BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/8473 21. Wahlperiode 04.04.17 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Wieland Schinnenburg (FDP) vom 27.03.17 und Antwort des Senats Betr.: Abbiege-Assistenz-Systeme Die Regierungsfraktionen wollen den Einbau von Abbiege-Assistenz- Systemen für neue Lkws verpflichtend machen. Ich frage den Senat: Die Verkehrsunfallzahlen wurden den jeweiligen Jahresabschlüssen der Datenbank Elektronische Unfalltypensteckkarte (EUSka) entnommen. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele Unfälle zwischen Lkws und Radfahrern gab es in den Jahren 2011 – 2016 in Hamburg beim Abbiegen des Lkws? In der Tabelle sind Verkehrsunfälle abgebildet, an denen mindestens ein Lkw und ein Radfahrer beteiligt waren und für einen Lkw-Führer eine Hauptursache „Fehler beim Abbiegen“ festgestellt wurde oder bei anderen Unfällen des Typs „Abbiegeunfall“ ein abbiegender Lkw beteiligt war. Jahr Anzahl Verkehrsunfälle 2011 52 2012 43 2013 56 2014 74 2015 70 2016 68 2. In wie vielen dieser Fälle wurde der Unfall ganz oder teilweise vom Lkw- Fahrer verschuldet? In der Tabelle sind von den zu 1. genannten Verkehrsunfällen diejenigen aufgeführt, bei denen Lkw-Führer als Mitverursacher festgestellt wurden. Jahr Anzahl Verkehrsunfälle 2011 52 2012 43 2013 54 2014 73 2015 69 2016 68 3. In wie vielen dieser Fälle wurde der Unfall ganz oder teilweise dadurch verschuldet, dass sich der Radfahrer im sogenannten toten Winkel befand? Drucksache 21/8473 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Eine Unfallursache im Sinne der Fragestellung wird in EUSka nicht erfasst und ist damit auch nicht auswertbar. 4. Gibt es Spiegelsysteme, die den toten Winkel vollständig erfassen? Wenn ja: Welche Kosten sind damit verbunden? Ist deren Einbau in alle gängigen Lkws möglich? Ja. Die derzeitige Rechtslage sieht vor, dass an einem vorschriftsgemäß ausgestatten Lkw, der ab dem 1. Januar 2000 erstmals in den Verkehr gekommen ist, sechs Spiegel angebracht sind, die – mit Ausnahme der Sicht direkt hinter dem Fahrzeug – eine Sicht rund um den Lkw ermöglichen. Das setzt allerdings voraus, dass Spiegelsysteme ordnungsgemäß angebracht und ausgerichtet sowie weder verdeckt noch verschmutzt sind. Über die Kosten dieser Serienausstattung an Lkw liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor. 5. Welche Abbiege-Assistenz-Systeme gibt es? Welche Kosten verursachen diese? Unter den Begriff „Abbiegeassistenten“ werden zwei technische Lösungen gefasst: Kamera-Monitor-Systeme und Radarsysteme. Über die Kosten liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor. 6. Wie funktionieren diese Systeme? Kamera-Monitor-Systeme: Durch das Anbringen einer oder mehrerer Kameras, die das Bild auf einen Monitor im Führerhaus übertragen, werden für den Fahrer nicht direkt einsehbare Bereiche um den Lkw besser sichtbar. Ergänzend zu den Kameras können (einfache) Sensoren verbaut werden, die wie Parksensoren ein akustisches und/oder optisches Signal geben, wenn sich ein Objekt im Sensorbereich befindet. Bei diesem System muss der Fahrer immer mit einem Blick auf den Monitor im Führerhaus die jeweilige Verkehrssituation bewerten und entsprechend agieren. Radarsysteme: Mehrere Hersteller befassen sich mit der Entwicklung von Abbiegeassistenten mit Radarsystem für Lkws. Ein solches radargestütztes System erfasst den Gefahrenbereich, warnt den Fahrer durch ein akustisches und/oder optisches Signal und leitet im Notfall auch einen Bremsvorgang ein. 7. Könnten diese in alle gängigen Lkws eingebaut werden? Die Nachrüstung von Lkws mit Kamera-Monitor-Systemen ist unter Beachtung der Vorschriften der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) grundsätzlich möglich . Serienreife, radargestützte Abbiegeassistenten wurden erstmals zur „Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) Nutzfahrzeuge“ Ende September 2016 von einem Hersteller für ausgewählte Fahrzeuge vorgestellt. Dem Senat ist nicht bekannt, ob derartige Systeme zur Nachrüstung von Lkws bereits am Markt verfügbar sind. 8. Warnen diese zuverlässig vor allen gefährdeten Personen (Radfahrer, Fußgänger)? Dem Senat liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. 