BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/686 21. Wahlperiode 12.06.15 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Sabine Boeddinghaus und Mehmet Yildiz (DIE LINKE) vom 04.06.15 und Antwort des Senats Betr.: Nachfragen zu Drs. 21/509: Zur Kindeswohlgefährdung Hamburger Minderjähriger in Einrichtungen der Jugendhilfeträgerin Barbara Janssen GmbH Die Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung Friesenhof betreibt in Dithmarschen mehrere Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Nach den mit den Anträgen auf Erteilung der Betriebserlaubnis vorgelegten Konzepten werden in diesen Einrichtungen ausschließlich Mädchen und junge Frauen betreut. Die Betreuung ist nach Einschätzung des Landesjugendamtes Schleswig- Holstein in einer Art Stufensystem organisiert, die das Durchlaufen aller drei Einrichtungen vorsieht. Mit Schreiben vom 18.02.15 teilte das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung in Schleswig-Holstein dem ASD Wandsbek mit, dass es am 30.01.15 der Jugendhilfeträgerin Frau Barbara Janssen („Friesenhof“ Büsum) für drei der von ihr betriebenen Jugendhilfeeinrichtungen – für Mädchen und junge Frauen sowie Mütter mit Kind – „Auflagen zur weiteren Gestaltung der Arbeit“ und die sofortige Vollziehung für „Campina“ in 25764 Wesselburenerkoog, „Mädchencamp Nanna“ in 25779 Wrohm und den „Charlottenhof“ in 25761 Hedwigenkoog verfügt hat. Aufgrund der Antwort des Hamburger Senats auf unsere Schriftliche Kleine Anfrage vom 26.5.2015 sind neue Fragen und Widersprüche aufgetaucht, die wir mit dieser Anfrage aufklären wollen. Außerdem haben im Laufe der Zeit nach Beantwortung der Anfrage neue Entwicklungen weitere Fragen aufgeworfen , die ebenfalls zu neuen Nachfragen führen. So hat das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung SchleswigHolstein in einer Medien-Information vom 2.6.2015 eine weitere unangemeldete Kontrolle am 1.6.2015 in zwei Jugendhilfeeinrichtungen des oben genannten Trägers durchgeführt und in einer Information vom 3. Juni erklärt, dass das Landesjugendamt Schleswig-Holstein beabsichtigt, diese Einrichtungen zu schließen. Weiterhin ist auch die Staatsanwaltschaft Itzehoe aufmerksam geworden und erklärt laut „taz“-Ausgabe Nord-hh vom 3.6.2015, dass sie Vorermittlungen durchführt, „ob sich Anhaltspunkte für verfolgbare Straftaten ergeben.“ Auch die Einlassungen des Trägers in den letzten Tagen führen zu neuen Fragen an den Hamburger Senat. Wir fragen den Senat: 1. In der Vorbemerkung zur Antwort auf unsere Schriftliche Kleine Anfrage Drs. 21/509 erklärt der Hamburger Senat, dass er erst durch unsere Anfrage auf die Vorgänge bei dem Träger aufmerksam geworden sei. Drucksache 21/686 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Auf dem Schreiben vom 18.2.2015, das an den Bezirk Wandsbek gegangen ist, befindet sich allerdings ein handschriftlicher Vermerk, der auch als Weiterleitung an die BASFI verstanden werden kann. Vor diesem Hintergrund die Frage: Wie ist der dort gemachte handschriftliche Vermerk zu verstehen? An wen wurde dieses Schreiben weitergeleitet? Das im Bezirksamt Wandsbek eingegangene Schreiben wurde per handschriftlicher Verfügung an BAS 10 weitergeleitet, die Leitung des Bezirklichen Angebots-Services. 