die Ratsuchenden in das Projekt? Insgesamt haben sich seit Projektbeginn 136 Personen an das Projekt Aufbruch gewandt. Davon gelten 93 Personen als TN im Sinne des ESF, da sie mindestens acht Stunden an dem Projekt partizipiert haben (Anhang I der VO (EU) 1304/2013). Der Zugang erfolgt durch die Vermittlung der Frauenhäuser und durch Beratungsstellen des Hilfesystems Opferschutz. 3. Wie viele von ihnen konnten erfolgreich in Arbeit oder in eine Qualifizierung integriert werden? Welche Maßnahmen zur (Re-)Integration wurden ergriffen? Bitte halbjährlich und nach Art der Vermittlung angeben. Die ESF-Projektträger sind verpflichtet, einmal jährlich, jeweils zum 28.02. bezogen auf das vorangegangene Jahr, differenziert über den Umsetzungsstand, einschließlich des Verbleibs der Teilnehmenden (zum Beispiel Vermittlung in Arbeit, Ausbildung et cetera; Maßnahemabbruch), zu berichten. Der BASFI liegen derzeit die im folgenden aufgeführten Angaben über die Vermittlungen der Teilnehmenden für die Jahre 2014 und 2015 vor; die Zahlen für das Jahr 2016 werden erst im Frühjahr 2017vorliegen. Vermittlung durch „Aufbruch“ Anzahl der TN 2014 2015 sozialversicherungspflichtige Beschäftigung 8 4 geringfügige Beschäftigung 2 3 Stabilisierung der Selbstständigkeit 1 - Ausbildung 2 - Fort-, Weiterbildung, Umschulung - 5 Sonstige Qualifizierungsmaßnahmen 2 1 Praktika - 4 Studium 1 1 Deutschkurse 2 7 GESAMT 18 25 Zur Integration der TN wurden die unter 1. beschriebenen Maßnahmen ergriffen. 4. Wie viele Frauen konnten nicht vermittelt werden? Was waren hier die Hinderungsgründe? In den Jahren 2014 und 2015 haben insgesamt 24 Frauen Kurzberatungen (unter acht Stunden) in Anspruch genommen, die nicht zu einer Vermittlung in Beschäftigung beziehungsweise Qualifizierung führten. Die Beratungen dienten der Feststellung der beruflichen Kompetenzen und der Klärung von Aussichten auf den Arbeits- beziehungsweise Ausbildungsmarkt. In Einzelfällen gingen TN nach der Erarbeitung eines Berufswegeplans und von Bewerbungsunterlagen ihrer Berufswegeplanung allein nach. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/6573 3 Abbrüche auf eigenen Wunsch haben insgesamt 26 Personen in den Jahren 2014 und 2015 vorgenommen (von allen bei Aufbruch gemeldeten). Die Ursachen sind individuell und häufig mehrfach gelagert, wobei drei Hauptgründe auszumachen sind: Fehlende psychosoziale Stabilität (latente oder neu auftretende Probleme, die zunächst bewältigt werden müssen, bevor (Re-)Integration in Beschäftigung beziehungsweise Ausbildung stattfinden kann) Umzug oder Rückkehr in die Familie außerhalb Hamburgs erforderliche Eigenverantwortung und -leistung für das Coaching nicht aufgebracht (Einzelfälle) Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 5. Ist das Projekt Teil der neuen ESF-Förderperiode? Wie sind hier die finanziellen Perspektiven? Gibt es inhaltliche Veränderungen an dem Projekt im Vergleich zur ersten Förderperiode? Im Rahmen des 2. ESF-Wettbewerbsverfahrens in der Förderperiode 2014 – 2020 wurde der Projektansatz für den Zeitraum 01.01.2017 – 31.12.2020 erneut ausgeschrieben . Am 07.09.2016 hat der ESF-Behördenausschuss entschieden, den Zuschlag für den im Rahmen des Verfahrens eingereichten Projektvorschlag „2ter Aufbruch! Coaching zu Bildung und Beruf“ an den Träger verikom – Verbund für interkulturelle Kommunikation und Bildung e.V. zu erteilen. Aktuell läuft das zuwendungsrechtliche Antrags- und Bewilligungsverfahren. Operativer Projektstart ist der 01.01.2017. Für die künftige Projektlaufzeit stehen insgesamt 460.000 Euro zur Verfügung (115.000 Euro p.a.). Vor dem Hintergrund der eingangs beschriebenen multiplen Problemlagen hat sich das im aktuellen Projektzeitraum praktizierte Konzept bewährt, sodass keine inhaltlichen Veränderungen im Vergleich zur ersten Förderphase vorgesehen sind. Wie alle ESF-Projekte wird auch das Projekt „2ter Aufbruch“ unter anderem durch regelmäßig tagende Projektsteuerungsgruppen eng begleitet. Sollte sich Veränderungsbedarf abzeichnen, kann auf diesen schnell und flexibel reagiert werden. 6. Wie bewertet der Senat das Projekt „Aufbruch“? Im Hilfesystem des Hamburger Opferschutzes stellt das Projekt „Aufbruch“ eine effektive Ergänzung dar, um gewaltbetroffene und/oder -bedrohte Menschen in Hamburg im Sinne des Empowerments weiter zu stärken: Durch die (Re-)Integration in den Arbeitsmarkt sollen sie auch wirtschaftlich unabhängig bleiben beziehungsweise werden , um dauerhaft ein gewaltfreies und selbstbestimmtes Leben führen zu können. Es berücksichtigt die individuelle Situation der Betroffenen und vermittelt ihnen passende Maßnahmen, um ihre jeweiligen Vermittlungshemmnisse auszuräumen und sie so schrittweise in den Arbeitsmarkt zu (re-)integrieren (siehe Vorbemerkung). Die zielgruppenspezifische und situationssensible Unterstützung von Opfern häuslicher Gewalt bei der Integration in den Arbeitsmarkt ist eine notwendige und erfolgversprechende Ergänzung der Maßnahmen nach SGB II und SGB III. Konzeption und Umsetzung der Unterstützung dieser Zielgruppe beim Zugang zu Beschäftigung ist im Rahmen der Förderung aus dem ESF eine Neuerung und gilt im Sinne der Strategie der Europäischen Kommission als Modell einer „sozialen Innovation“, das heißt die Entwicklung neuer Ideen, Dienste und Modelle zur besseren Bewältigung gesellschaftlicher Probleme. Bei erfolgreicher Projektdurchführung ist der Senat bestrebt, diesen Maßnahmeansatz nach 2020 in das Regelsystem von SGB II und SGB III zu überführen.