BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/7808 21. Wahlperiode 10.02.17 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Stephan Jersch (DIE LINKE) vom 02.02.17 und Antwort des Senats Betr.: Sicherstellung der Abfallentsorgung Hamburgs in der Müllverwertungsanlage Rugenberger Damm Gegenwärtig werden die Ölwerke Schindler mit Ferndampf im Umfang von rund 500 GWh pro Jahr aus der Müllverwertung Rugenberger Damm GmbH & Co. KG (MVR) beliefert. Vattenfall ist mit 55 Prozent Mehrheitsgesellschafter , die Stadtreinigung Hamburg mit 45 Prozent Minderheitsgesellschafterin der MVR. In einigen Szenarien zum Ersatz des HKW Wedel, die die Behörde für Umwelt und Energie (BUE) dem Energienetzbeirat (ENB) präsentiert hat, ist vorgesehen, dass die MVR künftig einen Großteil dieser Wärme mittels einer neuen Fernwärmetrasse nach Bahrenfeld in das zentrale Hamburger Fernwärmenetz liefert. Nach dem Protokoll zur Sitzung des ENB am 10.11.16 könnten im Ausgleich die Ölwerke Schindler mit Ferndampf aus dem HKW Moorburg beliefert werden. Zu diesem Zweck müsste eine neue Leitung zum Transport von Dampf vom HKW Moorburg zur MVR oder direkt zu den Ölwerken gebaut werden, die Hamburg genehmigen müsste. Nach Informationen aus dem ENB ist Vattenfall so sehr an einer Lieferung von Ferndampf/Wärme aus dem HKW Moorburg an die Ölwerke Schindler interessiert, dass das Unternehmen diese Belieferung auf jeden Fall vornehmen will, ohne Rücksicht darauf, welches Szenario zum Ersatz des HKW Wedel realisiert wird und ob eine Fernwärmetrasse von Bahrenfeld zur MVR gebaut wird oder nicht. Hintergrund sind die sehr hohen KWK-Zuschläge, die Vattenfall nur für den parallel zu Fernwärme erzeugten KWK-Strom erhält. Der Bau einer neuen Fernwärmetrasse von Bahrenfeld zur MVR würde den Ersatz des uralten und maroden Heizkraftwerks Wedel sehr stark verzögern. Die hohen Kosten für die Trasse würden das Fernwärme-Unternehmen sehr stark belasten. Wenn sich der Senat gegen diese risikobehaftete Maßnahme entscheidet, so ist bei einer Belieferung der Ölwerke Schindler durch Wärme aus dem HKW Moorburg zu erwarten, dass die MVR ziemlich rasch in große wirtschaftliche Schwierigkeiten kommen wird, weil die bisher produzierte Fernwärme der MVR nicht mehr abzusetzen ist. In diesem Fall wird auch die Entsorgung des bisher von der Stadtreinigung Hamburg (SRH) zur MVR gelieferten Mülls nicht mehr möglich sein. Hamburg droht dann ein Abfall- Entsorgungsnotstand. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: In der Müllverbrennungsanlage Rugenberger Damm (MVR) werden derzeit im Wesentlichen Abfälle aus privaten Haushaltungen aus Hamburg und den südlichen Drucksache 21/7808 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Landkreisen verbrannt, die von der Stadtreinigung Hamburg AöR (SRH) im Rahmen von bis April 2019 laufenden Verträgen angeliefert werden. Die bei der Verbrennung freiwerdende Energie wird zum Teil als Strom und zum Teil als Wärme genutzt. Der größte Wärmeabnehmer ist Vattenfall Wärme Hamburg GmbH (VWH), über deren Wärmenetz aktuell auch die Ölwerke Schindler beliefert werden. Eine direkte Vertragsbeziehung zwischen der MVR und den Ölwerken Schindler besteht nicht. Sollten die Ölwerke Schindler künftig auf anderem Wege mit Wärme versorgt werden, würde dies einer weiteren Verbrennung von Abfällen in der MVR nicht entgegenstehen. Die MVR würde daher auch in diesem Fall – wie im Abfallwirtschaftsplan Siedlungsabfälle 2017 dargestellt – langfristig für die Gewährleistung der Entsorgungssicherheit in Hamburg zur Verfügung stehen. