BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/7652 21. Wahlperiode 31.01.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Cansu Özdemir (DIE LINKE) vom 23.01.17 und Antwort des Senats Betr.: Schutz vor sexuellen und/oder gewalttätigen Übergriffen in Clubs, Bars und Diskotheken Sexuelle und/oder gewalttätige Übergriffe in Clubs, Bars und Diskotheken sind keine Seltenheit. Aktuell wird durch einen offenen Brief darauf aufmerksam gemacht, den sieben junge Frauen in Jena an Clubs, in denen sie immer wieder Übergriffe durch Männer erleben, geschrieben haben (vergleiche http://www.otz.de/startseite/detail/-/specific/Wir-sind-kein-Freiwild- 2035971991). Frauen müssen nicht nur in ihren Wohnungen, Partnerschaften und Familien vor Gewalt und Übergriffen geschützt werden, sie sollten sich auch im öffentlichen Raum sicher fühlen können. Mittlerweile werden auch in Clubs, Bars und Diskotheken und sogar Festivals, sogenannte Awarenessteams eingesetzt . „Awarenessteams“ stehen als sichtbare, direkte Ansprechpartner/ -innen bei sexuellen und/oder gewalttätigen Übergriffen zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie viele Anzeigen zu sexuellen und/oder gewalttätigen Übergriffen im öffentlichen Raum oder auf Großevents wurden im Jahr 2016 erstattet? Bitte nach Geschlecht von Opfern und Tätern/-innen sowie der angezeigten Tat aufschlüsseln. a. Wie hoch schätzt der Senat die Dunkelziffer ein? 2. Wie viele Anzeigen von sexuellen und/oder gewalttätigen Übergriffen in Clubs, Bars und Diskotheken wurden im Jahr 2016 erstattet? Bitte nach Geschlecht von Opfern und Tätern/-innen sowie der angezeigten Tat aufschlüsseln. a. Wie hoch schätzt der Senat die Dunkelziffer ein? Wie viele Anzeigen im Sinne der Fragestellung erstattet wurden, wird durch die Polizei Hamburg statistisch nicht gesondert erfasst. Die Polizei erfasst Straftaten gemäß dem Straftatenkatalog der Richtlinien für die Erfassung und Verarbeitung der Daten in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). In der PKS erfolgt die räumliche Erfassung in ihrer kleinsten Einheit nach Ortsteilen. Nach Tatörtlichkeit oder besonderen Anlässen wird nicht weiter differenziert. Die Tatörtlichkeit „öffentlicher Raum“ wird in der PKS für ausgewählte Delikte über den PKS-Unterschlüssel „auf Straßen, Wegen oder Plätzen“ dargestellt. Eine Auswertung zu Großveranstaltungen ist in der PKS nicht möglich. Die Aussagekraft der PKS ist auf Jahresauswertungen ausgelegt. Innerhalb eines Berichtsjahres unterliegt der PKS-Datenbestand einer ständigen Pflege, zum Beispiel Drucksache 21/7652 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 durch Hinzufügen von nachträglich ermittelten Tatverdächtigen oder die Herausnahme von Taten, die sich im Nachhinein nicht als Straftat erwiesen haben. In der PKS wird ein Fall in dem Monat gezählt, in dem er erfasst wurde. Die Tatzeit bleibt dabei unberücksichtigt. Wird dieser Fall in einem Folgemonat im Sinne der vorstehend beschriebenen ständigen Pflege geändert, führt das in diesem Folgemonat zu einer erneuten Zählung, da eine Datensatzänderung im rechnerischen Sinne eine neue Erfassung darstellt. In der PKS erfolgen unterjährige Auswertungen immer kumulativ. Die Opfererfassung in der PKS erfolgt bei im Straftatenkatalog speziell ausgewiesenen Straftaten. Dies betrifft grundsätzlich Delikte gegen höchstpersönliche Rechtsgüter (Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Ehre, sexuelle Selbstbestimmung). Ein Rückschluss von der Zahl der Opfer