BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/7361 21. Wahlperiode 06.01.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Dennis Thering und Birgit Stöver (CDU) vom 30.12.16 und Antwort des Senats Betr.: Warum legt der HVV bei den E-Scootern den Rückwärtsgang ein und warum schaut der Senat dem tatenlos zu? Schon im letzten Jahr wurde in verschiedenen Bundesländern und Kommunen über die Mitnahme von sogenannten E-Scootern, also einsitzigen Elektrofahrzeugen mit bis zu 500 Kilogramm Gesamtgewicht, in den verschiedenen Angeboten des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) diskutiert und auch gerichtlich entschieden. Das Problem war und ist, dass aufgrund der herrschenden Rechtslage E-Scooter von mehreren Verkehrsunternehmen nicht mehr befördert werden. E-Scooter werden hierbei vielfach von schwerbehinderten Menschen genutzt. Gerade eingedenk der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist daher darüber nachzudenken, wie diesem Personenkreis gesellschaftliche Teilhabe durch problemlose Nutzung ihrer E-Scooter in Bussen, Bahnen und auf Fähren ermöglicht werden kann. Mit Drs. 21/5340 hatten wir im Juli dieses Jahres den aktuellen Sachstand und die Haltung des Senats in dieser Angelegenheit erfragt. Der Senat führte in seiner Antwort unter anderem aus: „Im HVV sind keine Mobilitätshilfen vom Transport ausgeschlossen. (…) Zwischen dem HVV und seinen Mitgliedsunternehmen herrscht Einvernehmen darüber, dass ein Beförderungsausschluss von E-Scootern im Hamburger öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) nicht anzustreben ist.“ Analog dazu hat der HVV am 13. Oktober 2016 in einer Pressemitteilung mitgeteilt, dass ab dem 1. Januar 2017 eine „eine klare HVV-weite Regelung (gilt), um die sichere Mitnahme von sogenannten „E-Scootern“ in den Bussen der Verkehrsunternehmen zu gewährleisten.“ Außerdem boten der HVV und die Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen (LAG) im gleichen Atemzug allen E-Scooter-Nutzern kostenlose Schulungen zur sicheren Mitfahrt in Bussen an. Darüber konnten ein Pass und eine Plakette erworben werden. Letztere sollten ab 1. Januar 2017 verpflichtend an den E-Scootern angebracht werden, um die Busnutzung zu ermöglichen. Umso mehr verwundert, dass der HVV in einer Pressemitteilung vom 28. Dezember 2016 urplötzlich mitgeteilt hat, „die Mitnahme von E-Scootern in Bussen bis auf weiteres auszusetzen“. Diese Rolle rückwärts ist eingedenk der vorherigen Pressemitteilung des HVV in dieser Sache schwer nachvollziehbar und gerade einmal vier Tage vor Jahresende ein Unding gegenüber den Betroffenen. Von den zuständigen Behörden sind irritierenderweise bislang überhaupt keine Einlassungen zu dieser kurzfristigen wie für die Betroffenen einschneidenden Entscheidung zu vernehmen. Drucksache 21/7361 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Es ist ein wichtiges Ziel des Senats, mobilitätseingeschränkten Personen die Teilnahme am Verkehr und gerade auch am öffentlichen Personenverkehr zu ermöglichen und zu erleichtern. E-Scooter sind für viele mobilitätsbeschränkte Personen eine wichtige Hilfe zur Teilnahme am Verkehr. Daher ist es aus Sicht des Senats wünschenswert , die Mitnahme von E-Scootern in Fahrzeugen des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) zu ermöglichen. Zugleich darf nicht außer Acht gelassen werden, dass von diesen Fahrzeugen mit einem Gewicht von bis zu 500 kg eine Gefahr für andere Fahrgäste ausgehen kann, wenn sie in besonderen Situationen kippen oder verrutschen. Die Verkehrsunternehmen und ihre Betriebsleitungen sind für einen sicheren Betrieb und die Sicherheit aller Fahrgäste einschließlich der E-Scooter-Benutzer verantwortlich (vergleiche Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrzeugen im Personenverkehr in der Fassung vom 21. Juni 1975, zuletzt geändert am 31. August 2015). Die Betriebsleiter haften persönlich. