BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/7147 21. Wahlperiode 09.12.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dirk Nockemann (AfD) vom 02.12.16 und Antwort des Senats Betr.: Homo- und transphobe Straftaten nehmen massiv zu – Auch in Hamburg ? Die Antwort der Bundesregierung auf eine mündliche Anfrage des Bundestagsabgeordneten Volker Beck im Deutschen Bundestag hat ergeben, dass Straftaten gegen Homosexuelle und Mitglieder anderer sexueller Minderheiten in letzter Zeit offenbar massiv zugenommen hat. MdB Beck fragte in der 205. Sitzung des Bundestages am 30.11.2016: „Wie viele homo- bzw. transphob motivierte Straf- und Gewalttaten (sexuelle Orientierung) wurden nach Kenntnis der Bundesregierung im ersten Halbjahr bzw. den ersten drei Quartalen 2016 im Vergleich zum Vorjahr erfasst, und welche Aussagen lassen sich über die Tatverdächtigen treffen (politisch motivierte Kriminalität)?“ Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Dr. Ole Schröder, hat MdB Beck folgende Auskunft gegeben: „Für das Jahr 2016 wurden bis Ende September 205 politisch motivierte Straftaten mit der Nennung des Unterthemas sexuelle Orientierung gemeldet. Zu diesen 205 politisch motivierten Straftaten konnten 99 Tatverdächtige ermittelt werden. Im vergangenen Jahr, 2015, waren es bis Ende September 171 entsprechende Straftaten und 86 Tatverdächtige. In dieser Kategorie werden nicht nur homo- und transphobe Straftaten erfasst, sondern alle gegen Lesben, Schwule, Trans- und Intersexuelle motivierten Straftaten. (…)“1 Es ist zu vermuten, dass somit auch in Hamburg sexuelle Minderheiten verstärkt Übergriffen ausgesetzt sind. Dabei hatte der Hamburger Senat stets sein Engagement für sexuelle Minderheiten betont. So sagte die Zweite Bürgermeisterin und Gleichstellungssenatorin Katharina Fegebank am 30.07.2015: „Der schwule Fußballspieler, das gleichgeschlechtliche Elternpaar , eine transgeschlechtliche Kollegin: all das ist auch heute noch nicht selbstverständlich. Veranstaltungen wie die Hamburg Pride Week und der Christopher Street Day bieten die Chance, die Vielfalt sexueller Identitäten und Orientierungen in die Mitte der Gesellschaft zu bringen.“2 Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Ist dem Senat die von Staatssekretär Schröder skizzierte Entwicklung bekannt? Wenn ja, was gedenkt der Senat in dieser Sache zu unternehmen? 1 https://www.bundestag.de/blob/483068/e171d33d38425b097fb734e5d0cfaf78/18205-data.txt. 2 http://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/4576950/2015-07-30-bwf-mehr-akzeptanz-undtoleranz /. Drucksache 21/7147 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Wenn nein, erhebt der Senat generell eigene Statistiken, was die (steigenden ) Übergriffe auf sexuelle Minderheiten angeht beziehungsweise Konsequenzen daraus? Bitte Details angeben. Ja. Die Polizei beobachtet die Situation in Hamburg und trifft im Bedarfsfall die erforderlichen Maßnahmen. Im Übrigen siehe Antwort zu 4. 2. Hat der Senat Kenntnisse, wer für die Übergriffe verantwortlich ist? Wenn ja, bitte Details angeben, darunter auch Nationalität und aufenthaltsrechtlichen Status. 3. Wie viele Tatverdächtige nach Übergriffen auf sexuelle Minderheiten konnten festgenommen werden? Wie viele davon wurden verurteilt? Bitte Details angeben. Die Polizei erfasst Straftaten im Sinne der Fragestellungen im bundeseinheitlichen Kriminalpolizeilichen Meldedienst Politisch motivierte Kriminalität (KPMD-PMK) unter dem Unterthema „gegen die sexuelle Orientierung“. Die Begriffe „sexuelle Minderheit“, „homophob“, „transphob“, „Lesben“, „Schwule“, „Trans-„ und „Intersexuelle“ sind keine festen Katalogwerte und im Sinne der Fragestellungen nicht recherchierbar. Zur Erfassung politisch motivierter Straftaten (PMK), den Auswertemöglichkeiten und deren Grenzen siehe Drs. 19/4795 und 20/3215. Eine Auswertung des KPMD-PMK ergab für die ersten drei Quartale 2015 zehn registrierte Fälle im Sinne der Fragestellung, für die ersten drei Quartale 2016 ergaben sich 15 Fälle. Für die Beantwortung