BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/7304 21. Wahlperiode 27.12.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Jennyfer Dutschke (FDP) vom 20.12.16 und Antwort des Senats Betr.: Gibt es in Hamburg Fälle, in denen sich Flüchtlinge selbst der Mitgliedschaft einer Terrororganisation bezichtigen, um einer Abschiebung zu entgehen? Der Medienberichterstattung war zu entnehmen, dass sich von Abschiebung bedrohte afghanische Flüchtlinge selbst bezichtigen, Taliban-Kämpfer zu sein. Da die Taliban-Bewegung in Deutschland als ausländische Terrororganisation verboten ist, ermittelt in diesen Fällen die Bundesanwaltschaft.1 Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Verfahren, in denen sich zum Beispiel Flüchtlinge im Rahmen ihrer Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) oder bei anderen Behörden als „Taliban “ oder Kämpfer für eine andere terroristische Organisation bezeichnen, werden in dem Vorgangserfassungs- und Bearbeitungssystem MESTA der Staatsanwaltschaft nicht gesondert erfasst. Es gibt auch keine spezielle Erfassung in der Abteilung 71 der Staatsanwaltschaft Hamburg nach dem Kriterium „Selbstbezichtigung“. Ebenso werden Statistiken im Sinne der Fragestellung bei der Polizei nicht geführt. Zur Beantwortung wäre eine händische Auswertung von mehreren Hundert Handakten bei der Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamtes (LKA 7) erforderlich. Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Die Benennung von Fällen im Sinne der Fragestellung beruht daher auf Erinnerungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft oder Polizei. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Gibt beziehungsweise gab es in Hamburg Fälle, in denen sich Ausländer selbst der Mitgliedschaft einer als „ausländische Terrororganisation“ eingestuften Vereinigung bezichtigt haben? Wenn ja: a) Aus welchem Land stammten die Personen und welcher Mitgliedschaft einer „ausländischen Terrororganisation“ haben sie sich bezichtigt? (Bitte aufschlüsseln nach Nationalität, „ausländischer Terrororganisation“, Monat der Selbstanzeige und – soweit die entsprechenden Untersuchungen bereits abgeschlossen wurden – nach Glaubwürdigkeit der Selbstbezichtigung.) Den Sicherheitsbehörden sind derzeit drei Fälle bekannt. In den genannten Fällen handelt es sich um afghanische Staatsangehörige, die sich der Zugehörigkeit zu den 1 Vergleiche https://www.welt.de/politik/deutschland/article160345057/Per-Taliban-Trickentziehen -sich-Afghanen-der-Abschiebung.html. Drucksache 21/7304 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Taliban bezichtigt haben. Die Selbstanzeigen beziehungsweise Selbstbezichtigungen fanden jeweils im September, Oktober und November 2016 statt. Durch das LKA 7 wurden zwei Hinweise im Sinne der Fragestellung bearbeitet und der Staatsanwaltschaft Hamburg mit der Bitte um rechtliche Würdigung und gegebenenfalls Abgabe an den Generalbundesanwalt zum Einleiten eines Ermittlungsverfahrens gemäß §§ 129 a, b Strafgesetzbuch (Bildung einer terroristischen Vereinigung, kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland) übersandt. Die Untersuchungen zu den benannten Fällen sind derzeit noch nicht abgeschlossen oder befinden sich in der Prüfung bei der Staatsanwaltschaft Hamburg und dem Generalbundesanwalt. Von weiterführenden Angaben wird daher abgesehen. Darüber hinaus ist der Staatsanwaltschaft Hamburg ein Fall bekannt, in dem ein russischer Staatsangehöriger im Oktober 2016 in einem Polizeikommissariat behauptet hatte, im Auftrag des IS einen Sprengstoffanschlag in Berlin durchführen zu wollen. Der Beschuldigte wurde am 19. Dezember 2016 wegen Vortäuschens einer Straftat zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. b) Welche Maßnahmen ergreifen die zuständigen Behörden in der Freien und Hansestadt regelhaft in einem solchen Fall? Das Landesamt Für Verfassungsschutz Hamburg (LfV Hamburg) beobachtet verfassungsfeindliche Bestrebungen gemäß § 4 Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG). Soweit das LfV Hamburg bei der Beobachtung extremistischer Bestrebungen Hinweise im Sinne der Fragestellung erlangt, wird diesen nachgegangen . Entsprechende Erkenntnisse werden im Rahmen der gesetzlichen Übermittlungsvorschriften dem LKA 7 und sonstigen öffentlichen Stellen zu deren Aufgabenerfüllung zur Kenntnis gegeben. Sollte dem Einwohnerzentralamt Hamburg eine entsprechende Selbstbezichtigung bekannt werden, würden sofort die zuständigen Sicherheitsbehörden eingeschaltet werden. Sobald der Polizei Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung vorliegen, die strafprozessuale oder gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen erfordern, werden diese nach den gesetzlichen Bestimmungen und Vorgaben im Rahmen von Ermittlungsverfahren durchgeführt. Bei der Staatsanwaltschaft erfolgt in den Fällen der Selbstbezichtigung zunächst eine Plausibilitätsprüfung. Erscheinen die Angaben – gegebenenfalls auch nach weiteren Ermittlungen – schlüssig , wird das Verfahren wegen der ausschließlichen Zuständigkeit des Generalbundesanwalts für Verfahren nach §§ 129 a, b Strafgesetzbuch (Mitgliedschaft einer terroristischen Vereinigung im Ausland) dem Generalbundesanwalt zur Prüfung der Übernahme übersandt und dort gegebenenfalls übernommen. Ergeben die im Rahmen der Plausibilitätsprüfung angestellten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, dass es sich um erfundene Angaben handelt, wird von Amts wegen ein Verfahren gegen den Beschuldigten wegen Verstoßes gegen § 145d Absatz 1 Strafgesetzbuch (Vortäuschen einer Straftat) eingeleitet. c) Welche Kenntnisse hat der Senat beziehungsweise haben die zuständigen Behörden im Hinblick auf die Gründe, die zur Selbstbelastung führten? Siehe Antwort zu 1. a). d) In wie vielen Fällen handelt(e) es sich um Personen, die von Abschiebung bedroht sind (waren)? Soweit bekannt, in keinem Fall. e) Welche Maßnahmen ergreift der Senat, wenn eine solche falsche Selbstbezichtigung bekannt wird? Siehe Antwort zu 1. b). f) Welche Maßnahmen ergreift der Senat, um solchen falschen Selbstbezichtigungen vorzubeugen? Die Vermittlung von Werten und Normen ist integraler Bestandteil der behördlichen Fachpolitiken sowie der bezirklichen und der zivilgesellschaftlichen Arbeit. Den geflüchteten und asylsuchenden Personen werden in der Zeit nach ihrer Ankunft in Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/7304 3 Hamburg Informationen über Grundwerte und Normen in Deutschland durch zahlreiche staatliche und nicht staatliche Akteure vermittelt. Siehe hierzu Drs. 21/5892. Darüber hinaus werden Personen im Sinne der Fragestellung durch die Strafverfolgungsbehörden im Rahmen einer Vernehmung über die Bedeutung und Folgen von Falschaussagen belehrt.