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (VDV) hatte ursprünglich auf Basis eines Gutachtens seinen Mitgliedsunternehmen einen Ausschluss der E-Scooter von der Beförderung empfohlen. Dieser Empfehlung folgten bundesweit viele Verkehrsunternehmen, wodurch eine intensive Diskussion der Gutachterergebnisse sowie die Vergabe eines Folgegutachtens ausgelöst wurden. Der HVV wartete vor einer Entscheidung das zweite Gutachten ab, das im Oktober des Jahres 2015 bestehende Sicherheitsbedenken bestätigte, jedoch Möglichkeiten aufzeigte, wie E-Scooter in Bussen sicher befördert werden könnten. Auf Basis dieser Erkenntnisse beschlossen die Verkehrsunternehmen im HVV die am 13. Oktober 2016 vom HVV veröffentlichte und für den 1. Januar 2017 geplante Mitnahmeregelung , die eine Schulung über das richtige Ein- und Ausfahren sowie das sichere Abstellen im Bus und einen E-Scooter-Pass beziehungsweise eine E-Scooter-Plakette vorsieht, und begannen mit deren Umsetzung. Am 17. November 2016 informierte der VDV seine Mitgliedsunternehmen mit Rundschreiben, dass ein inzwischen vorliegendes drittes Gutachten zwei weitere Mindestvoraussetzungen für die Mitnahme von E-Scootern in Linienbussen ergeben habe: 1. Gewährleistung der Standsicherheit des E-Scooters durch ein Bremssystem, welches immer auf beide Räder einer Achse wirkt und nicht durch ein Differential überbrückt werden kann (zum Beispiel gesonderte Feststellbremse), 2. Zulassung des E-Scooters für die Mitnahme in Linienbussen (zum Beispiel Nachweis der Stabilität bei Gefahrenbremsungen und Kurvenfahrten, Manövrierbarkeit im Bus). Aktuell gibt es am Markt keine E-Scooter, die diese Voraussetzungen erfüllen. Vor diesem Hintergrund sehen sich die Betriebsleiter der Hamburgischen Verkehrsunternehmen nicht in der Lage, die Haftung für die Mitnahme solcher E-Scooter zu übernehmen . Derzeit bereiten die Länder unter der Federführung von Nordrhein-Westfalen eine bundeseinheitliche Regelung zur Beförderung von E-Scootern in Linienbussen vor. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen auf der Grundlage von Auskünften des Hamburger Verkehrsverbundes (HVV) wie folgt: 1. Wann hat welches Gremium entschieden, die Mitnahme von E-Scootern in Bussen des HVV bis auf weiteres auszusetzen? 2. Welche Einrichtungen sind mit welchen Vertretern Mitglied in diesem Gremium? Die Entscheidung über die Änderung der Besonderen Beförderungsbestimmungen, mit der die im Oktober 2016 veröffentlichten Regeln zur Änderung der Mitnahme von E-Scootern umgesetzt werden sollen, ist im Unternehmensbeirat des HVV zu treffen. Der Unternehmensbeirat setzt sich aus Vertretern der dem HVV angeschlossenen Verkehrsunternehmen zusammen. