BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/7767 21. Wahlperiode 07.02.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Karin Prien (CDU) vom 31.01.17 und Antwort des Senats Betr.: Einfluss des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) auf die Schulpolitik am Beispiel der Broschüre „Standhalten – Rassismuskritische Unterrichtsmaterialien und Didaktik für viele Fächer“ Laut eigener Aussage hat das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) drei Funktionen: Es ist verantwortlich für (1) die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern, (2) deren berufsbegleitende Qualifizierung und (3) für die Unterstützung der Hamburger Schulen bei der Weiterentwicklung der Unterrichts- und Schulqualität (http://li.hamburg.de/ueber-uns/). Die vom LI verteilte Broschüre „Standhalten – Rassismuskritische Unterrichtsmaterialien und Didaktik für viele Fächer“, Herausgeber Ramses Michael Oueslati (auch Hauptautor) und Marcin Michalski, Hamburg 2016, gibt Anlass zu einigen Fragen nach der Rolle einer Einrichtung zur Lehrerfortbildung und dem Verhältnis zu der verantwortlichen Behörde und deren Funktion als Fachaufsicht für dieses Institut. Ziel der oben genannten Broschüre ist, die „umfassende Bekämpfung von Rassismus“ (Seite 13) in Schulen. Zunächst gibt der Autor eine theoretische Einführung, was er „rassismuskritische Didaktik“ nennt, in der er auf die optimale Haltung des Lehrers und didaktische Ansätze für den Unterricht eingeht. Im zweiten Teil werden dann Arbeitsmaterialien zur Verfügung gestellt, um das zuvor erworbene Wissen unter Anleitung anzuwenden. Der Begriff Rassismus wird in den Texten und auf der Sonderseite „Theorieexkurs – Was ist Rassismus heute“ eher weit gefasst, da ein „enger“ „biologistischer “ (beides Seite 13) Ansatz in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus abgelehnt wird. So beschreibt der Autor beispielsweise „antimuslimischen Rassismus“ (Seite 12), der seit dem 11. September 2001 deutlich ausgeprägter geworden ist. Durch Fettdruck hervorgehoben werden die folgenden Sätze: „Die angeblich rassische Überlegenheit weicht heute eher einem Anspruch auf kulturelle.“ und „Die Auflösung von Rassismus ist deswegen meist nur durch institutionelle oder kollektive Veränderung möglich (…)“ (beides Seite 13). Dies alles ist die begründende Einleitung zur unterrichtlichen Behandlung eines Films, wo eine extrem karikierte Unterrichtssituation mit verschieden unfähigen Lehrenden dargestellt wird, und wo einer begabten Schülerin eine Hauptrolle in einem Theaterstück (über das man nichts erfährt, also auch nicht beurteilen kann, welcher Art die betreffende Rolle ist) entzogen wird, weil sie plötzlich ein Kopftuch trägt. Anfangs wird sie auch von Schülern mit Migrationshintergrund geschnitten (sic!), die Gruppe findet dann aber eine gute Lösung. Auch in Bezug auf das richtige Lehrerverhalten gibt der Autor Hinweise: „Einüben sollten wir Lehrkräfte auch, dass wir manche Schüler_innen nicht nur als handfeste_n Rassist_n betrachten, sondern auch deren bedürftige Drucksache 21/7767 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Seiten wahrnehmen.“ (Seite 22). Durch Zuwendung kann eine Hasshaltung eventuell infrage gestellt werden, ebenso wie die Erwartung einer Ablehnung durch den Lehrer. Auf diesen Passus bezieht sich die folgende Anmerkung: „Das gilt nur bedingt für Schüler_innen aus wohlsituierten rechtskonservativen Elternhäusern. Diese können zwar auch emotional-sozial vernachlässigt sein, doch hat Rassismus in der Oberschicht wohl oft auch die Funktion den eigenen hohen Status und Privilegien zu sichern. Praxiserfahrungen fehlen mir hier jedoch.“ (Seite 22). Darüber hinaus findet sich sowohl in der Einleitung der Broschüre als auch auf jedem der Arbeitsblätter für die Schülerinnen und Schüler der Klassenstufen 7, 8 oder 9 sinngemäß die folgende Fußzeile, Fettdruck wie im Text: Worterklärungen: Der_die Schüler_in = „Die Lücke (_) bedeutet, dass es auch schwule, lesbische und andere Sexualitäten gibt.