2. In der Antwort auf unsere Fragen 1. – 3. der Schriftlichen Kleinen Anfrage erklärt der Hamburger Senat, dass er sich mit dem Fall noch nicht beschäftigt habe und deswegen keine Stellungnahme abgeben möchte. Vor dem Hintergrund der Ereignisse der vergangenen Tage fragen wir: Wie bewertet die Fachbehörde jetzt die Einrichtungen der Barbara Janssen GmbH? Wie bewertet der Senat das Vorgehen des Landesjugendamtes Schleswig-Holstein, insbesondere das Vorhaben vom 3.6.2015, zwei der Einrichtungen zu schließen? Welche Konsequenzen zieht der Senat für die Unterbringung weiterer Mädchen in diesen Einrichtungen? Für die Aufsicht über eine Einrichtung ist nach dem SGB VIII das Landesjugendamt (LJA) am Sitz der Einrichtung zuständig. Seine Entscheidungen bezüglich der Erteilung , der Überprüfung und Änderung sowie gegebenenfalls des Widerrufs der Betriebserlaubnis sind verbindlich und gelten für alle belegenden Jugendämter. Insofern ist angesichts der Entscheidung des zuständigen LJA Schleswig-Holstein, Einrichtungen der Barbara Janssen GmbH zu schließen, seitens der fallführenden Dienststellen eine Aktualisierung der jeweiligen Hilfeplanung für die betroffenen Minderjährigen erforderlich. Unabhängig davon hat die zuständige Hamburger Behörde den belegenden Jugendämtern bei Bekanntwerden der Vorwürfe nahegelegt, alle laufenden Hilfen in Einrichtungen der Barbara Janssen GmbH zu überprüfen. 3. In der Antwort auf unsere Frage 4. hat der Senat in der Anlage eine Liste von Maßnahmen zur Verfügung gestellt, die aus unserer Sicht unvollständig ist. So sollen sich laut Informationen des Trägers auch fünf Mädchen aus dem Bezirk Harburg in den Einrichtungen befinden. Vor diesem Hintergrund bitten wir um Aufklärung zu diesem Vorgang und um eine Ergänzung in Form der gelieferten Liste aus der Schriftlichen Kleinen Anfrage Drs. 21/509. In der Drs. 21/509 sind durch einen Übertragungsfehler nicht alle Fälle aus dem Bezirksamt Harburg aufgeführt worden; eine entsprechende Korrektur der Antwort des Senats ist inzwischen erfolgt. 4. Laut Medienberichten sind momentan 35 Kinder, Jugendliche und Jungerwachsene in den Einrichtungen der Barbara Janssen GmbH untergebracht , davon zehn aus Hamburg-Harburg und Wandsbek. Laut Information des Bezirkes Wandsbek befinden diese sich in der Einrichtung Charlottenhof . In der Liste der Anlage auf unsere Anfrage sind aber eine Maßnahme als Einrichtung Nanna und zwei als Dithmarscher Hof gekennzeichnet. Wir bitten um Aufklärung des Sachverhalts. Die Angaben des Bezirksamtes Hamburg-Wandsbek in der Drs. 21/509 beruhten auf einer Auswertung aus JUS-IT. Es hat sich im Nachhinein herausgestellt, dass in einem Fall der Wechsel in einen anderen Einrichtungsteil noch nicht in JUS-IT eingepflegt war. In einem zweiten Fall war der aktuelle Sachstand zum konkreten Unterbringungsort in JUS-IT nicht eindeutig zu identifizieren. Nach dem ermittelten aktuellen Sachstand ist von den zehn genannten Maßnahmen eine Hilfe inzwischen regulär beendet worden. Von den übrigen Jugendlichen sind sieben im Einrichtungsteil Charlottenhof und zwei im Einrichtungsteil Dithmarscher Haus untergebracht, die beide nicht von der Schließung betroffen sind. 5. In der Antwort auf Frage 6. listet der Senat sechs Beschwerdefälle aus dem letzten Jahr auf. In der Zwischenzeit ist bekannt geworden, dass es weitere Beschwerden schon in früheren Zeiten in Hamburg gab. So Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/686 3 berichtet in der „taz“ eine Frau in einem Leserbrief über einen Vorgang in Billstedt. Wir bitten um die Vervollständigung der Liste mit den Daten vor dem Februar 2014. Auch zu Vorfällen, die als beigelegt gelten. Eine erneute Abfrage in den Bezirksämtern ergab keine weitere Nennung von Beschwerdefällen. Der in der Frage erwähnte Vorgang in Billstedt ist dem dortigen Jugendamt nicht bekannt. 6. Für zwei Einrichtungen wird der Entzug der Betriebserlaubnis angekündigt . Wie bewertet der Senat diesen Vorgang? Müssen Betroffene aus diesen Einrichtungen in andere Maßnahmen übergeleitet werden? Bitte für jede/s einzelne Mädchen/junge Frau darlegen. Wird einer Einrichtung durch das zuständige LJA die Betriebserlaubnis entzogen, müssen für die dort untergebrachten Kinder und Jugendlichen im Rahmen der Hilfeplanung andere geeignete Einrichtungen gefunden werden. Im Übrigen siehe Antwort zu 2. 