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/7361 3 3. Welche Stellen der zuständigen Behörden waren seit wann und in welcher Form in den Prozess eingebunden, der zu dem am 28. Dezember 2016 vom HVV verkündeten Beförderungsausschluss von E-Scooter für HVV-Busse geführt hat? Im Rahmen der Bund-Länder-Zusammenarbeit hat das Amt Verkehr und Straßenwesen der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (BWVI) seit dem Frühjahr des Jahres 2015 an der bundesweiten Meinungsbildung teilgenommen. Dies mündete in der Entwicklung der in der Vorbemerkung dargestellten „Hamburger Lösung“ ein, bei der die BWVI sowohl in ihrer Funktion als Aufgabenträgerin als auch als personenbeförderungsrechtliche Genehmigungsbehörde beteiligt war. Über die Entscheidungslage im Unternehmensbeirat hat der HVV den Aufsichtsrat der HVV GmbH auf seiner Sitzung am 20. Dezember 2016 mündlich informiert. Dem Aufsichtsrat gehören unter anderem Vertreterinnen und Vertreter der BWVI und der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BUE) an. 4. Wann wurde a) der Präses der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (BWVI), b) der Staatsrat für Verkehr der BWVI, c) der Präses der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV), d) die Staatsrätin der BGV, e) der Präses der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI), f) der Staatsrat der BASFI erstmalig durch wen über die Absicht, die Mitnahme von E-Scootern in Bussen des HVV bis auf weiteres auszusetzen, unterrichtet und welche Maßnahmen hat er beziehungsweise sie daraus jeweils abgeleitet? Die HVV GmbH hat die Behördenleitung der BWVI telefonisch am 19. Dezember 2016 über die Entscheidung der Betriebsleiter und des HVV-Beirates informiert. Die Behördenleitung hat die Verkehrsunternehmen aufgefordert, für die E-Scooter-Benutzerinnnen und -Benutzer, die bereits eine HVV-Scooter-Plakette erworben haben oder zur Schulung angemeldet waren, eine angemessene Ersatzmobilität sicherzustellen. Die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) und die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV) sind gemeinsam mit der Öffentlichkeit informiert worden. 5. Wie und wann wurden/werden die Nutzer von E-Scootern über die Entscheidung , die Mitnahme von E-Scootern in Bussen des HVV bis auf weiteres auszusetzen, informiert? Die E-Scooter-Nutzerinnen und -Nutzer wurden durch eine Pressemitteilung am 28. Dezember 2016 durch den HVV informiert. Die Besitzer von HVV-E-Scooter-Pässen beziehungsweise -Plaketten wurden durch Schreiben informiert, die am 27. Dezember 2016 versandt wurden. 6. Wurde die LAG in die Entscheidung, die Mitnahme von E-Scootern in Bussen des HVV bis auf weiteres auszusetzen, einbezogen? Wenn ja, wann, in welcher Form und durch wen? Wenn nein und warum nicht? Die Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen e.V. (LAG) war in den Diskussionsprozess der letzten Monate, nicht aber in die Entscheidung des HVV- Unternehmensbeirates eingebunden. Die LAG ist nicht Mitglied des Beirates. 7. War sichergestellt, dass alle Nutzer von E-Scootern bis zum 31. Dezember 2016 durch eine direkte Informationen, die nicht über die Medien Drucksache 21/7361 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 erfolgte, über die ab 1. Januar 2017 geltende Beförderungssituation bezüglich der E-Scooter informiert wurden? E-Scooter sind im Handel für jedermann erhältlich. Es gibt kein Verzeichnis mit den Kontaktdaten von E-Scooter-Benutzern. Insofern war eine direkte Ansprache aller Nutzerinnen und Nutzer nicht möglich. Die aus den E-Scooter-Schulungen des HVV bekannten Nutzerinnen und Nutzer von E-Scootern sind direkt angeschrieben worden (siehe Antworten zu 5. und 10.). 