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen teilweise auf der Grundlage von Auskünften der SRH wie folgt: 1. Wie groß war die Auslastung der MVR in den Jahren seit 2012 in Prozent ? Die MVR ist seit 2012 kontinuierlich zu 100 Prozent ausgelastet. Einschränkungen der Abfallannahme entstanden lediglich während der für derartige Anlagen üblichen und wiederkehrenden Revisionsarbeiten. 2. Wie groß waren a) die Anteile von Abfällen aus Hamburg, die in der MVR verwertet wurden und b) die Anteile von Abfällen aus Landkreisen im Umland, die in der MVR verwertet wurden, jeweils in den Jahren seit 2012? Jahr Anteile von Abfällen aus Hamburg Anteile von Abfällen aus Landkreisen im Umland 2012 51% 43% 2013 51% 45% 2014 55% 42% 2015 50% 44% 2016 65% 34% 3. Bis zu welchem Zeitpunkt ist die Belieferung der MVR mit Müll als welchen Quellen vertraglich vereinbart? Sind diese Verträge einsehbar? Wenn ja, wo? Wenn nein, warum nicht? Siehe Vorbemerkung. Die Einzelheiten der Verträge zwischen der SRH und der MVR unterliegen aus Wettbewerbsgründen der Geheimhaltung. 4. Gibt es Vereinbarungen für Folgeverträge zur Belieferung der MVR mit Abfall aus Hamburg beziehungsweise aus dem Umland? Sind diese Verträge einsehbar? Wenn ja, wo? Wenn nein, warum nicht? 5. Gibt es Planungen oder Verhandlungen über die Belieferung der MVR mit Müll nach Auslaufen der gegenwärtig geltenden Verträge? Wenn ja, welche? 6. Haben bereits Verhandlungen über Folgeverträge zur Belieferung der MVR mit Müll stattgefunden? Wenn ja, wann, mit welchen Teilnehmern und mit welchen Ergebnissen? Eine Bietergemeinschaft aus MVR und SRH hat sich an einem Vergabeverfahren der niedersächsischen Landkreise Harburg, Stade, Rotenburg und Heidekreis zur Entsor- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/7808 3 gung von Restabfällen ab dem 15. April 2019 beteiligt. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. 7. Welche konkreten Entsorgungsmöglichkeiten für Abfälle aus Hamburg gibt es, wenn die MVR nach dem 15.4.2019 keine Abfälle mehr annimmt? Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die MVR nach dem 15. April 2019 keine Abfälle mehr annehmen sollte. Im Übrigen siehe Vorbemerkung sowie Antwort zu 4. bis 6. 8. Bis zu welchem Zeitpunkt ist Vattenfall verpflichtet, Wärme aus der MVR an die Ölwerke Schindler zu liefern? Details der vertraglichen Vereinbarung zwischen VWH und den Ölwerken Schindler unterliegen den Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen der Vertragspartner. 9. Auf welche Art und Weise hat sich der Senat beziehungsweise die Stadtreinigung Hamburg als Minderheitsgesellschafterin gegen den Fall abgesichert, dass Vattenfall durch eine direkte Belieferung der Ölwerke Schindler mit Wärme vom HKW Moorburg einen Zustand herbeiführen kann, der wegen einer Nichtabsetzbarkeit der Wärme aus der MVR diese in große wirtschaftliche Schwierigkeiten bringt? Eine Absicherung der MVR gegen künftige Veränderungen beim Wärmeabsatz ist nicht möglich. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 10. Welche rechtlichen Möglichkeiten stehen der Freien und Hansestadt Hamburg zur Verfügung, eine Entwicklung wie die oben beschriebene zu verhindern, beispielsweise für den Fall, dass der Senat sich gegen den Bau einer Fernwärmetrasse vom zentralen Fernwärmenetz zur MVR entscheidet und Vattenfall dennoch Fernwärme aus dem HKW Moorburg zu den Ölwerken liefern will und dafür eine neue Ferndampf-Trasse vom HKW Moorburg zur MVR oder direkt zu den Ölwerken beantragt? Bitte die rechtlichen Möglichkeiten des Senats möglichst ausführlich beschreiben. 