BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/7258 21. Wahlperiode 20.12.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Sabine Boeddinghaus (DIE LINKE) vom 14.12.16 und Antwort des Senats Betr.: Gewaltmeldungen an Schulen – Ausnahmen und Regeln Die Hamburger Schulen haben im Schuljahr 2015/2016 202 Gewaltvorfälle gemeldet. In 77 Fällen handelte es sich um Grundschulkinder. Die „tageszeitung -hamburg“ berichtete vor diesem Hintergrund am 12. Dezember 2016, dass Schulen strafunmündige Kinder unter 14 Jahren bei der Polizei anzeigen . In einem berichteten Fall war das Kind neun Jahre alt. Die Daten werden bei der Polizei für längere Zeit gespeichert, obwohl die Verfahren wegen der Strafunmündigkeit nach §19 Strafgesetzbuch immer eingestellt werden. Die dafür verantwortliche Richtlinie ist im September 2016 noch einmal verschärft worden. Ich frage den Senat: Die Polizei hat den gesetzlichen Auftrag, Straftaten aufzuklären und zu verhindern. Dies gilt auch für rechtswidrige Taten strafunmündiger Personen, die gegen Strafvorschriften verstoßen. Hierbei ist unter anderem auch zu ermitteln, ob zum Beispiel Kinder von strafmündigen Personen als Instrument zur Begehung von Straftaten missbraucht wurden. Die Einstellung dieser Ermittlungsverfahren gegen strafunmündige Personen erfolgt nachfolgend nur durch die Staatsanwaltschaft. Die Maßnahme „Anzeigepflicht an Schulen“ als Teil des Senatskonzepts „Handeln gegen Jugendgewalt“ hat insbesondere das Ziel, betroffenen Schülern (als Opfer und/oder als Tatverdächtige) und ihren Erziehungsberechtigten schnellstmöglich und behördenübergreifend alle in Hamburg zur Verfügung stehenden Hilfemaßnahmen zur Verfügung zu stellen; das Maßnahmenkonzept gilt auch für Kinder. Die Meldung eines Gewaltvorfalls soll daher neben den schulischen Instanzen auch die Polizei und das bezirkliche Jugendamt erreichen. Die polizeilichen Kompetenzen sollen durch diese verbindliche Regelung und die Anzeige von Gewaltvorfällen zügig genutzt werden. Das mit der Strafanzeige einhergehende Ermittlungsverfahren besitzt neben dem strafverfolgenden auch präventiven Charakter. Beispielhaft sind insbesondere die vom polizeilichen Jugendschutz geführten Norm- und Hilfegespräche sowie das Berichtswesen zur Hamburger Jugendhilfe und damit das verbindliche Einschalten kompetenter Fachkräfte der Jugendhilfe zu nennen. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie lange und für welchen Zweck werden die Daten von minderjährigen Kindern bei der Polizei gespeichert? 2. Wenn es eine Datei gibt, wie heißt die Datei, in der diese Daten gespeichert werden? Daten im Sinne der Fragestellungen werden bei der Polizei in folgenden Verfahren gespeichert: Drucksache 21/7258 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), Computerunterstützte Vorgangsbearbeitung (ComVor), Vorgangsverwaltungssystem für ComVor (ComVor-Index), Criminal Research and Investigation Management Software (CRIME) und Polizeiliches Auskunftssystem (POLAS). Die Speicherfristen richten sich nach der Erforderlichkeit zur Aufgabenerfüllung im Rahmen der gesetzlichen Löschfristen: PKS: Die Speicherung erfolgt für ein Kalenderjahr; die Daten werden für die Erhebung der PKS gespeichert. ComVor: Die Daten werden im Rahmen der Vorgangsarchivierung fünf Jahre ab dem Zeitpunkt der letzten Abverfügung eines Vorgangs gespeichert. Die personenbezogenen Daten sind in ComVor nicht, aber für zwei Jahre in ComVor-Index (siehe unten), recherchefähig. ComVor-Index: Die Daten werden bis zu zwei