BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/7638 21. Wahlperiode 27.01.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 19.01.17 und Antwort des Senats Betr.: Übergang von Gefahrengebieten zu gefährlichen Orten Seit Ende 2016 gelten die Neuregelungen des § 4 PolDVG und des § 15a SOG. Es gibt also keine Gefahrengebiete mehr, sondern nunmehr ist die Einschätzung als gefährlicher Ort ein Kriterium für Identitätsfeststellungen und weitere polizeiliche Maßnahmen. Allerdings ist es nicht ausreichend, nur auf die Gesetzesänderung zu schauen . Entscheidend für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen, für die die Stellungnahme des Hamburgischen Datenschutzbeauftragten vom 2. April 2014 Anhaltspunkte liefert, ist die Umsetzung der neuen gesetzlichen Vorgaben unter anderem in neuen Errichtungsanordnungen und der Polizeidienstvorschrift (PDV) 350. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Welche Umsetzungsschritte sind bislang zur Überleitung von den bisherigen Gefahrengebieten zu den gefährlichen Orten geschehen? Bitte ausführlich erläutern. Mit Inkrafttreten des bezeichneten Gesetzes wurden die Dienststellen der Polizei informiert und die neuen rechtlichen Rahmenbedingungen kommuniziert. Die erforderliche Neufassung der Polizeidienstvorschrift (PDV) 350 (HH) zu diesem Thema wurde vorgenommen. Des Weiteren wurden interne Dienstanweisungen den rechtlichen Gegebenheiten angepasst. 2. Auch in der Neuregelung gibt es entgegen den datenschutzrechtlichen Bedenken keine ausdrückliche gesetzliche Befugnis zur Einrichtung von gefährlichen Orten. Wie wird diesen Bedenken Rechnung getragen? Eine gesetzliche Neuregelung des § 4 Absatz 2 Satz 1 PolDVG a.F. ist nicht erfolgt. Vielmehr wird die bereits geltende Norm des § 4 Absatz 1 Nummer 2 PolDVG angewendet , gegen die keine rechtlichen Bedenken bestehen. Die Bewertung des Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit vom 2. April 2014 bezog sich ausschließlich auf die außer Kraft gesetzte Norm des § 4 Absatz 2 Satz 1 PolDVG bezüglich polizeilicher Maßnahmen in „Gefahrengebieten“. Zielrichtung des § 4 Absatz 1 Nummer 2 PolDVG ist nicht die „Einrichtung von gefährlichen Orten“ sondern die Durchführung von Identitätsfeststellungen an einem kriminalitätsbelasteten Ort. 3. Im Bericht des Innenausschusses vom 02.11.2016 (Drs. 21/6538) heißt es, dass es ein anderes Verfahren geben werde, um einen gefährlichen Ort in Kraft zu setzen. Bislang war das Verfahren zur Ausweisung eines Gefahrengebietes in der PDV 350 geregelt. Wie ist die PDV 350 diesbe- Drucksache 21/7638 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 züglich geändert worden? Bitte die entsprechenden Passagen wiedergeben . Mit Inkrafttreten des „Zweiten Gesetzes zur Änderung polizeirechtlicher Vorschriften“ vom 8. Dezember 2016 wurde die PDV 350 (HH) neu gefasst. Demnach können die örtlichen Polizeidienststellen jederzeit prüfen, ob ein bestimmter Ort in ihrem Zuständigkeitsbereich besonders kriminalitätsbelastet ist. Es müssen Tatsachen belegt werden , welche das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen des § 4 Absatz 1 Nummer 2 PolDVG darlegen. Die entsprechende Dokumentation wird grundsätzlich auf dem Dienstweg an den Polizeipräsidenten zur Entscheidung gerichtet. Sofern der Polizeipräsident den Antrag bestätigt, können an dem „gefährlichen Ort“ Identitätsfeststellungen gemäß § 4 Absatz 1 Nummer 2 PolDVG und Durchsuchungen gemäß § 15 a Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 SOG durchgeführt werden. Nach § 15a Absatz 1 Satz 2 SOG ist die Durchsuchung nach Satz 1 Nummern 4 und 5 nur zulässig , wenn auf die Person bezogene tatsächliche Anhaltspunkte dies erforderlich machen. Tatsachen sind in der Regel objektive, der Nachprüfung zugängliche Erkenntnisse der Polizei darüber, dass an dem „gefährlichen Ort“ bereits in der Vergangenheit vermehrt Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen worden sind. Die tatsachenbegründenden Erkenntnisse können sich neben der polizeilichen Auswertung auch aus Strafanzeigen, Hinweisen von polizeilichen Informanten oder Mitteilungen anderer Behörden sowie aus in Berichten niedergelegten polizeilichen Beobachtungen ergeben . 