auf Fallzahlen ist nicht zulässig, da in einem Fall mehrere Opfer geschädigt werden können. Der Hamburger PKS-Datenbestand für das Jahr 2016 wird aktuell durch einen Abgleich mit dem Datenbestand des Bundeskriminalamtes (BKA) qualitätsgesichert. Erst nach Abschluss dieser Prüfungen und Freigabe durch das BKA gelten die PKS- Daten eines Berichtsjahres für Fall- und Tatverdächtigenzahlen als gültig. Für das Jahr 2016 werden die erfragten Daten als kumulative Dreivierteljahreszahlen (Januar bis September) dargestellt, siehe Anlage. Zur Aussagekraft der PKS siehe Drs. 21/1121. Die zur Beantwortung dieser Fragen erforderlichen Daten – namentlich der Umstand, ob ein (Sexual-)Delikt im öffentlichen Raum, in einem Lokal oder während einer Großveranstaltung begangen wird – werden im Vorgangsverwaltungs- und Vorgangsbearbeitungssystem der Staatsanwaltschaft MESTA nicht erfasst. Es müssten daher alle Verfahren aus dem Aktenzeichenjahrgang 2016, die sich auf einen Vorwurf wegen eines Sexualdelikts nach den §§ 177, 179, 184i oder 184j StGB oder, da eine Vielzahl der infrage kommenden Handlungen auch als Beleidigung verfolgt werden könnte, auf einen Vorwurf nach § 185 StGB beziehen, ausgewertet werden. Dabei handelt es sich um insgesamt mehr als 6.000 Verfahren gegen bekannte Täter („Js-Verfahren“) und über 1.400 Verfahren gegen unbekannte Täter („UJs-Verfahren“). Dies ist im Hinblick auf die für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Über das Dunkelfeld liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor. 3. Wie bewertet der Senat den Einsatz von Awarenesskonzepten und Awarenessteams ? a. Hält der Senat solche Konzepte beziehungsweise Awarenessteams für eine sinnvolle und effektive Maßnahme? Bitte erläutern beziehungsweise wenn nein, warum nicht? Die genannten Konzepte liegen im Zuständigkeitsbereich privater Veranstalter. Grundsätzlich begrüßt der Senat Maßnahmen, die die Sicherheit der Besucher öffentlicher Veranstaltungen erhöhen und das Sicherheitsgefühl fördern. 4. Von welchen Clubs, Bars, Diskotheken, Festivals et cetera ist dem Senat bekannt, dass dort „Awarenessteams“ beziehungsweise direkte Ansprechpartner/-innen eingesetzt werden? Bitte auflisten. Veranstalter beziehungsweise Club-, Bar- und Diskothekenbetreiber treffen nach Erkenntnissen der Polizei verschiedene Maßnahmen, um die Sicherheit ihrer Besucherinnen und Besucher zu stärken. Inwieweit dies jeweils Maßnahmen im Sinne der Fragestellung umfasst, ist nicht bekannt. a. Welche Konzepte in Vergnügungsvierteln, in Clubs, Bars und Diskotheken zum Schutz vor Übergriffen sind dem Senat bekannt? 5. Plant der Senat ein Konzept zum Schutz vor sexuellen und/oder gewalttätigen Übergriffen in Vergnügungsvierteln/an den genannten Orten? Wenn ja, wie sehen die Planungen konkret aus? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/7652 3 Wenn nein, warum nicht? Konzepte in Clubs, Bars und Diskotheken zum Schutz vor Übergriffen werden grundsätzlich von den Betreibern (als Hausrechtsinhabern) getroffen. Im Übrigen siehe Antwort zu 4. Polizeiliche Maßnahmen zum Schutz vor Übergriffen in Vergnügungsvierteln erfolgen grundsätzlich im Rahmen des polizeilichen Auftrags in Form von uniformierter Präsenz , dem Einsatz von Kräften in Zivilkleidung und konsequentem lageangepasstem Einschreiten. Beispielhaft trifft das zuständige Polizeikommissariat 15 im Bereich der Reeperbahn – teilweise mit Zusatzkräften – insbesondere an den Wochenenden geeignete Maßnahmen, um Gewaltdelikte auf