BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/7912 21. Wahlperiode 17.02.17 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 09.02.17 und Antwort des Senats Betr.: Strafvollzug in Hamburg – Justizvollzugsanstalten kurz vor dem Kollaps ? Die Antwort des Senats auf meine Schriftliche Kleine Anfrage Drs. 21/7749 macht mehr als deutlich, wie brisant die Belegungssituation in Hamburgs Justizvollzugsanstalten ist. Am 31. Januar 2017 befanden sich insgesamt 1.838 Insassen in Hamburgs Gefängnissen. Der Senat geht noch immer von einer durchschnittlichen Belegung von 1.700 aus. Jetzt werden überall Haftplätze zusammengesucht und die Anstalten mit Insassen sämtlicher Haftarten aufgefüllt. Neben Langstraflern sitzen in der JVA Fuhlsbüttel und in der Sozialtherapeutischen Anstalt Ersatzfreiheitsstrafler, also Menschen, die nur deshalb in der JVA sind, weil sie ihre Geldstrafe nicht bezahlen konnten. Bis vor einigen Monaten gab es eine Trennung zwischen den extrem unterschiedlichen Gefangenengruppen. Diese ist nicht mehr möglich, wie die Antwort des Senats auf meine jüngste Schriftliche Kleine Anfrage zeigt. Es ist zu befürchten, dass sich die Situation im Hinblick auf den anstehenden G20-Gipfel noch weiter verschärfen wird. Die im Vollzug für die Sicherheit von Bediensteten und Gefangenen gleichermaßen zwingend erforderliche Binnendifferenzierung einschließlich des für eine gelingende Resozialisierung notwendigen Stufenvollzugs kann in Anbetracht der steigenden Belegungszahlen praktisch nicht gewährleistet sein, obwohl der Senator insoweit stets das Gegenteil behauptet. Die Justizbehörde betonte gegenüber dem „Hamburger Abendblatt“: „Kriminelle brauchen sich keine Hoffnungen machen, es gäbe keinen Haftraum für sie. Wir haben Platz genug für alle.“ Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. In der Antwort auf die Schriftliche Kleine Anfrage Drs. 21/7749 wurde bei der JVA Billwerder keine Unterscheidung zwischen der Teilanstalt für Frauen und dem Männervollzug vorgenommen. Wie stellen sich die jeweilige Belegungsfähigkeit und tatsächliche Belegung zum 31. Januar 2017 dar? Bitte für Männer- und Frauenvollzug getrennt nach Untersuchungshaft , Freiheitsstrafe und Ersatzfreiheitsstrafe darstellen. Stichtag: 31.01.2017 Festgesetzte Belegungsfähigkeit Tatsächliche Belegungsfähigkeit Belegung (Gefangenenbestand )* Davon Untersuchungshaft Davon Freiheitsstrafe Davon Ersatzfreiheitsstrafe Frauenvollzug 100 100 77 20 39 17 Männervollzug 638 638 624 233 344 28 Drucksache 21/7912 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 * Der Gefangenenbestand (Belegung) beinhaltet auch andere Haftarten und vorübergehend abwesende Insassen. 2. Wann wird die stillgelegte Station mit 35 Plätzen im Haus 7 der JVA Billwerder eröffnet? Die Station wurde am 13. Februar 2017 in Betrieb genommen. a. Welche Insassen sollen dort untergebracht werden? Auf der Station werden männliche Untersuchungsgefangene untergebracht. b. Ist ausreichend Personal in der JVA Billwerder vorhanden, um diese weitere Station zu eröffnen? Wenn ja, wie viel Personal soll dort eingesetzt werden? Wenn nein, wie soll die Station besetzt werden? Ja. Es werden neun Personen eingesetzt. c. Handelt es sich bei dieser Station um diejenige, die die Justizbehörde bei ihren Planungen zur Kooperation auf dem Gebiet des Frauenvollzuges mit Schleswig-Holstein künftig für den Frauenvollzug vorgesehen hat? Falls ja, welche Konsequenzen hat dies für die Überlegungen zur Kooperation mit Schleswig-Holstein? Im Falle der Kooperation im Frauenvollzug wäre im Jahre 2020 vorgesehen, die 35 Haftplätze im Haus VII der Justizvollzugsanstalt Billwerder für den Frauenvollzug zu nutzen, um in diesem Bereich insgesamt 145 Haftplätze vorzuhalten. Die zeitweise Inbetriebnahme von Haus VII in der Justizvollzugsanstalt Billwerder im Jahre 2017 hat keine Auswirkungen auf die Prüfung einer möglichen Kooperation im Bereich des Frauenvollzuges im Jahr 2020, da das Haus VII spätestens nach Abschluss der Sanierung des B-Flügels der Untersuchungshaftanstalt nicht mehr für die Unterbringung von Untersuchungsgefangenen benötigt werden wird, um auf lediglich temporäre Belegungsanstiege zu reagieren. 