BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/6739 21. Wahlperiode 22.11.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Deniz Celik (DIE LINKE) vom 16.11.16 und Antwort des Senats Betr.: Transplantations-Skandal im UKE: Was tut der Senat zur Aufklärung? Im Kommissionsbericht der Prüfungs- und der Überwachungskommission (PÜK) zur Prüfung des Lungentransplantationsprogramms des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf wurde dargelegt, dass bei 14 von 25 Transplantations -Fällen Unregelmäßigkeiten in erheblichem Umfang vorgekommen sind. Es gibt Hinweise darauf, dass Patienten-/-innendaten so manipuliert wurden, dass Patienten/-innen ungerechtfertigt auf der Warteliste nach oben gerutscht sind. Darüber hinaus moniert der Prüfbericht Verstöße gegen § 12 Absatz 5 Transplantationsgesetz (TPG): „Die Vermittlungsstelle und die Transplantationszentren sind verpflichtet, der Kommission die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen und die erforderlichen Auskünfte zu erteilen.“, da Patienten/-innenakten nicht oder verspätet herausgegeben worden seien. Stellung zu diesen Vorgängen nahm die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz erst nachdem NDR, „die tageszeitung“ und weitere Medien darüber berichtet hatten. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Verantwortungs- und Entscheidungsträger im gesamten Transplantationssystem sind nach dem Willen des Gesetzgebers der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Bundesärztekammer und die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Für die Kontrolle dieser spezifischen Verantwortungs- und Entscheidungsträger innerhalb des Transplantationsgeschehens hat sich der Gesetzgeber unter weitgehendem Verzicht auf staatliche Aufsicht für ein Konzept „regulierter Selbstregulierung“ entschieden. Eine Mitwirkung staatlicher Institutionen war bis zum 31. Juli 2012 nicht vorgesehen. Seit 2009 waren Vertreter der Gesundheitsministerkonferenz nur ständige Gäste der sogenannten Prüfungs- und Überwachungskommission (PÜK). An den Prüfterminen, die im Rahmen einer Überprüfung in den Transplantationszentren stattfinden, haben die Behörden die Möglichkeit teilzunehmen. Die Hauptaufgabe der PÜK ist die Überprüfung von Allokationsauffälligkeiten. Dabei prüft sie in regelmäßigen Abständen stichprobenartig, ob die Vermittlungsentscheidungen der Stiftung Eurotransplant nach Maßgabe der gesetzlichen und vertraglichen Bedingungen und unter Einhaltung der Allokationsrichtlinien nach § 16 TPG sowie des Transplantationsgesetzes insgesamt erfolgt sind. Des Weiteren geht die Kommission Meldungen der Stiftung Eurotransplant oder von anderen Institutionen über Auffälligkeiten im Zusammenhang mit der Umsetzung von Vermittlungsentscheidungen nach. Die Überprüfung erfolgt für den Bereich der Organvermittlung regelmäßig auf Grundlage einer differenzierten Prüfung der Berichte der Vermittlungsstelle gemäß § 12 Absatz 4 Nummer 6 TPG. Im Rahmen der einzelnen Prüfungen werden die Verfahrensbeteiligten um schriftliche Stellungnahme beziehungsweise in Einzelfällen zu mündlichen Anhörungen gebeten. Die abschließende Stellungnahme und Beurteilung wird außer den Verfahrensbeteiligten erforderlichenfalls auch weiteren Institutionen Drucksache 21/6739 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 dann zugeleitet, wenn dies nach Auffassung der Kommission das allgemeine Patienteninteresse erfordert. Die Bundesärztekammer führt die Geschäfte dieses Gremiums. Die PÜK hat in der Vergangenheit bereits mehrfach Prüfungen am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) vorgenommen. Bei diesen Prüfungen gab es keine Beanstandungen. Bei zwei Prüfungen wurde die elektronische Aktenführung des UKE ausdrücklich als hervorragend gelobt. Im Jahr 2015 hat die PÜK mehrere Termine zur Überprüfung des Lungentransplantationsprogramms des UKE und der LungenClinic Grosshansdorf durchgeführt. Anfang des Jahres 2016 wurden die Behörden im Zuge dessen mit einem Schreiben der Prüfungs - und Überwachungskommission darüber informiert, dass Originalakten von Patienten nicht mehr auffindbar seien. Weitere Vorwürfe wurden in diesem Brief nicht geäußert. Daraufhin haben die zuständigen Behörden das UKE zur Stellungnahme aufgefordert. Sie haben mit dem UKE anschließend mehrere Gespräche mit dem Ziel geführt, den Sachverhalt umfassend aufzuklären. Darüber hinaus haben sich die