9. Welche anderen Assistenz-Systeme müssen derzeit verpflichtend in alle Lkws eingebaut werden? Unter Beachtung von Ausnahmen und Übergangsregelungen sind dies: - Antiblockiersystem - Fahrstabilitätsregelsystem - Notbremsassistent - Spurverlassenswarner 10. Warum gibt es bisher keine Pflicht zum Einbau von Abbiege-Assistenz- Systemen? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/8473 3 Für den verpflichtenden Einbau dieser Systeme ist eine auf konkret festgelegte technische Spezifikationen abstellende Vorschrift in den EU-weit geltenden Typgenehmigungsvorschriften erforderlich. Diese liegt nicht vor. 11. Wie ist die Meinung der anderen Landesregierungen zur verpflichtenden Einführung von Abbiege-Assistenz-Systemen? Dem Senat liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. 12. Wäre es rechtlich zulässig, auch eine Nachrüstung bereits vorhandener Lkws anzuordnen? 13. Wäre eine solche Pflicht zulässig, wenn dem Halter die entstehenden Kosten ganz oder teilweise erstattet würden? Ja. 14. Wäre es rechtlich zulässig, ausländische Lkws nur auf deutschen Straßen fahren zu lassen, wenn diese Abbiege-Assistenz-Systeme haben? Nein. 15. Welche Alternativen zu solchen Assistenz-Systemen gibt es, um die Sicherheit beim Abbiegen von Lkws zu erhöhen? 16. Wie ist deren Zuverlässigkeit verglichen mit Abbiege-Assistenz- Systemen? 17. Wie hoch sind deren Kosten? Verkehrssicherheit im Sinne der Vermeidung von Unfällen wird immer durch eine Kombination verschiedener Ansätze angestrebt. Ein einzelner Ansatz führt regelmäßig nicht zu der angestrebten Minimierung der Unfallursachen, sondern verstärkt oder ergänzt andere Ansätze. So können technische Systeme nicht die notwendige Aufmerksamkeit und Umsicht von Verkehrsteilnehmern ersetzen, sie können diese aber unterstützen. Grundsätzlich sind in der Verkehrssicherheitsarbeit unterschiedliche Ansätze denkbar, die Ausstattung oder Betrieb der Fahrzeuge sowie verhaltensbezogene oder infrastrukturelle Bereiche umfassen. Hinsichtlich Ausstattung oder Technik der Fahrzeuge sind insbesondere Maßnahmen zur Verbesserung der Sichtbeziehungen möglich. Bekannt sind hierbei konstruktive Veränderungen der Fahrerkabine durch Fahrer- und Beifahrertür mit weit heruntergezogener Glasfläche (analog einer Bustür) sowie größere und tieferliegende Front- und Seitenscheiben. Der sichere Betrieb eines Lkws ließe sich auch durch den obligatorischen Einsatz eines Beifahrers erreichen, der den Lkw-Führer während des unmittelbaren Abbiegevorganges unterstützt und die Beobachtung des rechts neben dem Lkw fahrenden Verkehrs übernimmt. Als verhaltensbezogene Maßnahme kommt insbesondere Aufklärung und Sensibilisierung von Verkehrsteilnehmern über Risiken im Zusammenhang mit abbiegenden Lkws in Betracht. Derartige Ansätze verfolgt die Polizei bereits in ihren Präventionsprogrammen , wobei diese zielgruppenorientiert auf schwächere Verkehrsteilnehmer (Kinder und Rad fahrende) sowie auf Lkw-Führer zugeschnitten sind. Infrastrukturelle Ansätze werden im Einzelfall von Straßenbaulastträgern, Straßenverkehrsbehörden oder der Unfallkommission Hamburg im Rahmen ihrer jeweiligen Planungen berücksichtigt . Dabei können Verbesserungen der Spurführung auf innerstädtischen Straßen , Entzerrung von Konfliktbereichen für Rad Fahrende und Lkw-Führer insbesondere durch den Bau plangemäßer Radverkehrsanlagen oder durch Optimierung von Sichtbeziehungen in Knotenbereichen erreicht werden. Zu den Kosten einzelner Maßnahmen können derzeit keine Angaben gemacht werden .