3. Ziel der sozialtherapeutischen Anstalt ist die Therapie der Insassen, die überwiegend Sexual- oder Gewaltstraftäter sind. Die Gefangenen müssen therapiewillig sein, um in der sozialtherapeutischen Anstalt aufgenommen zu werden, wer nicht mitmacht, wird zurückverlegt in den normalen Vollzug. Laut Angaben in der Drs. 21/7749 befinden sich aktuell 17 Ersatzfreiheitsstrafler in der Sozialtherapeutischen Anstalt. a. Welche Voraussetzungen müssen Gefangene erfüllen, in der Sozialtherapeutische Anstalt aufgenommen zu werden? Wer befindet darüber, ob jemand für die Sozialtherapeutische Anstalt geeignet ist? b. Wie viele weitere Haftplatzkapazitäten stehen in dem vom Senat erwähnten Flügel in der Sozialtherapeutischen Anstalt zur Verfügung ? Welche Gefangenen sollen dort untergebracht werden? Grundsätzlich werden Sexualstraftäter mit einer Freiheitstrafe von mehr als zwei Jahren auf Grundlage von § 10 Absatz 1 des Hamburgischen Strafvollzugsgesetzes (HmbStVollzG) und andere Gefangene gemäß § 10 Absatz 2 HmbStVollzG im Rahmen eines Auswahlverfahrens in der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg aufgenommen . Über die Aufnahme nach § 10 Absatz 2 HmbStVollzG entscheidet die Leitung der Anstalt. Entscheidend für eine positive Aufnahmeentscheidung sind die im Rahmen eines Auswahlverfahrens überprüfte Behandlungsmotivation sowie die Fähigkeit, von den angebotenen Behandlungsmaßnahmen profitieren zu können. Mit der Verlagerung des Frauenvollzuges in die Justizvollzugsanstalt Billwerder wurde Mitte November 2015 damit begonnen, auch solche Sexualstraftäter in die Sozialtherapeutische Anstalt Hamburg zu verlegen, die zu einer kürzeren Freiheitstrafe verurteilt worden sind. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/7912 3 Aufgrund der hohen Belegung werden seit dem 18. April 2016 auch Gefangene, die zu einer Ersatzfreiheitstrafe verurteilt worden sind, in der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg untergebracht. Dafür stehen 18 Haftplätze auf der Station C III im C- Flügel zur Verfügung. Weitere 18 Haftplätze werden für Gefangene, die zu einer Ersatzfreiheitstrafe verurteilt worden sind, ab März 2017 nach Inbetriebnahme der Station C II im C-Flügel der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg vorgehalten. Seit dem 13. Januar 2017 werden freie Haftplatzkapazitäten aufgrund der hohen Belegung im gegenseitigen Einvernehmen mit den abgebenden Anstalten (Justizvollzugsanstalten Fuhlsbüttel und Billwerder, Untersuchungshaftanstalt) mit männlichen Strafgefangenen unabhängig von der Vollzugsdauer belegt. Bei vorliegender Lockerungseignung erfolgt die Verlegung in die Außenstelle Bergedorf. c. Wie verträgt sich die Unterbringung von Ersatzfreiheitsstraflern in der Sozialtherapeutischen Anstalt nach Ansicht der zuständigen Behörde mit deren Ansatz, die Gefangenen zu therapieren? Die Sozialtherapeutischen Anstalt ist mit ihrem spezifisch qualifizierten Personal auf die langfristige Behandlung einer vor allem nach (schwerer) Deliktsart und (langer) Haftdauer definierten Klientel ausgerichtet. Die Unterbringung von Ersatzfreiheitsstraflern mit ihren (leichten) Delikten, ihrer (kurzen) Haftdauer und ihrer anderen Gesamtsituation hat mit der eigentlichen Tätigkeit der Sozialtherapeutischen Anstalt keine Berührungspunkte. Beide Stationen sind voneinander getrennt. Insofern existiert ein weitgehend kontaktloses Nebeneinander. Organisatorische Anpassungen an die neue Situation sind erfolgt. d. Zu welchen Problemen kommt es durch