Behörden über die Aktivitäten zum Auffinden der vermissten Akten und die Arbeiten der beiden Einrichtungen an einer förmlichen Kooperationsvereinbarung informieren lassen, mit der die Kooperationspartner die organisatorischen Abläufe in ihrer Zusammenarbeit, insbesondere den Austausch von (Papier-)Patientenakten, auf eine neue Basis gestellt haben. Diese Vereinbarung ist im Juni 2016 unterzeichnet worden. Das Universitäre Herzzentrum am UKE (UHZ) hat daneben eine sogenannte Standard Operating Procedure (SOP) zur „Vorstellung und Listung von Patienten zur Lungentransplantation“ erarbeitet, die ebenfalls zum Juni 2016 in Kraft getreten ist. Bis zur Veröffentlichung des PÜK-Berichts am 13. Oktober 2016 hatten die zuständigen Behörden keine Anhaltspunkte dafür, dass die PÜK die Dokumentationsmängel als so gravierend einschätzen würde, dass sie hieraus den Verdacht der Unterdrückung und der Veränderung allokationsrelevanter Krankenunterlagen formulieren würde. Unmittelbar nach Bekanntwerden des Berichts wurde das UKE durch die zuständigen Behörden zur mündlichen und schriftlichen Stellungnahme aufgefordert. Außerdem haben sich die zuständigen Behörden davon überzeugt, dass die Staatsanwaltschaft Hamburg und die Hamburger Ärztekammer informiert waren. Zudem hat die BGV umgehend die für die LungenClinic Grosshansdorf (LCGH) zuständige Behörde in Schleswig-Holstein informiert. Eine schriftliche Stellungnahme des UKE zu dem abschließenden Bericht der PÜK liegt seit Anfang November 2016 vor. Der Staatsanwaltschaft Hamburg, die ein Ermittlungsverfahren eröffnet hat, wurden Unterlagen zur Verfügung gestellt. Derzeit werden durch die Behörden die Stellungnahmen ausgewertet sowie aufsichts- und/oder berufsrechtliche Maßnahmen geprüft. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen teilweise auf der Grundlage von Auskünften des UKE wie folgt: 1. Wie nimmt der Senat seine Überwachungspflichten gegenüber dem Transplantationszentrum wahr? Bitte detailliert beschreiben. Siehe Vorbemerkung. 2. Weshalb konnten die Unregelmäßigkeiten im UKE jahrelang unentdeckt bleiben? Die PÜK arbeitet selbständig und unabhängig. Sie legt den Zeitpunkt der Prüfungstermine und die Zeiträume, die überprüft werden, fest. Den maßgeblichen Prüfungszeitraum der Jahre 2010 bis 2012 hat sie im Jahr 2015 überprüft und den Bericht am 13. Oktober 2016 veröffentlicht, im Übrigen siehe Vorbemerkung. 3. Wann genau haben die zuständigen Behörden Kenntnis bekommen vom Prüfbericht der PÜK? Bitte Datum der Kenntnisnahme angeben. Siehe Drs. 21/6715. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/6739 3 4. Wann genau und wie oft haben die zuständigen Behörden das UKE zur schriftlichen und mündlichen Stellungnahme aufgefordert? Bitte die Aufforderungen mit Datum und Namen der Behörde versehen. Siehe Drs. 21/6715. 5. Für welchen Zeitpunkt planten die Behörden die Bürgerschaft und die Öffentlichkeit über den Prüfbericht und die daraus folgenden Schritte zu informieren? Siehe Drs. 21/6715 und Drs. 21/6738. 6. War die Überprüfung des Lungentransplantationsprogramms des UKE durch die PÜK anlasslos oder anlassbezogen? Falls sie anlassbezogen war, welches war der Anlass? Die Prüfung des Lungentransplantationsprogramms des UKE erfolgte ohne Anlass und im Rahmen der regelhaften Überprüfung. 7. Gab es seit 2012 weitere Überprüfungen des PÜK bei den anderen Transplantationsprogrammen des UKE (Herz, Niere, Leber, Pankreas)? Bitte auflisten nach Datum, Anlass, Bezeichnung der Organe, die Gegenstand der Programme sind, und Bezeichnung des konkreten Organtransplantationsprogramms. Im September 2012 wurde das Lebertransplantationsprogramm geprüft. Es gab keine Beanstandungen. Im Februar 2014 wurden das Nieren- und das Pankreastransplantationsprogramm geprüft. Es gab keine Beanstandungen. Die systematische Einführung der elektronischen Patientenakte wurde als beispielhaft bezeichnet und ausdrücklich gelobt. Auch das Herztransplantationsprogramm wurde im April 2014 ohne Beanstandungen geprüft. Die Prüfungen erfolgten ohne Anlass und im Rahmen der regelhaften Überprüfung. 8. In welcher Weise tragen die zuständigen Behörden (als Aufsichtsbehörde beziehungsweise als zuständige Behörde laut Transplantationsgesetz ) dafür Sorge, dass bei einer Überprüfung durch die PÜK alle erforderlichen Unterlagen bereitgestellt und alle erforderlichen Auskünfte erteilt werden, so wie es in § 12 Absatz 5 Transplantationsgesetz festgeschrieben ist? Die Verantwortung für die Bereitstellung der erforderlichen Unterlagen und Erteilung der Auskünfte bei einer Überprüfung durch die PÜK liegen bei den Transplantationszentren . 