BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/7368 21. Wahlperiode 10.01.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Karin Prien (CDU) vom 02.01.17 und Antwort des Senats Betr.: Wie ist der deutliche Leistungsabfall Hamburger Schüler in den Matheprüfungen zu erklären? Hamburgs Schülerinnen und Schüler haben ein Problem mit der Mathematik. Bei den Prüfungen zum mittleren Schulabschluss erzielten die Schüler im Jahre 2015 eine erschreckende Durchschnittsnote von 4,0. Dieses Ergebnis ist deutlich schwächer als in den Jahren 2014 (3,1) und 2013 (3,5) (http://www.hamburg.de/contentblob/6365450/ac6b8db3cf447a6cebb7b33cc d25f41d/data/pdf-pruefungsergebnisse-2015-esa-msa.pdf, Seite 8 fortfolgende ). Ein Abfall der Leistungen ist auch bei den Abiturprüfungen zu verzeichnen: Das durchschnittliche Ergebnis der schriftlichen Prüfungen für Mathematik auf erhöhtem Anforderungsniveau ist im Jahre 2014 mit 8,1 Punkten im Vergleich zum Vorjahr um einen Notenpunkt gefallen (2013: 9,1 Punkte), im Jahr 2012 lag die Durchschnittsnote noch bei 9,5 Punkten. (http:// www.hamburg.de/contentblob/4471724/5109715abc95f088f8693b0dd7ef830 d/data/pdf-pruefungsergebnisse-2014-mathematik-undnaturwissenschaften .pdf, Seite 20 fortfolgende). Erschreckend ist auch die Feststellung, dass sich bei den Abiturprüfungen zudem ein deutlicher Zusammenhang zwischen Klausurergebnis und Sozialindex der Schule zeigt: An Schulen mit höherem Sozialindex ergeben sich im Schnitt deutlich bessere Ergebnisse als an Schulen mit geringerem Sozialindex. Schließlich sind den Angaben der datengestützten Analyse zur Lage der Stadtteilschulen in Hamburg zufolge die Ergebnisse der schriftlichen Abiturprüfungen an den Stadtteilschulen im Fach Mathematik zwischen dem Schuljahr 2011/2012 und dem Schuljahr 2014/2015 von 7,0 Punkten auf 5,8 Punkte gefallen. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die Leistungen im Fach Mathematik bewegen sich im Rahmen der normalen Leistungsschwankungen , wie sie auch in anderen Fächern vorkommen. Die Schwankungen sind unter anderem auf unterschiedlich zusammengesetzte Schülerjahrgänge und unterschiedliche Klausuren zurückzuführen. Ein genereller Leistungsabfall ist seriös nicht nachweisbar. So liegt der Notendurchschnitt bei den schriftlichen MSA- Prüfungen im Fach Mathematik im Jahr 2015 wieder auf dem Niveau der Jahre 2010 bis 2012, nachdem die Prüfungen 2014 vergleichsweise besser ausgefallen sind. Die Gründe für solche Schwankungen sind vielfältig, wirken zusammen und können nicht eindeutig identifiziert werden. Neben Unterschieden in der Zusammensetzung der einzelnen Jahrgangskohorten können auch leichte Unterschiede in den Aufgabenschwierigkeiten dazu führen, dass sich die Ergebnisse zwischen den Jahrgängen Drucksache 21/7368 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 voneinander unterscheiden. Auch die Veränderung in der Verteilung der Schülerschaft auf die Schulformen und Abschlüsse kann zu solchen Notenschwankungen beitragen. Grundsätzlich arbeitet die für Bildung zuständige Behörde zudem daran, die Klausuren an den bundesweit üblichen Schwierigkeitsgrad heranzuführen. Im Resultat werden die Klausuraufgaben somit nicht leichter. Im Rahmen der Maßnahmen zur Verbesserung des Mathematikunterrichts hat die für Bildung zuständige Behörde ein umfangreiches Paket beschlossen, siehe auch Drs. 21/1001. Dazu gehören die Erhöhung der Mindeststundenzahlen für den Mathematikunterricht in der Sekundarstufe I der Stadtteilschulen und Gymnasien, die Stärkung der Fachlichkeit durch verbindlichen Einsatz von Fachlehrkräften, umfangreiche Qualifikationsmaßnahmen für Grundschullehrkräfte im Umfang von insgesamt mindestens 190 