BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/7809 21. Wahlperiode 10.02.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Birgit Stöver und Dennis Thering (CDU) vom 02.02.17 und Antwort des Senats Betr.: Ist die Kontrolle der Tierversuche im Laboratorium für Pharmakologie und Toxikologie (LPT) in Neugraben durch den Senat ausreichend? Das Laboratorium für Pharmakologie und Toxikologie (LPT) in Neugraben nimmt neben in-vitro-Diagnostik auch in-vivo-Diagnostik vor. Es handelt sich beim LPT um eines der größten Tierversuchslabore in Deutschland, in dem an Mäusen, Hunden, Katzen und Affen Versuche durchgeführt werden. Auch das Nervengift Botulinumtoxin (Botox), welches gegen Nervenstörungen, aber auch als Faltenglätter, eingesetzt wird, wird bei LPT getestet. Tierversuche, so notwendig sie aus medizinischen Gründen zum Teil auch sind, stehen bei vielen Menschen stark in der Kritik. Umso wichtiger sind ein sorgfältiger und gewissenhafter Umgang mit der in-vivo-Diagnostik und eine Kontrolle durch den Senat. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Das Tierschutzgesetz des Bundes dient dem Schutz des Tieres. Gleichwohl räumt das Tierschutzgesetz Wissenschaftlern explizit die Möglichkeit ein, unter bestimmten Voraussetzungen Tiere in Versuchen einzusetzen. Jedes einzelne Versuchsvorhaben, das durchgeführt werden soll, ist vorher bei der zuständigen Behörde gesondert zu beantragen oder anzuzeigen. Dadurch unterliegt jedes einzelne Versuchsvorhaben einer intensiven und strengen Prüfung auf Erfüllung aller tierschutzrechtlichen Voraussetzungen. Unterstützt wird die zuständige Behörde bei der Beurteilung eines Versuchsvorhabens durch eine Tierversuchskommission, die sich aus Vertretern von Wissenschaft und Tierschutzvereinen zusammensetzt. Diese Kommission berät die zuständige Behörde in der Entscheidung über die Zulässigkeit eines Versuchsvorhabens . Werden alle rechtlichen Voraussetzungen für die Durchführung eines Versuchsvorhabens erfüllt, hat die zuständige Behörde dem Versuchsvorhaben zuzustimmen. Ein Ermessensspielraum besteht in diesen Fällen nicht. Unvermeidbare Versuchsvorhaben am Tier sind vom Antragsteller umfangreich und detailliert wissenschaftlich zu erläutern und umfassen, einschließlich Änderungen, Vorgänge von bis zu 50 Seiten. Eine statistische Erfassung von Daten zur Verwendung von Versuchstieren erfolgt ausschließlich nach den Vorgaben der Versuchstiermeldeverordnung. Diese beinhalten für ganz Hamburg insbesondere die in Tierversuchen verwendete Tierzahl, einschließlich der Tierarten und den Zweck des Versuchsvorhabens. Entsprechende Daten für Hamburg werden jährlich der Öffentlichkeit über das Transparenzportal Hamburg zugängig gemacht. Eine statistische Erfassung der in der Anfrage erbetenen Zuordnung eines Versuchsvorhabens zu einer Einrichtung sowie Details zu beantragten oder angezeigten Tier- Drucksache 21/7809 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 versuchen ist rechtlich nicht vorgeschrieben, darüber hinaus wären mit der Erfassung keine tierschutzrelevanten Verbesserungen verbunden. Um die vorliegende Anfrage noch umfassender beantworten zu können, wäre die Durchsicht jedes einzelnen Versuchsvorhabens erforderlich. Bei einem jährlichen Aufkommen von circa 400 zu bearbeitenden Versuchsvorhaben in den Jahren 2011 bis 2017 würde dies für diesen Zeitraum eine Betrachtung von 2.378 Versuchsvorhaben bedeuten. Eine Einzelfallauswertung ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit deshalb nicht möglich. