BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/692 21. Wahlperiode 12.06.15 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 05.06.15 und Antwort des Senats Betr.: Zum Einsatz der BfL/VE Iris P. – Widersprüche und ungeklärte Fragen Die letzte Innenausschusssitzung der vergangenen Legislaturperiode am 7.1.15 (Wortprotokoll 20/35) hat die Aufklärung um den Einsatz der BfL/VE Iris P. in den Jahren 2001 bis 2006 ein Stückchen weitergebracht, gleichzeitig aber neue Fragen aufgeworfen. Zudem wecken weitere Veröffentlichungen durch vom Einsatz Betroffene Zweifel, ob alle dem Innenausschuss vorgelegten Informationen der Überprüfung standhalten. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Am 3.11.2014 wurde der Einsatz einer in der linken Szene verdeckt ermittelnden Polizeibeamtin durch eine Dokumentation auf http://verdeckteermittler.blogsport.eu/ öffentlich gemacht, die Identität von „Iris Schneider“ enttarnt. Wann genau und durch wen hat der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde von der Enttarnung erfahren? Inwiefern trifft zu, dass sich die Behörde nicht erst ab November 2014, sondern bereits seit Mitte des letzten Jahres mit der Aufarbeitung des verdeckten Einsatzes von Iris P. befasste? Was genau war der Anlass für die Behörde, die Aufarbeitung zu beginnen? Die Aufrechterhaltung der Legende eines verdeckt eingesetzten Beamten ist vor, während und nach dem Einsatz ständige Aufgabe der betroffenen Dienststelle. Entsprechend werden alle Situationen, die zu einer Enttarnung führen könnten, fortlaufend bewertet. Von der faktischen Enttarnung der Beamtin hat die Polizei durch die Internetveröffentlichung vom 3. November 2014 erfahren. Danach begann die Befassung der Polizei mit dem acht Jahre zurückliegenden Sachverhalt zunächst im Rahmen einer insbesondere auf einsatztaktische Aspekte abzielenden polizeilichen Nachbereitung . Am 27. November 2014 setzte der Polizeipräsident im Auftrag des Präses der Behörde für Inneres und Sport eine Arbeitsgruppe (AG) mit dem Auftrag der Sachverhaltsaufklärung ein. 2. Mit ihrer Darstellung in der Innenausschusssitzung am 9.12.14 (etwa mit der Äußerung auf S. 47 des Wortprotokolls 20/34: „Aus den Unterlagen, die wir auffinden konnten, also den Berichten, die in den Unterlagen des Landesamtes für Verfassungsschutz noch vorhanden waren, ließen sich keine Hinweise entnehmen, dass die Beamtin im FSK redaktionell mitgearbeitet oder gezielt Informationen über das FSK gesucht hat.“) erweckten die Senatsvertreter den Eindruck, keine eigenen Erkenntnisse über die Mitarbeit der Polizeibeamtin im Radio FSK zu haben. Erst in der darauffolgenden Innenausschusssitzung im Januar 2015 gehen die Drucksache 21/692 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Senatsvertreter ausdrücklich von einer umfangreicheren Mitarbeit aus. Weiterhin informieren sie darüber, dass die Beamtin ihre VE-Führer und Vorgesetzen jeweils über ihre Mitwirkung im FSK informiert habe, dass sie mit den VE-Führern erörtert hat, ob sie den aus dem FSK an sie herangetragenen „Anliegen“ entsprechen solle und dass die Beamtin aus ihrer Mitwirkung beim FSK Informationen erlangt hat, die auch Eingang in die polizeiliche Lagebeurteilung gefunden hätten. Wie oft und wann genau wurden die Polizeibeamtin, ihre VE-Führer beziehungsweise -Führerinnen und ihre Vorgesetzten bisher zu dieser Problematik befragt, und ab wann genau verfügte die Behörde über die am 7.1.15 berichteten