Jahre ab dem Zeitpunkt der letzten Abverfügung eines Vorgangs gespeichert. CRIME: Das Verfahren dient der Ermittlungsunterstützung im strafprozessualen und gefahrenabwehrrechtlichen Bereich durch die strukturierte und verknüpfte Erfassung von Daten. In den CRIME-Dateien werden nur Daten gespeichert, die für den jeweiligen Zweck, zum Beispiel im Rahmen der täterorientierten Kriminalitätsbekämpfung (Intensivtäter), der Datei zur Aufgabenerfüllung erforderlich sind. Die Prüf- und Aufbewahrungsfristen der Daten von Kindern betragen gemäß § 15 des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei (PolDVG) zwei Jahre. POLAS: Das Verfahren dient der Aufklärung von Straftaten und der Gefahrenabwehr , einschließlich der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten durch den örtlichen Kriminalaktennachweis, durch örtliche Hinweise und Suchvermerke, den Nachweis von festgenommenen Personen und Fallinformationen. Grundsätzlich dürfen in POLAS-Daten aufgrund einer Negativprognose so lange gespeichert werden, wie es für die Aufgabenerfüllung erforderlich ist (§ 15 PolDVG). 3. Wie viele Kinder und Jugendliche sind dort gespeichert? Zahlen bitte auflisten nach Alter und Geschlecht für unter zehnjährige Kinder, zehnbis 14-jährige Kinder und über 14-jährige Jugendliche. Im Sinne der Fragestellung sind in POLAS folgende Daten gespeichert: Alter Anzahl Gesamt weiblich männlich unbekannt unter 10 Jahre 180 57 122 1 10 bis 14 Jahre 756 167 589 - 14 bis 18 Jahre: 8.821 2.382 6.431 8 In der CRIME-Datei „Intensivtäter“ sind zurzeit keine Kinder und 82 Jugendliche gespeichert. In der CRIME-Datei „Brandmelder/Umfelddatei“ sind 20 Kinder unter zehn Jahren, 51 Kinder im Alter von zehn bis 14 Jahren sowie 144 Jugendliche gespeichert. Weitere Auswertungen im Sinne der Fragestellung in den CRIME-Dateien sind in der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Die Datenerhebung aus den Verfahren PKS, ComVor und ComVor-Index kann nur mit erhöhtem Programmieraufwand oder durch die Zuarbeit eines Datenbankadministra- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/7258 3 tors von Dataport erfolgen und ist in der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 4. Werden nur der Vorfall, der zur Anzeige führte, gespeichert oder auch weitere Informationen über vorangegangenes mögliches Fehlverhalten des Kindes? Die Polizei speichert zunächst nur den Vorfall, der zur Anzeige geführt hat. Im Laufe der sich anschließenden polizeilichen Ermittlungen werden gegebenenfalls auch die im Einzelfall für die weitere kriminalpolizeiliche Sachbearbeitung notwendigen Informationen gespeichert. Dies können zum Beispiel Erkenntnisse über Kindeswohlgefährdungen oder Straftaten durch strafmündige Personen sein. 5. Erhält die Polizei von der Schule mit der Anzeige einen Gewaltmeldebogen ? Erhält die Polizei weitere Dokumente mit weiteren Informationen, die das Kind betreffen? Wenn ja, welche? Ja. Darüber hinaus werden in Einzelfällen in Absprache beziehungsweise auf Nachfrage der Polizei die Stammdatenblätter seitens der zuständigen Schule zur Dokumentation der Personalien im Rahmen der Datenübermittlungsbefugnis der Behörde für Schule und Berufsbildung beigefügt; die Personalien nimmt die Polizei zum Ermittlungsvorgang . Die „Richtlinie zur Meldung und Bearbeitung von Gewaltvorfällen in Schulen“ sieht vor, dass die Schulen das Meldeformular – neben den unterstützenden Institutionen der Behörde für Schule und Berufsbildung (ReBBZ, Schulaufsicht, Beratungsstelle Gewaltprävention) – auch an das zuständige Polizeikommissariat schicken. 