Fortbildungsstunden innerhalb von vier Jahren, die Einführung von Landesfachkonferenzen , die Veröffentlichung von Fachbriefen Mathematik mit beispielgebenden Klassenarbeiten sowie die systemische Weiterentwicklung des Mathematikunterrichts in Zusammenarbeit mit dem deutschen Zentrum für Lehrerbildung Mathematik (DZLM). Die Umsetzung der Maßnahme zum Einsatz von Fachlehrkräften ist bereits in sehr hohem Maße erfolgreich. So wird an den Gymnasien 99,2 Prozent des Mathematikunterrichts von Fachlehrkräften erteilt, an Stadtteilschulen 93,1 Prozent. Die Umsetzung in den Grundschulen ist seit 2015/2016 regelhafter Gesprächspunkt in den Statusgesprächen zwischen Schulaufsicht und Schulleitungen. Ziel ist es, bis zum Schuljahr 2017/2018 mindestens 50 Prozent des Mathematikunterrichts an Grundschulen durch Lehrkräfte mit Facultas durchführen zu lassen. Die Schulen wurden beauftragt, ihre Personaleinsatz- und Fortbildungsplanung auf dieses Ziel hin auszurichten. Der sonstige Mathematikunterricht an Grundschulen soll von Lehrkräften erteilt werden, die im Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung qualifiziert wurden. Im Schuljahr 2015/2016 haben circa 200 Lehrkräfte an der Qualifikationsmaßnahme teilgenommen , im Schuljahr 2016/2017 sind es 368 Lehrkräfte. An allen Stadtteilschulen und Gymnasien wird Mathematikunterricht mindestens vierstündig erteilt. An den Grundschulen liegt die Mindeststundenzahl gemäß Stundentafel höher und umfasst insgesamt 21 Wochenstunden1. Die Qualitätsentwicklung des Mathematikunterrichts ist ein umfangreiches Vorhaben. Nachhaltige Erfolge sind nur mittel- beziehungsweise langfristig zu erzielen. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie erklärt die zuständige Behörde den deutlichen Abfall der Ergebnisse im Fach Mathematik a. bei den Prüfungen zum mittleren Schulabschluss im Jahre 2015 im Vergleich zu den Jahren 2013 und 2014? b. bei den schriftlichen Abiturprüfungen für Mathematik auf erhöhtem Anforderungsniveau im Jahre 2014 im Vergleich zu den Jahren 2012 und 2013? c. bei den schriftlichen Ergebnissen der Abiturprüfungen an den Stadtteilschulen im Jahre 2015 im Vergleich zu den Vorjahren 2012, 2013 und 2014? Siehe Vorbemerkung. 2. Im Jahr 2010 erfolgten die Systemumstellung zur Stadtteilschule und die Einführung der „Inklusion an Schulen“. In diesem Jahr sind die Abiturienten des Schuljahres 2013/2014 in die Oberstufe gekommen und die Prüflinge des mittleren Schulabschlusses in die fünfte Klasse. Damit waren die Fünftklässler mit der Inklusion konfrontiert. Sieht die zuständi- 1 Die Mindeststundenzahl von 21 Wochenstunden für die Jahrgangsstufen 1, 2, 3 und 4 bedeutet , dass in der Regel in jeder Jahrgangsstufe das Fach Mathematik mindestens fünfstündig unterrichtet wird und in mindestens einer Jahrgangsstufe sechsstündig. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/7368 3 ge Behörde hier einen Zusammenhang zum Leistungsabfall im Fach Mathematik? Nein. 3. Wurden zum Schuljahr 2013/2014 die Bildungspläne oder Prüfungsordnungen im Fach Mathematik geändert? a. Falls ja, inwiefern? b. Wann erfolgten welche konkreten Änderungen der Bildungspläne für das Fach Mathematik seit dem Schuljahr 2009/2010? c. Wann erfolgten welche konkreten Änderungen der Prüfungsordnungen im Hinblick auf das Fach Mathematik seit dem Schuljahr 2009/ 2010? Der Rahmenplan Mathematik gymnasiale Oberstufe von 2009 wurde zum Schuljahr 2015/2016 durch eine Anlage konkretisiert, die die Anforderungen der Bildungsstandards im Fach Mathematik für die Allgemeine Hochschulreife von 2012 aufnimmt. Die aktuell gültigen Bildungspläne Grundschule, Stadtteilschule und Gymnasium traten zum Schuljahr 2011/2012 in Kraft. Die