BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/8611 21. Wahlperiode 11.04.17 Schriftlich kleine Anfrage der Abgeordneten Karin Prien und Carsten Ovens (CDU) vom 05.04.17 und Antwort des Senats Betr.: Warum benötigt Hamburg aus Sicht des Senats keine Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus? Am 30. März 2017 haben SPD und GRÜNE im Ausschuss für Soziales, Arbeit und Integration gegen den CDU-Antrag „Gründung einer Rechercheund Informationsstelle Antisemitismus“ (Drs. 21/7105) gestimmt. Als Argument wurde von den Regierungsfraktionen angeführt, dass es beispielsweise mit „empower“ bereits eine Beratungsstelle geben würde, die sich neben von rechter und rassistischer Gewalt Betroffenen auch den Opfern von antisemitischer Gewalt annimmt. Allerdings geht es bei der von der CDU-Fraktion geforderten Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus nach dem Berliner Vorbild um eine Einrichtung, die antisemitische Vorfälle von körperlicher wie verbaler Gewalt, Bedrohung und Sachbeschädigung erfasst. Das Besondere hier ist, dass auch Beschimpfungen und Diskriminierung dokumentiert werden, auch wenn sie nicht immer strafrechtlich relevant sind. Trotzdem vermitteln die erfassten Vorfälle einen Eindruck von Art, Umfang und Quelle antisemitischer Stimmungen im Land, was wiederum zu einem Erkenntnisgewinn führt, auf dem passgenaue Präventionsmaßnahmen aufsetzen können. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1. Welche verschiedenen Stellen gibt es bereits, die sich mit dem Thema Prävention von antisemitischer Gewalt befassen? a) Wer ist Träger? Im Rahmen polizeilicher Aufgabenwahrnehmung ist im Landeskriminalamt (LKA) die Dienststelle LKA 702 für Prävention im Bereich „Gewaltzentrierte Ideologien“ zuständig . Dazu gehören unter anderem rechte deutsche und rechte nationalistische europäische und außereuropäische Ideologien sowie salafistische/jihadistische Ideologien, bei denen Antisemitismus einen Teilaspekt darstellen kann. Die Dienststelle ist seit 2016 für die phänomenübergreifende Bearbeitung von vermeintlichen oder tatsächlichen Radikalisierungssachverhalten unterhalb der Schwelle Gefahrenabwehr und Strafverfolgung zuständig und leistet auf diesem Gebiet auch intervenierende Präventionsarbeit . Zudem sollen abgeschlossene Verfahren der Ermittlungsdienststelle, die tatsächliche Radikalisierungssachverhalte beinhalten, übernommen und nachhaltig begleitet werden. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit des LKA 702 liegt in einer stetigen und anlassunabhängigen Vernetzung mit den lokalen Sozialräumen, um möglichst frühzeitig Entwicklungsprozesse im Bereich der gewaltzentrierten Ideologien zu erkennen und geeignete, interdisziplinäre Maßnahmen zu entwickeln beziehungsweise zu initiieren. Siehe hierzu auch Drs. 21/1986. Prävention im Sinne von Vermittlung von Demokratie- und Toleranzverständnis ist integraler Bestandteil der Bildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen und in Drucksache 21/8611 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 der pädagogischen Arbeit für alle Altersgruppen Das Referat Gesellschaft des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) bietet im Rahmen der Regelaufgaben Beratung- und Fortbildungsangebote zum Themenfeld Antisemitismus an. Seit 2016 kooperiert das LI in diesem Feld mit der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA), hierbei geht es um gegenseitigen Austausch, Beratung und Fortbildungsveranstaltungen . Darüber hinaus bietet das Aufgabengebiet Sozial- und Rechtserziehung auf der Grundlage eines Kooperationsvertrages mit Yad Vashem Fortbildungsveranstaltungen und Studienreisen für Hamburger Lehrkräfte nach Israel an. Präventive Aufgaben erfüllt darüber hinaus der Träger Arbeit und Leben Hamburg als eine gemeinnützige Bildungseinrichtung mit seinen beiden Beratungsstellen im Themenfeld rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Hamburg: empower – Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt und Mobiles Beratungsteam gegen Rechtextremismus (MBT Hamburg) – Beratung, Bildung, Berichterstattung gegen Ideologien der Ungleichwertigkeit. Im Übrigen siehe Antwort zu 4. und Drs. 20/9849. b) Was sind die genauen Aufgaben des Programms? c) Woher stammt die Finanzierung in welcher Höhe? d) Seit wann gibt es das Programm? Siehe Antwort zu 4. e) Wie viele VZÄ befassen sich damit? Vollzeitäquivalente für den Bereich Prävention von antisemitischer Gewalt können nicht gesondert dargestellt werden, da die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der genannten Stellen für alle Ausprägungen menschenfeindlichen Verhaltens zuständig sind. 2. Welche verschiedenen Stellen gibt es bereits, die sich mit dem Thema Dokumentation von antisemitischer Gewalt befassen? Im Rahmen polizeilicher Aufgabenwahrnehmung werden Ermittlungen zum Antisemitismus hauptsächlich durch das LKA 71 (Fachkommissariat Politisch Motivierte Kriminalität Rechts/Links) geführt. Da auch Personen salafistischer/jihadistischer Ideologien antisemitisch handeln können, werden Ermittlungen bei entsprechendem Sachverhalt auch durch das LKA 72 (Fachkommissariat PMK Ausland/Islamismus) geführt. Die Dokumentation dieser Fälle erfolgt in statistischer Form im Kriminalpolizeilichen Meldedienst Politisch Motivierte Kriminalität (KPM-PMK). a) Wer ist Träger? b) Was sind die genauen Aufgaben des Programms? Siehe Antwort zu 4. c) Werden nur strafrechtlich relevante Taten erfasst oder auch andere ? Wenn ja, welche Arten? Neben den strafrechtlich relevanten Taten erfasst das MBT Hamburg im Rahmen seiner Recherche- und Monitoringaufgaben auch rechte, rassistische und antisemitische Aktivitäten unterhalb dieser Schwelle. Die Beratungsstelle empower erfasst neben den strafrechtlich relevanten Vorfällen im Rahmen seiner Beratungsarbeit ebenfalls qualitative Aspekte zu rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, deren Erscheinungsformen und Verankerungen zur konzeptionellen Weiterentwicklung der Beratungsarbeit verwendet werden. d) Woher stammt die Finanzierung in welcher Höhe? e) Seit wann gibt es das Programm? