BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/8407 21. Wahlperiode 28.03.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Dennis Thering und Franziska Grunwaldt (CDU) vom 21.03.17 und Antwort des Senats Betr.: Geringe Zustimmung zu Carsharing-Projekt „firstmover“ Der Senat betreibt in Zusammenarbeit mit BMW und dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) das Carsharing-Projekt „firstmover“. Dessen Ziel es ist, Parkplätze in den „Pilotquartieren“ Ottensen und Eimsbüttel durch Carsharing -Stellplätze zu ersetzen. In den dazu im Rahmen einer Marktstudie geführten über 600 Interviews erklärten sich nur 15 Haushalte bereit, auf ihr Auto zu verzichten, um Carsharing im Rahmen von „firstmover“ zu nutzen, davon neun in Ottensen und sechs in Eimsbüttel. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Carsharing-Diensten als Erweiterung und Ergänzung des öffentlichen Nahverkehrs kann ein hoher Stellenwert zukommen, sofern die Integration und Verknüpfung der Angebote gezielt und gesteuert im Sinne eines für die Nutzerinnen und Nutzer einfach und leicht zugänglichen Gesamtangebotes aus Hamburger Verkehrsverbund (HVV) und Carsharing-Diensten erfolgt, wie es zum Beispiel im Produkt switchh bereits der Fall ist. Durch diese Vernetzung können für die Stadtbewohner die Voraussetzungen beziehungsweise Anreize für eine einfache und übergreifende Nutzung der verschiedenen Mobilitätsangebote geschaffen werden. Der Verzicht auf den privaten (Zweit-) Pkw als permanente Rückfallebene individueller Mobilität wird gefördert. Mit mittlerweile zwölf über die Stadt verteilten sogenannten switchh-Punkten stehen an Schnellbahnhaltestellen über 100 Stellplätzen exklusiv für verschiedene Carhsharing-Anbieter zur Verfügung, um den Umstieg vom ÖPNV möglich zu machen, eine Alternative zum privaten Pkw zu bieten und die unterschiedlichen Mobilitätsbedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger zu berücksichtigen. Steigende Nutzerzahlen der switchh-Punkte bestätigen diesen Trend. Darüber hinaus gab es mit Stand 2015 laut Bundesverband CarSharing e.V. in Hamburg 1.468 stationsgebundene und stationsungebundene Carsharing -Fahrzeuge, Hamburg verfügt demnach über ein breites und großes Angebot an unterschiedlichen Carsharing-Angeboten. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen auf der Grundlage von Auskünften der BMW Group wie folgt: 1. Welche konkreten Kosten sind für die Freie und Hansestadt Hamburg (FHH) bislang im Rahmen des „firstmover“-Projekts angefallen? Im Rahmen des Projektes sind bei der zuständigen Behörde ebenso wie den beteiligten Bezirksämtern neben dem Einsatz eigenen Personals keine weiteren Kosten angefallen. Lediglich für die Auftaktveranstaltung sind Kosten angefallen. Diese wurden von den Bezirksämtern Eimsbüttel und Altona jeweils zur Hälfte übernommen und betrugen jeweils 1.642,71 Euro. 2. Auszahlungen in welcher Höhe wurden bislang im Rahmen des Projekts „firstmover“ von städtischen Stellen getätigt? Drucksache 21/8407 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Siehe Antwort zu 1. Darüber hinaus wurden keine Auszahlungen getätigt. 