BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/6852 21. Wahlperiode 02.12.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Daniel Oetzel (FDP) vom 24.11.16 und Antwort des Senats Betr.: Verdacht auf Betrug im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) Der aktuellen Berichterstattung zufolge hat ein Mitarbeiter des ASD im Bezirk Mitte über Jahre Hunderttausende Euro zulasten von hilfebedürftigen Kindern und der Steuerzahler bereits seit dem Jahr 2004 fortlaufend veruntreut. Auch wenn die Unschuldsvermutung bis zum Beweis der Schuld gilt, wirft der Vorwurf ein Schlaglicht auf Problemlagen in den Allgemeinen Sozialen Diensten. Nach den tragischen Fällen von verstorbenen Kindern unter Aufsicht des ASD in den letzten Jahren (Jessica, Lara Mia, Chantal, Michelle, Yagmur oder Tayler) wurden intensive Untersuchungen an den Abläufen, Strukturen und Prozessen in den Allgemeinen Sozialen Diensten der Freien und Hansestadt Hamburg durchgeführt, welche auch eine Überprüfung von noch aktiven Fällen beinhaltete. Ferner wurden unterschiedliche Regelungen geändert und angepasst, welche unter anderem den gegenseitigen kollegialen Austausch zur Vermeidung von Fehlern in der Lagebeurteilung stärker als Feedbackoption in den Mittelpunkt rückten. Der aktuelle Verdacht lässt Zweifel daran aufkommen, dass die Prozesse ausreichend optimiert wurden beziehungsweise lässt vermuten, dass die Umsetzung der Prozesse noch immer fehlerhaft ist. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die erfragten Daten sind Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen. Der Senat nimmt hierzu öffentlich keine Stellung, um den Erfolg der Ermittlungen nicht zu gefährden. Im Übrigen siehe Drs. 21/6847. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Ist das aktuelle Szenario aus der Sicht des Senats beziehungsweise der zuständigen Behörde plausibel? Wenn ja, aus welchem Grund gab es keine Mechanismen, die eine derartige Fehlverwendung von Mitteln verhindert hätten? Wenn nein, warum nicht? Es gibt bezogen auf die Gewährung von Hilfen nach dem SGB VIII zahlreiche Mechanismen , um betrügerische Handlungen zu verhindern. Im Übrigen siehe Vorbemerkung und Drs. 21/6847. Darüber hinaus nimmt der Senat zu laufenden Ermittlungsverfahren grundsätzlich keine Stellung. Drucksache 21/6852 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 2. Wie kam der Verdacht auf, dass ein Mitarbeiter des ASD in einem und/ oder mehreren Fällen Hilfen zur Erziehung für nicht existierende Kinder beantragt und mithilfe eines ebenfalls erfundenen Trägers abgerufen haben könnte? Kam der Verdacht während des regelhaften Ablaufs eines festgelegten Prozesses auf? Wenn ja, während des Ablaufs welchen Prozesses? Wenn nein, warum nicht? Der Verdacht wurde durch Hinweise zweier Mitarbeiter des Bezirksamts Hamburg- Mitte an die Dienststelle Interne Ermittlungen ausgelöst. Im Übrigen siehe Vorbemerkung . 3. Wie oft und mit welchem Ergebnis hat die unabhängige Jugendhilfeinspektion fallunabhängige oder fallabhängige Untersuchungen im Jugendamt Hamburg Mitte durchgeführt? Welche Gründe sind nach Ansicht des Senats ursächlich dafür, dass fiktive Kinder bei den Untersuchungen der Jugendhilfeinspektion nicht identifiziert werden konnten? Die Jugendhilfeinspektion hat zu Beginn ihrer Tätigkeit eine von zwei Pilotuntersuchungen im Bezirksamt Hamburg-Mitte durchgeführt, siehe hierzu Drs. 20/13714. Zu Arbeitsweise und Beauftragung der Jugendhilfeinspektion siehe Drs. 20/13050. 4. Wie viele kollegiale Beratungen haben in den Fällen, die mutmaßlich auf fiktiven Kindern beruhen, stattgefunden? Welche Gründe sind nach Ansicht des Senats ursächlich dafür, dass fiktive Kinder im Rahmen von kollegialen Beratungen nicht identifiziert werden konnten? 5. Warum wurden durch die Kontrolle der Abteilung Wirtschaftliche Jugendhilfe unnötige Hilfemaßnahmen nicht identifiziert? 6. Betreute der Tatverdächtige neben den möglicherweise fiktiven Kindern auch reale Kinder? Wenn ja, konnte eine Fallübergabe an andere ASD-Mitarbeiter erfolgen? Wenn nein, warum nicht? Wenn nein, bis wann kann eine reibungslose Fallübergabe realisiert werden? 