BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/7920 21. Wahlperiode 17.02.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Cansu Özdemir (DIE LINKE) vom 09.02.17 und Antwort des Senats Betr.: Gewalt gegen Obdachlose – Wie sicher sind obdachlose Menschen in Hamburg? Laut der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe wurden im vergangenen Jahr 2016 bundesweit 17 Obdachlose durch Gewalttaten getötet. 128 Fälle von Körperverletzung durch nicht wohnungslose und durch wohnungslose Täter wurden bundesweit verzeichnet. In der Nacht zum Dienstag, den 31. Januar 2017, hatte in Hamburg ein Unbekannter das Schlaflager obdachloser Menschen angezündet. Beide Männer überlebten verletzt. Die Mordkommission ermittelt nun. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie viele Fälle von Gewalt gegen Obdachlose durch nicht wohnungslose Täter sind dem Senat bekannt? Bitte für den Zeitraum Januar 2015 bis zum heutigen Stichtag nach Geschlecht der Opfer und Täter/-innen aufschlüsseln . 2. Wie viele Fälle von Gewalt gegen Obdachlose durch wohnungslose Täter/-innen sind dem Senat bekannt? Bitte für den Zeitraum Januar 2015 und dem heutigen Stichtag nach Geschlecht der Opfer und Täter/ -innen und Tatvorwurf aufschlüsseln. 3. In wie vielen Fällen führte die Gewalt gegen Obdachlose zu Todesfällen? Bitte für den Zeitraum zwischen Januar 2015 und dem heutigen Stichtag nach Geschlecht der Opfer und Täter/-innen aufschlüsseln. Die statistische Erfassung von Straftaten bei der Polizei erfolgt in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). In der PKS werden Fall-, Tatverdächtigen- und Opferdaten erfasst und in unterschiedlichen PKS-Tabellen abgebildet. So werden die erfragten Eigenschaften betreffend Wohnsitz und Geschlecht der Opfer sowie der Tatverdächtigen einer Straftat getrennt erfasst und sind derzeit nicht elektronisch standardisiert auszuwerten beziehungsweise zu verknüpfen. Für die Beantwortung der Fragen auf Basis der PKS wäre die Programmierung zusätzlicher Auswertemöglichkeiten der PKS erforderlich. Dies wäre, ungeachtet des erheblichen Kostenaufwands, in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu leisten. Darüber hinaus wäre für die vollständige Beantwortung der Fragen zusätzlich eine Durchsicht sämtlicher Handund Ermittlungsakten der zuständigen Kriminalpolizeidienststellen erforderlich. Die Handauswertung mehrerer Zehntausend Vorgänge des erfragten Zeitraums ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Im Vorgangsverwaltungs- und Vorgangsbearbeitungssystem MESTA der Staatsanwaltschaft wird nicht zuverlässig erfasst, ob sich die dem Ermittlungsverfahren Drucksache 21/7920 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 zugrunde liegende Straftat gegen einen Obdachlosen richtet. Es müssten daher zur Beantwortung der Fragen 1., 2. und 4. jedenfalls alle Verfahren ausgewertet werden, in denen in MESTA als Tatvorwurf § 223 oder § 224 StGB verzeichnet ist. Hierbei handelt es sich seit Januar 2015 allein um 41.847 Bekannt-Verfahren. In Bezug auf Frage 3. handelt es sich seit Januar 2015 um mindestens 354 auszuwertende Bekannt-Verfahren, in welchen in MESTA als Tatvorwurf § 211, § 212 oder § 227 StGB notiert ist. Die Auswertung dieser einzelnen Verfahren ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 4. In wie vielen Fällen kam es zu einer Verurteilung der Täter/-innen? Bitte für den Zeitraum zwischen Januar 2015 und dem heutigen Stichtag nach Geschlecht der Opfer und Täter/-innen aufschlüsseln. Siehe Antwort zu 1. bis 3. 5. Wie hoch schätzt der Senat die Dunkelziffer der Gewaltfälle gegen obdachlose Menschen? Den Sicherheitsbehörden liegen hierzu keine aktuellen validen Daten vor. Dunkelfelduntersuchungen basieren in der Regel auf Ergebnissen der Befragung potenzieller Opfer beziehungsweise Opfergruppen (angezeigte, nicht angezeigte und nicht als Straftaten wahrgenommene Ereignisse) und deren Vergleich mit Analysen der PKS (registrierte Straftaten). Aktuelle Befragungsdaten zu Opfererfahrungen von obdachlosen Menschen liegen der Polizei nicht vor; eine Einschätzung ist der Polizei daher nicht möglich. 