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie hat sich die Fallzahl der im Verfahren der in-vivo-Diagnostik im LPT durchgeführten Versuche seit 2011 entwickelt? Bitte jahresweise aufschlüsseln und sowohl die absoluten Zahlen als auch den Anteil in Relation zu anderen Tierversuchsarten angeben. Die Versuchsart eines jeden Versuchsvorhabens einschließlich Zuordnung zur versuchsdurchführenden Einrichtung wird statistisch nicht gesondert erfasst. Um dies darzustellen, müssten sämtliche Versuchsvorhaben seit 2011 auf diese Angabe hin geprüft werden. Eine Einzelfallauswertung von insgesamt 2378 Versuchsvorhaben in dem entsprechenden Zeitraum ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit aus oben genannten Gründen nicht möglich. 2. Welche weiteren Hamburger Laboratorien führen in-vivo-Diagnostik durch? In Hamburg wurde im vergangenen Jahr folgenden Einrichtungen die Durchführung von Tierversuchen im Sinne der Definition des Tierschutzgesetzes bewilligt: Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin Evotec AG Heinrich-Pette-Institut, Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie Laboratory of Pharmacology and Toxicology GmbH & Co.KG Universität Hamburg Biozentrum Grindel Universität Hamburg Institut für Hydrobiologie und Fischereiwissenschaften Die Versuchsvorhaben sind vom Antragsteller umfangreich und detailliert wissenschaftlich zu erläutern und umfassen, einschließlich Änderungen, Vorgänge von bis zu 50 Seiten. Diese Daten werden statistisch nicht gesondert erfasst. Im Rahmen eines jeden Tierversuchsantrags hat der Antragsteller unter anderem den Versuchszweck zu erläutern. Um Auskunft über Zweck der Versuchsvorhaben der einzelnen Einrichtungen geben zu können, müssten sämtliche einzelnen Versuchsvorhaben auf diese Angabe hin überprüft werden. Bei einem Aufkommen von 2.378 zu bearbeitenden Versuchsvorhaben ist eine Einzelfallauswertung in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 3. Wie viele Genehmigungen für Tierversuche erteilte die zuständige Behörde dem LPT seit 2011? Bitte jahresweise aufschlüsseln. 4. Wie viele Genehmigungen für Tierversuche erteilte die zuständige Behörde anderen vergleichbaren Laboren in Hamburg seit 2011? Bitte jahresweise und nach Einrichtungen aufschlüsseln. Statistisch wird lediglich die Gesamtzahl genehmigter Versuchsvorhaben erfasst. Eine Zuordnung zu einer versuchsdurchführenden Einrichtung wird statistisch nicht gesondert erfasst. Um die genaue Zuordnung bewilligter Versuchsvorhaben zu einer Einrichtung darzustellen, müssten sämtliche einzelnen Versuchsvorhaben seit 2011 auf diese Angaben hin geprüft werden. Eine Einzelfallauswertung von insgesamt knapp 2.378 Versuchsvorhaben in dem entsprechenden Zeitraum ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit aus oben genannten Gründen nicht möglich. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/7809 3 Die Anzahl aller in Hamburg bewilligten Versuchsvorhaben ist in der folgenden Tabelle angegeben. Jahr Anzahl der bewilligten genehmigungspflichtigen und anzeigepflichtigen Tierversuchsvorhaben 2011 366 2012 503 2013 431 2014 249 2015 435 2016 394 5. Welche Stelle prüft die Tierversuchsanträge? Siehe Vorbemerkung. 6. Welche Stelle ist für die Kontrolle der Tierversuche zuständig? Die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz ist die zuständige Behörde für die Kontrolle der Tierversuchseinrichtungen in Hamburg. 