die Unterbringung von Ersatzfreiheitsstraflern im Alltag der Sozialtherapeutischen Anstalt? Die Unterbringung von Ersatzfreiheitsstraflern bedeutet einen Zusatzaufwand, den die Sozialtherapeutische Anstalt bewältigt, im Bereich der Suchtberatung und -behandlung , der medizinischen Versorgung, der Beanspruchung der Hafträume, des Sportangebots und des Einsatzes von Justizvollzugsbediensteten in der Freistunde. e. Werden aufgrund des Platzmangels in den anderen Justizvollzugsanstalten auch „normale“ Gefangene, die die entsprechenden Voraussetzungen für die Aufnahme in die Sozialtherapeutische Anstalt noch nicht erfüllen, dort aufgenommen? Falls ja, wie viele von denen sind seit August 2016 dort aufgenommen worden? Es sind 15 Strafgefangene ohne sozialtherapeutischen Hintergrund aufgenommen worden. Im Übrigen siehe Antwort zu 3. a. und b. 4. Im Januar 2017 gab es 309 Verlegungen zwischen den Justizvollzugsanstalten . Welche Sicherheitskontrollen werden bei den einzelnen Verlegungen jeweils durchgeführt und welcher zusätzliche Aufwand mit welchem zusätzlichen Personalaufwand entstand durch die 309 Verlegungen zwischen den JVA? Bei Verlegungen von Gefangenen erfolgt eine Durchsuchung der Gefangenen sowohl durch Bedienstete der abgebenden als auch der aufnehmenden Justizvollzugsanstalt. Die Habe eines Gefangenen wird von der abgebenden Anstalt auf Vollständigkeit kontrolliert, von der aufnehmenden Anstalt nach Prüfung auf Vollständigkeit zudem vor erneuter Ausgabe an den Gefangenen auch durchsucht. Da Durchsuchungen und Kontrollen der Habe auch ansonsten laufend von den Justizvollzugsbediensteten vorgenommen werden, ist bei den durchgeführten Durchsuchungen und Kontrollen kein nennenswerter zusätzlicher Aufwand entstanden. Im Januar 2017 ist es bei den Verlegungen zu einem zusätzlichen nicht vorgesehenen Transport mehrerer Gefangener gekommen. Dabei sind insgesamt sechs Stunden Mehrarbeit durch die den Transport durchführenden Beamten der Fahrbereitschaft geleistet worden. Drucksache 21/7912 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 5. Soweit der Senat mitteilt, dass stillgelegte Haftplätze kurzfristig aktiviert werden können: a. Wie viele Haftplätze sind dies und wo befinden sich diese konkret? Bitte nach Anstalten und Gebäuden aufschlüsseln. b. Wie kurzfristig (in Tagen, Wochen oder Monaten ausgedrückt) sind diese jeweils wieder aktivierbar? Siehe Antworten zu 2 und 3. a. und b. c. Welche Sanierungsmaßnahmen mit welchem Kostenvolumen sind im Fall der Reaktivierung erforderlich und welche Vorbereitungsmaßnahmen hat die zuständige Behörde getroffen beziehungsweise sollten noch keine Vorbereitungsmaßnahmen getroffen worden sein: Ab welcher Belegungszahl wird die Behörde Maßnahmen zur Reaktivierung ergreifen? Für die Inbetriebnahme von Haus VII der Justizvollzugsanstalt Billwerder waren keine Sanierungsmaßnahmen erforderlich. Für die laufende Sanierung der Station C II der Sozialtherapeutischen Anstalt wird mit den folgenden Kosten gerechnet: Maßnahme Erwartete Kosten in Euro Aufrüstung Gitter ca. 25.000 Malerarbeiten Gitter und Hafträume ca. 10.000 Austausch Sanitärartikel (z.B. Waschbecken, Kloschüsseln ) ca. 2.000 Videoüberwachung ca. 5.000 Wanddurchbruch, Statik ca. 5.000 Büroverkabelung ca. 1.500 Aufschaltung Zellenkommunikation auf das Managementsystem ca. 10.000 6. Worin liegt der derzeitige Anstieg der Belegung nach Ansicht der Behörde begründet? Geht die zuständige Behörde noch immer von vorübergehenden Schwankungen aus? Der allgemeine Anstieg beruht derzeit vor allem auf einem signifikanten Anstieg im Untersuchungshaftbereich. Konkrete Anhaltspunkte für einen dauerhaften Anstieg liegen der zuständigen Behörde nicht vor. Es zeichnet sich aber ab, dass eine verstärkte Bekämpfung von Einbruchskriminalität und Drogendelikten sich auch bis in die Untersuchungshaft auswirken.