11. Welche besonderen sachlichen Rechtfertigungsgründe kann Hamburg grundsätzlich einsetzen, um ein Wegenutzungsrecht für den Bau einer Wärmetrasse zu verweigern? 12. In welchen Fällen wäre die Verweigerung eines Wegenutzungsrechts im betrachteten Fall nicht als „unmittelbar oder mittelbar unbillig“ im Sinne von § 19 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) einzustufen ? Hamburg hat mit der Vattenfall Europe Wärme AG (jetzt Vattenfall Wärme Hamburg GmbH) einen Rahmensondernutzungsvertrag abgeschlossen, der dieses Unternehmen grundsätzlich berechtigt, die Hamburger Straßen für Fernwärmeleitungen zu nutzen. Nach diesem Vertrag ist zwar für eine beabsichtigte neu zu verlegende Leitung noch eine Trassenanweisung der Freien und Hansestadt Hamburg erforderlich. Jedoch kann diese Trassenanweisung wegen der grundsätzlichen Berechtigung des Vertragspartners nur versagt werden, wenn die geplante Leitungstrasse ganz oder teilweise nicht mehr frei ist. Soweit die Vattenfall Wärme Hamburg GmbH betroffen ist, ist der Rahmensondernutzungsvertrag maßgeblich, nicht § 19 GWB. In Bezug auf andere Unternehmen geht der Senat davon aus, dass die Freie und Hansestadt Hamburg in Bezug auf die Vergabe von Wegenutzungsrechten ein marktbeherrschendes Unternehmen im Sinne von § 19 GWB ist. Daher hat grundsätzlich jeder Fernwärmelieferant einen Anspruch auf eine diskriminierungsfreie Prüfung und Bescheidung seines Antrags. Bei der Prüfung sind wegebezogene und sonstige öffentliche Interessen maßgeblich. Die Entscheidung muss aber wettbewerbs- und konkurrenzneutral getroffenen werden, auch im Zusammenhang eigener wirtschaftlicher Interessen. Für bereits benutzte Wege kann die Verlegung weiterer Leitungen abgelehnt werden. Es ist also jeweils im Ein- Drucksache 21/7808 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 zelfall zu entscheiden, ob der konkreten zusätzlichen Leitungsverlegung wegerechtliche Belange entgegenstehen und die Verlegung mithin zu versagen ist. 13. Sind dem Senat ähnliche Fälle bekannt, in denen Wegenutzungsrechte durch Gemeinden verweigert wurden? Wenn ja, bitte Beispiele und Begründungen nennen. Nein. 14. Inwieweit ist der Senat im beschriebenen Fall gezwungen, beim Ersatz des HKW Wedel einem Szenario mit dem Bau einer Fernwärmetrasse von Bahrenfeld zur MVR zuzustimmen, um eine Schließung der MVR und einen darauf folgenden Entsorgungsnotstand zu verhindern? Siehe Vorbemerkung. 15. Hat Vattenfall der Freien und Hansestadt Hamburg angeboten, seine Anteile an der MVR im Rahmen einer „Paketlösung“ an die Freie und Hansestadt Hamburg zu verkaufen? Nein. Gespräche zwischen der SRH und Vattenfall über einen möglichen Ankauf von Anteilen an der MVR durch die SRH sind noch nicht abgeschlossen, siehe dazu auch Drs. 21/6380. a) Welches sind die Bedingungen und Forderungen von Vattenfall für eine solche „Paketlösung“? b) Wann und mit welchen Teilnehmern hat der Senat bisher über eine solche „Paketlösung“ mit Vattenfall verhandelt? Entfällt. c) Unter welchen Voraussetzungen betrachtet der Senat eine solche „Paketlösung“ als zustimmungsfähig? Der Senat hat sich hiermit noch nicht befasst.