7. Das Jugendamt Schleswig-Holstein hat unter anderem in seiner MedienInformation vom 3.6.2015 erklärt, dass es schon seit längerer Zeit Beschwerden gegeben hat. Vor diesem Hintergrund fand auch seit Längerem keine Belegung mehr durch das Land Schleswig-Holstein statt. Haben der Hamburger Senat und die zuständigen Jugendämter der Bezirke Kenntnis von dieser Haltung gehabt? Wie beurteilt der Senat diese Information? Hat das Konsequenzen für die Bezirke Wandsbek und Harburg beziehungsweise für zukünftige Belegungen? Wenn ja, welche? Wenn nein, aus welchem Grund nicht? Den Hamburger Jugendämtern war die Belegungspraxis der Jugendämter in Schleswig -Holstein nicht bekannt. Im Übrigen siehe Antworten zu 2. und zu 6. 8. In der Vorbemerkung auf unsere Schriftliche Kleine Anfrage Drs. 21/509 erklärt der Senat, dass diese Missstände „offensichtlich durch einzelne Mitarbeiter verursacht“ wurden, die „zum großen Teil inzwischen nicht mehr in der Einrichtung beschäftigt seien.“ Wie viele Mitarbeiter wurden aufgrund der Vorfälle entlassen? Warum sind nicht alle Mitarbeiter entlassen ? Welches Gefahrenpotenzial sieht der Senat aufgrund der Tatsache , dass nicht alle verantwortlichen Mitarbeiter entlassen wurden? Welche Erklärung hat der Senat, dass sich so ein System scheinbar über Jahre hat halten können? Gibt es Erkenntnisse, dass Mitarbeiter, die nicht an diesen in den Auflagen festgehaltenen Praktiken beteiligt waren, dazu geschwiegen haben? Wenn ja, welche? Wenn nein, wie war es möglich, dass das niemand der Mitarbeiter/-innen bemerkt hat? Der Senat hat in der zitierten Antwort Auskünfte des Landesjugendamts SchleswigHolstein wiedergegeben. Er sieht im Übrigen davon ab, sich zu Angelegenheiten in Zuständigkeit eines anderen Landes zu äußern. Im Übrigen siehe Antwort zu 2. 9. Wie war und ist die Einstellungspraxis für das Personal in und für die Einrichtungen des Trägers? Wie viele Personen sind dort mit welchen beruflichen Qualifikationen beschäftigt? Wie viele davon sind Frauen? Darüber liegen dem Senat keine Informationen vor. Im Übrigen siehe Antworten zu 2. und zu 8. 10. In der Antwort auf Frage 9. Der Schriftlichen Kleinen Anfrage Drs. 21/509 wird erklärt, dass der Bezirk Mitte nach eigenen Angaben keine aufsuchende Begleitung praktiziert? Was sind die Gründe für diese Haltung? In dem in der Drs. 21/ 509 genannten Fall wurde vor der Durchführung weiterer Besuche der zuständigen Fachkräfte die Maßnahme bei dem Träger beendet. Drucksache 21/686 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 11. Das Bezirksamt Wandsbek wird in der Antwort auf die Fragen 12. und 13. mit der Haltung widergegeben, dass „zusätzlich zu den stattfindenden Hilfeplangesprächen keine anlassbezogenen Gespräche geführt“ wurden, weil „die Auflagen des Landesjugendamtes Schleswig-Holstein als ausreichend angesehen werden.“ Gibt es eine geänderte Haltung vor dem Hintergrund der neuerlichen Entwicklung beim Bezirk Wandsbek? Das Bezirksamt Wandsbek überprüft die Hilfeplanung gemäß § 36 SGB VIII zeitnah vor Ort und wird sie den Erfordernissen anpassen. Im Übrigen siehe Antwort zu 2. 12. Wird vor dem Hintergrund der Entwicklung über die Herausnahme der Betroffenen aus den anderen, nicht durch das LJA SH geschlossenen Einrichtungen des Trägers nachgedacht? Gibt es dazu Planungen? Sechs Bezirksämter sind davon nicht betroffen, da sie in den genannten Einrichtungen keine Jugendlichen untergebracht haben. Für das Bezirksamt Wandsbek siehe Antwort zu 11. 