7. Wie häufig werden Forschungsprojekte mit Tierversuchen von der zuständigen Behörde kontrolliert? Jedes einzelne Versuchsvorhaben, das durchgeführt werden soll, ist vorher bei der zuständigen Behörde gesondert zu beantragen oder anzuzeigen. Dadurch unterliegt jedes einzelne Versuchsvorhaben einer intensiven und strengen Prüfung auf Erfüllung aller tierschutzrechtlichen Voraussetzungen durch die zuständige Behörde. Unterstützt wird die zuständige Behörde bei der Beurteilung eines Versuchsvorhabens durch eine Tierversuchskommission (siehe Vorbemerkung). Werden alle rechtlichen Voraussetzungen für die Durchführung eines Versuchsvorhabens erfüllt, hat die zuständige Behörde dem Versuchsvorhaben zuzustimmen. Gemäß § 16 Absatz 1 Nummer 3 des Tierschutzgesetztes sollen Tierversuchseinrichtungen mindestens alle drei Jahre besichtigt werden. Die Häufigkeit der Kontrollen der Tierversuchseinrichtungen in Hamburg erfolgt risikoorientiert. 8. Nach welchen Kriterien werden in Hamburg Forschungsprojekte mit Tierversuchen kontrolliert? Im Rahmen der Prüfung jedes beantragten oder angezeigten Tierversuchsvorhabens wird überprüft, ob alle Anforderungen gemäß § 31 Absatz 1 Tierschutzversuchstierverordnung erfüllt werden. Bei der Kontrolle von Tierversuchseinrichtungen wird die Einhaltung der tierschutzrechtlichen Anforderungen überprüft. Hinsichtlich der Kontrollen der Tierversuchsdurchführung wird insbesondere überprüft, ob ausschließlich Tierversuche durchgeführt werden/wurden, die von der zuständigen Behörde vorab bewilligt wurden und ob diese Tierversuche entsprechend der Bewilligung durchgeführt werden/wurden. 9. Wie viele Kontrollen mit welchen Ergebnissen wurden seit 2011 von der zuständigen Behörde durchgeführt? Bitte jahresweise aufschlüsseln. Die folgende Tabelle enthält eine Aufschlüsselung der Anzahl an Kontrollen in Hamburger Versuchstiereinrichtungen seit dem Jahr 2011 sowie die im Rahmen der Kontrollen erhobenen Ergebnisse. Jahr der Kontrollen Anzahl an Kontrollen Ergebnisse der Kontrollen Beanstandungen hinsichtlich 2011 9 Tierhaltung 2012 14 Tierhaltung 2013 2 - 2014 16 Tierhaltung Versuchsdurchführung Eigenkontrollen Dokumentation Drucksache 21/7809 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Jahr der Kontrollen Anzahl an Kontrollen Ergebnisse der Kontrollen Beanstandungen hinsichtlich 2015 5 Tierhaltung Versuchsdurchführung Dokumentation 2016 4 - 10. Gab es Beanstandungen aus diesen Kontrollen? Wenn ja, welcher Art und welche Maßnahmen wurden verhängt? Im Rahmen der Überprüfungen wurden keine gravierenden Verstöße festgestellt, die straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlich geahndet wurden. Kam es im Rahmen der Überprüfungen zu Beanstandungen, wurden die betroffenen Einrichtungen mündlich oder schriftlich aufgefordert, diese unverzüglich abzustellen. Die Mängelbeseitigung wurde nachfolgend überprüft. In der Tabelle zu 9. sind die Beanstandungen seit 2011 aufgeführt, aufgrund derer eine schriftliche Aufforderung zur Abstellung der Beanstandungen erfolgte. Beanstandungen, die eine mündliche Aufforderung zur Abstellung der Beanstandungen nach sich zogen, sind hiervon nicht erfasst. 