BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/8563 21. Wahlperiode 11.04.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Heike Sudmann (DIE LINKE) vom 03.04.17 und Antwort des Senats Betr.: Tödliche Radfahrunfälle durch rechtsabbiegende Lkw – Was hat der Senat bisher getan oder nicht getan? Auch in Hamburg kommt es immer wieder zu schweren bis tödlichen Verkehrsunfällen , wenn Lkw-Fahrer/-innen beim Rechtsabbiegen Radfahrende übersehen. Im Sommer 2016 kündigte Justizsenator Till Steffen Aktivitäten des Senats an. Bisher ist davon nichts zu sehen. Auch auf Bundesebene bei der CDU/CSU-SPD-Bundesregierung sind Fortschritte noch nicht zu erkennen. In der „Halbzeitbilanz des Verkehrssicherheitsprogramms 2011-2020“ (Stand Oktober 2015) des BMVI (http://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Publikationen/LA/halbzeitbilanzverkehrssicherheitsprogramm .pdf?__blob=publicationFile), Seite 25, ist zu lesen: „Schnelle Einführung von Abbiegeassistenten für Lkw Abbiegeunfälle mit Kollisionen zwischen rechtsabbiegenden Güterkraftfahrzeugen und Fahrrädern haben in der Regel schwerwiegende Folgen für den ungeschützten Verkehrsteilnehmer. In der Vergangenheit wurde durch eine steigende Anzahl von Spiegeln das individuelle Sichtfeld des Lkw-Fahrers vergrößert und damit der „tote Winkel“ verkleinert, um die Sicherheit für ungeschützte Verkehrsteilnehmer zu verbessern. Da Abbiegeunfälle trotz der Vielzahl an Spiegeln auch heute noch zeschehen, gleichzeitig aber Fahrerassistenzsysteme Einzug in viele Fahrzeugklassen gehalten haben, liegt es nahe, derartige Systeme für die Verhinderung von Abbiegeunfällen zu nutzen . Es wird davon ausgegangen, dass ein Abbiegeassistenzsystem, einen sehr positiven Einfluss auf das Unfallgeschehen zwischen rechtsabbiegenden Lkw und Fahrrädern haben wird. Das BMVI setzt sich daher verstärkt für den Einsatz neuer Technologien ein, um das Problem des „toten Winkels“ zu beheben. So hat das BMVI zu einem Runden Tisch „Abbiegeassistent für Lkw“ eingeladen mit dem Ziel, sich über eine möglichst schnelle Einführung dieser Systeme auszutauschen. Alle Beteiligten haben dieses Ziel begrüßt. Das BMVI hat in 2014 außerdem ein Forschungsprojekt zu Abbiege-Assistenzsystemen für Lastkraftwagen durchgeführt, um die Grundlagen für ein Testverfahren für diese Systeme festzulegen. Im Rahmen der UN- Wirtschaftskommission für Europa (UNECE) soll nun das weitere Vorgehen zum verpflichtenden Einbau dieser Systeme in Lastkraftwagen beraten werden. Drucksache 21/8563 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Für den optionalen Einbau von Abbiege-Assistenzsystemen oder Kamera- Monitor-Systemen in Lkw leistet das BMVI bereits jetzt finanzielle Unterstützung im Rahmen des Förderprogramms Deminimis.“ Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Welche Aktivitäten hat der Senat seit 2011 entwickelt, um den Gefahren für Radfahrer/-innen beim Rechtsabbiegen von Lkw entgegenzuwirken a. auf Hamburger Ebene? Die jeweiligen Straßenbaulastträger achten gemeinsam mit der Polizei beim Neu-, Um- und Ausbau von Straßen auf Verkehrsführung und Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer unter Berücksichtigung neuester verkehrstechnischer Erkenntnisse und Regelwerke. Ziel ist der Grundsatz „Sicherheit durch Sichtbarkeit“. Dies geschieht insbesondere durch den Bau/die Anlage von Schutzstreifen, Radfahrstreifen und im Kreuzungsbereich durch Ableitungen des Radverkehrs auf