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/8611 3 Siehe Antwort zu 4. f) Wie viele VZÄ befassen sich damit? Siehe Antwort zu 1. 3. Welche verschiedenen Stellen gibt es bereits, die sich mit dem Thema Ermittlung von antisemitischer Gewalt befassen? a) Wer ist Träger? b) Was sind die genauen Aufgaben des Programms? c) Woher stammt die Finanzierung in welcher Höhe? d) Seit wann gibt es das Programm? e) Wie viele VZÄ befassen sich damit? Siehe Antwort zu 2. 4. Welche Stelle übernimmt vergleichbare Aufgaben wie die in der Drs. 21/7105 dargestellten? Hamburg verfügt bereits über Beratungs-, Recherche- und Informationsangebote, welche auch das Thema Antisemitismus bearbeiten. a) Wer ist Träger? Träger ist Arbeit und Leben DGB/VHS Hamburg e.V. b) Was sind die genauen Aufgaben des Programms? Recherche- und Informations-(Bildungs-)Arbeit gehört zu den konzeptionellen Bestandteilen der Hamburger Beratungsstellen MBT Hamburg und empower – auch zum Thema Antisemitismus. Ergänzend bietet empower den von Gewaltvorfällen Betroffenen auch eine Beratung, Begleitung und Unterstützung bei weiteren Schritten an. Die Arbeitsfelder der beiden Beratungsstellen umfassen jeweils drei Säulen: Beratungsarbeit zu den jeweiligen Zielgruppen in den Themenschwerpunkten, Recherche- und Monitoringarbeit zur rechten, rassistischen und antisemitischen Gewalt und Aktivitäten in Hamburg, Bildungsarbeit zu rechten Ideologieelementen, Rassismus und Antisemitismus. Hierzu führen die Projekte verschiedene Veranstaltungen zum Themenfeld Antisemitismus durch und haben zum Beispiel auch den Bildungsbaustein „Was tun gegen Antisemitismus?! – Anregungen zu einer Pädagogik gegen Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert“ herausgegeben (siehe: https://hamburg.arbeitundleben.de/img/daten/ D291676298.pdf). Darüber hinaus können sich Menschen, die aufgrund ihrer (gegebenenfalls auch nur zugeschriebenen) Herkunft, Religion, Hautfarbe oder Sprache Diskriminierung erlebt haben, an die Antidiskriminierungsstelle amira des Trägerverbundes verikom und basis & woge e.V. wenden, die Beratung und Bildungsarbeit bieten. Die genannten Beratungsstellen stehen allen Zielgruppen offen, die von den verschiedenen Ausprägungen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit betroffen sind, also auch Menschen, die antisemitischen Angriffen beziehungsweise Diskriminierungen ausgesetzt sind. Siehe auch: https://hamburg.arbeitundleben.de/mbt, https://hamburg.arbeitundleben.de/empower sowie http://www.verikom.de/projekte/amira-antidiskriminierungsberatung-fur-migrantinnenund -migranten/. c) Woher stammt die Finanzierung in welcher Höhe? Drucksache 21/8611 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Die Beratungsstelle amira wird aus Landesmitteln in Höhe von 118.000 Euro gefördert . MBT Hamburg und empower werden aus dem Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und aus Landesmitteln gefördert; siehe Drs. 21/7939. d) Seit wann gibt es das Programm? Das MBT Hamburg wurde im Jahr 2008 etabliert, die Beratungsstelle empower hat ihre Arbeit im Jahr 2015 begonnen. e) Wie viele VZÄ befassen sich damit? Vollzeitäquivalente für den Bereich Prävention von antisemitischer Gewalt können nicht gesondert dargestellt werden, da die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der genannten Stellen für alle Ausprägungen menschenfeindlichen Verhaltens zuständig sind. 5. Sollte es die unter 4. genannte Stelle nicht geben: Wie bewertet der Senat die skizzierten Aufgaben? Warum sind sie aus seiner Sicht entbehrlich ? Entfällt. 6. Wann wurden zuletzt von welcher Stelle die verschiedenen Formen der antisemitischen Gewalt in Hamburg, deren Ausprägung und deren Quellen untersucht? Was sind die Erkenntnisse und welche Konsequenzen hatten diese auf die Präventionsmaßnahmen des Senats in diesem Bereich? Im Rahmen seines gesetzlichen Auftrages gemäß §4 Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) sammelt das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg auch Informationen über antisemitische Bestrebungen und wertet diese aus. Hierüber informiert das LfV Hamburg regelmäßig den Senat und die Öffentlichkeit durch den jährlichen Verfassungsschutzbericht, durch Internetbeiträge und Interviews und Pressestatements sowie durch Vorträge und Teilnahme an Diskussionsveranstaltungen . Im Rahmen seiner gesetzlichen Übermittlungsvorschriften leitet das LfV Hamburg zum Zweck der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr Informationen auch an zuständige Dienststellen weiter. Die hierfür verwendeten Ressourcen werden im Haushalt des LfV Hamburg nicht gesondert erfasst.