Veränderungen gegenüber den Bildungsplänen von 2010 bestanden im Wesentlichen darin, die Vorgaben für die Jahrgangsstufen 5 und 6 aus dem Bildungsplan für die Primarschule in die Bildungspläne der Stadtteilschulen und Gymnasien zu übernehmen und die Jahrgangsstufe 11 in den Bildungsplan für die Sekundarstufe I der Stadtteilschule zu integrieren. Der Rahmenplan Mathematik Grundschule wurde zum Schuljahr 2013/2014 geringfügig geändert, indem die geläufige Ausführung der schriftlichen Division eingefügt wurde . Eine Änderung der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Grundschule und die Jahrgangsstufen 5 bis 10 der Stadtteilschule und des Gymnasiums (APO-GrundStGy) erfolgte am 15. Juli 2015. Für die Stadtteilschulen und Gymnasien wurde die Wochenstundenzahl in jedem Jahrgang auf mindestens vier festgelegt. Für die Grundschule gilt weiterhin eine Mindestwochenstundenzahl von insgesamt 21 für die Jahrgangsstufen 1 bis 4. 4. Wie erklärt sich nach Ansicht der zuständigen Behörde, dass der Leistungsabfall nur im Fach Mathematik und nicht in den übrigen Kernfächern stattfand? Die Leistungen im Fach Mathematik bewegen sich im Rahmen normaler Leistungsschwankungen , die unter anderem auf unterschiedliche Schülerjahrgänge und unterschiedliche Klausuren zurückzuführen sind. Ein genereller Leistungsabfall kann zurzeit nicht festgestellt werden, siehe Vorbemerkung. Langfristiger, kumulativer mathematischer Kompetenzaufbau erfordert hohe Anstrengungen. Schwierigkeiten ergeben sich durch das schrittweise Ansteigen des Abstraktionsniveaus, die für den Aufbau mathematischen Verständnisses notwendige Sprachkompetenz sowie die hohe Bedeutung von Argumentationskompetenz, Problemlösekompetenz und Modellierungskompetenz . Beim mathematischen Modellieren geht es um den Wechsel zwischen Realsituationen und mathematischen Begriffen, Resultaten und Methoden. Hinzu kommt für die zentralen Prüfungen im Fach Mathematik die Anforderung, über das erworbene Wissen und Können in sehr großer Breite und gleichzeitig auch in der Tiefe zu verfügen. 5. Wie erklärt sich nach Ansicht der zuständigen Behörde der deutliche Zusammenhang zwischen Klausurergebnis der Abiturprüfungen im Fach Mathematik und dem Sozialindex der Schule? Ein solcher Zusammenhang besteht in allen Fächern und ist nicht auf Mathematik beschränkt. Die Ergebnisse der nationalen und internationalen Schulleistungsstudien belegen regelmäßig, dass der sozioökonomische Hintergrund der Schülerinnen und Schüler und der Schulen die schulischen Leistungen stark beeinflusst: Ein höherer sozioökonomischer Status geht in den in Prüfungen und Tests betrachteten Anforderungen tendenziell mit höheren Kompetenznachweisen einher. Aktuell zeigt sich dies Drucksache 21/7368 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 in den jüngst veröffentlichten Ergebnissen der PISA 2015-Studie (http://www.pisa.tum.de/fileadmin/w00bgi/www/Berichtband_und_Zusammenfassung_ 2012/PISA_2015_Zusammenfassung_final.pdf) und in den Ergebnissen des IQB- Bildungstrends 2015 (https://www.iqb.hu-berlin.de/bt/BT2015/Bericht). Die zuständige Behörde orientiert sich bezüglich der Erklärung solcher Unterschiede am Stand der wissenschaftlichen Forschung. Demnach kommen die Unterschiede dadurch zustande, dass Herkunftsfamilien je nach sozialer Schicht über höchst unterschiedliche ökonomische, soziale und kulturelle Ressourcen verfügen. Unterschiedliche Unterstützungsmöglichkeiten im Elternhaus oder die unterschiedliche Nutzung schulischer Angebote und Ressourcen beeinflussen die Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler (siehe zum Beispiel IQB-Bildungstrend 2015 (2016). Sprachliche Kompetenzen am Ende der 9. Jahrgangsstufe