BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/6813 21. Wahlperiode 29.11.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Deniz Celik, Martin Dolzer und Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 21.11.16 und Antwort des Senats Betr.: Berlin streicht Merkmal „ANST“ (ansteckend) in Polizeidatenbank INPOL – Wann folgt Hamburg? Im neuen Berliner Koalitionsvertrag heißt es auf Seite 200: „Die personengebundene Hinweise „geisteskrank“, „ansteckend“ und „BTM“ in der Polizeidatenbank werden gestrichen. Dafür können zum Schutz der Polizeibeamtinnen und -beamten Hinweise über Gewalttätigkeit notiert werden.“ Die Deutsche Aidshilfe forderte schon in ihrer Münchner Erklärung vom 25.10.2015, die Kennzeichnung HIV-Positiver zu beenden, weil sie zur Stigmatisierung beiträgt und gleichzeitig unwirksam ist zum Schutz von Polizeibediensteten. Das Merkmal ANST für ansteckend ist ein personengebundener Hinweis (PHW) in der Polizeidatenbank INPOL und soll dem Schutz der Betroffenen, der Eigensicherung der Polizeibediensteten sowie in Einzelfällen der Gewinnung von Ermittlungshinweisen und dem Schutz Dritter dienen. In der Drs. 17/8030 des Bayerischen Landtags heißt es, dass im bundeseinheitlichen PHW- Leitfaden (Stand 20.08.2012) das Merkmal ANST nur bei Hepatitis B, Hepatitis C und HIV vergeben wird. In derselben Drucksache heißt es, die Vergabekriterien seien unter anderem unter Beteiligung des Robert Koch-Instituts und des Bundesgesundheitsministeriums zustande gekommen. Zum Stichtag 30.03.2016 war im Hamburger Datenbestand 450 Mal das Merkmal ANST vergeben worden (Drs. 21/3805). Die diesjährige Kampagne #positivzusammenleben der Deutschen Aidshilfe, des Bundesgesundheitsministeriums und Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung thematisiert die Stigmatisierung und Diskriminierung HIV-positiver Menschen mit Slogans wie „Mit HIV kann ich leben. Mit Panikmache nicht.“ oder „Mit HIV kann ich leben. Mit dem ewigen Verstecken nicht.“. Eine Kennzeichnung von Personen mit HIV, Hepatitis B und C fördert aber geradezu eine Panikmache und führt dazu, dass infizierte Menschen sich gedrängt fühlen, ihre Infektion geheim zu halten Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Die Polizei hat aufgrund ihrer Aufgabenstellung eine Vielzahl von Kontakten mit Personen in unterschiedlichsten Lebenssituationen. Hierbei ist der eigene polizeiliche Anspruch, aus den verschiedenen Lebensumständen von Personen keine Stigmatisierung abzuleiten. Eine Diskriminierung von Personen widerspricht dem polizeilichen Selbstverständnis, nachdem lediglich das Verhalten einer Person in ordnungswidrigkeiten- oder gefahrenrechtlicher Hinsicht Beurteilungsgestand ist. Aus der Aufgabenstellung der Polizei heraus ist jedoch auch Verpflichtung, die Kenntnis vor spezifischen Gefährdungsumständen, die im Kontakt mit einzelnen Personen Drucksache 21/6813 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 für Polizeibedienstete, Opfer von Straftaten oder Zeugen entstehen können, zu nutzen , um diese Gefahren zu reduzieren. In diesem Sinne ist auch der Personengebundene Hinweis Ansteckungsgefahr (PHW ANST) zu verstehen. Am 22. November 2016 war dieses Merkmal im Datenbestand INPOL der Hamburger Polizei dreißig Mal vergeben (eine Auswertung zum 21. November 2016 ist retrograd nicht möglich). Das Merkmal wird ausschließlich aufgrund gesicherter Erkenntnisse durch ärztliche Atteste oder entsprechender ärztlicher Unterlagen (Gesundheitsamt, Verwaltungsbehörde, Justizvollzugsanstalt und Ähnliche) oder dem Betroffenen selbst aufgenommen. Die geringe Anzahl macht die restriktive Vergabe dieses Merkmals deutlich. Ein Wegfall dieses Merkmals würde die Möglichkeit, sich im Rahmen eines Einsatzes präventiv auf die Gefahrensituation einzustellen oder nach einem Einsatz sehr zeitnah die erforderlichen Maßnahmen zur Infektionsprophylaxe oder Nachsorge einzuleiten, deutlich verschlechtern und damit den Schutz der Polizeibediensteten, der Opfer von Straftaten oder von Zeugen verschlechtern. Eine andere Beurteilung kann sich nur aus einer geänderten medizinischen Bewertung der grundsätzlichen Infektionsrisiken dieser Infektionen ergeben. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Ist es zutreffend, dass in Hamburg das Merkmal ANST ausschließlich bei einer Infektion mit Hepatitis B, Hepatitis C und HIV vergeben wird? Falls nein, bei welchen weiteren Infektionen wird das Merkmal ANST vergeben? Ja. 2. Wie viele Personen sind zum Stichtag 21.11.2016 aufgrund welcher Infektion im Hamburger Datenbestand registriert? Bitte tabellarisch auflisten . 