Fahrbahnniveau (sogenannte Berliner Lösungen). Weiterhin werden vermehrt Radfurten im Verlauf von Vorfahrtstraßen rot eingefärbt. Die Fahrradstaffel der Polizei führt regelmäßig zielgerichtete Überwachungsmaßnahmen durch, auch im Zusammenwirken mit den örtlichen Polizeikommissariaten. Diese werden aufgrund von Bürgerhinweisen, eigenen Feststellungen vor Ort und Auswertungen von Unfalldaten geplant. Monatlich durchgeführte Großkontrollen zielen sowohl auf Fehlverhalten von Radfahrern als auch von Kraftfahrzeugführern ab. Dabei werden insbesondere konfliktträchtige Verkehrsknoten überwacht. Im Bereich der polizeilichen Verkehrserziehung und -prävention steht der Schutz schwächerer Verkehrsteilnehmer in einem besonderen Fokus; mit umfasst sind ebenfalls Konfliktsituation im Kontext der Anfrage. Hierzu hat die Polizei insbesondere folgende Maßnahmen durchgeführt: Einsatz von Verkehrslehrern der Polizei: 55 Verkehrslehrer der Polizei verwirklichen zusammen mit fünf Jugendverkehrsschulen die Radfahrausbildung in den 3. und 4. Klassen. In den 4. Klassen wird der sogenannte Fahrradführerschein abgelegt und dabei das Thema des nur über die Fahrzeugspiegel einsehbaren Bereichs, dem so bezeichneten „toten Winkel“ in Theorie und Praxis behandelt. Des Weiteren gibt es Fahrradprojekte in den 5. und 6. Klassen, bei denen Verkehrslehrer das Thema „toter Winkel“ in der Praxis aufgreifen. Mit Hilfsmitteln wird der nicht direkt einsehbare Bereich rund um einen Lkw simuliert. Die Schüler erleben aus Sicht des Lkw-Fahrers die Problematik und werden für das Thema „Gefahren beim Abbiegen“ sensibilisiert. Aktion „Fahrradfuchs“ – ein Verkehrssicherheitstraining für junge Radfahrer der Klassen 2. bis 4.: Seit Anfang 2017 ist die Aktion „Fahrradfuchs“ fester Bestandteil der Verkehrssicherheitsarbeit der Polizei. Analog zur Aktion „Verkehrsfuchs“ bieten Verkehrslehrer kostenlose Wochenkurse in den Schulferien an. Sie führen Kinder schrittweise an Verkehrssituationen heran und üben richtige Verhaltensweisen im Straßenverkehr . Präventionsaktion „Tod im Winkel“: Am 27. Oktober 2016 fand in der Straße Kurze Mühren angrenzend an die Mönckebergstraße eine Präventionsaktion statt, bei der mit einem Lkw der Polizei und einer Plane, die den möglichen „toten Winkel“ darstellte, Passanten für die damit verbundenen Gefahren sensibilisiert werden sollten. Die Aktion wurde von der Presse begleitet und anschließend auch medial thematisiert. Vorstellung Kamera-Monitor-Systeme und Farbmarkierungen zum Einstellen der Spiegel: Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/8563 3 Am 8. Februar 2017 stellte die Polizei gemeinsam mit der Berufsgenossenschaft Verkehr (BG Verkehr) Medienvertretern sowie Vertretern der Feuerwehr Hamburg , des Technischen Hilfswerks und der Autobahnmeisterei Othmarschen das Thema Abbiegeassistenten vor. Dabei führte die BG Verkehr eine mehrfarbige Bodenfolie vor, mit deren Hilfe Lkw-Fahrer bei der richtigen Einstellung ihrer Spiegel unterstützt werden, um „tote Winkel“ weitestgehend zu vermeiden. Die Polizei hat das Aufbringen dieses farblichen Hilfsmittels auf einer sogenannten Multifunktionsfläche auf dem Gelände der Akademie der Polizei in Auftrag gegeben. Fahrern der Polizei wird dadurch vor Fahrtantritt ein individuell richtiges Einstellen der Spiegel ermöglicht. Im Übrigen siehe Drs. 21/8473. b. auf Bundesebene (zum Beispiel Ministerkonferenzen, Bundesrat, et cetera)? Die Verkehrsministerkonferenz hat in Ihrer Sitzung am 14./15. April 2016 in Heringsdorf unter anderem folgenden Beschluss gefasst: „Die Verkehrsministerkonferenz tritt dafür ein, die Marktdurchdringung mit sicherheitsfördernden Assistenz- und Fahrsicherheitssystemen wie etwa die schnelle Einführung von Abbiegeassistenten für Lkw oder automatische Notbremssysteme zum Schutz von Radfahrern und Fußgängern zu beschleunigen.