BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/7551 21. Wahlperiode 24.01.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Jens Meyer und Katja Suding (FDP) vom 16.01.17 und Antwort des Senats Betr.: In Hamburg verfolgte Homosexuelle (II) – Zum Stand der Rehabilitierung Durch den § 175 StGB wurden über 60.000 homosexuelle Männer und Frauen in der Bunderepublik und in der DDR in den Jahren 1945 bis 1994 aufgrund ihrer sexuellen Orientierung vom Staat verfolgt und unter anderem zu Gefängnisaufenthalten verurteilt. Folgen davon waren neben Freiheitsentzug die öffentliche Ächtung in der Gesellschaft sowie systemische Diskriminierung . Deshalb war es folgerichtig, dass der Deutsche Bundestag am 7. Dezember 2000 sich dazu bekannte, dass § 175 StGB homosexuelle Bürger in ihrer Menschenwürde verletzte und eine Rehabilitierung Betroffener anzustreben sei. Das Bundesjustizministerium (BMJV) hat im Dezember 2016 einen überarbeiteten Referentenentwurf des Gesetzes zur Rehabilitierung verurteilter Homosexueller vorgelegt, der neben der Aufhebung der Urteile eine finanzielle Entschädigung als Einmalzahlung für die erlittenen Haftstrafen vorsieht. Zu begrüßen ist der vereinfachte Nachweis einer Verurteilung, welcher nun über eine eidesstaatliche Erklärung erfolgen soll. Es wird seitens des BMJV von 5.000 Personen ausgegangen, die einen Anspruch auf eine Rehabilitierung sowie auf eine finanzielle Entschädigung haben. Für die in Hamburg verfolgten Homosexuellen wurde durch eine Anfrage der FDP-Fraktion (Drs. 21/4465) festgestellt, dass die Freie und Hansestadt Hamburg nur über ein lückenhaftes Berichtswesen der Strafverfolgungsstatistik für Verurteile nach § 175 StGB verfügt. Das Berichtswesen umfasst die Jahre 1955, 1956 und 1959, sowie 1970 bis 1994. In diesem Zeitraum wurden laut Auskunft des Senats in Hamburg 423 Personen durch eine Verurteilung in ihrer Würde verletzt und ihrer Freiheit beraubt. Angesichts der Tatsache, dass eine aktuelle Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu dem Schluss kommt, dass die Toleranz gegenüber Homosexuellen in der Gesellschaft nach wie vor begrenzt ist1, ist ein politisches Handeln als Signal an die unrechtmäßig Verfolgten von hoher Bedeutung . Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1. Wie bewertet der Senat den aktuellen Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums zur Rehabilitierung von Homosexuellen, die im Zeitraum von 1945 bis 1994 nach dem §175 StGB verurteilt wurden? 1 http://www.tagesschau.de/inland/homosexualitaet-toleranz-101.html. Drucksache 21/7551 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 2. Ist der aktuelle Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums im Hinblick auf Entschädigungshöhe und einmalige Auszahlung nach Ansicht des Senats angemessen? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht? 3. Gibt es Pläne des Senates, zusätzlich zu den im Referentenentwurf des BMJV vorgesehenen Entschädigungssummen eine finanzielle oder anderweitige Wiedergutmachung in Sinne einer moralischen Entschädigung durch die Freie und Hansestadt Hamburg zu leisten? Wenn ja, wie? Wenn nein, warum nicht? Der Senat begrüßt, dass das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz den Entwurf eines Gesetzes zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen und zur Änderung des Einkommenssteuergesetzes in der Fassung vom 5. Dezember 2016 in die Ressortabstimmung der Bundesregierung gegeben und die Länder beteiligt hat. Der Gesetzentwurf trägt durch die Aufnahme eines pauschalierten Entschädigungsverfahrens dem Umstand Rechnung, dass aufgrund des hohen Alters der Betroffenen eine sehr zügige Entschädigung durchzuführen ist. Der Entwurf trägt ferner dem Umstand Rechnung, dass in vielen Fällen weder Akten, Urteile noch andere schriftliche Unterlagen zur Verfügung stehen werden. Im Übrigen hat sich der Senat damit nicht befasst. 