im zweiten Ländervergleich . (Seite 409). Münster: Waxmann). Bekannt ist aus der Forschung auch, dass gerade die Effekte sozialer Herkunft durch institutionalisierte Bildungsangebote nur zum Teil zu reduzieren sind. Dies gilt länderübergreifend für alle Bildungsbereiche, zeigt sich aber verstärkt in Ländern, in denen die Herkunft der Schülerschaft wie in Hamburg durch eine hohe soziale Heterogenität geprägt ist. 6. Im Rahmen der Evaluation der Prüfungsergebnisse des schriftlichen Abiturs mit zentral gestellten Aufgaben im Jahre 2014 hat das IfBQ festgestellt , dass an den Gymnasien die Klausurnote 0,9 Punkte (eA) beziehungsweise 0,4 Punkte (gA) unter der Semestervornote liegt und an den Stadtteilschulen die Klausurergebnisse sogar um 3,1 Notenpunkte (eA) beziehungsweise 2,3 Notenpunkte (gA) schlechter als die Vorzensuren ausfallen. Wie erklärt sich nach Ansicht der zuständigen Behörde die erhebliche Diskrepanz zwischen den Klausurergebnissen und den Semesterleistungen an den Stadtteilschulen? Die Bewertung der Leistungen obliegt gemäß § 44 Absatz 1 Hamburgisches Schulgesetz (HmbSG) den beteiligten Lehrkräften, gestützt auf regelmäßige Lernbeobachtung , in pädagogischer Verantwortung. Grundlage der Bewertung sind die schriftlichen , mündlichen, praktischen und sonstigen Leistungen der Schülerinnen und Schüler , die diese im Rahmen des Schulverhältnisses erbracht haben. Gemäß § 57 Absatz 2 Ziffer 1 HmbSG beschließt die Lehrerkonferenz über die Grundsätze der Leistungsbeurteilung . In die Bewertung der laufenden Kursarbeit eines Semesters der Studienstufe fließen im Fach Mathematik alle Leistungen ein, die im Unterricht erbracht wurden. Der Rahmenplan Mathematik nennt Bewertungskriterien für die Bewertung von Unterrichtsgesprächen , Phasen individueller Arbeit, Gruppenarbeit, Arbeitsprodukte, Kursarbeiten, Facharbeiten und Portfolios, Lerntagebücher sowie Hausarbeiten, Tests und Klausuren . Im Übrigen fehlt die empirische Grundlage, um den Ursachen für die Diskrepanz zwischen den Semesterleistungen und den Ergebnissen der Klausuren im Abitur 2014 an Stadtteilschulen im Einzelnen zu ermitteln. 7. Welche konkreten Maßnahmen wurden seit der Ankündigung des Schulsenators im Jahr 2014 zur Verbesserung des Mathematikunterrichts unternommen, um auf eine Verbesserung der Ergebnisse im Fach Mathematik hinzuwirken? Bitte für Gymnasien, Stadtteilschulen und Grundschulen spezifizieren. Siehe Vorbemerkung und Drs. 21/1001. 8. Wie viele zusätzliche Mathe-Lehrer wurden seitdem eingestellt? Gibt es nach Ansicht der zuständigen Behörde einen Fachkräftemangel an Mathematik-Lehrern? 9. Wie viele Fachlehrerstellen für Mathematik waren in den Schuljahren 2013/2014, 2012/2013 und 2011/2012 jeweils unbesetzt? Bitte getrennt für Stadtteilschulen und Gymnasien angeben. Die für Bildung zuständige Behörde hat insgesamt 370 Lehrkräfte mit dem Fach Mathematik in den Jahren 2014 bis 2016 eingestellt. Im Gesamtsystem ist die Anzahl Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/7368 5 der Lehrkräfte mit dem Fach Mathematik auskömmlich. Die Schulen erhalten Lehrerstellen nicht explizit für einzelne Fächer, sondern entscheiden selbstständig über die Besetzung freier Stellen. Eine Ausweisung unbesetzter Stellen für einzelne Fächer ist daher nicht möglich. Im Übrigen siehe Drs. 20/4781, 21/302, 21/1001 und 21/1440. 10. Gab es in den Schuljahren 2011/2012, 2012/2013 und 2013/2014 eine Häufung von Stundenausfällen im Fach Mathematik? Zur Vermeidung von Unterrichtsausfall wird seit dem Schuljahr 2012/2013 systematisch der Unterrichtsausfall in Schulen und Jahrgangsstufen erfasst. Eine weitergehende Differenzierung nach einzelnen Unterrichtsfächern findet nicht statt.