BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/6655 21. Wahlperiode 18.11.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Detlef Ehlebracht (AfD) vom 10.11.16 und Antwort des Senats Betr.: Steigerung des Anteils des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) am Modal Split Während der Senat offensichtlich eifrig daran arbeitet, den Anteil des Fahrradverkehrs am Modal Split zu erhöhen, wird im Bereich des ÖPNV dagegen nur wenig getan. Dabei stellt das Fahrrad nur für eingeschränkte Kreise der Bevölkerung eine Alternative dar. Neben den hinsichtlich der Realisierung in weiter Ferne befindlichen Projekten S 21, S 4 und U 5 finden regelmäßig nur Detailkorrekturen am bestehenden Netz statt, wie die jetzt zum Beispiel bekanntgegebenen Minutenänderungen der S-Bahn-Abfahrten, die mit dem Argument besserer Pünktlichkeit verkauft werden – in Wahrheit aber langsamere Verbindungen bedeuten. Bemühungen, den heutigen Autofahrer und potenziellen Fahrgast für die Benutzung des ÖPNV zu begeistern, finden kaum statt – und dabei sind die Randbedingungen denkbar günstig, denn mehr Stau war nie! Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) ist und bleibt das Rückgrat der Mobilität in der Stadt. Er wird deshalb heute und auch künftig ausgebaut. Die jährlich steigenden Fahrgastzahlen unterstreichen die hohe Attraktivität von Bussen und Bahnen in Hamburg. Nach der letzten Erhebung im Jahr 2008 hatte der ÖPNV in Hamburg einen Anteil von circa 18 Prozent aller Wege. Die Zahl der Fahrgäste im Hamburger Verkehrsverbund (HVV) wuchs von 638 Millionen Fahrgästen im Jahr 2008 auf 751 Millionen Fahrgäste im Jahr 2015. Die Minutenänderungen der S-Bahn-Abfahrten dienen der Anpassung der Fahrtzeiten aufgrund verlängerter Aufenthaltszeiten an den Stationen durch die aus der Attraktivitätssteigerung resultierende steigende Fahrgastnachfrage. Diese Änderungen umfassen Anpassungen im Bereich von 20 bis 30 Sekunden. Der Kundenfahrplan dagegen ist minutengenau angegeben, sodass auf einigen Relationen diese Änderungen nur als Minutenänderungen sichtbar werden. In einzelnen Abschnitten verlängert sich die Fahrtzeit, in anderen wird diese gekürzt. Im Ergebnis erhöht sich die Fahrplantreue und Anschlusssicherung. Somit ist die Gesamtreisezeit in den meisten Fällen unverändert und die Zuverlässigkeit erhöht sich weiter. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen auf der Grundlage von Auskünften des HVV wie folgt: 1. Welche konkreten Aktionen, wie Veranstaltungen, Broschüren, Werbekampagnen , Sonderangebote für Autofahrer als potenzielle Fahrgäste des HVV wurden in den vergangenen fünf Jahren unternommen? Bitte genau beschreiben. Drucksache 21/6655 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Im Rahmen der HVV-Werbeaktivitäten werden jährliche Werbekampagnen über verschiedene Themenschwerpunkte seit vielen Jahren umgesetzt. Dabei steht die Verbesserung des HVV-Images durch Themenfokussierung und Vermittlung des wesentlichsten HVV-Basisvorteils Bequemlichkeit im Sinne von stressfreiem Reisen, gute Erreichbarkeit der Ziele, gute HVV-Anbindung des Wohnortes und häufig fahrende Verkehrsmittel sowie Verlässlichkeit der Verkehrsmittel im Vordergrund. Aufmerksamkeitsstarke Werbemotive werden über breit wirkende Medien (Großflächen-Plakate an Hauptverkehrsstraßen, City-Light-Plakate an Bushaltstellen, weitere Plakate im gesamten Haltestellenumfeld, Anzeigen in Tageszeitungen sowie Online-/Mobile- Maßnahmen (Banner)) umgesetzt. Hier steht unter anderem auch die Zielgruppe der Autofahrerinnen und Autofahrer im Fokus. Im Rahmen von Produktkampagnen wird ergänzend die Bekanntmachung von Tarif-, Vertriebs- und Serviceangeboten im Fokus. Hier kommen Werbemedien zum Einsatz die ebenfalls breit wirken, zum Beispiel Plakate im nahen HVV-Umfeld, Fahrgast-TV, Online-/Mobile-Maßnahmen (Banner) sowie auflagenstarke Postwurfsendungen, die bis zu drei Mal im Jahr an über 170.000 Hamburger Haushalte per Post verteilt werden . 