3. Wie viele Beamte beziehungsweise Angestellte der Freien und Hansestadt Hamburg welcher Besoldungs- beziehungsweise Entgeltstufe arbeiten seit wann an dem Projekt „firstmover“? Personaleinsatz (grob geschätzt) in der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (BWVI): seit Oktober des Jahres 2015 eine Person respektive Stelle E14/A14 mit circa 2 Prozent der Tätigkeit, in den Bezirksämtern Altona und Eimsbüttel: seit April des Jahres 2016 jeweils eine Person E 12 mit (grob geschätzt) circa 2 Prozent der Tätigkeit und seit Februar des Jahres 2016 jeweils eine Person E/A 14 mit (grob geschätzt) circa 1 Prozent der Tätigkeit. 4. Wurde das Projekt „firstmover“ öffentlich ausgeschrieben? Wenn nein, warum nicht? Von der zuständigen Fachbehörde sowie den Bezirksämtern Altona und Eimsbüttel wurden keine Aufträge an Externe vergeben, die eine öffentliche Ausschreibung erforderlich gemacht hätten. 5. In Drs. 21/6470 schrieb der Senat: „Beide Pilotgebiete verfügen über eine hohe Einwohnerdichte und mehr Autos als vorhandene Parkplätze. Zudem sind beide Quartiere Mischviertel aus Wohnen und Gewerbe und gut an Radroutennetze und den öffentlichen Personennahverkehr angebunden . Auf der Grundlage dieser Kriterien ist von einer hohen Bereitschaft , innovative Mobilitätsangebote zu nutzen, auszugehen.“ Gehen der Senat beziehungsweise die zuständigen Behörden angesichts der Willensbekundung von gerade einmal 15 Befragten, auf das eigene Auto zugunsten von Carsharing-Angeboten zu verzichten, weiterhin davon aus, dass in den beiden Pilotgebieten eine hohe Bereitschaft herrscht, innovative Mobilitätsangebote zu nutzen? Wenn ja, warum? Wenn nein, welche Maßnahmen leiten der Senat beziehungsweise die zuständigen Behörden daraus ab? 6. Wird das Pilotprojekt vor dem Hintergrund, dass gerade einmal 15 Befragte erklärt haben, auf ihr Auto zugunsten von Carsharing- Angeboten zu verzichten, fortgeführt? Wenn ja, warum? Das Projekt hat das Ziel, alternative Mobilitätsangebote basierend auf der Nachfrage der Bewohnerinnen und Bewohner zu schaffen. Es geht dabei nicht nur um Carsharing . Das im Quartier zu schaffende alternative Mobilitätsangebot soll es Personen, die heute einen privaten Pkw besitzen, ermöglichen, ihren Mobilitätsbedarf künftig ohne Verzicht auf das Autofahren sicherzustellen. Der Entscheidung der befragten Personen über die Abschaffung ihres Pkws wird ein umfassender Abwägungsprozess vorausgegangen sein, da sie das Mobilitätsverhalten und die Gewohnheiten der Personen in besonderem Maße betrifft. Von den rund 270 Hauhalten mit Pkw kommen circa 120 Personen überhaupt als firstmover infrage. Vor diesem Hintergrund und wenn man in Betracht zieht, dass bisher erst mit circa 80 Personen Gespräche über eine mögliche Abschaffung des Fahrzeugs geführt werden konnten, bewertet die zuständige Behörde dies als eine gute Quote. Die Evaluation der implementierten Maßnahmen soll im Verlauf den Zufriedenheitsgrad und weiteres Verbesserungspotenzial aufzeigen. 7. Wie viele Carsharing-Angebote gibt es bereits in Ottensen und Eimsbüttel ? Im Segment der free-floating-Anbieter liegen beide Stadtteile in den Geschäftsgebieten der Carsharing-Anbieter car2go sowie DriveNow. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/8407 3 Im stationsgebundenen Carsharing gibt es gemäß der Recherche der BWVI auf offen zugänglichen Portalen ein Angebot folgender Unternehmen: cambio Hamburg CarSharing GmbH: Angebot von sechs Stationen im Stadtteil Eimsbüttel und im Stadtteil Ottensen Altona/Ottensen/St. Pauli zehn Stationen, Ubeeqo GmbH: im Stadtteil Eimsbüttel zwei Stationen und im Stadtteil Ottensen ebenfalls zwei Stationen, Greenwheels GmbH: im Stadtteil Eimsbüttel drei Stationen und im Stadtteil Ottensen eine Station, Die STARCAR GmbH Kraftfahrzeugvermietung und DB Rent GmbH („Flinkster“) betreiben in beiden Stadtteilen keine Station. 