Informationen? Wurden die Befragungen protokolliert ? Über die in der Fragestellung zitierte Passage des Wortprotokolls hinaus wurde am 9. Dezember 2014 in der Sitzung des Innenausschusses (siehe Wortprotokoll des Innenausschusses Nummer 20/34, Seite 49, 2. Absatz) darauf hingewiesen, dass die Beamtin sich im Zusammenhang mit dem Rundfunksender „Freies Senderkombinat“ (FSK) möglicherweise weitergehend betätigt habe, als dies von ihrem Einsatzauftrag vorgesehen war, über den Themenkomplex FSK aber noch kein vollständiges Bild vorlag und weitere Befragungen durchgeführt werden sollten. Die Polizeibeamtin wurde innerhalb der strukturierten Aufarbeitung durch die AG in der Zeit von Dezember 2014 bis Juni 2015 insgesamt siebenmal befragt. Im Einzelnen erfolgten die Befragungen am 5. Dezember 2014, 6. Dezember 2014, 7. Dezember 2014, 17. Dezember 2014, 6. Januar 2015, 12. Februar 2015 und 8. Juni 2015. Die Befragungen wurden jeweils protokolliert oder durch Vermerk dokumentiert. Befragungen vor der Einrichtung der AG am 27. November 2014 wurden bedarfsorientiert durchgeführt und nicht protokolliert. Mit Vorgesetzten der Polizeibeamtin wurden vom Dezember 2014 bis Februar 2015 elf Befragungen durchgeführt. Die am 7. Januar 2015 berichteten Informationen wurden bis einen Tag vor der Innenausschusssitzung zusammengetragen. 3. Radio FSK veröffentlichte am 9.12.15 einen technisch vergleichsweise anspruchsvollen Jingle, der im Sommer 2004 von Iris P. produziert worden war und der zu dem erstmals ohne Anmeldung durchgeführten Schanzenfest aufrief, unter anderem mit der Formulierung „Nehmen wir uns die Straße!“ (http://www.freie-radios.net/68758.) a. Zu welchem Zeitpunkt waren die VE-Führer und Vorgesetzten von Iris P. davon informiert, dass sie den Jingle produziert? Vor oder nach der Produktion? b. Inwieweit waren Produktion und Inhalt mit den VE-Führern beziehungsweise -Führerinnen abgestimmt? c. Inwieweit waren über Iris P. hinaus Beamte oder andere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des LKA an der Produktion des Jingles direkt oder indirekt beteiligt? 4. Laut dem umfangreichen Dossier von re(h)v(v)o(l)te, am 8. Mai 2015 veröffentlicht auf http://rehvvollte.blogsport.eu/, fanden die festen monatlichen Redaktionstermine zur Planung dieser Sendung einmal monatlich in der Privatwohnung eines Redaktionsmitglieds statt. Iris P. nahm demzufolge regelmäßig teil. Auch wird berichtet, dass sie „bei vielen Gelegenheiten unsere Wohnungen betreten (hat), zum Teil mehrmals die Woche. Sie hat mit uns Tee getrunken, Musik gehört, gepuzzelt und geplaudert.“ Diese Informationen kollidieren mit den Auskünften der Behörde in der Innenausschusssitzung am 7.1.15, die Sendevorbereitungstreffen hätten in den Räumen des FSK oder zum Beispiel in einem Cafè stattgefunden und das Betreten von Wohnungen insgesamt sei nach Erinnerung der Beamtin „im Umfang sehr zurückhaltend“ gewesen. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/692 3 Ungefähr einmal im Monat habe es eine Wohnungsbetretung gegeben, will sich ein VE-Führer erinnern. a. Inwieweit und mit welchem Ergebnis hat die zuständige Behörde diese offensichtlichen Widersprüche aufgeklärt? Wurden Iris P. und/ oder ihre damaligen VE-Führer beziehungsweise -Führerinnen nach der Veröffentlichung des Dossiers dazu befragt? Wenn ja, mit welchem Ergebnis? Wenn nein, warum nicht? b. War das regelmäßige Betreten einer Privatwohnung zum Zweck der Beteiligung an Redaktionssitzungen