8. Wie viele Menschen haben im Jahr 2016 an a) den E-Scooter-Schulungen von HVV und LAG, 13 Personen. b) den E-Scooter- Einzeltrainings der LAG teilgenommen? Die Einzeltrainings der LAG finden seit vielen Jahren statt und wurden nicht erst für die E-Scooter-Regelungen angeboten. Nach Aussage der LAG wird in ihrer Statistik nicht zwischen Teilnehmern mit E-Scootern, Elektro- beziehungsweise Handgreifrollstühlen unterschieden. Somit liegen für das Jahr 2016 keine Zahlen zu E-Scooter- Einzeltrainings bei der LAG vor. 9. Welche Kosten sind im Jahr 2016 a) dem HVV für die E-Scooter-Schulungen, Es fanden acht Schulungen statt, bei denen eine Person der HVV-Seniorenberatung und ein VHH-Busfahrer vor Ort waren. Die Schulungen dauerten zwischen einer und drei Stunden. Hinzu kam der Zeitbedarf der Koordination und Beratung. In der Summe betrugen die Kosten rund 800 Euro. b) der LAG für die E-Scooter-Schulungen und die E-Scooter-Einzeltrainings entstanden? Der LAG sind circa 370 Euro für den ihr entstandenen Aufwand bezüglich ihrer Teilnahme an den HVV-Schulungen durch den HVV erstattet worden. 10. Sind die mittels der Schulungen und Trainings zu erlangenden Plaketten zur Mitführung von E-Scootern in HVV-Bussen aufgrund der am 28. Dezember 2016 verkündeten Entscheidung nutzlos? Nein. Personen, die schon einen E-Scooter-Pass beziehungsweise eine E-Scooter- Plakette erworben haben oder zur Schulung angemeldet waren, bekommen ab dem 1. Januar 2017 einen kostenlosen „Shuttle-Service“. Diese Regelung gilt bis zum Inkrafttreten der bundesweiten Regelung. Entsprechende Informationen wurden am 27. Dezember 2016 an die Betroffenen versandt. 11. Handelt es sich bei dem in der PM des HVV vom 28. Dezember 2016 erwähnten im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) erstellten Gutachten um das mit Frage 14. der Drs. 21/5340 bereits im Juli 2016 abgefragte Gutachten „Untersuchung der Mitnahmemöglichkeiten von Elektromobilen (E-Scootern) in Linienbussen“? Wenn nein, um welches andere Gutachten aus NRW handelt es sich und was sind dessen Inhalte? Wenn ja, a) warum hat keine der zuständigen Behörden verhindert, dass die HVV-interne Diskussion über dieses dem Senat seit mindestens sechs Monaten bekannte Gutachten vier Tage vor dem Jahresende zu einem kompletten Beförderungsausschluss für E-Scooter und deren Nutzer in HVV-Bussen führt? b) warum wurde die Entscheidung, dass E-Scooter bis auf weiteres nicht mehr in HVV-Bussen befördert werden, erst mit der PM vom 28. Dezember 2016 verkündet, obwohl der Senat bereits in der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/7361 5 Antwort auf Drs. 21/5340 aus dem Juli 2016 angab, er kenne dieses Gutachten? c) inwiefern sind die Ergebnisse des in Frage 14. der Drs. 21/5340 abgefragten Gutachtens in die Regelung eingeflossen, die vom HVV mit den Busverkehrsunternehmen und den Vertretern der Behinderten - und Seniorenverbände abgestimmt wurde? d) warum wurde die Entscheidung, dass E-Scooter bis auf weiteres nicht mehr in HVV-Bussen befördert werden, nicht bereits mit der PM vom 13. Oktober 2016 verkündet? Nein. Es handelt sich um das technische Gutachten „Ergänzende technische Fragen zur Untersuchung der Mitnahmemöglichkeiten von Elektromobilen (E-Scootern) in Linienbussen“ der Studiengesellschaft für Tunnel und Verkehrsanlagen e.V. – STUVA –, Köln, vom Oktober 2016 sowie um ein Rechtsgutachten „Haftungsfragen im Zusammenhang mit der Beförderung von Elektromobilen (E-Scootern) in Linienbussen “ der Rechtsanwaltskanzlei Becker Büttner Held, Köln, vom 9. September 2016. Diese können unter dem folgenden Link zur Internetseite des Landtages Nordrhein- Westfalen abgerufen werden: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument?Id=MMV16%2 F4478|1|0.