BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/8091 21. Wahlperiode 28.02.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 22.02.17 und Antwort des Senats Betr.: Einsatz von Reizstoffen durch Hamburger Polizeibedienstete Die Anwendung von Reizstoffen wie Pfefferspray durch Polizeibedienstete ist mit gravierenden und zugleich schwer abschätzbaren gesundheitlichen Risiken für die betroffenen Personen verbunden. Insbesondere der Einsatz bei Versammlungen und im Zusammenhang mit Fußballspielen ist problematisch . 2016 wurde etwa in Göttingen die niedersächsische Landtagsvizepräsidentin bei einer Demonstration gegen Rechtsextremisten/-innen durch einen Pfeffersprayeinsatz verletzt. In der Konsequenz wird in Niedersachsen nun bei jedem Einsatz gemessen, welche Menge an Reizstoffen eingesetzt werden. Dies geschieht, indem die Behälter vor und nach dem Einsatz gewogen werden . Seitdem soll der Verbrauch von Reizstoffen rückläufig sein (https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/hannover_weser-leinegebiet/ Polizei-Pfefferspray-und-Praezisionswaagen,pfefferspray136.html). Ebenfalls 2016 eskalierte in einem Regionalexpress mit Fußballfans die Situation . Polizeibedienstete sollen daraufhin Pfefferspray in ein geschlossenes, voll besetztes Zugabteil gesprüht haben. Die Fans sollen panikartig den Zug verlassen haben und auf dem Bahnsteig erneut mit Pfefferspray besprüht worden sein. Ein Fan sei dabei zwischen Bahnsteig und Zug auf die Gleise gefallen. Die Gefahren von Reizstoffeinsätzen gehen also weit über die Risiken des Wirkstoffes selbst hinaus. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Einsatz von Reizstoffen als Hilfsmittel der körperlichen Gewalt obliegt den Vorschriften der Zwangsanwendung. Entsprechend darf und wird von der Polizei nur in entsprechenden Fällen von dem Einsatz von Reizstoffen Gebrauch gemacht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Einsatz von Reizstoffen in erster Linie in Situationen erfolgt, in denen ansonsten andere Zwangsmittel wie körperliche Gewalt, Schlagstockeinsatz oder gegebenenfalls auch ein Schusswaffengebrauch drohen kann. Der Einsatz von Reizstoffen kann hier das Verletzungsrisiko deutlich begrenzen. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Welche Reizstoffe sind bei der Polizei im Einsatz (bitte aufgliedern nach Typen, Fabrikaten, Herstellern der Reizstoffe und bei Pfefferspray auch nach synthetischer und natürlicher Ware)? Die Polizei Hamburg setzt ausschließlich „Pfefferspray“ mit dem natürlichen Wirkstoff Oleoresin Capsicum (OC) in Reizstoffsprühgeräten (RSG) ein. Hersteller und Lieferant ist die Firma CARL HOERNECKE Chemische Fabrik GmbH & Co. KG. Bei den Fabrikaten /Typen handelt es sich um die RSG 2, RSG 3, RSG 4. Drucksache 21/8091 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 2. Welche Reizstoffsprühgeräte und Abschussvorrichtungen für Reizstoffgranaten sind bei der Polizei im Einsatz (bitte aufgliedern nach Reizstoff, Reizstoffmenge und -konzentration, Einsatzreichweite, Sprühbilddurchmesser , Mindestzahl von 1-Sekunden-Strahlstößen)? Der Anteil des Reizstoffs in der Spraydose (Gesamt-Nettofüllung) muss 0,3 Prozent ± 0,03 Gewichtsprozent betragen; darüber hinaus siehe Drs. 20/197. 