9. Weshalb wurde der Prüfungs- und Überwachungskommission ein Teil der Patienten-/-innenakten nicht zur Verfügung gestellt? Siehe Drs. 21/6715. 10. Hat der Senat Erkenntnisse darüber, ob in allen überprüften Fällen das Sechs-Augen-Prinzip bei der Aufnahme der Patienten/-innen auf die Wartelisten angewandt wurde? Ungeachtet der auch damals hohen Sorgfaltsanforderungen wurde das als „Sechs- Augen-Prinzip“ bezeichnete Verfahren erst im Jahr 2013, also nach dem hier in Rede stehenden Prüfungszeitraum, aufgrund einer Änderung der „Richtlinien zur Organtransplantation gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG“ der Bundesärztekammer eingeführt . 11. Veranlasst die Behörde Maßnahmen der Qualitätssicherung? Wenn ja, welche? Wenn nein, wird und wenn ja, wie auf andere Weise auf das UKE eingewirkt ? Drucksache 21/6739 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Siehe Vorbemerkung sowie Drs. 21/6715. 12. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Bundesärztekammer haben eine Empfehlung erarbeitet, die unter anderem festlegt, dass in Zielvereinbarungen mit leitenden Ärzten/-innen keine finanziellen Anreize für einzelne Operationen und Leistungen vereinbart werden dürfen, um die Unabhängigkeit der medizinischen Entscheidung zu sichern. Genügen die Zielvereinbarungen, die das UKE seit April 2013 geschlossen hat, diesen Anforderungen? Ja. 13. Wurden Zielvereinbarungen geschlossen, die diesen Anforderungen nicht genügen? Wenn ja, welche Funktionen hatten die Betroffenen inne? In welchen Leistungsbereichen wurden welche Zielvereinbarungen geschlossen? Bitte zusätzlich den Link zum Qualitätsbericht des UKE und die entsprechende Textstelle angeben. Nein. Der Qualitätsbericht des UKE findet sich unter folgendem Link: https://g-ba-qualitaetsberichte.de/api/records/e577e189-5943-46fa-b681- 512de5e0008d/pdf. Der Link zum Qualitätsbericht des Universitären Herzzentrums Hamburg GmbH lautet: https://g-ba-qualitaetsberichte.de/api/records/b6e2caa5-1eed-476f-b7d2- 67ce1af96b8c/pdf. 14. Vertreter/-innen der Länder, in denen ein Transplantationszentrum seinen Sitz hat, werden an den Prüfungen beteiligt. In welcher Form findet in Hamburg die Beteiligung des Landes statt? Bitte detailliert beschreiben . Die BGV wird regelhaft zu den Prüfterminen der PÜK der beiden in Hamburg ansässigen Transplantationszentren eingeladen und hat die Möglichkeit der beobachtenden Teilnahme. 15. Eine unangekündigte Prüfung durch die PÜK erfolgt mindestens einmal in drei Jahren. Bei der Überprüfung des UKE wurden 2016 Vorfälle aus dem Jahr 2010 veröffentlicht. Wie schätzt der Senat die Angemessenheit der Prüfzeiträume ein, auch hinsichtlich etwaiger Verjährungsfristen von Straftaten und vor allem Ordnungswidrigkeiten? Die strafrechtliche Verjährung von Taten nach dem TPG tritt gemäß § 78 Absatz 3 StGB frühestens nach drei Jahren ein, mit Ausnahme des gewerbsmäßigen Organhandels nach § 18 Absatz 2 TPG, bei dem eine Verjährung frühestens nach fünf Jahren eintritt. Der Beginn, das Ruhen und die Unterbrechung des Laufs der Verjährung, die die genannten Fristen in der Regel erheblich verlängern, hängen von vielen Umständen ab, die im Einzelfall zu prüfen sind. Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten nach dem TPG verjährt gemäß § 31 Absatz 2 Nummer 1 OWiG frühestens in drei Jahren, da sie mit einer Geldbuße von mehr als 15.000 Euro bedroht sind. Es gelten auch hier die üblichen Vorschriften hinsichtlich des Ruhens und der Unterbrechung der Verfolgungsverjährung. Im Übrigen hat der Senat auf die Gestaltung der Prüfzeiträume keinen Einfluss. 16. Wie viele Transplantationen hat es im Zeitraum zwischen 2010 und 2016 im UKE gegeben? Bitte nach Kalenderjahren und Organen aufschlüsseln . Für die Jahre 2010 bis 2015 wird auf die Tätigkeitsberichte/Qualitätsberichte der Transplantationszentren verwiesen, die auf der Website der DSO veröffentlicht sind (www.dso.de). Im Übrigen siehe Drs. 21/6738. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/6739 5 17. Wie hat sich die Anzahl der Organspenden im Zeitraum zwischen 2010 und 2016 in Hamburg entwickelt? Bitte nach Kalenderjahren und Organen aufschlüsseln. Siehe Antwort zu 16.