BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/8570 21. Wahlperiode 11.04.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 03.04.17 und Antwort des Senats Betr.: Gefährliche Orte in Hamburg Seit Ende 2016 gelten die Neuregelungen des § 4 PolDVG und des § 15a SOG. Es gibt also keine Gefahrengebiete mehr, sondern nunmehr ist die Einschätzung als „gefährlicher Ort“ ein Kriterium für Identitätsfeststellungen und weitere polizeiliche Maßnahmen. In der Drs. 21/7638 teilt der Senat mit, welche „gefährlichen Orte“ es aktuell gibt. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. In St. Georg sind zwei „gefährliche Orte“ PK 11 BTM 1 und 2 mit den gleichen Kriminalitätsschwerpunkten unmittelbar aneinander angrenzend errichtet worden. Aus welchen Gründen ist dies so geschehen? Warum wurde nicht ein „gefährlicher Ort“ errichtet? Die Bereiche „gefährlicher Ort PK 11 BTM 1“ und „gefährlicher Ort PK 11 BTM 2“ sind besonders kriminalitätsbelastet. Die Voraussetzungen zur Durchführung von Maßnahmen gemäß § 4 Absatz 1 Nummer 2 des Gesetzes über die Datenverarbeitung bei der Polizei (PolDVG) und § 15 a Absatz 1 Nummern 4 und 6, Absatz 2 des Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG) liegen daher vor. Die Polizei hat eine Aufteilung in zwei Bereiche vorgenommen, um eine differenzierte Betrachtung der jeweiligen Kriminalitätsbelastung zu ermöglichen; im Übrigen siehe Drs. 21/5325. 2. Wie viele Maßnahmen wurden jeweils an den bestehenden „gefährlichen Orten“ in der Zeit seit ihrer Errichtung bis zum 31.12.16 sowie in der Zeit vom 01.01. bis zum 31.03.17 durchgeführt? a. Bitte nach „gefährlichem Ort“ und Art der Maßnahmen (Identitätsfeststellungen , Durchsuchungen und Untersuchungen von Personen , Durchsuchen von Sachen, Aufenthaltsverboten, Platzverweisen und Gewahrsamnahmen) unterscheiden. b. Soweit Identitätsfeststellungen nicht erhoben werden sollten, bitte Anzahl der angehaltenen sowie Anzahl der befragten Personen angeben sowie die „gefährlichen Orte“, die dies betrifft. Für Durchsuchungen von Personen in Bereichen „gefährlicher Orte“ gibt es keine besonders begründeten Rechtsgrundlagen; diese werden daher statistisch nicht erfasst. Darüber hinaus führt die Polizei Untersuchungen von Personen nicht durch. Für die „gefährlichen Orte“ im Gebiet des Polizeikommissariats (PK) 11 wird immer nur die eingriffsintensivste Maßnahme als eine Maßnahme gezählt. Drucksache 21/8570 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Die in den „gefährlichen Orten“ getroffenen Maßnahmen sind in den nachfolgenden Tabellen dargestellt: PK 11 BTM 1 21.12.2016–31.12.2016 01.01.2017– 31.03.2017 Identitätsfeststellungen 73 935 Platzverweise 8 118 Aufenthaltsverbote 97 1.135 Gewahrsamnahmen 3 48 Durchsuchungen mitgeführter Sachen 0 2 PK 11 BTM 2 21.12.2016–31.12.2016 01.01.2017– 31.03.2017 Identitätsfeststellungen 53 1.119 Platzverweise 19 269 Aufenthaltsverbote 64 902 Gewahrsamnahmen 3 60 Durchsuchungen mitgeführter Sachen 0 1 PK 15 BTM 21.12.2016–31.12.2016 01.01.2017– 31.03.2017 Identitätsfeststellungen 33 1.149 Platzverweise 2 72 Aufenthaltsverbote 13 396 Gewahrsamnahmen 5 32 Durchsuchungen mitgeführter Sachen 6 189 PK 15 Gewalt 21.12.2016–31.12.2016 01.01.2017– 31.03.2017 Identitätsfeststellungen 576 2.715 Platzverweise 38 136 Aufenthaltsverbote 89 619 Gewahrsamnahmen 33 93 Durchsuchungen mitgeführter Sachen 10 366 3. Wie viele Straftaten wurden insgesamt festgestellt? Bitte nach Deliktsgruppen an den jeweiligen „gefährlichen Orten“ sowie nach den in Ziffer 2. genannten Zeiträumen differenzieren. 4. Wie viele Straftaten in den Deliktsgruppen, die zur Ausweisung des jeweiligen „gefährlichen Ortes“ geführt haben, wurden festgestellt? Bitte nach Deliktsgruppen an den jeweiligen „gefährlichen Orten“ sowie nach den in Ziffer 2. genannten Zeiträumen differenzieren. Die statistische Erfassung von Straftaten erfolgt bei der Polizei nach Abschluss der kriminalpolizeilichen Ermittlungen und Abgabe des Vorgangs an die Staatsanwaltschaft in der bundeseinheilt geführten Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Die räumliche Erfassung in der PKS erfolgt in der kleinsten Einheit nach Ortsteilen; Straßen werden als Tatort in der