4. Plant der Senat, in den Jahren 2017 und 2018 die gesellschaftliche Aufarbeitung des Themas der Homosexuellenverfolgung in der Bundesrepublik aktiv zu fördern? Wenn ja, wie? Wenn nein, warum nicht? Der durch den Senat beschlossene Aktionsplan für Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt (Drs. 21/7485) weist auf die Bedeutung der gesellschaftlichen Aufarbeitung der Verfolgung homosexueller Menschen hin. Neben den bereits erfolgreich laufenden Aktivitäten ist als konkrete Maßnahme vorgesehen zu prüfen, ob und gegebenenfalls wie weitere Anreize zur Forschung in Bezug auf die Aufarbeitung geschlechtlicher und sexueller Identitäten geschaffen werden können. Die Landeszentrale für politische Bildung (LZ) fördert auf Antrag von Trägern Veranstaltungen der politischen Bildung zu diesem Thema nach der Förderrichtlinie für die politische Bildung (siehe: http://www.hamburg.de/contentblob/72644/data/ foerderrichtlinie-pdf-43kb.pdf). Die LZ hält in ihrem Infoladen Publikationen zu diesem Thema bereit, unter anderem die Dokumentation der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung von Schwulen und Lesben in den Stolperstein-Publikationen und der Stolperstein-Datenbank sowie die Zeitschrift „Homophobie und Sexismus, Reihe: Der Bürger im Staat 1-2015“, herausgegeben von der LZ Baden-Württemberg. Im Übrigen siehe Drs. 21/4465. 5. Welche Gründe liegen für die Lücken im Berichtswesen der Strafverfolgungsstatistik zur Anzahl der nach dem § 175 StGB verurteilten Männer für die Jahre 1957, 1958 sowie 1960-1969 vor? 6. Hat der Senat Anstrengungen unternommen, um die Lücken im Berichtswesen der Strafverfolgungsstatistik zur Anzahl der nach dem § 175 StGB verurteilten Männer für die Jahre 1957,1958 sowie 1960- 1969 zu schließen? Wenn ja, welche und mit welchem Ergebnis? Wenn nein, warum nicht? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/7551 3 Ein Berichtswesen zu Verurteilungen allein nach § 175 StGB gab es bis 1970 nicht. Für die Strafverfolgungsstatistik wurden Delikte in der Regel zu Deliktsgruppen zusammengefasst. Die Veröffentlichung von Verurteilungszahlen erfolgte dann für die jeweilige Deliktsgruppe insgesamt und nicht für jedes Delikt einzeln. Auch die Anzahl der Verurteilungen nach § 175 StGB wurde nicht gesondert, sondern in Summe mit der Anzahl der Verurteilungen nach § 175 a StGB a.F. abgebildet. Soweit mit der Drs. 21/4465 Daten zu Verurteilungen nach § 175 StGB vor 1970 mitgeteilt wurden, stammen diese aus noch vorhandenen internen Aufzeichnungen, die der Vorbereitung der zu veröffentlichten Statistiken dienten. Die in der Strafverfolgungsstatistik auszuweisenden Angaben von Verurteilungen aus der Deliktsgruppe der §§ 175, 175 a StGB liegen lediglich für die Jahre 1966 und 1968 nicht vor. Die Gründe hierfür kann das Statistikamt Nord nicht benennen. 7. Wie bewertet der Senat die Ungerechtigkeit, vor der viele nach § 175 StGB verurteilte Menschen bei der Berechnung ihrer Rentenansprüche stellen, da sie oftmals durch ihre Haftzeit geringere Ansprüche erwerben konnten? Welche Maßnahmen erachtet der Senat für sinnvoll, um dieser Ungerechtigkeit zu begegnen? Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat im Rahmen der Länderbeteiligung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Frage, inwieweit weitergehende Rechtsfolgen als die im Gesetzentwurf genannten von der Rehabilitierung ausgeschlossen werden sollen, noch nicht geklärt ist. Vor diesem Hintergrund hat sich der Senat damit noch nicht befasst.