BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/8131 21. Wahlperiode 03.03.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein (FDP) vom 24.02.17 und Antwort des Senats Betr.: Justizskandal – Sicherungsverwahrter nicht zurückgekehrt Nach aktuellen Berichten ist ein Sicherungsverwahrter, der 48-jährige L., nicht von seinem Ausgang am 23.02.2017 zurückgekehrt. Das Gericht hielt bei ihm eine externe Psychotherapie für geboten. Ein Justizvollzugsbediensteter sollte den L. nach der Therapiestunde in Empfang nehmen und stellte bei der vorgesehenen Abholung gegen 10.00 Uhr aber fest, dass sich Karl L. nicht mehr in der Praxis befand. Der vorbestrafte Karl L. war 2009 zu einer Haftstrafe wegen Raubes und räuberischer Erpressung in mehreren Fällen zu fünf Jahren und sechs Monaten mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Damit der Resozialisierungsgedanke nicht gefährdet wird, müssen die offenstehenden Fragen sehr schnell beantwortet werden. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Das Hamburgische Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz (HmbSVVollzG) unterscheidet bei den Vollzugslockerungen gemäß § 13 HmbSVVollzG zwischen Ausführungen unter ständiger und unmittelbarer Aufsicht, Ausgang in Begleitung, Ausgang, Langzeitausgang, Außenbeschäftigung und Freigang. Die genannten Lockerungsarten bringen, beginnend mit der Ausführung, über den Ausgang in Begleitung bis zum Langzeitausgang und dem Freigang für den Untergebrachten, ein zunehmendes Maß an Eigenverantwortlichkeit mit sich – vom Aufenthalt außerhalb der Vollzugsanstalt unter ständiger Aufsicht hin zu unbeaufsichtigten und unbegleiteten Vollzugslockerungen . Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang welche Lockerung im Einzelfall gewährt wird, ist abhängig von der Entwicklung des Untergebrachten und dem Vollzugsverlauf . Da Sicherungsverwahrte ihre Strafe bereits voll verbüßt haben und allein aus präventiven Gründen noch nicht entlassen wurden, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 hohe Anforderungen an die Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung gestellt, die sich deutlich vom Strafvollzug unterscheiden muss. Der Vollzug der Sicherungsverwahrung muss nach dem Bundesverfassungsgericht therapiegeleitet und freiheitsorientiert sein. Nach den Vorgaben des Gerichts muss die Konzeption der Sicherungsverwahrung Vollzugslockerungen vorsehen. Diese dürfen nur aus zwingenden Gründen versagt werden. Die Entwicklung des Sicherungsverwahrten beziehungsweise Fortdauer der Sicherungsverwahrung und die Umsetzung des Vollzugskonzepts wird von der zuständigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts in mindestens jährlichen Abständen überprüft. Das Gericht stützt sich dabei auf externe Gutachter und teilt seine Erwartungen hinsichtlich weiterer Therapie- und Lockerungsschritte der zuständigen Vollzugsanstalt mit. Im vorliegenden Fall hat das Gericht im Juli 2016 ausgehend von Ausführungen die Erwartung geäußert, dass die Vollzugslockerungen erweitert werden. Bereits im September 2015 ist ein Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass an einer jetzt beginnenden Lockerungserweiterung aus sachverständiger Sicht kein Weg vorbeiführt. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: Drucksache 21/8131 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 1. Warum ist der Sicherungsverwahrte, der 48-jährige L., nach seinem Ausgang nicht zurückgekehrt und konnte sich unerlaubt von seiner vom Gericht für geboten gehaltenen externen Psychotherapie entfernen (bitte aus Sicht und nach Kenntnissen der zuständigen Behörde darstellen)? Siehe Drs. 21/8130. 