“ (hier als Beispiel Seite 63). Diese Erklärung für diese besondere, noch nicht allgemein eingeführte Typographie (vergleiche auch Zitat in Ziffer B) und die erklärende Anmerkung findet sich auch wiederholt in den Erklärungstexten für Lehrer. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die Publikation „Standhalten – Rassismuskritische Unterrichtsmaterialien und Didaktik für viele Fächer“, Hrsg. Marcin Michalski und Ramses Michael Oueslati, Hamburg 2016, ist, wie aus dem Impressum, dem Vorwort und dem Erscheinungsbild hervorgeht , keine Veröffentlichung des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg (LI). Für den Inhalt der Publikation tragen die Autoren und Herausgeber die Verantwortung. Seitens des LI gab es auch keine finanzielle Unterstützung für die Herstellung oder den Druck. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Zum verwendeten Rassismusbegriff a. Welche Beratung im LI und der zuständigen Behörde sind der Verwendung und Veröffentlichung dieses Begriffs vorausgegangen? Siehe Vorbemerkung. b. Ist sich die zuständige Behörde über die Verwendung und Wirkung dieses Begriffs in dieser Broschüre im Klaren? Falls ja, teilt sie diese Definition? Der in der Publikation verwendete Rassismusbegriff entspricht dem aktuellen nationalen und internationalen Forschungsstand. Der UN-Ausschuss gegen Rassismus hat 2008 der Bundesrepublik Deutschland empfohlen, den Rassismusbegriff zu erweitern. Dies mündete in einen Aktionsplan der Bundesregierung, in dem sich die Bekämpfung von Rassismus nicht nur im Vorgehen gegen den sogenannten Rechtsextremismus erschöpft. Die Europarats-Kommission gegen Rassismus wiederholte die oben genannten Empfehlungen im Jahr 2009 (siehe Hendrik Cremer: „Rassismus kommt nicht nur von rechts“, in: http://www.dw.com/de/rassismus-kommt-nicht-nur-vonrechts /a-5948363). Darüber hinaus gehören begriffliche Kontroversen in den Gesellschaftswissenschaften zum wissenschaftlichen Standard. Hierauf wird in der Publikation mehrfach hingewiesen (siehe Seiten 12 und 23). Im Übrigen siehe Vorbemerkung . c. Teilt die Behörde die Sorge, dass dieser sehr weite kulturelle Rassismusbegriff geeignet ist, die Abwehr biologischen Rassismus im Sinne zum Beispiel des Holocaust inhaltlich wie auch sprachlich zu erschweren? Nein. 2. Zum Lehrerverhalten a. Entsprechen die oben genannten Aussagen zum Lehrerverhalten inhaltlich und methodisch dem fachlichen und pädagogischen Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/7767 3 Reflektionsniveau, das die zuständige Behörde für die Lehrerfortbildung erwartet? Lehrerfortbildung soll auf dem aktuellen Stand der Forschung stattfinden. Gemeinsam mit weiterführenden Aussagen entsprechen die erwähnten Aussagen dem aktuellen Forschungsstand zur pädagogischen Prävention von Rechtsradikalität. Diese gelten für alle Schülerinnen und Schüler gleichermaßen in allen Schichten und Milieus in Deutschland. Die im Vortext der Fragestellerin zitierten Aussagen beziehen sich auf Sympathisantinnen und Sympathisanten sowie Mitläuferinnen und Mitläufer (siehe Seite 23 der Publikation). b. Gibt es nach Kenntnis der zuständigen Behörde ein Lektorat für Veröffentlichungen für die Lehrerfortbildung? Falls nein, ist ein solches wünschenswert? Die Verantwortung für Publikationen des Landesinstituts liegt bei den Abteilungsleitungen und beim Direktor des LI. Für diese Publikationen findet ein Lektorat statt. Für den Einsatz von Veröffentlichungen Dritter beziehungsweise von anderen Materialien in der Lehrkräftefortbildung tragen die jeweiligen Fortbildnerinnen und Fortbildner die Verantwortung. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 3. Zur der Worterklärung „der_die Schüler_innen“ a. Beruht diese Hervorhebung denkbarer weiterer sexueller Orientierungen für Lehrkräfte und Lernende auf einer Vorgabe der zuständigen Behörde? Nein. Bei der Erstellung von Publikationen der Freien und Hansestadt Hamburg sind in der Regel die „Grundsätze für die Gleichbehandlung von Frauen und Männern in der Rechts- und Verwaltungssprache der Freien und Hansestadt Hamburg“ zu berücksichtigen (siehe http://www.hamburg.de/bsb/massnahmen-zur-gleichstellung/7084518/ gendergerechte-sprache/). In Ausnahmefällen kann die sogenannte Gender-Gap- Schreibweise (Schreibweise mit Unterstrich) gewählt werden, die zum Beispiel im „Aktionsplan des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg für Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt“ (Drs. 21/7485, siehe: http://www.hamburg.de/ contentblob/7918412/d3acc384b3d58757d20ec6b1517c0310/data/d-aktionsplan-dessenats -der-freien-und-hansestadt-hamburg-fuer-akzeptanz-geschlechtlicher-undsexueller -vielfalt.pdf) Anwendung findet. Die Schreibweise mit Unterstrich wird auch im Leitfaden „Diversity Mainstreaming für Verwaltungen“ der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Berlin 2015, wegweisend durchgängig benutzt und mit der Verwendung „in einschlägigen wissenschaftlichen Kontexten“ begründet (siehe http://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/ Downloads/DE/publikationen/Diversity_Mainstreaming/ Leitfaden_Diversity_Mainstreaming_fuer_Verwaltungen_20140527.html, Seite 3). Falls ja, i. sind die zuständigen Fachreferate in der zuständigen Behörde damit befasst worden? ii. sind Lehrende künftig gehalten, bei der Vorbereitung von Unterricht auch die sexuellen Orientierungen in der konkreten Klasse zu ermitteln und zu beachten? iii. hat die zuständige Behörde die Reaktion von Lernenden der angesprochenen Jahrgänge bedacht? iv. wie schätzt die zuständige Behörde die Reaktion von Eltern, die gegebenenfalls aus anderen Kulturkreisen stammend, sexuelle Fragen nach ihrem Verständnis ihres Elternrechts weniger detailliert behandelt sehen wollen? Ist dieser ungewöhnliche Drucksache 21/7767 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Zugang geeignet, die Wertschätzung von Familien mit Migrationshintergrund für unsere offene, liberale Gesellschaft zu fördern ? Entfällt. b. Entspricht dieser Ansatz der für das Landesinstitut zu fordernden interkulturellen Kompetenz? Ist diese Herangehensweise geeignet, die Eltern für die Lehrkompetenz unserer Schulen zu öffnen? Das im LI verfolgte Verständnis interkultureller Kompetenz folgt grundsätzlich den Vorgaben gemäß § 2 Hamburgisches Schulgesetz, wonach es Aufgabe der Schule ist, „die Schülerinnen und Schüler zu befähigen und ihre Bereitschaft zu stärken, ihre Beziehungen zu anderen Menschen nach den Grundsätzen der Achtung und Toleranz , der Gerechtigkeit und Solidarität sowie der Gleichberechtigung der Geschlechter zu gestalten“. Hieraus leitet sich auch der Ansatz des Umgangs mit und der Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt ab. 4. Allgemein a. In welcher Auflage wurde die Broschüre gedruckt, wie hoch war der Kostenanteil der BSB beziehungsweise des LI? Siehe Vorbemerkung. Die Broschüre wurde vollständig von den Herausgebern finanziert und erschien in einer Auflage in Höhe von 1.400 Stück. b. Gab es Fortbildungstermine des LI, an denen dieses Projekt vorgestellt wurde? Falls ja, bitte Termine, Teilnehmerzahl und Durchführende angeben. 07.04.2016, 38 Teilnehmer/-innen, Marcin Michalski und Ramses Michael Oueslati 31.05.2016, 22 Teilnehmer/-innen, Ramses Michael Oueslati 23.09.2016, 23 Teilnehmer/-innen, Ramses Michael Oueslati 02.11.2016, zehn Teilnehmer/-innen, Christian Schütze c. Wurde die Broschüre an Schulen versandt? Falls ja, an welche in jeweils welcher Anzahl? Gab es ergänzende Erklärungen oder ein Anschreiben? Falls ja, bitte beifügen. Die Broschüre wurde nicht an Schulen versandt. d. Hat eine Prüfung durch das Fachreferat im Sinne einer ministeriellen Verantwortungsübernahme stattgefunden? Falls ja, mit welchem Ergebnis? Falls nein, warum nicht? Nein, siehe Vorbemerkung. e. Wie regelt die Leitung der zuständigen Behörde die Fragen der Fachaufsicht des LI? Siehe Antwort zu 2. b. Einem Mitarbeiter, der dem Leiter des Amtes für Bildung der zuständigen Behörde unmittelbar zugeordnet ist, obliegt die Aufsicht über das LI.