der weitergehenden Fragestellungen wäre eine manuelle Auswertung dieser Fälle erforderlich. Das ist aufgrund der Personalbindung durch polizeiliche Einsatzmaßnahmen aus Anlass des OSZE-Ministertreffens in Hamburg in der für diese Schriftliche Kleine Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Daher können insbesondere zu Schwere und Gehalt der Tatvorwürfe, Anzahl, Geschlecht und Nationalität beteiligter Tatverdächtiger wie Opfer derzeit keine Aussagen gemacht werden. Im Vorgangserfassungs- und -bearbeitungssystem der Staatsanwaltschaft MESTA wird nicht erfasst, ob ein Tatverdächtiger festgenommen wurde oder nicht. Eine erste Auswertung der verfügbaren Akten der Verfahren, in denen ein Tatverdächtiger ermittelt wurde,3 hat ergeben, dass im Jahr 2016 gegen einen Beschuldigten die Untersuchungshaft angeordnet wurde, insoweit ist eine Festnahme/Verhaftung erfolgt. Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, gemeinsam mit einem nicht identifizierten Mittäter zwei Geschädigte verfolgt und körperlich misshandelt zu haben. Der Beschuldigte wurde zu einer Freiheitstrafe von sechs Monaten verurteilt. Die Entscheidung ist nach Aktenlage noch nicht rechtskräftig. Weitere Festnahmen/Verhaftungen ließen sich im Hinblick auf Tatbegehungen seit 2015 nicht feststellen. 4. Welche Maßnahmen hat der Senat getroffen, um sexuelle Minderheiten vor Übergriffen besser zu schützen? Integration und Landesprogramm zur Förderung demokratischer Kultur Das Landesprogramm zur Förderung demokratischer Kultur, Vorbeugung und Bekämpfung von Rechtsextremismus (Drs. 20/9849) zielt darauf ab, Zusammenhalt und Toleranz in der Gesellschaft zu fördern und zu stärken und richtet sich gegen Rechtsextremismus, menschenfeindliche Einstellungen und Diskriminierung. Dies schließt ausdrücklich auch die Prävention gegen homophobe Einstellungen und die Beratung von Betroffenen homophober Übergriffe mit ein. Im Übrigen siehe, im Hinblick auf LSBTI*-Geflüchtete, Drs. 21/6163. Gleichstellung und Aktionsplan für Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt Die Belange von Lesben, Schwulen, Bisexuellen sowie Trans* und Inter* (LSBTI*) sind selbstverständlicher Teil einer modernen Gleichstellungspolitik. Der Senat setzt 3 Einige im KPMD-PMK ausgewiesene Fälle konnten bei der Justiz in der für die Beantwortung der Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht vollständig recherchiert werden. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/7147 3 sich für eine Kultur der Offenheit, Akzeptanz und Anerkennung unterschiedlicher Lebensentwürfe ein, in der jeder Mensch selbstbestimmt und sicher leben kann. Die Gleichstellung aller Menschen ungeachtet ihrer geschlechtlichen Identität und sexuellen Orientierung in allen Lebensbereichen ist dabei eine Aufgabe aller gesellschaftlichen und staatlichen Kräfte. Derzeit wird zusammen mit allen Fachbehörden und Senatsämtern sowie den LSBTI*- Interessenvertretungen ein Aktionsplan für Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt erarbeitet, der in verschiedenen Handlungsfeldern konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenssituation von LSBTI* benennt. Neben dem Bereich „Schutz durch den Staat und die Gesellschaft“ kommt unter präventiven Gesichtspunkten insbesondere der Aufklärung und Sensibilisierung über LSBTI* in allen Lebensbereichen eine hohe Bedeutung zu. Darüber hinaus unterstützt die zuständige Behörde unterschiedliche Projekte zur Förderung der Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Lebensweisen und geschlechtlicher Identitäten. Schule Der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Hamburger Schulen orientiert sich an den Werten des Grundgesetzes. Daher ist es Aufgabe der Schule, Schülerinnen und Schüler zu befähigen, ihre Beziehungen zu anderen Menschen nach den Grundsätzen der Achtung und Toleranz zu gestalten sowie das eigene körperliche und seelische Wohlbefinden ebenso wie das der Mitmenschen zu wahren. Das bedeutet, dass Schülerinnen und Schüler unabhängig von ihrer Geschlechteridentität