6. Welche präventiven Maßnahmen plant der Senat, um obdachlose Menschen vor Gewaltübergriffen zu schützen? Ein wesentlicher Aspekt für den Schutz obdachloser Menschen vor Gewalt ist es, eine Alternative zum Leben auf der Straße zu entwickeln. In diesem Zusammenhang dient die Beratung obdachloser, auf der Straße lebender Menschen dazu, eine Unterbringung und eine Integration in niedrigschwellige Hilfen für Wohnungslose zu realisieren. Dies ist insbesondere Aufgabe der Straßensozialarbeit der City-Strasos, der Straßensozialarbeiter der Sozialen Beratungsstellen in den Bezirken sowie Sansa, der Straßensozialarbeit für obdachlose Osteuropäer. Einen Schutz bieten die niedrigschwelligen Übernachtungsstätten für Frauen und Männer. Im letzten Jahr wurde die Kapazität der Übernachtungsstätte Pik As um 70 Plätze auf 330 Plätze insgesamt ausgeweitet. Eine Erweiterung der Frauenübernachtung wird derzeit in der Eiffestraße im Umfang von 30 auf 60 Plätze vorbereitet, siehe Drs. 21/7918. Außerdem bietet das Winternotprogramm (WNP) in der kalten Jahreszeit zusätzliche Übernachtungsmöglichkeiten. Dort werden derzeit insgesamt 940 Plätze angeboten. Die weitergehende beratende Unterstützung in den niedrigschwelligen Übernachtungsangeboten hilft obdachlosen Menschen bei der Integration ins Regelsystem (siehe http://www.hamburg.de/obdachlosigkeit/116870/hilfesystembrosch /) und hat eine dauerhafte Verbesserung ihrer Lebenssituation zum Ziel. Schließlich wird f & w fördern und wohnen AöR für den Übergang aus dem WNP zur öffentlich-rechtliche Unterbringung (örU) etwa 150 Plätze zur Verfügung stellen, sodass alle Menschen im WNP, die einen Leistungsanspruch haben, eine Unterkunft in der örU erhalten können. Zudem konnten bei der öffentlichen Unterbringung Wohnungsloser seit Mai 2015 deutliche Erfolge erzielt werden. Wurden im Mai 2015 noch 2.513 wohnungslose Menschen untergebracht, waren es im Oktober 2016 bereits 3.282. Hier konnte eine Steigerung von 23 Prozent (769 Personen) erreicht werden. Eine weitere Verbesserung für den Zugang obdachloser Menschen in die öffentlichrechtliche Unterbringung soll im Übrigen die geplante Erweiterung der bestehenden Kapazitäten für Wohnungslose um rund 1.500 Plätze ergeben. Neben der öffentlichen Unterbringung ist die Vermittlung in eigenen Wohnraum wesentlich für den Schutz und die Integration ehemals obdachloser Menschen. Auch insoweit konnten durch die bezirklichen Fachstellen 2016 weitere Erfolge erzielt werden. Wurden 2015 noch 1.468 Wohnungen an wohnungslose Haushalte vermittelt, konnte diese Zahl 2016 auf 1.627 gesteigert werden. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/7920 3 Gewaltkriminalität gegen obdachlose Menschen begegnet die Polizei Hamburg wie sämtlichen Erscheinungsformen von Gewaltkriminalität grundsätzlich mit repressiven und mit präventiven Maßnahmen. Bei Feststellung einer steigenden Anzahl von Straftaten erfolgen regionale Schwerpunktmaßnahmen uniformierter und/oder ziviler Polizeikräfte , dies grundsätzlich auch bei den erfragten Delikten. Ebenfalls werden konkrete Einzelmaßnahmen, die aus den täglichen Lageerkenntnissen des Lage- und Analysezentrums sowie der örtlichen Polizei- und Kriminalkommissariate abgeleitet und umgesetzt werden, getroffen. Neben allgemeinen präventiven Hinweisen steht die Polizei Hamburg darüber hinaus in regelmäßigem Informationsaustausch mit anderen Behörden, sodass auf mögliche neue Gefährdungen für obdachlose Menschen zügig reagiert werden kann. Die Polizei weist im Rahmen von Vorträgen und anderen öffentlichen Veranstaltungen über die polizeilichen Maßnahmen hinaus auf die Bedeutung des Einzelnen bei Gewaltvorfällen im öffentlichen Raum hin. Dabei wirbt die Polizei verstärkt für eine Nutzung der Notrufnummer 110, um die Bevölkerung zu ermutigen, Vorfälle mitzuteilen.