2. Der HVV stellt regelmäßig sogenannte Qualitätsberichte zur Kundenzufriedenheit auf, in denen Fragen unter anderem zur Kompetenz und Freundlichkeit des Personals, zur Information bei Betriebsstörungen, zur Sicherheit beziehungsweise dem Belästigungsschutz, zum Fahrstil bei Bus und Schiff und zur Sauberkeit der Fahrzeuge und Haltestellen gestellt werden und die durchschnittlich mit Bewertungen im Bereich knapp oberhalb von „2“ auf einer Skala von 1 bis 5 enden. Das ist natürlich grundsätzlich erfreulich. Auffallend ist allerdings, dass Fragen zum Komfort der Beförderung, zur ausreichenden Anzahl und der Anordnung von Sitzplätzen auch während der Hauptverkehrszeiten, zum Verhältnis Sitzplätze versus Stehplätze und zur Auslastung der Fahrzeuge fehlen. Warum werden entsprechende Fragen nicht gestellt? Das HVV-Qualitätssteuerungsverfahrens (QSV) dient dazu, vertraglich vereinbarte Bonus- und Maluszahlungen in der Höhe zu bestimmen. In diesem Zusammenhang ermöglichen es die Fragen, die im Rahmen des QSV für den Baustein „Kundenzufriedenheit “ in den Fahrzeugen von Schnellbahn, Bus und Schiff gestellt werden, den Fahrgästen, ihre subjektive Bewertung zu verschiedenen Qualitätsmerkmalen abzugeben . Bei den Fragen zum Sitzplatzangebot, zur Kapazität und der Auslastung handelt es sich dagegen um Merkmale, die nach objektiven Kriterien (zum Beispiel Verkehrsnachfrage ) gemessen und festgelegt werden, da sie als Planungsgrundlage eines angemessenen und ausgeglichenen Angebotes benötigt werden. Für die Bestimmung von Bonus- und Maluszahlungen ist die subjektive und situationsbedingte Einschätzung durch Fahrgäste zu diesen Merkmalen nicht zielführend. Einschätzungen der Kundinnen und Kunden zu den Komfortmerkmalen werden stattdessen im Rahmen des jährlichen HVV-Kundenbarometers und der HVV-Imageanalyse erhoben. 3. Wurden in den vergangenen fünf Jahren auch Befragungen von Nicht- Fahrgästen zum Angebot des HVV durchgeführt? Wenn ja: Welche Ergebnisse wurden dabei erzielt und welche Erkenntnisse wurden daraus abgeleitet? Inwieweit konnten die Erkenntnisse in konkrete Angebote umgesetzt werden, um den Anteil des HVV am Modal Split zu steigern? Selten- und Nicht-Nutzerinnen und -Nutzer des HVV werden im Auftrag des HVV im Rahmen der jährlich stattfindenden Imageanalyse befragt. Dies ist eine telefonische Mehrthemenbefragung, die sich mit dem Angebot und aktuellen Fragestellungen im HVV beschäftigt. Der Anteil der Personen, die den HVV „nie“ nutzen, lag in den vergangenen Jahren bei nur circa 10 Prozent der bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe . Aber auch circa 80 Prozent der befragten Nicht-Nutzerinnen und -Nutzer, die sich ein Urteil über den HVV bilden, beurteilen das HVV-Leistungsangebot positiv. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/6655 3 Aus verschiedenen Untersuchungen kann die Erkenntnis abgeleitet werden, dass das HVV-Angebot von Nutzerinnen und Nutzern sowie Nicht-Nutzerinnen und -Nutzern als sehr positiv bewertet wird. Insbesondere das Linien- und Streckennetz, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, Schnelligkeit und Anschlüsse sowie das Informationsangebot im HVV werden im bundesweiten Vergleich überdurchschnittlich bewertet. Gründe für die Nicht-Nutzung des HVV sind, bedingt durch individuelle Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung, vielfältig. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 4. Wurden dabei auch die unter 2. erwähnten komfortrelevanten Fragen gestellt? In der unter der Antwort zu 3. genannten Imageanalyse wird die Zustimmung zu verschiedenen Imagefragen ermittelt. Dazu gehören auch Merkmale zum Komfort der Beförderung, wie „das Fahren mit dem HVV ist bequem“ und „das Platzangebot in Bahn und Bus ist ausreichend“. 