mit den VE-Führern beziehungsweise -Führerinnen im Rahmen der „täglichen Auftragsplanung “ abgesprochen? c. Inwieweit hält die Behörde aus heutiger Sicht dieses regelmäßige Betreten einer Privatwohnung zur Vorbereitung einer Radiosendung und darüber hinaus zur Pflege sozialer Kontakte für rechtmäßig beziehungsweise gerechtfertigt zum Schutz oder zur Aufrechterhaltung der Tarnung? d. Auf welcher Rechtsgrundlage fand dieses regelmäßige Betreten statt? e. Inwieweit ist es nach heutiger Kenntnis des Senats beziehungsweise der zuständigen Behörde außer im Zusammenhang der Redaktion re(h)v(v)o(l)te zu weiteren Wohnungsbetretungen, regelmäßigen oder gelegentlichen, gekommen? 5. Im Dossier von re(h)v(v)o(l)te wird weiterhin dokumentiert, dass Iris im Zusammenhang ihrer verdeckten Ermittlungen auch an privaten Reisen teilnahm, zum Beispiel einem Theaterbesuch in Rostock („Mädchen in Uniform“) anlässlich einer Geburtstagsfeier. Waren dieser und andere „Ausflüge“, etwa zum Ladyfest in Bielefeld, mit den VE-Führern beziehungsweise -Führerinnen im Rahmen der „täglichen Auftragsplanung“ abgesprochen? Wenn ja, wie wurde ihre Beteiligung begründet? Wenn nein, wann hat die Behörde davon Kenntnis erhalten? Die Beamtin, die sich bisher in den Befragungen unter Hinweis auf die aus ihrer Sicht nicht abzusehende rechtliche Tragweite nicht umfänglich zu den erfragten Aspekten geäußert hatte, hat auf erneute Befragung hin, am 9. Juni 2015 weitere Angaben zur Sache gemacht. So teilte die Beamtin mit, dass sie im FSK gearbeitet und den betreffenden Jingle erstellt habe. Auch gibt sie an, Wohnungen ihres damaligen sozialen Umfeldes betreten und an Ausflügen teilgenommen zu haben. All dies sei zur Aufrechterhaltung ihrer Legende geschehen. Ihr Handeln sei jeweils mit ihrer VE-Führung abgesprochen gewesen, zudem habe sie auch mit anderen Vorgesetzten über ihre Tätigkeit gesprochen . Alle Wohnungsbegehungen seien durch sie dokumentiert oder gemeldet worden . Die nunmehr von der Beamtin gemachten Angaben gehen damit über das bisherige Maß, welches dem Innenausschuss vorgelegt wurde, hinaus. Sie stimmen mit den bislang vorliegenden Erkenntnissen nicht vollständig überein und bedingen weitere Nachfragen. Mit dem Ziel der soweit wie möglich vollständigen Aufklärung der damaligen Umstände sind daher weitere Befragungen der seinerzeit Handelnden erforderlich, die zum Teil noch nicht durchgeführt werden konnten. Daher ist es der zuständigen Behörde derzeit noch nicht möglich, die Fragen zu beantworten. Drucksache 21/692 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 6. Hat die sexuelle Orientierung von Iris P. eine Rolle für ihre Anwerbung, bei ihrer Vorbereitung und für ihren Ermittlungsauftrag als BfL gespielt? Die sexuelle Orientierung unterliegt der Privatsphäre, sie wird durch den Dienstherrn nicht erfasst. Im Übrigen entfällt. 7. Laut einer Äußerung des ehemaligen Innensenators Heino Vahldieck vor dem baden-württembergischen NSU-Untersuchungsausschuss am 23.1.2015 braucht jeder verdeckte Ermittler ein „backoffice“ von fünf bis acht Personen, die ihn beziehungsweise sie schützten und leiteten (https://hajofunke.wordpress.com/2015/01/31/nsu-pua-bawu-protokollder -ersten-offentlichen-sitzung-des-nsu-untersuchungsausschusses-imstuttgarter -landtag/). a. Wie viele VE-Führer beziehungsweise -Führerinnen waren gleichzeitig den Einsatz von Iris P. befasst? Wie viele insgesamt in den Jahren 2001 bis 2006? b. Wie viele weitere