PKS nicht gesondert erfasst. Eine örtlich „gefährlichen Orten“ zuzuordnende Auswertung ist in der PKS daher nicht möglich. Die Polizei erhebt die erfragten Daten in einer auf der elektronischen Vorgangsbearbeitung basierenden Datenbank, deren Datenbestand sich durch nachträglich erfasste Anzeigen und im Rahmen der Ermittlungen neu gewonnener Erkenntnisse verändert. Datenabfragen stellen den jeweiligen Stand zu einem bestimmten Stichtag dar; die Zahlen sind nicht valide. Die Anzahl der zum Stichtag 6. April 2017 in den jeweiligen „gefährlichen Orten“ registrierten Straftaten insgesamt ist in der folgenden Tabelle dargestellt: Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/8570 3 gefährlicher Ort 21.12.2016 – 31.12.2016 01.01.2017 – 31.03.2017 PK 11 BTM 1 190 1.446 PK 11 BTM 2 155 1.572 PK 15 BTM 370 3.251 PK 15 Gewalt 367 3.150 Die Gesamtsummen der Straftaten der für eine Ausweisung eines „gefährlichen Ortes“ relevanten Deliktsgruppen werden der Amtsleitung der Polizei für alle „gefährlichen Orte“ nach Ablauf eines jeden Monats zur Prüfung der weiteren Voraussetzungen für einen Fortbestand übersandt. Die sich aus diesen Meldungen ergebenen Summen der Straftaten der für „gefährliche Orte“ relevanten Deliktsgruppen in den erfragten Zeiträumen sind der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen: gefährlicher Ort 21.12.2016 – 31.12.2016 01.01.2017 – 31.03.2017 PK 11 BTM 1 46 325 PK 11 BTM 2 20 319 PK 15 BTM 17 355 PK 15 Gewalt 86 655 Für eine kleinteiligere Aufgliederung der Straftaten nach Deliktsgruppen wären gesonderte Recherchen und manuelle Auswertungen zu den Straftaten jeder einzelnen Deliktsgruppe für jede einzelne Straße innerhalb der von „gefährlichen Ort“ umfassten Bereiche erforderlich. Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 5. Wie lange ist der Beurteilungs- beziehungsweise Beobachtungszeitraum , der ausgewertet wird, um eine tatsachenbasierte Prognose für die Errichtung, Änderung oder Aufhebung eines „gefährlichen Ortes“ zuzulassen ? Ein Kalendermonat. 6. Nach Ziffer 140.093000 der Polizeidienstvorschrift (PDV) 350 soll für Maßnahmen an „gefährlichen Orten“ „im Einzelfall auch die tatsachenbasierte Prognose ausreichen, dass zukünftig an einem Ort Straftaten von erheblicher Bedeutung zu erwarten sind, ohne dass dort bereits vermehrt Straftaten zu verzeichnen waren“. Auf welchen Tatsachen innerhalb welchen Zeitraumes basiert in einem solchen Fall über die in der Drs. 21/7638 genannten Erkenntnisse für begangene Straftaten hinaus die Prognose? Bitte ausführlich erläutern. Die in der Drs. 21/7638 benannten Erkenntnisse beziehen sich auf die derzeit geltenden vier „gefährlichen Orte“. Die auf Tatsachen basierende Prognose, dass zukünftig an einem „gefährlichen Ort“ vermehrt Straftaten von erheblicher Bedeutung zu erwarten sind, wird entweder mit bereits in der Vergangenheit vermehrt zu verzeichnenden Straftaten von erheblicher Bedeutung an dem Ort oder, ohne dass vermehrt Straftaten in der Vergangenheit an dem Ort zu verzeichnen waren, auf Grundlage anderer Tatsachen begründet. Solche anderen Tatsachen können zum Beispiel Ankündigungen zur Begehung von Straftaten von erheblicher Bedeutung an einem Ort oder sonstige objektive oder glaubhafte Hinweise für die Begehung entsprechender Straftaten sein. Die PDV 350 (HH) Ziffer 140.093000 benennt in dem Zusammenhang beispielsweise Hinweise von polizeilichen Informanten oder Mitteilungen anderer Behörden; im Übrigen siehe auch Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 8. November (2016 Aktenzeichen 3 A 117/16, juris, Rn. 19.). 7. Mit der in Ziffer 6. zitierten Prognose verlässt die PDV 350 die gesetzliche Grundlage des § 4 Absatz 1 Nummer 2 PolDVG, die nicht auf zu erwartende Straftaten ausgerichtet ist. Diese Dienstanweisung wirft erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich des Bestimmtheitsgrundsatzes auf (vergleiche BVerfG 1 BvR 668/04 vom 27.07.2005 zum Niedersächsischen Polizeigesetz). Welche diesbezüglichen rechtli- Drucksache 21/8570 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 chen Überprüfungen und Einschätzungen hat es gegeben? Bitte genau erläutern. Die gesetzliche Grundlage ergibt sich aus dem Wortlaut des § 4 Absatz 1 Nummer 2 PolDVG, nachdem Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass dort Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung verabreden, vorbereiten oder verüben, vorliegen müssen. Tatsachen sind nicht nur bereits begangene Straftaten, siehe auch Antwort zu 6. 