öffentlichen Flächen zu verhindern. Dazu zählt bei Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen auch die Videoüberwachung . Darüber hinaus findet zwischen der zuständigen Polizeidienststelle und den Betreibern und Türstehern der Clubs, Bars und Diskotheken ein regelmäßiger Informationsaustausch statt. Lageangepasst werden Maßnahmen auf den öffentlichen Flächen verstärkt. Unter anderem wird die Sichtbarkeit der eingesetzten Beamten durch das Tragen gelber Reflexwesten erhöht. Zeitweise statten auch einige Club-, Bar- und Diskothekenbetreiber ihre Türsteher zur besseren Sichtbarkeit mit Armbinden aus. Die Einsatzvorbereitung umfasst unter anderem die Vermeidung tatbegünstigender Gelegenheiten . Hierbei kommen insbesondere Maßnahmen wie das Ausleuchten der Örtlichkeiten , die Einrichtung geeigneter Beobachtungsposten, Zugangs-/Einlasskontrollen , die Steuerung von Besucherströmen zur Verhinderung der „Überfüllung“ von Örtlichkeiten, die Errichtung gut sichtbarer und barrierefrei zugänglicher Anlaufpunkte für potenzielle Opfer und die Einrichtung und Beschilderung von Fluchtwegen in Betracht. Zudem erfolgen nach Bedarf Abstimmungen zum Beispiel mit der Bundespolizei oder dem HVV. Die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration plant, mögliche Maßnahmen bei der Fortschreibung des Konzeptes zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Menschenhandel und Gewalt in der Pflege (Drs. 20/10994) zu berücksichtigen . Im Übrigen siehe Drs. 21/2798. 6. Plant der Senat präventive Maßnahmen/Aktionen/Kampagnen zum Schutz vor sexuellen und/oder gewalttätigen Übergriffen in Vergnügungsvierteln /an den genannten Orten? Wenn ja, wie sehen die Planungen konkret aus? Wenn nein, warum nicht? Präventive Maßnahmen zum Schutz vor sexuellen und/oder gewalttätigen Übergriffen werden durch die Polizei anlassbezogen geplant und durchgeführt. Im Zuge polizeilicher Präventionsarbeit kommen im Zusammenhang mit den erfragten Deliktsbereichen insbesondere Verhaltensempfehlungen für potenzielle Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie die Benennung möglicher Anlaufstellen und Kontaktanschriften von Opferhilfeeinrichtungen in Betracht. Im Übrigen siehe Antwort zu 4. a. und 5. sowie Drs. 21/2798. 7. Sind Maßnahmen wie zum Beispiel Notfallsäulen, „Security Points“, Unterstützung bei der Ausbildung von Awarenessteams oder Kooperationen mit Gastronomen/-innen geplant? Wenn ja, wie sehen die Planungen konkret aus? Wenn nein, warum nicht? Siehe Antwort zu 4. a. und 5. Drucksache 21/7652 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Anlage Die in der nachstehenden Tabelle genannten PKS-Daten beziehen sich auf den Zeitraum Januar bis September 2016: PKS Schlüsselzahl Straftat Fälle Opfer Tatverdächtige insgesamt männlich weiblich insgesamt männlich weiblich 100000* Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung 1.125 827 134 693 572 458 114 110000 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung unter Gewaltanwendung oder Ausnutzen eines Abhängigkeitsverhältnisses 193 233 8 225 110 109 1 130000 Sonstiger sexueller Missbrauch 479 585 126 459 278 269 9 217000 Sonstiger Raub Straße /Weg/Platz 1.012 1.098 850 248 396 367 29 222100 Gefährliche / schwere Körperverletzung Straße/Weg/Platz 2.535 3.043 2.539 504 2.456 2.120 336 * Hinweis: Opfer werden unter diesem Ober-Schlüssel der PKS nur bei einem Teil der umfassten Delikte erfasst. Die PKS-Schlüssel 110000 und 130000 stellen jeweils Teilmengen des Ober-Schlüssels 100000 dar.