BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/8027 21. Wahlperiode 24.02.17 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Ludwig Flocken (fraktionslos) vom 17.02.17 und Antwort des Senats Betr.: Beobachtung der „Identitären Bewegung“ durch das Landesamt für Verfassungsschutz Die im Oktober 2012 nach dem Vorbild der französischen „Génération Identitaire “ gegründete „Identitäre Bewegung Deutschland“ (IBD) ist seit dem Sommer 2016 mit gewaltfreien Protestaktionen auch im Raum Hamburg aktiv geworden. So wurden in der Nacht zum 29. Juli 2016 in Hamburg an fünf Örtlichkeiten, den Tatorten von Gewaltverbrechen, mit Kreide Personenumrisse auf den Gehweg gezeichnet. Zudem wurden rote Farbe im Hals- und Brustbereich der Umrisse aufgetragen und politische Parolen hinterlassen. Diese und eine weitere Aktion am 13. August 2016 im Bereich der Landungsbrücken sowie die Aktivitäten der IBD in sozialen Netzwerken nahm das Landesamt für Verfassungsschutz der Freien und Hansestadt Hamburg am 16. August 2016 zum Anlass, die Hamburger Gruppe der IBD als rechtsextremistische Bestrebung zum Objekt seiner Beobachtung, auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln, zu erklären und Angehörigen und Sympathisanten der „Identitären Bewegung“ nachdrücklich mit möglichen gesellschaftlichen und beruflichen Konsequenzen im Falle eines Engagements für die „Identitäre Bewegung“ zu drohen: „„Die „Identitäre Bewegung Hamburg“ ist Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes . Das bedeutet, dass all jene, die sich für diese rechtsextremistische Gruppierung engagieren, in den Fokus des Nachrichtendienstes geraten und als Extremisten gespeichert werden. Für die Dauer ihrer Unterstützung rechtsextremistischer Bestrebungen wie der IBD kann dies das Aus für bestimmte berufliche Perspektiven bedeuten – denn die abwehrbereite Demokratie hat mit Bedacht vorgesehen, dass Extremisten für bestimmte Berufe nicht geeignet sind. (…) Junge Menschen, die womöglich noch ihrer Ausbildung nachgehen, sollten sich daher gut überlegen, ob sie ihre Biografie negativ prägen, indem sie sich für verfassungsfeindliche Aktivitäten engagieren. Markige Statements wie das eines österreichischen Protagonisten der IB an den deutschen Verfassungsschutz helfen wenig, wenn es um die eigene berufliche Zukunft geht. Das Motto „… denn sie wissen nicht was sie tun“ zieht in Eurem Alter nicht mehr. Deshalb fragen wir ganz deutlich: Wollt Ihr wirklich in den Fokus des Nachrichtendienstes geraten?“ (http://www.hamburg.de/innenbehoerde/ 6717702/verfassungsschutz-identitaere/). Eine derartige Drohkulisse mag zur Abwehr schwerer staatsgefährdender Handlungen im Bereich der politisch motivierten Kriminalität angemessen und erforderlich erscheinen, um mögliche Sympathisanten schon im Vorfeld Drucksache 21/8027 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 abzuschrecken und von einer Unterstützung abzuhalten. Für bloße Unmutsäußerungen und/oder gewaltfreien Protest gegenüber der derzeitigen Politik kann dies jedoch nicht gelten. Kreidezeichnungen an Orten schwerster Verbrechen , die auf diese Verbrechen aufmerksam machen und die Bevölkerung zu kritischem Denken anregen sollen, können, ebenso wie andere gewaltfreie Aktionen, keinesfalls als hinreichender Grund für eine nachrichtendienstliche Überwachung dienen. Hier wird eindeutig der Versuch unternommen, jegliche Kritik an der derzeitigen Politik, insbesondere im Bereich der Zuwanderung, schon im Vorfeld zu unterdrücken und die politischen Gegner mit den Mitteln eines Geheimdienstes einzuschüchtern und mundtot zu machen. Die ist einer gelebten Demokratie nicht würdig. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Welche tatsächlichen Anhaltspunkte für von der „Identitären Bewegung“ ausgehende „Gefahren für die freiheitlich demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder“ (§ 4 Absatz 1 S. 2 i.V.m. § 1 Absatz 1 HmbVerfSchG) liegen dem Senat beziehungsweise dem Landesamt für Verfassungsschutz der Freien und Hansestadt Hamburg vor? 2. Welche tatsächlichen Anhaltspunkte für von der „Identitären Bewegung“ ausgehende „Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben“ (§ 4 Absatz 1 S. 1 Ziffer 1 HmbVerf SchG) liegen dem Senat beziehungsweise dem Landesamt für Verfassungsschutz der Freien und Hansestadt Hamburg vor? 3. Welche tatsächlichen Anhaltspunkte für von der „Identitären Bewegung“ ausgehende „sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht im Geltungsbereich dieses Gesetzes“ (§ 4 Absatz 1 S. 1 Ziffer 2 HmbVerf- SchG) liegen dem Senat beziehungsweise dem Landesamt für Verfassungsschutz der Freien und Hansestadt Hamburg vor? 4. Welche tatsächlichen Anhaltspunkte für von der „Identitären Bewegung“ ausgehende „Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden“ (§ 4 Absatz 1 S. 1 Ziffer 3 HmbVerfSchG) liegen dem Senat beziehungsweise dem Landesamt für Verfassungsschutz der Freien und Hansestadt Hamburg vor? 5. Welche tatsächlichen Anhaltspunkte für von der „Identitären Bewegung“ ausgehende „Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind“ (§ 4 Absatz 1 S. 1 Ziffer 4 HmbVerfSchG) liegen dem Senat beziehungsweise dem Landesamt für Verfassungsschutz vor? 6. Liegen dem Senat beziehungsweise dem Landesamt für Verfassungsschutz Erkenntnisse vor, wonach die „Identitäre Bewegung“ oder einzelne ihrer Anhänger in Wort und/oder in Schrift und/oder in Tat die Verfasstheit der Bundesrepublik Deutschland und/oder die freiheitliche demokratische Grundordnung infrage gestellt hätten? Wenn ja, wann genau und in welcher Form erfolgte diese lnfragestellung ? Antwort bitte aufgeschlüsselt nach Datum, Sachverhalt und betroffenem Personenkreis. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/8027 3 Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg nimmt seine Aufgaben gemäß Hamburgischem Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) wahr. Zu den Gründen für die Beobachtung der Identitären Bewegung siehe Internetbeitrag des LfV Hamburg vom 16.08.2016 (http://www.hamburg.de/innenbehoerde/6717702/verfassungsschutzidentitaere /). Zu Einzelpersonen können gemäß § 18 HmbVerfSchG grundsätzlich keine Informationen mitgeteilt werden. 7. Welche Erkenntnisse liegen dem Senat beziehungsweise dem Landesamt für Verfassungsschutz vor im Hinblick auf die in der Nacht zum 29. Juli 2016 in Hamburg an fünf Örtlichkeiten hinterlassenen „politischen Parolen“? Welche „Parolen“ wurden hinterlassen? (Bitte im Wortlaut angeben.) Erfüllen diese „Parolen“ einen Tatbestand des StGB? Die fremdenfeindlichen Parolen werden zum Teil auch von anderen rechtsextremistischen Organisationen und Gruppierungen, beispielsweise der NPD, benutzt. Der Senat nimmt daher Abstand davon, diese zu wiederholen. Aufgabe des LfV Hamburg ist, unabhängig von strafrechtlicher Relevanz, das Sammeln und Auswerten von Informationen über Bestrebungen nach § 4 HmbVerfSchG. Die betreffenden Parolen erfüllen nach aktueller Bewertung keinen Straftatbestand. 8. Kommen oder kamen bei der Beobachtung von Anhängern der „Identitären Bewegung“ durch das Landesamt für Verfassungsschutz derzeit oder in der Vergangenheit nachrichtendienstliche Mittel zum Einsatz? Wenn ja, mit welcher Begründung, in welcher Form und in wie vielen Fällen? Das LfV Hamburg darf grundsätzlich bei allen Beobachtungsobjekten die gesetzlich vorgesehenen nachrichtendienstlichen Mittel unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einsetzen. Detailliertere Angaben zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel können aus Gründen des Staatswohls nur gegenüber dem nach § 24 HmbVerfSchG für die parlamentarische Kontrolle des Senats auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes zuständigen Kontrollausschuss (PKA) gemacht werden. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass die beobachteten Bestrebungen Rückschlüsse auf die Arbeitsweise und Einblickstiefe des LfV Hamburg ziehen könnten und eine künftige Beobachtung unverhältnismäßig erschwert würde. 9. Wurde das Landesamt für Verfassungsschutz durch den Senat oder durch ein Mitglied des Senats angewiesen, Vertreter von vermeintlich „falschen“, „missliebigen“ oder „unbequemen" Weltanschauungen zu erfassen und (auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln) zu beobachten? Siehe Antwort zu 1. bis 6.