4. Wie hat sich das Verfahren zur Ausweisung hinsichtlich der Beantragung und Beurteilung von gefährlichen Orten und der Anordnungszuständigkeit darüber geändert? Die Voraussetzungen zur Durchführung von Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen an einem „gefährlichen Ort“ erfordern gegenüber der außer Kraft gesetzten Norm des § 4 Absatz 2 Satz 1 PolDVG nicht mehr polizeiliche Lageerkenntnisse, sondern Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass dort Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung verabreden, vorbereiten oder verüben oder Personen angetroffen werden, die gegen aufenthaltsrechtliche Straf- oder Ordnungswidrigkeitenvorschriften verstoßen oder sich gesuchte Straftäter verbergen. Diese gesetzlichen Anforderungen sind in der polizeilichen Dienstvorschrift benannt. Im Übrigen siehe Antwort zu 3. 5. Welche gefährlichen Orte sind für wie lange und mit welcher Zielgruppenbestimmung ausgewiesen worden? Bitte die Gebiete und die Kriterien für die Entscheidungen bezogen auf jedes Gebiet genau beschreiben . Nach dem „Zweiten Gesetz zur Änderung polizeirechtlicher Vorschriften“ und der damit einhergehenden Streichung von § 4 Absatz 2 Satz 1 PolDVG gelten zum jetzigen Zeitpunkt vier Orte als „gefährliche Orte“ im Sinne des § 4 Absatz 1 Nummer 2 PolDVG beziehungsweise § 15a Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 SOG. Hierbei handelt es sich um: • „gefährlicher Ort PK 11 BTM 1“ Ernst-Merck-Straße/-brücke (ausschließlich), Glockengießerwall (ausschließlich), Steintorwall (ausschließlich), Altmannbrücke, Gleisanlagen östliche des Klosterwalls (ausschließlich), Amsinckstraße (ausschließlich), Spaldingstraße (ausschließlich), Rosenallee, Verlängerung über die Gleisanlagen in nördliche Richtung bis Norderstraße , Norderstraße, Nagelsweg, Kurt-Schumacher-Allee, Adenauerallee, Steintorplatz (ausschließlich), Kirchenallee • „gefährlicher Ort PK 11 BTM 2“ Steintorplatz, Kirchenallee (ausschließlich), Lange Reihe (ausschließlich), Danziger Straße, Brennerstraße, Lindenstraße, Lindenplatz, Verlängerung bis zur Adenauerallee (ausschließlich), Adenauerallee (ausschließlich) Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/7638 3 • „gefährlicher Ort PK 15 BTM“ Nördliche Begrenzung: Clemens-Schultz-Straße ausschließlich Gehwege, Hauseingänge und Fahrbahn, von der Budapester Straße bis zur Straße Große Freiheit einschließlich westliche Begrenzung: Große Freiheit bis zur Reeperbahn, Reeperbahn bis zur Holstenstraße (ausschließlich ), Reeperbahn bis zur Lincolnstraße, Lincolnstraße einschließlich, Lincolnstraße bis zur Antonistraße ausschließlich Trommelstraße, Antonistraße sowie Antoni-Park einschließlich bis zum St. Pauli Fischmarkt südliche Begrenzung: St. Pauli Fischmarkt beginnend ab Antoni-Park, St. Pauli Hafenstraße bis Davidtreppe Östliche Begrenzung: Davidstraße einschließlich bis Spielbudenplatz, Spielbudenplatz einschließlich, Reeperbahn bis Millerntorplatz 1, Millerntorplatz 1 bis Budapester Straße • „gefährlicher Ort PK 15 Gewalt“ Nördliche Begrenzung: Simon-von-Utrecht-Straße (einschließlich) von der Straße Große Freiheit bis zur Budapester Straße (ausschließlich) Westliche Begrenzung: Große Freiheit bis zur Reeperbahn, Reeperbahn bis zur Holstenstraße (ausschließlich ), Reeperbahn bis zur Lincolnstraße, Lincolnstraße über Trommelstraße bis zur Silbersacktwiete (ausschließlich Trommelstraße), Silbersacktwiete bis zur Balduinstraße , Balduinstraße bis zur Erichstraße Südliche Begrenzung: Erichstraße einschließlich bis zur Davidstraße Östliche Begrenzung: Davidstraße von der Erichstraße bis Spielbudenplatz, Spielbudenplatz einschließlich, Reeperbahn bis Millerntorplatz 1, Millerntorplatz 1 bis Budapester Straße (ausschließlich ) Die Dauer der Durchführung der Maßnahmen ist zeitlich nicht beschränkt und ist davon abhängig, ob die gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 4 Absatz 1 Nummer 2 PolDVG an dem Ort gegeben sind. Es wurden keine Zielgruppen festgelegt. Vielmehr richtet sich die Durchführung der Maßnahmen nach den jeweiligen Tatsachenfeststellungen vor Ort unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die Tatsachenbegründung für die „gefährlichen Orte Betäubungskriminalität BTM“ ergibt sich aus einer