3. Wie viele Personen sind jeweils aufgrund welcher Infektion durch die Stadt Hamburg erfasst worden? Siehe Vorbemerkung. Darüber hinaus wird die Art der Infektion nicht erfasst. 4. Wird auch bei Personen das Merkmal ANST vergeben, die nicht ansteckend sind, weil ihre Viruslast unter der Nachweisgrenze liegt? Wenn ja, warum? Nein. Zur Vergabe des Merkmals ANST ist es erforderlich, dass die Hinweise von einem Arzt oder einer anderen öffentlichen Stelle auf der Grundlage eines ärztlichen Attestes oder einer entsprechenden ärztlichen Unterlage (Gesundheitsamt, Verwaltungsbehörde , Justizvollzugsanstalt und Ähnliche) oder dem Betroffenen selbst vorliegen . Im Übrigen siehe Vorbemerkung und Antwort zu 1. 5. Bei wie vielen Polizeibediensteten kam es bis zum Stichtag 21.11.2016 im Polizeidienst zu einer Infektion mit HIV, Hepatitis B oder Hepatitis C? Der Polizei liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. 6. Bei wie vielen Polizeibediensteten kam es in der Vergangenheit im Polizeidienst zu einer Situation, in der eine Infektion mit HIV, Hepatitis B und C möglich gewesen wäre (Risikokontakt), ohne dass tatsächlich eine Infektion erfolgte? Wie viele von diesen Risikokontakten erfolgten mit Personen mit dem Merkmal ANST? Die Polizei führt keine Statistik im Sinne der Fragestellung. Den Beschäftigten der Polizei stehen nach infektiösen Kontakten mehrere Institutionen als Anlaufstellen zur Verfügung. So können unter anderem das Institut für Rechtsmedizin, der Ärztliche Dienst der Polizei sowie Hausärzte die weitere Beratung und Diagnostik übernehmen. Insofern können keine Angaben zur Häufigkeit der in den Fragen benannten Ereignisse getätigt werden. Der Senat würde von Infektionen oder Risikokontakten mit den genannten Krankheiten lediglich im Wege einer Dienstunfallmeldung Kenntnis erlangen, sofern betroffene Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/6813 3 Polizeibedienstete solche Meldungen fertigen. Dienstunfallmeldungen liegen aufgrund gesetzlicher Löschfristen ab dem Jahre 2013 vor1. Von Bediensteten der Polizei werden jährlich circa 1.100 Dienstunfallmeldungen gefertigt. Diese Akten müssten zu Beantwortung im Sinne der Fragestellung händisch ausgewertet werden. Dies ist in der zur Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 7. Wie viele Polizeibedienstete nahmen aufgrund so einer Risikosituation dienstärztliche Untersuchungen oder Behandlungen in Anspruch (zum Beispiel Postexpositionsprophylaxe gegen HIV)? Der Anlass von dienstärztlichen Untersuchungen und Behandlungen unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht. Im Übrigen siehe Antwort zu 5. 8. Welche möglichen Risikosituationen liegen den Vergabekriterien für das Merkmal ANST im PHW-Leitfaden zugrunde? Risikosituationen liegen vor, wenn Einsatzkräfte, Opfer von Straftaten oder Dritte Kontakt mit Blut, Körperflüssigkeiten oder Ausscheidungen einer infizierten Person haben und damit die Gefahr einer Infektion gegeben ist. 9. Wie schätzt der Senat die Gefahr der Stigmatisierung von Betroffenen durch das Merkmal ANST ein? 10. Inwiefern hält der Senat die Beibehaltung des PHW „ansteckend“ weiterhin für notwendig und gerechtfertigt? Was spricht aus Sicht des Senats dafür? Was dagegen? Liegt ein PHW ANST vor, wird diese Information, abhängig von der jeweiligen Situation und unter Betrachtung der näheren Umstände, in die Auswahl der taktischen und verhältnismäßigen Maßnahmen einbezogen. Der PHW ANST versetzt Einsatzkräfte in die Lage, in bestimmten Fällen auf eine belegte Infektionsgefahr zu reagieren und eine erhebliche Gesundheitsgefahr zu minimieren. Bei Wegfall des PHW ANST entfällt diese Möglichkeit. Als Folge kommt beispielhaft in Betracht, dass vorhandene Schutzausrüstung (Handschuhe, Mundschutz, Spuckschutzhaube et cetera) zu spät oder nicht angelegt wird, eine sofortige Desinfektion unterbleibt oder Fachärzte erst im Nachhinein oder überhaupt nicht zu Rate gezogen werden. Um das Infektionsrisiko minimieren zu können, ist es aus Sicht der zuständigen Behörde unabdingbar, den PHW ANST auch weiterhin in den Auskunftssystemen zu führen. Gründe, die dagegen sprechen, sind nicht erkennbar. 11. Gibt es Pläne des Senats, das Merkmal ANST zu streichen? Wie lauten diese Pläne? Nein. 1 Anerkannte Dienstunfälle mit daraus resultierenden Versorgungszahlungen liegen bis zu fünf Jahre nach der letzten Zahlung vor.