8. Welchen Mehrwert sehen der Senat beziehungsweise die zuständigen Behörden in dem Projekt „firstmover“ gegenüber dem bereits bestehenden Carsharing-Angebot? Das Projekt betrachtet nicht nur isoliert ein Angebot (beispielsweise Carsharing), sondern das insgesamt verfügbare Angebot. Basierend auf der Nachfrage der Bewohnerinnen und Bewohner soll eine Verbesserung erzeugt werden, die den Verzicht auf einen privaten Pkw erleichtert. 9. Was genau ist ein „firstmover“ beziehungsweise wie wird diese Bezeichnung von der zuständigen Behörde und ihren Projektpartnern definiert? Dazu zählen Personen, die bereits ihre Einstellung gegenüber dem privaten Pkw geändert und diesen abgeschafft haben sowie Personen, die dies im Rahmen des Projektes umsetzen werden. 10. Handelte es sich um „quantitative“ oder um „qualitative“ Interviews und warum wurde das jeweilige Interview- und Fragendesign gewählt? Bitte den Fragebogen und/oder Interviewleitfaden beifügen. Es wurde ein quantitativer Ansatz verwendet, um eine Einstufung der Befragten nach den abgefragten Kriterien vorzunehmen. Dabei wurde der quantitative Aufbau so konzipiert , dass die wesentlichen Determinanten der Mobilität in verschiedenen Lebensbereichen (Art der Aktivitäten, Orte, Entfernungen), in Bezug auf die realisierte Mobilität (Verkehrsmittelnutzung, Häufigkeiten) sowie auf Optionen der Erreichbarkeit hin erfasst wurden. Dabei erfolgten die Selbsteinschätzung sowie die Messung der Einstellungen gegenüber Verkehrsmitteln mittels einer quantitativen und anerkannten Item-Batterie des Umweltpsychologen Prof. Dr. Hunecke (Ruhr-Universität Bochum, Fachhochschule Dortmund). 11. Wie wurden „Interviewereffekte“, also die Beeinflussung der Befragten durch das Auftreten der Fragenden, ausgeschlossen? Das beauftragte Marktforschungsunternehmen LDB Mica hat unterschiedliche, in Bezug auf das Befragungsinstrument und die Fragen geschulte Interviewerinnen und Interviewer für die Feldstudie verwendet, die zufällig den Befragten zugeordnet wurden . 12. Nach welchen konkreten Kriterien erfolgte die Auswahl der Stichproben in beiden Stadtteilen? Die Befragung stand allen Bewohnerinnen und Bewohnern der Pilotquartiere offen. 13. Wurden in den beiden Stadtteilen auch Gewerbetreibende, die auf die Kfz-Nutzung angewiesen sind, befragt? Wenn ja, wie viele? Wenn nein, warum nicht? 14. Wurde in den Interviews der Waren-, Wirtschafts- und Güterverkehr berücksichtigt? Wenn ja, in welcher Form? Drucksache 21/8407 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Wenn nein, warum nicht? Das Projekt fokussiert auf den privaten Pkw-Besitz, nicht auf Wirtschaftsverkehr. Durch eine Reduzierung des Verkehrs und des Parkdrucks kann auch die lokale Wirtschaft indirekt davon profitieren. 15. Wie viele der Befragten in beiden Stadtteilen können jeweils in die Kategorien „Captive“, „Überzeugter Autonutzer“, „Autounabhängige Pragmatiker “, „Verhinderter Autofreund“ und „Autoaffiner Pragmatiker“ eingruppiert werden? Ottensen (143 gesamt): „Captive“ 20 „Überzeugter Autonutzer“ 48 „Autounabhängige Pragmatiker“ 48 „Verhinderter Autofreund“ 19 „Autoaffiner Pragmatiker“ 8 Eimsbüttel (160 gesamt): „Captive“ 29 „Überzeugter Autonutzer“ 43 „Autounabhängige Pragmatiker“ 52 „Verhinderter Autofreund“ 20 „Autoaffiner Pragmatiker“ 