Auswertung von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) sowie nach dem Arzneimittelgesetz. Diese legt dar, dass die Straßenzüge der bezeichneten „gefährlichen Orte“ eine deutlich stärkere Belastung der ausgewerteten Taten ausweist als die Straßen im Umfeld. Für den „gefährlichen Ort PK 15 Gewalt“ wurden Straftaten der Gewaltkriminalität ausgewertet. Hierbei wurden die Daten erfasster Tötungsdelikte, Raubdelikte, Erpressungen , Sexualdelikte, der einfachen und gefährlichen Körperverletzung sowie des Landfriedensbruchs ausgewertet. Auch hier heben sich die Daten deutlich im bezeichneten „gefährlichen Ort“ von den Zahlen im Umfeld ab. 6. Wie werden die Bewohner/-innen über die Festsetzung eines bestimmten Gebietes als gefährlicher Ort informiert? Wie wird die Öffentlichkeit darüber informiert? Auf welchem Weg können Betroffene gegen die Festsetzung vorgehen? Bewohnerinnen und Bewohner wurden bezüglich der benannten „gefährlichen Orte“ nicht gesondert über die Veränderung der rechtlichen Voraussetzungen informiert. Drucksache 21/7638 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Die Entscheidung, ob ein Ort als „gefährlicher Ort“ im Sinne der Vorschrift des § 4 Absatz 1 Nummer 2 PolDVG angesehen werden kann, wird als vorbereitende Maßnahme nach erfolgter Prüfung getroffen. Im Übrigen siehe Antwort zu 3. Diese Entscheidung hat keine Außenwirkung im Sinne des § 35 Hamburger Verwaltungsverfahrensgesetz (HmbVwVfG) mit der Folge, dass kein Verwaltungsakt vorliegt. Maßnahmen, die die Polizei an einem „gefährlichen Ort“ trifft, können mit den üblichen Rechtsbehelfen überprüft werden. Dabei kann auch die polizeiliche Bewertung zur „Gefährlichkeit“ des Ortes, an dem die konkreten Maßnahmen getroffen wurden, gerichtlich überprüft werden. 7. Wie sind das begleitende Monitoring, die Dokumentation der Lageerkenntnisse und die Anforderungen an eine Aufhebung der ausgewiesenen Orte geregelt und wie wird dies bekannt gegeben? Bitte ausführlich schildern. Die örtlich zuständige Polizeidienststelle überprüft fortlaufend das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Annahme als „gefährlicher Ort“. Die dem Prüfauftrag zugrunde liegenden Daten werden monatlich erhoben und mit Vergleichszahlen der vergangenen elf Monate dem Polizeipräsidenten zur erneuten Prüfung vorgelegt . Durch diesen monatlichen Abgleich kann sofort auf Veränderungen reagiert werden und gegebenenfalls der Umfang der Orte verkleinert, vergrößert oder auch festgestellt werden, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Annahme als „gefährlicher Ort“ entfallen sind. Im Übrigen siehe Antworten zu 3. und zu 4. 8. Welche Speicher- und Prüffristen gibt es für Identitätsfeststellungen nach § 4 Absatz 1 Nummer 2 PolDVG? In Abhängigkeit von der Datei, in der die Daten gespeichert werden, sind Prüf- und Speicherfristen gemäß §§ 15 und 16 PolDVG in der jeweiligen Errichtungsanordnung festgelegt. In Bezug auf die Regelungen des neu eingeführten § 15 a Absatz 1 Satz 1 Nummern 4, 6 SOG hat es keine Veränderungen in diesem Bereich gegeben. a. Wie wird den verfassungsrechtlichen Bedenken des Datenschutzbeauftragten insbesondere hinsichtlich der Rechtsgrundlage Rechnung getragen? Siehe Antwort zu 2. b. Was hat sich geändert und wie werden Anhaltemeldungen nunmehr gehandhabt? Siehe Antwort zu 8. 9. Durch den Wechsel der weiteren Maßnahmen vom PolDVG zum SOG haben sich auch die gesetzlichen Grundlagen für die Speicherung und deren Prüfung geändert. Welche Auswirkungen hat dies? Bitte ausführlich erläutern, auch unter Angabe der Speicher- und Prüffristen. Es wird davon ausgegangen, dass sich die Frage auf die mit dem „Zweiten Gesetz zur Änderung polizeirechtlicher Vorschriften“ vorgenommenen Änderungen des § 15a SOG bezieht. Entgegen der Annahme im Wortlaut der Fragestellung ergibt die Gesetzesänderung keine neue Grundlage für Prüf- und Speicherfristen zu erhobenen personenbezogenen Daten. Auch gibt es keine spezielle Prüf- und Speicherfrist bezüglich der im Rahmen einer Identitätsfeststellung erhobenen Daten. In Abhängigkeit von der Datei, in der die Daten gespeichert werden, sind Prüf- und Speicherfristen nach wie vor gemäß §§ 15 und 16 PolDVG in der jeweiligen Errichtungsanordnung festgelegt.