11. Sind die Stellen, die für die Tierversuchsanträge und für die Kontrolle zuständig sind, ausreichend mit dem notwendigen Fachpersonal besetzt? Die für die Prüfung von Tierversuchsanträgen und Kontrollen von Tierversuchseinrichtungen verantwortlichen Referentenstellen werden ausschließlich durch approbierte Tierärztinnen/Tierärzte besetzt. Die Anzahl der eingehenden Tierversuchsvorhaben unterliegt Schwankungen und ist nicht vorhersehbar. Die Bearbeitungszeit eines Tierversuchsvorhabens ist aufgrund des Umfangs und des zu prüfenden Inhalts sehr variabel . Der zeitliche Aufwand von Kontrollen der Tierversuchseinrichtungen ist ebenfalls sehr variabel und abhängig von den vor Ort getroffenen Feststellungen sowie der Anzahl der zum Zeitpunkt der Kontrolle gehaltenen Tiere und der Anzahl und Art der zum Zeitpunkt der Kontrolle durchgeführten Versuchsvorhaben. 12. Welche Tierversuche wurden beim LPT oder vergleichbaren Hamburger Laboratorien seit 2011 abgelehnt und aus welchen Gründen? Bitte jahresweise aufschlüsseln. In nachfolgender Tabelle ist die Anzahl an Tierversuchen aufgeführt, die durch die zuständige Behörde seit 2011 nicht bewilligt wurden. Hierbei sind Tierversuche erfasst, die durch die zuständige Behörde abgelehnt wurden, sowie Tierversuche, die aufgrund vorgesehener Ablehnung vor Bescheidung vom Antragsteller zurückgezogen wurden. Im Rahmen der statistischen Erfassung der nicht bewilligten Versuchsvorhaben erfolgt keine Zuordnung zu einer Einrichtung. Daher ist eine Differenzierung nicht bewilligter Versuchsvorhaben nach Einrichtungen nicht möglich. Die Tierversuche wurden aufgrund von Verstößen gegen § 7 Absatz 2 (Unerlässlichkeit des Tierversuchs) und § 7 Absatz 3 Satz 1 Tierschutzgesetz (ethische Vertretbarkeit ) nicht bewilligt. Nicht bewilligte Tierversuchsvorhaben 2011 5 2012 22 2013 6 2014 8 2015 4 2016 2 13. Welche Maßnahmen hat die zuständige Behörde seit 2011 ergriffen, um Tierversuche durch alternative Untersuchungen zu ersetzen? Tierversuche sind nur zulässig, sofern keine alternativen Verfahren eingesetzt werden können. Bei Einreichung eines Versuchsvorhabens ist wissenschaftlich begründet darzulegen, warum der verfolgte Versuchszweck nicht durch andere Methoden oder Verfahren erreicht werden kann. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/7809 5 Die Prüfung jedes einzelnen Tierversuchsvorhabens durch die zuständige Behörde umschließt auch diesen Punkt. Einer Durchführung wird nur zugestimmt, wenn keine Alternativverfahren eingesetzt werden können. In diesem Zusammenhang kann die Fachgruppe „ZEBET – Alternativmethoden zu Tierversuchen“ des Bundesinstituts für Risikobewertung beratend herangezogen werden. Zudem erfolgt ein regelmäßiger Austausch der Genehmigungsbehörden für Tierversuche der einzelnen Bundesländer, bei dem auch neue Erkenntnisse hinsichtlich Alternativmethoden zu Tierversuchen ausgetauscht werden. Nicht für jeden Tierversuch stehen allerdings Ersatz- oder Ergänzungsmethoden zur Verfügung. Um dem Ziel näherzukommen, Tierversuche vollständig durch Alternativmethoden ersetzen zu können, ist intensive Forschung erforderlich. Hamburg hat sich mit der Ausschreibung 1. Hamburger Forschungspreises zur Förderung der Entwicklung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch im Mai 2016 für einen Ausbau der Forschungsbemühungen in diesem Bereich eingesetzt. Mit einem Förderpreis in Höhe von 20.000 Euro wurden im Dezember 2016 zwei innovative Forschungsprojekte ausgezeichnet, die durch Entwicklung eines Zellkulturverfahrens für toxikologische Prüfungen und einem Datenanalyseverfahren zur Optimierung der Modellwahl einen bedeutsamen Beitrag zur Vermeidung und Verringerung von Tierversuchen leisten.