7. Hätten diese Unregelmäßigkeiten bei den Evaluationen der ASD im Zusammenhang mit den internen Untersuchungen bei den Fällen Jessica , Lara Mia, Chantal, Michelle, Yagmur oder Tayler entdeckt werden können? Wenn ja, warum wurden sie nicht entdeckt? Wenn nein, warum nicht? Siehe Vorbemerkung. 8. Welche Kontrollen muss ein freier Träger durchlaufen, der im Rahmen der Hilfen zur Erziehung tätig werden will? a. Durch wen finden die Kontrollen statt? b. Finden in regelmäßigen Abständen Überprüfungen von freien Trägern statt, welche im Rahmen der Hilfen zur Erziehung tätig werden und öffentliche Gelder beziehen? Es ist zu unterscheiden zwischen (teil-)stationären und ambulanten Angeboten: Für (teil-)stationäre Angebote ist ein Betriebserlaubnisverfahren gemäß §§ 45 fortfolgende SGB VIII Voraussetzung. Darüber hinaus führt die Trägerberatung und Aufsicht der zuständigen Fachbehörde nach den Erfordernissen des Einzelfalls örtliche Prüfungen gemäß § 46 SGB VIII durch. Im Rahmen der ambulanten Angebote sind gemäß § 77 SGB VIII Vereinbarungen über die Höhe der Kosten der Inanspruchnahme zwischen der öffentlichen und der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/6852 3 freien Jugendhilfe anzustreben. In diesem Rahmen prüft die zuständige Fachbehörde die erforderlichen Voraussetzungen, insbesondere die Vorlage von Nachweisen über die fachlichen Qualifikationen der Leitungs- und Betreuungskräfte, die erweiterten Führungszeugnisse aller Beschäftigten, Betriebsgründung, Anmeldung bei der zuständigen Arbeitsagentur und dem Finanzamt. In begründeten Verdachtsfällen führt diese Stelle zudem Leistungsüberprüfungen durch. Für die oben genannten Angebote werden standardisierte Leistungen für einen wechselnden Personenkreis in Leistungsvereinbarungen durch die zuständige Fachbehörde festgelegt. Kann der individuelle Bedarf auf Grundlage dieser Vereinbarungen nicht gedeckt werden, können die Jugendämter mit freien Trägern oder Einzelpersonen sogenannte Einzelvereinbarungen auf Basis der individuellen Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII abschließen. Im Rahmen dieser Einzelvereinbarungen prüft die bezirkliche Angebotsberatung die erforderlichen Unterlagen (zum Beispiel Leistungsbeschreibung , Betriebserlaubnis, polizeiliches Führungszeugnis und so weiter) und übersendet sie anschließend der Regionalleitung für die fallzuständige Fachkraft zur Unterzeichnung . Regelhafte Überprüfungen der Maßnahmen finden im Rahmen der turnusmäßigen Hilfeplangespräche und gegebenenfalls kollegialen Beratungen unter Einbeziehung der zuständigen Abteilungsleitung im Allgemeinen Sozialen Dienst statt. c. Wie weist ein Träger, der im Rahmen der Hilfen zur Erziehung tätig wird, die Mittelverwendung nach? Ein Bericht des Trägers zu den erbrachten Leistungen ist regelhafter Bestandteil der turnusgemäßen Hilfeplangespräche. Hilfen zur Erziehung werden regelhaft über belegungsabhängige Entgelte nach §§ 77 und 78 a-g SGB VIII finanziert. Bei Einzelvereinbarungen erfolgt der Nachweis rechnungsbasiert. Bei Maßnahmen gemäß §§ 30 und 31 SGB VIII werden zusätzlich Kontaktnachweise zwischen dem Beauftragten und den Klienten beim zuständigen Jugendamt des Bezirksamts vorgelegt . 9. Welche Stellen haben zu welcher Zeit den mutmaßlich ebenfalls involvierten Träger autorisiert? Siehe Vorbemerkung. 10. Kann ausgeschlossen werden, dass der mutmaßliche involvierte Träger auch reale Kinder betreut? Wenn ja, auf welche Weise? Wenn nein, welche Maßnahmen ergreift der Senat in dieser Hinsicht? Der Träger, gegen den ermittelt wird, ist im System JUS-IT gesperrt worden. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 11. Plant der Senat die Durchführung von Maßnahmen, um auszuschließen, dass in einem weiteren ASD in Hamburg fiktive Kinder abgerechnet werden ? Wenn ja, welche Maßnahmen ergreift der Senat? Wenn nein, warum nicht? Der Senat wird die Erkenntnisse aus den laufenden Ermittlungen zum Anlass nehmen zu prüfen, ob weitere Maßnahmen erforderlich sind. Im Übrigen siehe Vorbemerkung und Drs. 21/6847.