BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/8388 21. Wahlperiode 28.03.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Cansu Özdemir (DIE LINKE) vom 20.03.17 und Antwort des Senats Betr.: Hilfe und Unterstützung für alle Opfer von häuslicher Gewalt nach dem Gewaltschutzgesetz Mit dem Gewaltschutzgesetz von 2002 wurde eine wichtige Grundlage zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt gelegt. Gesetze ändern jedoch die Realität nicht automatisch. Jenseits des geschaffenen Rechtsanspruches auf Schutz in der eigenen Wohnung, dokumentiert dieses Gesetz das Ende der Gewalt-Akzeptanz. Dennoch zeigen sich in der Praxis diverse Probleme. Zum Beispiel weist die Situation geflüchteter Frauen in Deutschland viele Leerstellen auf (BT.-Drs. 18/6693). Insbesondere gestaltet sich die Situation für Frauen in Erstaufnahmeeinrichtungen als schwierig und gefährdend. Des Weiteren stellt das Spannungsfeld zwischen den wohnsitzbeschränkenden Maßnahmen des Ausländerrechts (Residenzpflicht/Wohnsitznahme) und Gewaltschutzgesetz für schutzsuchende geflüchtete Frauen weitere Hürden dar. Ich frage den Senat: Schutz vor häuslicher Gewalt können die Polizei, die Familiengerichte, aber auch Flüchtlingsunterbringungen selbst gewährleisten. In Erstaufnahmeeinrichtungen (EA) erfolgt der Schutz insbesondere auch durch Sicherheitsdienste und Zugangssicherungen . Durch Verlegung der gewaltausübenden Person kann damit auch eine polizeiliche Wegweisung jederzeit vollzogen und aufgrund von Zugangskontrollen und der Verfügbarkeit von Sicherheitsdiensten auch durchgesetzt werden. Das Gewaltschutzgesetz (GewSchG) gilt unmittelbar auch in Flüchtlingsunterbringungen . Die Voraussetzungen für die Anordnung von Maßnahmen nach dem GewSchG richten sich nach den §§ 1 und 2 GewSchG. Sowohl bei Privathaushalten als auch bei Flüchtlingsunterbringungen ist im Übrigen das Schutzbedürfnis der Betroffenen maßgeblich dafür, ob sie die Wohnung oder Unterkunft verlassen oder ob der Täter gehen muss. Geflüchtete Frauen, die besonders gefährdet sind, haben die Möglichkeit in eine andere Unterkunft oder in ein Frauenhaus zu ziehen beziehungsweise in privaten Wohnraum vermittelt zu werden (siehe Drs. 21/6163). Die Residenzpflicht oder Wohnsitzverpflichtung kann dabei zum Schutz von Personen vor Gewalt aufgehoben werden (§ 47 Absatz 1 und § 49 Absatz 2 Asylgesetz, § 12 a Absatz 1 und 5 Nummer 2 Aufenthaltsgesetz). Siehe hierzu auch BT.-Drs. 18/8615. Dies vorausgeschickt beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele Frauen im Zeitraum Januar 2015 bis zum heutigen Stichtag haben Schutzmöglichkeiten nach dem Gewaltschutzgesetz in Anspruch genommen? Drucksache 21/8388 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 a. Wie viele der Frauen leben/lebten in Erstaufnahmeeinrichtungen? b. Wie viele leben/lebten in Folgeunterkünften? c. Wie hoch ist der Altersdurchschnitt bei den betroffenen Frauen? d. Wie viele Frauen, die das Gewaltschutzgesetz in Anspruch genommen haben, hatten einen Migrationshintergrund? e. Welche Erkenntnisse gibt es über die Täter? f. Wann sind nach diesen Erkenntnissen Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz anwendbar und wann nicht? Es wurde zwischen dem 1. Januar 2015 und dem 20. März 2017 die folgende Anzahl an Anträgen nach dem GewSchG erfasst, die von Frauen gestellt wurden: 2015 2016 bis 20.03.2017 895 von Frauen über 18 Jahre gestellte Anträge 894 von Frauen über 18 Jahren gestellte Anträge 171 von Frauen über 18 Jahre gestellte Anträge (Quelle: Gerichtsautomationsprogramm forumSTAR) Das Gerichtsautomationsprogramm forumSTAR ermöglicht nur eine automatische Filterung nach Antragstellern für den Filter „Frauen über 18 Jahre“. Darüber hinaus wäre eine händische Auswertung der Akten erforderlich. Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich . In Verfahren nach dem GewSchG erfolgt keine Erfassung entsprechender Daten zur antragstellenden Person oder zum Antragsgegner/zur Antragsgegnerin („Täter“). Eine händische Auswertung des mehrere Tausend Akten umfassenden Bestandes ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 2. Wie viele Frauen haben in dem unter 1. genannten Zeitraum eine Anzeige wegen häuslicher Gewalt erstattet? a. Wie viele der betroffenen Frauen leben/lebten in Erstaufnahmeeinrichtungen oder in Folgeunterkünften? b. Wie viele der Anzeigen führten zu Verurteilungen in dem unter 1. genannten Zeitraum? Die zur Beantwortung dieser Fragen erforderlichen Angaben – insbesondere, ob einem Ermittlungsverfahren eine Anzeige wegen häuslicher Gewalt zugrunde liegt – werden im Vorgangsverwaltungs- und Vorgangsbearbeitungssystem der Staatsanwaltschaft MESTA statistisch nicht erfasst. Alleine in den in der Hauptabteilung II eingerichteten Sonderdezernaten „Beziehungsgewalt“ sind – vorbehaltlich einer zutreffenden Erfassung in MESTA – seit Januar 2015 über 10.000 Verfahren sowie 671 rechtskräftige Verurteilungen verzeichnet. Schon eine Auswertung dieser Akten ist im Hinblick auf die für die Bearbeitung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehende Zeit nicht möglich. Statistiken im Sinne der Fragestellung werden bei der Polizei ebenfalls nicht geführt. Fälle der häuslichen Gewalt werden in der PKS nicht gesondert gekennzeichnet beziehungsweise ausgewiesen (siehe Drs. 21/6475). Je nach Sachverhalt werden derartige Delikte in der PKS unter den PKS-Straftatenschlüsseln für Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Nötigung, Bedrohung oder Nachstellung erfasst. Für die Beantwortung wäre daher eine Durchsicht sämtlicher Hand- und Ermittlungsakten des erfragten Zeitraums an den jeweils zuständigen Kriminalpolizeidienststellen erforderlich . Die manuelle Auswertung mehrerer Zehntausend Vorgänge ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit ebenfalls nicht möglich. Dem Zentralen Koordinierungsstab Flüchtlinge (ZKF) liegen seit Juni 2016 sieben Meldungen zu besonderen Vorkommnissen in Erstaufnahmeeinrichtungen zum Anlass der häuslichen Gewalt vor. In fünf dieser Fälle kam es zur Anzeige bei der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/8388 3 Polizei. Für den Zeitraum davor wurden entsprechende Meldungen statistisch nicht erfasst. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. Fälle von häuslicher Gewalt, die in den Folgeunterbringungen bekannt werden, werden ebenfalls dokumentiert, sind jedoch nicht elektronisch auswertbar. Eine händische Auswertung ist angesichts des Umfangs der Fallakten im Rahmen der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 3. Sind dem Senat der ökonomische Hintergrund und der Bildungsstand der Frauen bekannt, die Schutzmöglichkeiten nach dem Gewaltschutzgesetz in Anspruch nehmen? Wenn ja, bitte angeben. Wenn nein, warum nicht? Der ökonomische Hintergrund und der Bildungsstand der Antragstellerinnen werden nicht erfasst. 