5. Vor mehr als zehn Jahren wurde ohne jegliche Betroffenenbeteiligung die erste Klasse in der S-Bahn abgeschafft, die ursprünglichen Vorzüge des Schnellbusses (Schnelligkeit und Reisebuskomfort) sind de facto auch schon abgeschafft – wurde jemals empirisch untersucht, welche Meinung die Fahrgäste oder potenzielle Fahrgäste dazu haben? Die 1. Klasse der S-Bahn nutzten im Jahr 2000 täglich nur circa 70.000 Fahrgäste, für die ein Drittel des Platzangebotes der S-Bahn zur Verfügung gestellt wurde. Durch die Abschaffung der 1. Klasse im November 2000 wurden die S-Bahn-Züge gleichmäßiger ausgelastet. Das Sitzplatzangebot wurde so für die große Mehrzahl der Fahrgäste verbessert. Aus heutiger Sicht wäre, unter Berücksichtigung der deutlich gestiegenen Nachfrage und begrenzter Fahrzeugkapazitäten, das Fahrgastaufkommen mit verringerten Kapazitäten in der 2. Wagenklasse nicht zu bewältigen. Eine empirische Untersuchung in Form einer Befragung der Fahrgäste wurde nicht durchgeführt, jedoch liegen keine Beschwerden zum Fehlen dieses Angebotes bei der S-Bahn vor. 6. Wie müsste nach der Auffassung des Senats ein Angebot des HVV aussehen , mit dem erreicht werden könnte, bisherige Autofahrer zu Fahrgästen des ÖPNV zu machen? 7. Warum gelingt dies somit mit dem derzeitigen Angebot nicht? Maßgebliche Einflussgrößen des Verkehrsmittelwahlverhaltens sind unter anderem Wohn- und Arbeitsort, persönliche Tagesabläufe, sozioökonomische Merkmale, Erreichbarkeit, Reisezeit, Kosten sowie Komfortfaktoren. Der Senat kann hierauf nur bedingt mittel- bis langfristig Einfluss nehmen. Maßnahmenansätze liegen insbesondere in der integrierten Stadt- und Verkehrsplanung und Verbesserungen des ÖPNV- Angebots. Der Senat verfolgt diverse Planungen die darauf abzielen, mehr Fahrgäste im HVV befördern zu können. Das derzeitige Verkehrsangebot der öffentlichen Linien im Personennahverkehr der Stadt Hamburg zeichnet sich durch eine hohe Dichte der Haltestellenstandorte und ein umfangreiches Fahrplanangebot auf den Linien aus, sodass der Bevölkerung ein vielfältiges und umfangreiches Angebot zur Verfügung steht. Dennoch ist die Wahl des Verkehrsmittels eine individuelle Entscheidung, in dem alternative Fahrangebote nur einen Teil der Entscheidungsfindung darstellen. Da in den vergangenen Jahren stets ein hoher Zuwachs der Zahl der Fahrgäste in den öffentlichen Verkehrsmitteln in Hamburg festzustellen war, der vielfach über den Werten im Bundesdurchschnitt lag, kann auch von einem Wechsel von Autofahrerinnen und Autofahrern auf den ÖPNV ausgegangen werden. 8. Ist es aufgrund des heute schon knappen Fahrzeugbestandes beim Schienenverkehr überhaupt möglich, zusätzliche Fahrgäste in Größenordnungen von zum Beispiel 10 oder 20 Prozent zu befördern? Außerhalb der Hauptverkehrszeiten sind zusätzliche Fahrgäste in Größenordnungen von zum Beispiel 10 oder 20 Prozent problemlos zu befördern. In den Hauptverkehrs- Drucksache 21/6655 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 zeiten sind hierfür zum Teil zusätzliche Fahrzeuge für längere Züge oder zusätzliche Zugfahrten erforderlich. 9. Fast täglich wird über die Luftverschmutzung in der Stadt diskutiert, und dabei von verschiedenen Beteiligten über so restriktive Maßnahmen wie Tempo 30 oder ein Verbot von Dieselfahrzeugen philosophiert. Warum werden (ähnlich wie für den Radverkehr) keine offensiven Maßnahmen zur Steigerung des ÖPNV-Anteils am Modal Split unternommen? Die Maßnahmen zur Verbesserung des ÖPNV-Angebots sind auch Bestandteil der Luftreinhalteplanung. Den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Hamburg steht mit dem Angebot im öffentlichen Personennahverkehr ein engmaschiges Liniennetz mit einer hohen Haltestellendichte sowie auf vielen Linien eine hohe Fahrtenhäufigkeit zur Verfügung . Zur weiteren Steigerung der Attraktivität des ÖPNV werden derzeit viele Maßnahmen geplant beziehungsweise umgesetzt.