8. Nach Ziffer 140.093340 der PDV 350 entscheidet bei Razzien zur Gefahrenabwehr die Einsatzführung über das Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen eines „gefährlichen Ortes“. a. Wie wird hier gewährleistet, dass eine tatsachenbasierte Prognose erfolgt? Die zuständigen Dienststellen der Polizei führen vor Durchführung von Maßnahmen im Sinne der Fragestellung Bewertungen aktueller Lageerkenntnisse und Prüfungen zur Notwendigkeit zu treffender Maßnahmen durch. Die Gewährleistung erfolgt hier, wie bei allen Eingriffsmaßnahmen, durch die Bindung der Entscheider an das Gesetz. Die Polizei dokumentiert alle Maßnahmen und die jeweiligen Gründe, die zur Durchführung führten. Eine gerichtliche Überprüfung der Maßnahmen wird damit gewährleistet . b. Welche Kontrollmechanismen, welche Dokumentationspflichten gibt es? c. Wie viele Razzien auf Basis des § 16 Absatz 5 SOG hat es in der Zeit vom 01.01.2012 bis zum 31.12.2016 (untergliedert nach Jahren ) sowie in der Zeit vom 01.01. bis zum 31.03.2017 gegeben? d. Wie viele polizeiliche Maßnahmen (Identitätsfeststellungen, Durchsuchungen und Untersuchungen von Personen, Durchsuchen von Sachen, Aufenthaltsverbote, Platzverweise und Gewahrsamnahmen ) hat es in diesen Zeiträumen (untergliedert nach den einzelnen Maßnahmen) gegeben? Die Maßnahme unterliegt der allgemeinen Dokumentationspflicht und wird schriftlich in Form von Berichten festgehalten. Statistiken im Sinne der Fragestellungen werden von der Polizei nicht geführt. Für die Beantwortung der Fragen wäre eine manuelle Durchsicht sämtlicher infrage kommenden Vorgänge des erfragten Zeitraums erforderlich. Die Auswertung mehrerer Hunderttausend Vorgänge ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 9. Nach Ziffer 140.093360 der PDV 350 soll gegebenenfalls die angemessene Kenntnisgabe der „gefährlichen Orte“ an die Öffentlichkeit und die Einstellung in das Transparenzportal sichergestellt werden. Gleiches gilt für die Aufhebung und Änderung von „gefährlichen Orten“ (Ziffer 140.093430). a. Welche Erwägungen sind diesbezüglich angestellt worden? Nach welchen Kriterien wird über eine Kenntnisgabe an die Öffentlichkeit entschieden? Die Polizei hat die bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Veränderungen im Dezember 2016 nach § 4 Absatz 2 PolDVG ausgewiesenen Gefahrengebiete regelmäßig im Transparenzportal eingestellt und somit die Öffentlichkeit hierüber angemessen in Kenntnis gesetzt. Die Durchführung von Maßnahmen an Orten, an denen die rechtlichen Voraussetzungen zur Durchführung von Maßnahmen gemäß §§ 4 Absatz 1 Nummer 2 a) PolDVG, 15 a Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 und 6 SOG festgestellt worden sind, werden regelmäßig in der Öffentlichkeit sowie in den Medien diskutiert und sind vielfach Gegen- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/8570 5 stand Parlamentarischer Anfragen. Die Polizei nimmt daher auch hier ein besonderes öffentliches Interesse an. Im Bereich der Behörde für Inneres und Sport sind Dokumente und Vorgänge, die zu den in § 3 Absatz 1 und 2 Hamburgisches Transparenzgesetz (HmbTG) genannten Gegenständen vergleichbare Informationen darstellen und an deren Veröffentlichung im Informationsregister (Transparenzportal) nach den Bestimmungen des § 3 Absatz 2 letzter Halbsatz HmbTG ein öffentliches Interesse besteht, der Leitung des Amtes für Innere Verwaltung und Planung vor der Einstellung in das Informationsregister zur abschließenden Freigabeentscheidung vorzulegen. Im März 2015 hat die Amtsleitung entschieden, dass die Polizei alle Dokumente im Zusammenhang mit der Anordnung und Aufhebung von „Gefahrengebieten“ ohne eine erneute Freigabeentscheidung im Transparenzportal veröffentlichen kann. Diese Verfahrensweise wird auch für „gefährliche Orte“ beibehalten. b. Wird es eine Einstellung ins Transparenzportal geben? Ja. c. Wenn nein, warum nicht? Entfällt.