6. Speichert die Polizei über ein Kind, das aktenkundig ist, später weitere Informationen? Wenn ja, welche? Ja; im Übrigen siehe Antwort zu 4. 7. Werden die Kinder bei der Polizei vernommen? Wenn ja, in welcher Weise? Ist sichergestellt, dass die Eltern beziehungsweise Erziehungsberechtigten anwesend sind? Nein. 8. Trifft es zu, dass Kinder in Einzelfällen von der Polizei auch von der Schule mit auf die Wache genommen und dort in eine Zelle oder einen anderweitig abgeschlossenen Raum gesperrt werden? Falls ja, gibt es hierfür Regelungen oder eine Altersuntergrenze? Falls nein, wird das grundsätzlich ausgeschlossen? Wie wird das gegebenenfalls sichergestellt? In begründeten Einzelfällen – zum Beispiel bei einer Selbst- oder Fremdgefährdung des Schülers oder zur Durchführung polizeilicher Sofortmaßnahmen – kann ein Kind aus der Schule abgeholt werden, wobei auf die Belange der Schule Rücksicht zu nehmen und die Schulleitung zu verständigen ist. Grundsätzlich werden Kinder bei der Polizei nicht in einer Zelle oder einem anderweitig abgeschlossenen Raum, sondern in anderen geeigneten Räumen kindgerecht untergebracht. Diese Räume sind nicht verschlossen und eine ständige Aufsicht ist gewährleistet; darüber hinaus ist möglichst eine Polizeibeamtin hinzuziehen. 9. Wie viele Strafanzeigen wurden von Schulen gegen strafunmündige Kinder gestellt in den Schuljahren 2009/2010, 2010/2011, 2011/2012, 2012/2013, 2014/2015, 2015/2016, erste Monate 2016/2017? Wie viele Strafanzeigen wurden in diesem Zeitraum gegen Grundschulkinder gestellt? Bitte tabellarisch für die jeweiligen Schuljahre darstellen. Drucksache 21/7258 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 10. Wie alt waren die strafunmündigen Kinder gegen die Strafanzeige gestellt wurde? Bitte tabellarisch für die jeweiligen Schuljahre darstellen. Zu den Daten der Schulen siehe Drs. 19/8174, Drs 20/5972, Drs. 20/9125, Drs. 20/12882, Drs. 21/1599, Drs. 21/1917 sowie Drs. 21/5677. 11. Wie bewertet die Schulbehörde Gewaltmeldung bei strafunmündigen Kindern aus pädagogischer Sicht? Welche Ziele verfolgt die Schulbehörde mit dieser Praxis? Gemäß § 49 Absatz 8 Hamburgisches Schulgesetz (HmbSG) informiert die Schulleitung grundsätzlich die Polizei über Straftaten, die von Schülerinnen und Schülern in der Schule begangen worden sind. Dies erfolgt durch Übersendung des Meldeformulars zur Meldung von Gewaltvorfällen in Schulen, siehe Antwort zu 5. Die Richtlinie zur Bearbeitung und Meldung von Gewaltvorfällen in Schulen führt folgende meldepflichtige Straftaten auf: Raub, Erpressung, gefährliche Körperverletzung, Straftaten gegen das Leben. Sofern es sich um solche Vorfälle von Gewaltkriminalität handelt, muss das Meldeformular an die Polizei übersandt werden. Im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen kann den verantwortlichen Kindern (oder Jugendlichen) die Schwere ihrer Tat seitens der Polizei vermittelt werden. Diese Aufklärung ist ein wichtiger Bestandteil der normenverdeutlichenden Gespräche, die vom polizeilichen Jugendschutz durchgeführt werden. Die Glaubwürdigkeit der Polizeibeamten in solchen Gesprächen wird von der für Bildung zuständigen Behörde als hoch eingeschätzt. Außerdem kann die Polizei eine Gefährdungslage, die durch das Verhalten einer Person ausgelöst wird, prüfen und gegebenenfalls an das Jugendamt weiterleiten (Prüfung einer Kindeswohlgefährdung). 12. Sieht die Schulbehörde Änderungsbedarf des Regelwerks zu den Gewaltmeldungen? Nein.