2. Inwieweit sollte der 48-jährige Karl L. gegen 10.00 Uhr von einem Justizvollzugsbeamten in Empfang genommen werden und wann hat dieser festgestellt, dass die Therapie vorzeitig beendet worden war und er nicht darüber informiert worden ist? Die Therapiesitzung war von 9 Uhr bis 10 Uhr in der Praxis des Psychotherapeuten angesetzt. Der Bedienstete hat um kurz nach 10 Uhr von dem Therapeuten erfahren, dass der Sicherungsverwahrte die Therapiesitzung vorzeitig abgebrochen hat. Im Übrigen siehe Drs. 21/8130. 3. Welche angekündigten Maßnahmen zur Neuausrichtung der Sicherungsverwahrung in der JVA Fuhlsbüttel sind bisher wie umgesetzt worden ? Der Informationsaustausch zwischen der Aufsichtsabteilung der zuständigen Behörde und der Justizvollzugsanstalt (JVA) Fuhlsbüttel wurde intensiviert. Die JVA berichtet der zuständigen Behörde monatlich schriftlich über den Vollzugs- und Behandlungsverlauf bei den Sicherungsverwahrten und Gefangenen mit angeordneter Sicherungsverwahrung . Die JVA und die zuständige Behörde erörtern monatlich in einer gemeinsamen Besprechung die Vollzugsplanstände der Sicherungsverwahrten, insbesondere den Stand der Umsetzung gerichtlicher Beschlüsse. Gerichtsbeschlüsse, die Sicherungsverwahrte betreffen, werden von der JVA generell an die zuständige Behörde weitergeleitet. In schwierigen Fällen prüfen die JVA und die Aufsichtsabteilung der zuständigen Behörde gemeinsam, wie im konkreten Fall zu verfahren ist. Kriterien zur Identifizierung besonders komplizierter Vollzugsverläufe wurden miteinander abgestimmt . Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abteilung für Sicherungsverwahrte werden durch ein neu eingerichtetes Supervisionsangebot darin unterstützt, mit schwierigen Einzelfällen umzugehen. Für die Abteilung für Sicherungsverwahrte der JVA Fuhlsbüttel wurde eine eigene Vollzugsleitung eingerichtet. Durch die Einrichtung einer eigenen Vollzugsleitung Sicherungsverwahrung wird es dieser ermöglicht, sich ganz auf die die Sicherungsverwahrten zu konzentrieren. Der fachliche Austausch mit der Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll wurde erweitert. Es gibt regelmäßige gemeinsame Fallbesprechungen, in denen sich die JVA beraten lassen kann. Zudem leistet die Klinik Unterstützung bei externen Therapien, die außerhalb der JVA stattfinden sollen. Dadurch stehen mehr Therapeuten zur Verfügung. An Anhörungsterminen von Sicherungsverwahrten beim Landgericht (LG) Hamburg nimmt immer ein Vertreter der JVA teil. Innerhalb der Hauptabteilung I der Staatsanwaltschaft ist festgelegt worden, dass an den Anhörungen in Fällen der Sicherungsverwahrung eine Vertreterin beziehungsweise ein Vertreter der Staatsanwaltschaft teilnimmt. Durch die Teilnahme an den Anhörungen ist sichergestellt, dass entsprechende Handlungsbedarfe sofort erkannt und die erforderlichen Maßnahmen getroffen werden können. a. Welche Maßnahmen plant der Senat in welchem Zeitraum umzusetzen ? Im Dezember 2016 hat die zuständige Behörde unter Beteiligung des Instituts für Sexualforschung und forensische Psychiatrie des UKE und der Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll eine Tagung zur Sicherungsverwahrung durchgeführt. Ob sich aus der Auswertung der Tagungsergebnisse ergänzende Maßnahmen zur Neuausrichtung der Sicherungsverwahrung ergeben, steht noch nicht fest. b. Inwieweit ist ein Konzept erstellt worden beziehungsweise in welchem Zeitrahmen soll eine Erstellung erfolgen? Die im Wesentlichen bereits umgesetzten behördeninternen aber auch die behördenübergreifenden Verfahrensabläufe beim Umgang mit Sicherungsverwahrten und Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/8131 3 Strafgefangenen mit angeordneter und vorbehaltener Sicherungsverwahrung werden in einem umfassenden Konzept zusammengefasst, das unter anderem ein strukturiertes Controlling-System unter Berücksichtigung gerichtlicher Verfahren, von Weisungen und Fristen zwischen Vollzugsanstalt und Aufsichtsbehörde, ein dazugehöriges Berichtswesen und die Festlegung qualitätssichernder Maßnahmen im Bereich der inhaltlichen Ausgestaltung und Durchführung der Sicherungsverwahrung beinhaltet. Das