und sexuellen Orientierung in ihrer Persönlichkeitsentwicklung unterstützt werden und dass im Schulleben sowie im Unterricht diskriminierenden Verhaltensweisen entgegengewirkt wird. Bewährt haben sich Unterrichtsvorhaben, die das Thema „Akzeptanz von Vielfalt“ aufgreifen. Wissen über Grund- und Menschenrechte hinsichtlich der Geschlechteridentität und sexuellen Orientierungen sowie pädagogische Begegnungsprojekte, wie beispielsweise „soorum“ vom Magnus-Hirschfeld-Zentrum, tragen dazu bei, Vorurteile abzubauen und sich gewaltfrei zu verhalten. Alle schulischen Fachkräfte, die Schulleitungen und die Beratungslehrkräfte beziehungsweise der schulische Beratungsdienst sind Ansprechpersonen beziehungsweise -stellen für übergriffiges Verhalten aufgrund der Geschlechteridentität und der sexuellen Orientierung sowie pädagogische Begegnungsprojekte , wie beispielsweise „soorum“ vom Magnus-Hirschfeld-Zentrum, tragen dazu bei, Vorurteile abzubauen und sich gewaltfrei zu verhalten. Alle schulischen Fachkräfte, die Schulleitungen und die Beratungslehrkräfte beziehungsweise der schulische Beratungsdienst sind Ansprechpersonen beziehungsweise -stellen für übergriffiges Verhalten aufgrund der Geschlechteridentität und der sexuellen Orientierung. Polizeiliche Ansprechpartner, Prävention und Opferschutz Die Polizei Hamburg hat bereits seit dem Jahr 1996 Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweisen (LSBTI*) im Nebenamt eingesetzt. Seit 2014 wurde dieses Angebot durch eine offensivere Bewerbung des LSBTI*-Flyers sowie die Einrichtung einer Internetpräsenz http://www.hamburg.de/polizei/lsbti-np/ intensiviert. Seit Juni 2016 stehen möglichen LSBTI*-Opfern sowie Interessenvertretungen, aber auch Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Polizei Hamburg zwei hauptamtliche Polizeibeamtinnen als qualifizierte Ansprechpersonen für LSBTI* zur Verfügung. Die Ansprechpersonen sind bei dem für Opferschutz zuständigen Fachstab des Landeskriminalamtes Hamburg angebunden. Zu den wesentlichen Aufgaben der Ansprechpersonen gehört die Beratung von betroffenen Einzelpersonen, die Sensibilisierung von freien Trägern, Beratungsstellen, Behörden und Institutionen sowie gegebenenfalls eine qualifizierte Weiterleitung an Beratungs- oder Hilfeeinrichtungen. Weiterhin gehören die Unterstützung von Veranstaltungen der polizeiinternen Ausund Fortbildung sowie die Multiplikatoren-Schulung von Polizeiangehörigen zu den Aufgaben der Ansprechpersonen für LSBTI*; dadurch werden die Mitarbeiter in den unterschiedlichen polizeilichen Funktionen/Organisationseinheiten für das Thema sensibilisiert. Im Einzelfall können die Ansprechpersonen auch kriminalpolizeiliche Ermittlungen qualifiziert unterstützen. Drucksache 21/7147 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Die Ansprechpersonen für LSBTI* werden durch eine zielgerichtete Öffentlichkeitsarbeit der Polizei bekannt gemacht und das bereits vorhandene Informationsmaterial für die Arbeit der Ansprechpersonen für LSBTI* wird kontinuierlich aktualisiert. Das polizeiliche Angebot wird insbesondere über Informations-Flyer, soziale Medien, die Homepage der Polizei sowie durch Präsenz der Ansprechpersonen auf Veranstaltungen wie dem Christopher Street Day, dem „Harbour Pride“ oder dem „Winter Pride“ breit publiziert. Die Ansprechpersonen für LSBTI* der Polizei Hamburg gehen selbst auf die unterschiedlichen Institutionen zu, betreiben Netzwerkarbeit und werden auch von (allgemeinen) Beratungsstellen zu Kennenlerngesprächen eingeladen. Darüber hinaus hat die Polizei mit drei Kooperationspartnern die Kampagne „Achtet aufeinander!“ („Team Hardcare“) entwickelt, die erfolgreich angelaufen ist. In Zusammenarbeit mit den Beratungsstellen bieten die Ansprechpersonen für LSBTI* auch Workshops zum „Verhalten in herausfordernden Situationen“ an. Der polizeiliche Umgang mit Opfern von Beziehungsgewalt in gleichgeschlechtlichen Paarbeziehungen sowie in Beziehungen von Trans*Personen findet darüber hinaus in internen Handbüchern explizite Berücksichtigung.