“ c. speziell seit dem Sommer 2016 (Ankündigung von Senator Steffen )? Siehe Antwort zu 1. a. Im Übrigen siehe Drs. 21/4975. 2. Welche Behörden beziehungsweise Dienststellen beschäftigten sich in Hamburg mit dem Thema „Rechtsabbiegeassistent für Lkw“? Falls keine: weshalb nicht? In der Behörde für Inneres und Sport befassen sich die Abteilung für Grundsatzangelegenheiten des Straßenverkehrs und die Verkehrsdirektion der Polizei mit dem Thema . 3. Welche gemeinsamen Positionen der verschiedenen Behörden/Dienststellen wurden bisher entwickelt? Verkehrsunfälle unter Beteiligung von Lkw zum Nachteil sogenannter schwächerer Verkehrsteilnehmer, insbesondere von Rad Fahrenden und zu Fuß Gehenden, sind zahlenmäßig seltene, in ihren Folgen aber häufig sehr schwerwiegende Verkehrsunfälle . Bei den beteiligten Dienststellen besteht Einigkeit darüber, dass die polizeiliche Verkehrserziehung und -prävention weitergeführt wird und geeignete bauliche, rechtliche und technische Maßnahmen getroffen werden müssen, um die Anzahl solcher Unfälle zu verringern. Im Übrigen siehe Drs. 21/8473. 4. Welche Probleme sieht der Senat bei der verpflichtenden Einführung von Abbiegeassistenten a. bei bereits zugelassenen Lkw? b. bei neu zuzulassenden Lkw? In beiden Fällen ist eine EU-weit geltende Vorschrift erforderlich, die aufgrund der parlamentarischen Verfahren nicht zeitnah in Kraft treten kann. Im Übrigen siehe Drs. 21/8473. 5. Welche Entscheidungen wurden bisher im Senat zu dem Thema „Rechtsabbiegeassistent für Lkw“ getroffen? Der Beschluss der Verkehrsministerkonferenz (siehe Antwort zu 1.b.) wurde unterstützt . Im Übrigen siehe Antworten zu 4., 6. und 7. 6. Mit welcher Position hat sich der Senat am Runden Tisch „Abbiegeassistent für Lkw“ des BMVI beteiligt? Falls der Senat nicht beteiligt war: weshalb nicht? Drucksache 21/8563 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Der von der Bundesregierung initiierte „Runde Tisch Abbiegeassistent für Lkw“ wurde zum Austausch mit Herstellern, Verbänden und der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) eingerichtet. Eine Beteiligung der Länder war nicht vorgesehen. 7. Wie ist der aktuelle Stand zur verpflichtenden Einführung eines Abbiege- Assistenzsystem für Lkw a. auf Bundesebene? b. auf EU-Ebene? Eine Regelung zum verpflichtenden Einbau von Abbiegeassistenzsystemen ist auf Bundesebene rechtlich derzeit nicht möglich. Für den verpflichtenden Einbau solcher Systeme auf EU-Ebene ist eine auf konkret festgelegte technische Spezifikationen abstellende Vorschrift in den EU-weit geltenden Typgenehmigungsvorschriften erforderlich. Diese liegt derzeit nicht vor. Ein Forschungsbericht der BASt für ein Testverfahren von Abbiege-Assistenzsystemen wurde 2015 veröffentlicht. Auf Basis dieses Berichtes wurde durch die Bundesregierung ein Vorschlag für eine neue UN-Regelung für die UN-Wirtschaftskommission für Europa (UNECE) erarbeitet. Dieser Vorschlag soll – nach Aussagen der Bundesregierung (siehe BT.-Drs. 18/11297) – im April 2017 erstmalig erörtert werden. Im Übrigen siehe Drs. 21/8473.