13. In den Antworten auf die Fragen 7. und 8. hatten wir Fragen zum pädagogischen Konzept gestellt. Insbesondere hatten wir nach pädagogischen Methoden gefragt, die die betroffenen Mädchen erniedrigen und nach der Zuweisung von „Patinnen“ in den Einrichtungen. Der Senat hat auf ein Ersuchen auf Aktenvorlage nach Artikel 30 der Verfassung der Hansestadt Hamburg verwiesen. Inzwischen wird die öffentliche Diskussion zu diesen Punkten geführt. Das LJA SH hat diese Praktiken untersagt . Wie stellt sich der Hamburger Senat zu diesen beiden Punkten insbesondere im Rahmen der fachlichen Diskussion um die UNKinderrechtskonvention und des SGB VIII? Der Senat sieht davon ab, sich zu Angelegenheiten in Zuständigkeit eines anderen Landes zu äußern. Im Übrigen siehe Antwort zu 2. 14. In der Vergangenheit hat es immer wieder Probleme mit der Aufsicht bei der auswärtigen Unterbringung gegeben. Die „Haasenburg“ ist ein Beispiel für diese Probleme. Dabei ist die auswärtige Unterbringung an sich schon in der fachlichen Kritik und wird nur in wenigen Ausnahmen für richtig gehalten. Alle Senate haben daher versucht, die auswärtige Unterbringung zu reduzieren. In der Praxis ist das nicht gelungen. Aus der Antwort auf die Schriftliche Kleine Anfrage Drs. 21/193 geht hervor, dass die auswärtige Unterbringung in absoluten Zahlen weiter gestiegen ist und nur prozentual weiter abnimmt. Wie beurteilt der Senat diese Entwicklung bei der auswärtigen Unterbringung? Was gedenkt er zu tun? Wie wird in diesem Zusammenhang die Planung einer geschlossenen Einrichtung außerhalb Hamburgs gesehen? Wie weit sind die gemeinsamen Planungen mit dem Bundesland Bremen? Hamburg bevorzugt im Grundsatz die wohnortnahe Unterbringung von Kindern und Jugendlichen. In begründeten Fällen ist eine Unterbringung außerhalb Hamburgs fachlich geboten. In jedem Einzelfall wird im Rahmen einer sorgfältigen Hilfeplanung die geeignete Einrichtung gesucht. Allerdings haben Engpässe auf dem Hamburger Wohnungsmarkt sowie der dramatisch angestiegene Zustrom unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge dazu geführt, dass zurzeit deutlich zu wenig frei werdende Plätze für stationäre Erziehungshilfen in Hamburg zur Verfügung stehen. Zu den Planungen einer geschlossenen Einrichtung mit dem Land Bremen siehe Drs. 21/157 und 21/656. 15. In der Frage 15. hatten wir gefragt, ob die zuständigen Behörden der Freien und Hansestadt Hamburg erwägen, die Staatsanwaltschaft aufzufordern , zu prüfen, ob die offensichtlich unhaltbaren Zustände und die schweren, menschenrechtsverletzenden Eingriffe in die Rechte der Betreuten einen Anfangsverdacht auf Straftaten begründen. Wie beurteilt der Senat die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft Itzehoe jetzt ein Vorermittlungsverfahren führt? Welche Auswirkungen hat diese Tatsache auf die Frage der Herausnahme der betroffenen Mädchen, Jugendlichen Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/686 5 und Jungerwachsenen Frauen mit und ohne Kinder aus der gesamten Einrichtung? Der Senat sieht davon ab, sich zu Angelegenheiten in Zuständigkeit eines anderen Landes zu äußern. Im Übrigen siehe Antwort zu 2. 16. Nach Angaben der Behörde liegen der Fachbehörde die Konzeption der betroffenen Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen vor. Wir bitten diese als Anlagen beizufügen, damit vor dem Hintergrund der laufenden Fachdebatte eine fundierte Diskussion im Fachausschuss stattfinden kann. Siehe Drs. 21/509. 17. In der Antwort auf unsere Anfrage hat der Senat erklärt, dass die Probleme in der Einrichtung durch einzelne Mitarbeiter verursacht wurden. Wie beurteilt der Senat diese Vorkommnisse vor dem Hintergrund solcher Vorkommnisse in anderen Einrichtungen mit einem strafenden Stufenvollzug . Sieht der Senat einen Zusammenhang zwischen der Konzeption solcher Einrichtungen und der ausufernden Praxis solcher Einrichtungen ? Wenn ja, welcher Zusammenhang wird gesehen? Wenn nein, warum wird dieser Zusammenhang nicht gesehen? Siehe Antworten zu 2. und zu 8.