16 16. Wie bewerten der Senat beziehungsweise die zuständigen Behörden die Repräsentativität der „firstmover“-Studie und welche Rückschlüsse lassen sich aus dieser für andere Stadtteile beziehungsweise Hamburg insgesamt ableiten? Siehe Drs. 21/6470. Neu an der firstmover-Befragung ist, dass die Befragung erstmals auf Personenebene durchgeführt wurde und somit 100 Prozent trennscharf Angebot und Nachfrage abgeglichen werden können. Dies könnte auch Vorbild für weitere Hamburger Stadtteile sein. Ein abschließende Bewertung und Festlegung hierzu gibt es allerdings nicht. 17. Wie ist die Verbindlichkeit der im Rahmen der „firstmover“-Studie von den Befragten gegebenen Zusagen, auf das eigene Auto zu verzichten und auf Carsharing umzusteigen, zu bewerten? Eine Verbindlichkeit im Sinne einer juristischen Bindung sieht das Projekt bewusst nicht vor. Das Angebot des Projekts stellt für die Personen, die eine Zusage gemacht haben, keinen Verzicht, sondern eine Verbesserung ihrer persönlichen Situation dar. Insofern ist von einer hohen Motivation der Personen auszugehen. 18. Warum wurden in der „firstmover“-Studie explizit die Automarken der von den Befragten gefahrenen Autos abgefragt? Die Befragung hat das Ziel, die individuellen Mobilitätsbedürfnisse in dem Quartier zu verstehen, um alternative Angebote unterbreiten zu können. Insbesondere ein Fahrzeug -Modell liefert gute Indizien zur Nutzungsart. 19. Wie wurden und werden die aus der „firstmover“-Studie gewonnenen Erkenntnisse, unter anderem zu den Automarken der Befragten, verwertet ? Die Angaben aus der Befragung wurden vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) im Rahmen des Projektes ausgewertet. Eine weitere Verwertung darüber hinaus findet nicht statt. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/8407 5 20. Wem stehen die aus der „firstmover“-Studie generierten Daten zur Verfügung beziehungsweise wie werden diese weiter verwendet? Die Ergebnisse stehen den Projektpartnerinnen und -partnern zu Verfügung. 21. Erklärtes Ziel des Senats ist es laut Presseveröffentlichungen, die Modellprojekte, ob Flop oder nicht, auf jeden Fall in Ottensen und Eimsbüttel weiterzuverfolgen. Welche politischen Gremien entscheiden letztlich über die Ergebnisse der geplanten Workshops und daraus abzuleitender Maßnahmen? Siehe Drs. 21/6470. 22. Wie wollen der Senat beziehungsweise die zuständigen Behörden eine repräsentative Besetzung der Workshops sicherstellen, ohne Gefahr zu laufen, Zufallsergebnisse zu produzieren? Wie bei jedem öffentlichen Workshop zur Einbindung der lokalen Bevölkerung erfolgte eine allgemeine Einladung. Im Übrigen siehe Drs. 21/6470. 23. Inwiefern messen der Senat beziehungsweise die zuständigen Behörden im Hinblick auf die Vermeidung von Parksuchverkehren entweder dem Projekt „firstmover“ oder der digitalen Vernetzung der Parkplätze eine größere Bedeutung bei? Bei dem Projekt „Firstmover“ sowie der digitalen Vernetzung der Parkplätze handelt es sich um unterschiedliche Ansätze, die nicht mit einander konkurrieren und zu einer Reduzierung des Parkdrucks beitragen können. Beide Projekte fördern das Ziel, Parksuchverkehre insbesondere in den hochverdichteten Quartieren beziehungsweise Stadtteilen zu reduzieren und das Mobilitätsangebot für die Bewohnerinnen und Bewohner weiter zu verbessern. Damit soll auch eine weitere Verbesserung der Lebensqualität in den begünstigten Quartieren erreicht werden.