Behandlungskonzept wird fortgeschrieben. Im Übrigen siehe Antwort zu 3. c. Sind bisher Kosten entstanden? Wenn ja, in welcher Höhe und welche Kosten sind dazu in welcher Höhe noch eingeplant? Für die Durchführung externer Therapien in der Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll, das Angebot einer Supervision für die Bediensteten der Abteilung für Sicherungsverwahrte der JVA Fuhlsbüttel und eine Fachtagung im Dezember 2016 wurden bisher Haushaltsmittel in Höhe von rund 2.000 Euro aufgewendet. Nicht näher zu bezifferende weitere Kosten ergeben sich aus den bereits laufenden und gegebenenfalls ergänzenden Maßnahmen. 4. Wie kann es sein bei solchen Ausgängen, speziell hier im Fall des 48- jährigen Karl L., und wie kann es bei Unregelmäßigkeiten (sogar vorzeitige Beendigung der Therapie) dazu kommen, dass die Justizbehörde keine Informationen einfordert und diese nicht an den Senat weitergeleitet werden (bitte begründen)? Die zuständige Behörde wurde von der JVA Fuhlsbüttel sofort über das besondere Vorkommnis am 23. Februar 2017 informiert. 5. Wie viele Ausgänge erhielt der 48-jährige Karl L. seit 2016, bei denen er von einem Bediensteten wie lange begleitet wurde? Wann hatte sich dies geändert (bitte begründen)? Der Sicherungsverwahrte hat vor dem begleiteten Ausgang am 23. Februar 2017 seit November 2016 insgesamt zwölf Ausgänge in Begleitung erhalten. Die Anstalt hat mit der Gewährung von Begleitausgängen den Erwartungen des LG Hamburg und den gutachterlichen Empfehlungen hinsichtlich einer sukzessiven Erweiterung von Vollzugslockerungen entsprochen. Zuvor hat der Sicherungsverwahrte zahlreiche Ausführungen erhalten. 6. Warum wurde der 48-jährige Karl L. nicht von einem Justizvollzugsbeamten beim Ausgang im Februar 2017 und in die Praxis begleitet? Wie lange hielt sich der Karl L. in der Praxis auf und warum ist die Therapie vorzeitig beendet worden? Der Sicherungsverwahrte hat die Therapiesitzung von sich aus vorzeitig abgebrochen. Über den Zeitpunkt liegen unterschiedliche Angaben der Beteiligten vor. Der Therapeut gibt an, der Sicherungsverwahrte habe die Praxis etwa 15 Minuten vor Ende der Sitzung verlassen. Nach Angaben des Sicherungsverwahrten habe er selbst gegen 9.20 Uhr das Gespräch beendet. Im Übrigen siehe Drs. 21/8130. 7. Wie viele und welche Lockerungsmaßnahmen sind seit wann bezogen auf den 48-jährigen Karl L. umgesetzt worden? Vom 23. März 2009 bis zum 7. Dezember 2015 wurde der Sicherungsverwahrte 14 Mal gefesselt ausgeführt. Im Zeitraum 14. Dezember 2015 bis 14. März 2016 wurden sieben ungefesselte Ausführungen unter der Aufsicht von jeweils zwei Bediensteten durchgeführt. Vom 20. April 2016 bis 6. Oktober 20016 haben neun ungefesselte Ausführungen unter der Aufsicht eines Bediensteten stattgefunden. Im Übrigen siehe Antwort zu 5. 8. Wie ist der aktuelle Stand der Umstände des Hergangs nach den Ermittlungen ? Gibt es bisherige Fahndungserfolge? Wenn ja, welche und wohin ist der Inhaftierte geflüchtet? Wenn nein, warum nicht? Drucksache 21/8131 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Siehe Drs. 21/8130. 9. Wie viele und welche vergleichbaren Vorfälle hat es in den Jahren 2013 bis 2017 in Hamburg gegeben (bitte Angaben in Jahren, unter Angabe der Straftaten der Inhaftierten und der Sozialtherapeutischen Anstalt darstellen)? Keine. 10. Wer ist aus Sicht der zuständigen Behörde für die Flucht des 48-jährigen verantwortlich? Wie bewertet der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde den Vorfall und wie wird nun mit welchen Maßnahmen darauf reagiert? Aus der vorläufigen Bewertung des Vorkommnisses ergeben sich für die zuständige Behörde keine Anhaltspunkte für eine Dienstpflichtverletzung beziehungsweise schuldhaftes Verhalten Einzelner. Die Umstände der Nichtrückkehr des Sicherungsverwahrten werden sorgfältig analysiert. Über Folgemaßnahmen können derzeit noch keine Aussagen gemacht werden.