3. Welche Verhaltensregeln haben die Polizeibediensteten beim Einsatz von Reizstoffen zu beachten (bitte den wesentlichen Inhalt wiedergeben )? Dienstlich zugewiesene RSG dürfen ausschließlich von sachgerecht eingewiesenen Polizeivollzugsbeamten und Angestellten im Polizeidienst und nur gegen Personen eingesetzt werden, deren Verhalten dies erfordert. Bei der Dosierung sind insbesondere die voraussichtliche Einwirkungszeit, die räumliche Beschaffenheit und die Windverhältnisse zu berücksichtigen. Nach dem Einsatz von Reizstoffen ist betroffenen Personen im Rahmen notwendiger und zulässiger Hilfeleistung Linderung durch geeignete Maßnahmen beziehungsweise verfügbare Mittel (zum Beispiel Augenspülflasche , ärztliche Versorgung) zu verschaffen. 4. Wie wird der Einsatz von Reizstoffen dokumentiert? Siehe Drs 21/113. 5. Wann wurden die Regeln für den Einsatz von Reizstoffen und dessen Dokumentation zuletzt geändert? Die letzte Anpassung erfolgte am 14. Juli 2016. 6. Wie bewertet der Senat die in Niedersachsen eingeführte quantitative Messung des Reizstoffeinsatzes? Ist eine solche Maßnahme für Hamburg geplant? In Hamburg ist eine quantitative Messung des Reizstoffeinsatzes nicht geplant. Nach den Erkenntnissen der Polizei Hamburg hat die Polizei Niedersachsen die Erhebung aufgrund ihres nicht vorhandenen Beweiswertes eingestellt. Zu den Gründen der Erhebung Niedersachsens sieht der Senat in ständiger Praxis von einer Bewertung ab. 7. Welche Erkenntnisse liegen dem Senat vor a. bezüglich der Todesopfer bundesweit im Zusammenhang mit Reizstoffeinsätzen von Polizeibediensteten seit 2013, Keine. b. bezüglich der Verletzten infolge von Reizstoffeinsätzen der Polizei in Hamburg? Siehe Drs. 21/113, zu quantitativen Erkenntnissen siehe Antwort zu 14. a. 8. Wie viele Einheiten von Reizstoffen welcher Kategorie (RSG 2 fortfolgende ) mit welcher Füllmenge, welchen Reizstoffen genau und welcher Konzentration wurden seit 2013 beschafft (bitte nach Jahren aufschlüsseln )? Für die Polizei ist die Zahl der beschafften Einheiten nachstehender Tabelle zu entnehmen : Jahr RSG 2 RSG 3 RSG 4 2015 400 3.320 60 2016 200 2.928 440 2017* 0 780 0 * bis 23. Februar 2017 Unabhängig vom Gebrauch der RSG sind diese aufgrund herstellungsbedingter Verfallsdaten regelmäßig neu zu beschaffen. Darüber hinaus siehe Drs. 21/113. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/8091 3 9. Wie viele der in Ziffer 8. bezeichneten Einheiten sind für die Einsätze während des G20-Gipfels zusätzlich beschafft worden beziehungsweise sollen zusätzlich beschafft werden? Bitte den Mehrbedarf gegenüber einem Jahr ohne ein solches Ereignis angeben. Keine. 10. Wie viele Einheiten von Reizstoffen welcher Kategorie (RSG 2 fortfolgende ) mit welcher Füllmenge, welchen Reizstoffen genau und in welcher Konzentration wurden seit 2013 in Einsätzen verbraucht (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? Daten im Sinne der Fragestellung werden von der Polizei nicht erhoben. 11. Welche Kosten haben die Beschaffung und die Nutzung von Reizstoffsprühgeräten seit 2013 jährlich verursacht? Wie hoch sind die (voraussichtlichen ) Mehrkosten anlässlich des G20-Gipfels? Jahr Kosten 2013 19.122 EUR 2014 39.659 EUR 2015 28.942 EUR 2016 42.611 EUR 2017* 4.977 EUR * bis 23. Februar 2017 Darüber hinaus siehe Antworten zu 8 und zu 9. 12. Wie viele Einsätze von Reizstoffen durch Polizeibedienstete zu welchen Ereignissen gab es seit 2013 in Hamburg? Bitte nach Jahren und Ereignissen wie Versammlungen, Sportveranstaltungen, schulische Gewalt, häusliche Gewalt et cetera aufschlüsseln. 