BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/8477 21. Wahlperiode 04.04.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Cansu Özdemir und Heike Sudmann (DIE LINKE) vom 27.03.17 und Antwort des Senats Betr.: Benachteiligung von Wohnungssuchenden mit fremdsprachigen Namen bei der SAGA Am 3. Februar 2017 verurteilte das Amtsgericht Hamburg-Barmbek die SAGA zu einer Entschädigung von 1.008 Euro, weil sie eine Wohnungssuchende mit einem türkisch klingenden Namen benachteiligt, ja, von der Besichtigung einer freien Wohnung in Wilhelmsburg mehrfach ausgeschlossen hatte, während das Wohnungsunternehmen sich unter deutschem Namen meldende Personen einlud (Az.: 811b C 273/15). Laut Urteilsschriftsatz seien nach Angabe der SAGA „in entsprechender Anwendung des § 19 Abs. 3 AGG (…) Interessenten mit deutschsprachigen Namen im Hinblick auf die Schaffung und Erhaltung sozialstabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse bevorzugt zu einer Besichtigung eingeladen worden “ (Urteil, S. 3). Doch die Richterin ließ diesen Paragraphen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes in der vorgetragenen Weise nicht gelten und verwies dagegen auf die europäischen Antidiskriminierungsregeln, nach denen „Ungleichbehandlungen nur als „positive Maßnahmen“ zugunsten benachteiligter Gruppen möglich“ seien („tageszeitung hamburg“, 10.3.2017). Dieses Vorgehen der SAGA erinnert fatal an die „Leitlinien für die hamburgische Ausländerpolitik“, die der damalige Senat am 2. November 1976 beschlossen hatte. Darin heißt es im Kapitel 2.5.3 c) auf Seite 28: „Die Maßnahmen zum Abbau von Ausländerkonzentrationen können, falls sich dies als erforderlich herausstellt, dadurch ergänzt werden, daß die Wohnungsbehörden und die SAGA Ausländern aus Anwerbeländern in den Konzentrationsgebieten keine Wohnungen mehr überlassen.“ In ähnlicher Richtung äußerte sich der ebenfalls rein SPD-besetzte Senat 2011 in einer Antwort auf die Schriftliche Kleine Anfrage, ob „den zuständigen Mitarbeitern der SAGA GWG eine schriftliche Handreichung – welcher Art auch immer – vor(liegt), welche bestimmte Kriterien, Hinweise und Erfahrungswerte oder zu beachtende Merkmale zur Unterstützung der Mieterauswahl enthält?“ (Drs. 20/53 vom 22.3.2011). Der Senat kategorisch: „Ja. Danach ist Ziel einer qualitativen Neuvermietung eine ganzheitliche Betrachtung des Vermietungsvorgangs . Hierzu gehört neben der wirtschaftlichen Situation des Kunden auch die Stützung beziehungsweise Verbesserung des sozialen Gleichgewichtes im gesamten Quartier und im Haus. In diesem Zusammenhang ist es zum Erhalt beziehungsweise zur Herbeiführung stabiler und sozial ausgewogener Nachbarschaften auch erforderlich, die Integrationsfähigkeit des möglichen Mieters in das zukünftige Umfeld individuell für jede einzelne Wohnung einzuschätzen .“ Drucksache 21/8477 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Das eingangs erwähnte Gerichtsurteil fasste der Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd) in seiner Pressemitteilung vom 9. März 2017 in der Überschrift zusammen: „Städtische Wohnungsbaugesellschaft wegen rassistischer Diskriminierung verurteilt – Eine Gerichtsentscheidung mit Signalwirkung .“ Der Vorgang und diese Bewertung geben Grund zur Sorge – und zum Nachhaken. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Als kommunales Wohnungsunternehmen versorgt die SAGA insbesondere Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen sowie Menschen mit Zugangsschwierigkeiten zum Wohnungsmarkt angemessen mit Wohnraum. Etwa die Hälfte aller Mieterinnen und Mieter der SAGA hat einen Migrationshintergrund. Auch in dem konkret angesprochenen Fall wurde die in Rede stehende Wohnung an Menschen mit Migrationshintergrund vermietet. In der Vermietungspraxis der SAGA gibt es keine strukturelle Benachteiligung oder Diskriminierung von Menschen mit Migrationshintergrund. Das gilt auch für die Teilnahme an Besichtigungsterminen. Aufgrund der aktuellen Nachfragesituation nach Wohnraum bei der SAGA wird die Anzahl an Interessenten, die an einer Besichtigung teilnehmen können, häufig begrenzt. Die jeweilige Vermietungsentscheidung im Einzelfall ist Ergebnis einer umfassenden Abwägung, in der viele Aspekte berücksichtigt werden, wie unter anderem die Förderung stabiler Nachbarschaften und die Sicherstellung der Mietzahlung. Auch die individuellen Besonderheiten der Quartiere fließen in die Abwägungsentscheidung ein. Darüber hinaus unterstützt die SAGA die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund sowie von sozial benachteiligten Mieterinnen und Mietern durch vielfältige Angebote und Kooperationen im Quartier. Auch durch die SAGA GWG Stiftung Nachbarschaft werden Projekte mit Quartiersbezug gefördert. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen – teilweise aufgrund von Auskünften der SAGA – wie folgt: 1. Gelten immer noch die „Leitlinien für die hamburgische Ausländerpolitik“ von 1976? Wenn ja, in welcher Form finden sie noch wo Anwendung? Wenn nein, wann sind sie außer Kraft gesetzt oder erneuert worden? 1.1. Inwiefern gilt das insbesondere für die Inhalte und Orientierungen im oben angegebenen Kapitel 2.5.3 c) auf Seite 28? Nein. Die über 40 Jahre alten Leitlinien sind inhaltlich überholt. Aktuell maßgeblich ist das am 26. Februar 2013 vom Senat beschlossene Integrationskonzept. Im Übrigen siehe Drs. 20/7049, 20/12555 und 21/5081. 2. Um welche „schriftliche Handreichung – welcher Art auch immer“ zum Umgang mit Mietinteressenten/-innen bei der SAGA handelt es sich konkret, da die oben angegebene Frage in Drs. 20/53 mit einem klaren „Ja“ beantwortet wurde? Bitte diese „Handreichung – welcher Art auch immer“ der Antwort anhängen. 2.1 Wann ist diese Handreichung erlassen beziehungsweise veröffentlicht worden? 2.2 Ist sie aktuell noch immer in Kraft? Wenn nein, wann wurde sie warum außer Kraft gesetzt? Bei der in Drs. 20/53 genannten Handreichung handelt es sich um eine interne Arbeitshilfe der SAGA, die regelmäßig den aktuellen Rahmenbedingungen angepasst wird. Sie unterliegt dem Betriebs- und Geschäftsgeheimnis, da sie das direkte Vermietungsgeschäft betrifft, und wird daher nicht veröffentlicht. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/8477 3 3. Wie bewertet der Senat den Umstand, dass im geschilderten Fall – einem von der Betroffenen betriebenen, sogenannten Testing-Verfahren – sieben, sich mit einem deutschen Nachnamen meldende Personen von der SAGA für ein bestimmtes Objekt zur Besichtigung eingeladen wurden, hingegen sieben Bewerber/-innen mit einem türkisch klingenden Namen mit dem Hinweis abgespeist wurden, die Besichtigungskapazitäten seien bereits ausgeschöpft? Siehe Vorbemerkung. Im Übrigen hat sich der Senat mit dem konkreten Einzelfall nicht befasst. 4. Nach welchen Kriterien erfolgt gegenwärtig die Auswahl von Besichtigungs - beziehungsweise Mietinteressenten/-innen bei Objekten der SAGA? 4.1 Werden diese Kriterien einheitlich für alle SAGA-Objekte in ganz Hamburg angewendet? Wenn nein, wo (in welchen Quartieren) und warum weichen sie in welcher Form ab? 4.2 Wer entscheidet, welche Kriterien im Einzelnen Anwendung finden und welche nicht? 4.3 Gibt es speziell für Wilhelmsburg oder Teile der Elbinsel Vorgaben, welche Personengruppen zu einer Wohnungsbesichtigung eingeladen werden beziehungsweise einen Mietvertrag erhalten und welche nicht? Wenn ja, wie sehen diese Vorgaben konkret aus? Wenn nein, wie erklärt sich dann der eingangs geschilderte Vorfall? 5. Wie interpretiert der Senat Artikel 19 Absatz 3 AGG, der diesen Wortlaut hat: „Bei der Vermietung von Wohnraum ist eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse zulässig “? 5.1 Teilt der Senat die Interpretation der SAGA, dass unter Verweis auf diesen Artikel Wohnungsinteressenten/-innen mit einem türkisch klingenden Namen unter Umständen von der Besichtigung, mithin der Anmietung einer SAGA-Wohnung ausgeschlossen werden können ? Wenn ja, wie vereinbart das der Senat mit den europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien ? Wenn nein, was unternimmt der Senat, um der SAGA ein entsprechendes Vorgehen zukünftig zu untersagen? 5.2 Teilt der Senat die Interpretation, dass Ungleichbehandlungen nur als „positive Maßnahmen“ im Interesse benachteiligter Gruppen akzeptabel sind? Es gibt keine Vorgaben darüber, dass nur bestimmte Personengruppen zu einer Wohnungsbesichtigung eingeladen werden beziehungsweise einen Mietvertrag erhalten . Dies gilt auch für Wilhelmsburg und die Elbinsel. Im Rahmen des Vermietungsvorganges erfolgt die letztendliche Entscheidung im Vier- Augenprinzip zwischen dem für den Bestand zuständigen Kundenbetreuer und seinem Vorgesetzten. Gerichtsentscheidungen kommentiert der Senat nicht. Im Übrigen siehe Vorbemerkung und Antwort zu 2. Drucksache 21/8477 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 6. Wie bewertet der Senat die Charakterisierung des oben angegebenen Vorgangs bei der SAGA als „rassistische Diskriminierung“? Siehe Vorbemerkung.