4. Für Opfer von Gewalttaten bestehen vielfältige Beratungs- und Schutzangebote . a. Welche Angebote stehen Tätern zur Verfügung? Für Gewalttäter, die zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe ohne Bewährung verurteilt wurden, gibt es in den Hamburger Justizvollzugsanstalten besondere Behandlungsangebote . Dazu zählen insbesondere Verhaltenstrainings zur Verbesserung der Selbstkontrolle, Konfliktbewältigung und sozialen Kompetenz, psychologische Einzelgespräche sowie die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Einrichtung. Darüber hinaus stehen den Gefangenen grundsätzlich alle Hilfs-, Behandlungs- und Qualifizierungsmaßnahmen zur Verfügung, die geeignet sind, ihre Persönlichkeit zu stärken und ihre Lebenssituation zu stabilisieren. Angebote für gewalttätige Personen im Kontext häuslicher Gewalt bieten aktuell darüber hinaus: Das Hamburger Gewaltschutzzentrum (HGZ) (http://www.hamburgergewaltschutzzentrum.de/) Aktiv gegen Gewalt e.V. http://aktiv-gegen-gewalt.com/index.html b. Welche dieser Angebote haben einen proaktiven Ansatz? Da die Umsetzung der angebotenen Behandlungsmaßnahmen die Mitwirkung des Gefangenen erfordert, haben alle im Justizvollzug angebotenen Maßnahmen auch einen proaktiven Ansatz. Darüber hinaus verfolgt keines der genannten Angebote einen proaktiven Ansatz. c. Wie hoch ist die Wartezeit bis zu einer Beratung? Die Gefangenen können sich jederzeit bei der zuständigen Vollzugsabteilungsleitung über bestehende Behandlungsangebote informieren beziehungsweise beraten lassen. Nach Auskunft des HGZ kommt es vereinzelt zu Wartezeiten. Darüber hinaus sind keine Wartezeiten bekannt. d. Welche präventiven Angebote hält die Stadt Hamburg vor? Das Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie des Universitätskrankenhauses Eppendorf unterhält eine Präventionsambulanz. Das Aufgabenspektrum der Präventionsambulanz unterhält im rein präventiven Bereich ein Behandlungsangebot für Personen, die ein sexuelles Interesse an Kindern haben beziehungsweise befürchten, einen sexuellen Übergriff auf Kinder zu begehen. Im Übrigen siehe Drs. 20/10994, 21/4174, Drs. 21/7706. 5. Gewaltschutz steht zum Teil im Spannungsfeld mit den wohnsitzbeschränkenden Auflagen des Ausländerrechts. a. In wie vielen Fällen kollidierte eine Wegweisung mit wohnsitzbeschränkenden Auflagen nach dem Ausländerrecht? Drucksache 21/8388 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 b. Opfer von Gewalttaten die eine Residenzpflicht haben, verstoßen per se gegen diese, wenn sie ihre Unterkunft verlassen. In wie vielen Fällen kam dies vor? c. Wie oft gab es Sanktionen deswegen? d. Welche Maßnahmen plant der Senat, um hier Rechtssicherheit herzustellen ? e. Wie viele Opfer von Gewalttaten mit Wohnsitznahme in Hamburg mussten Hamburg verlassen? f. In wie vielen Fällen erhielten diese Personen einen regulären Aufenthalt nach einem Antrag auf länderweite Umverteilung und konnten dann in diesem Bundesland bleiben? Daten im Sinne der Fragestellung werden von den Ausländerbehörden nicht statistisch auswertbar erfasst. Um die Rechtssicherheit der handelnden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter insbesondere in den Unterbringungen zu erhöhen, ist die Thematik des Gewaltschutzes bei Residenzpflicht oder Wohnsitzverpflichtung Teil der gemäß Drs. 21/4174 vorgesehenen Qualifizierung zur Opferhilfelandschaft. Im Übrigen siehe Vorbemerkung.