13. Wie viele der unter 12. genannten Einsätze von Reizstoffen verliefen seit 2013 aus polizeilicher Sicht erfolgreich beziehungsweise nicht erfolgreich ? Bitte aufschlüsseln nach Reizstoff und Androhung mit/ohne Erfolg sowie Einsatz mit/ohne Erfolg. Jeder Einsatz von Reizstoffen durch die Polizei ist aktenkundig zu machen. Eine statistische Auswertung und Erfassung erfolgt nicht. Zur Beantwortung der Fragestellungen wäre eine manuelle Durchsicht aller Strafanzeigen und sonstigen Berichte der beteiligten Polizeidienststellen des erfragten Zeitraums erforderlich. Die Auswertung mehrerer Hunderttausend Vorgänge ist in der für die Beantwortung Parlamentarischer Anfragen zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich; im Übrigen siehe Drs 21/113. 14. Wie viele Personen sind seit 2013 im Zuge von Reizstoffeinsätzen durch Polizeibedienstete verletzt worden? Bitte aufschlüsseln nach Jahren und nach betroffenen Personen (Polizeibedienstete, Störer/-innen, Unbeteiligte , Ordner/-innen et cetera). a. Welche Verletzungen sind dabei aufgetreten? Die Landesinformationsstelle Sporteinsätze (LIS) Hamburg meldet der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) seit August 2013 (Saison 2013/2014) die Anzahl der durch polizeiliche Reizstoffeinsätze verletzten Personen im Zusammenhang mit Fußballspielen der Bundesligen (Bundesliga und 2. Bundesliga), aufgeschlüsselt nach Polizeibeamten, Störern, unbeteiligten Personen und Ordnern. Die für Hamburg erhobenen Zahlen zu Verletzten sind in der nachfolgenden Tabelle dargestellt: Jahr Polizeibeamte Störer Unbeteiligte Ordner 2013 - 13 1 - 2014 1 7 5 10 2015 5 1 2 - 2016 - 8 - - Drucksache 21/8091 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Jahr Polizeibeamte Störer Unbeteiligte Ordner 2017* - - - - * bis 23. Februar 2017 Darüber hinaus siehe Antwort zu 12. und 13. b. Fließen die Fallzahlen auch in Statistiken über verletzte Polizeibedienstete ein und wenn ja, in welche? Nein. 15. Für den Fall, dass die Fragen unter Ziffern 12. und 13. nicht beantwortet werden, wird um Erläuterung gebeten, warum diese Antworten in anderen Bundesländern wie insbesondere in Berlin gegeben werden können, in Hamburg jedoch nicht. Nach Auffassung der Polizei Hamburg sind zusätzliche statistische Erhebungen für die eigene Aufgabenwahrnehmung nicht erforderlich. Der Einsatz von Reizstoffen ist einzelfallabhängig zu beurteilen. Dafür sind die vorgeschriebenen Dokumentationspflichten vollumfänglich geeignet und ausreichend. 16. Ist es möglich, die für Fußballspiele vorhandenen Daten der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze über verletzte Personen durch polizeiliche Reizstoffeinsätze für die Auswertung von Einsätzen bei Fußballspielen in Hamburg auszuwerten? Wenn ja, welche Zahlen ergeben sich für Hamburg seit 2013? Nein; im Übrigen siehe Antworten zu 14. 17. Hält der Senat eine Überarbeitung der statistischen Erfassung des Einsatzes von Reizstoffen durch Polizeibedienstete in Hamburg für erforderlich ? Nein. a. Wenn ja, inwieweit und welche konkreten Maßnahmen werden beziehungsweise wurden ergriffen? Entfällt. b. Wenn nein, warum nicht? Nach Auffassung des Senats sind die derzeitigen Dokumentationspflichten ausreichend ; im Übrigen siehe Antwort zu 15.