Beamte/Beamtinnen beziehungsweise Mitarbeiter/ Mitarbeiterinnen der Polizei waren gleichzeitig mit dem Einsatz und seiner Auswertung befasst? Wie viele insgesamt in den Jahren 2001 bis 2006? Der Einsatz verdeckter Ermittler und sonstiger nicht offen operierender Polizeibeamter stellt ein unverzichtbares Mittel zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung, der Abwehr bestimmter Gefahren oder bei der Aufklärung bestimmter Straftaten dar. Eine (auch teilweise) Offenlegung der Umstände konkreter Einsätze kann Rückschlüsse auf strafprozessuale oder gefahrenabwehrende verdeckte Maßnahmen der Polizei zulassen, die den Erfolg dieser Einsätze gefährden würden. Dies gilt sowohl für Positiv - als auch für Negativauskünfte. Soweit die Beantwortung von Fragen Rückschlüsse auf das polizeitaktische Vorgehen zulässt und die Wirksamkeit polizeilichen Handelns berührt ist, steht einer Beantwortung der Fragen die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Polizei als Strafverfolgungs - und Gefahrenabwehrbehörde nach Artikel 30 der Hamburgischen Verfassung und damit das Staatswohl entgegen, sodass von einer Beantwortung der Fragen abgesehen wird. 8. Wie viele dieser mit dem Einsatz von Iris P. befassten VE-Führer beziehungsweise -Führerinnen sind heute noch im aktiven Polizeidienst? Siehe Antwort zu 7. 9. In der Innenausschusssitzung am 7.1.15 brachten die Senatsvertreter die Rede auf mögliche Disziplinarverfahren (Wortprotokoll Seite 18). Wurden seither Disziplinarverfahren gegen Iris P. oder andere mit ihrem Einsatz Befasste eingeleitet? Wenn ja, gegen wie viele Personen? Wenn nein, warum nicht? Voraussetzung für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens ist das Vorliegen von konkreten Anhaltspunkten, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen (§ 23 HmbDG). Zudem muss beachtet werden, dass § 17 HmbDG ein Disziplinarmaßnahmeverbot wegen Zeitablaufes vorsieht. Daher ist bereits vor Einleitung eines Disziplinarverfahrens abzuschätzen, mit welcher Maßnahme es beendet werden könnte. Sind seit der Vollendung eines Dienstvergehens mehr als sieben Jahre vergangen, darf nur noch die schärfste Maßnahme, die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, ausgesprochen werden. Es liegen bislang keine Anzeichen dafür vor, dass die disziplinare Würdigung der Handlungen der beteiligten Polizeibeamten eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis begründen könnte. 10. 70 Aktenstücke aus der verdeckten Ermittlungstätigkeit der Iris P. finden sich heute noch in den Akten des Landesamts für Verfassungsschutz. Gab es im Zeitraum dieser Ermittlungstätigkeit oder auch danach jemals Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/692 5 Gespräche oder andere Kontakte zwischen Polizei und Landesamt, die die übermittelten Akten und ihren Inhalt zum Gegenstand hatten? Wenn ja, wie oft und mit welcher Zielsetzung? Die Zusammenarbeit zwischen dem Landesamt für Verfassungsschutz und der Polizei findet im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen statt. Dies umfasst auch Gespräche , die übermittlungsrelevante Sachverhalte wie im vorliegenden Fall zum Thema haben. Die damals geführten Gespräche wurden nicht protokolliert. Im Rahmen der strukturierten Aufarbeitung des Sachverhaltes wurden im November 2014 weitere Gespräche zwischen dem Landesamt für Verfassungsschutz und der Polizei mit dem Ziel der Sachverhaltsaufklärung geführt. Auch diese Gespräche wurden nicht protokolliert.