BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/8643 21. Wahlperiode 13.04.17 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Norbert Hackbusch (DIE LINKE) vom 06.04.17 und Antwort des Senats Betr.: Der Völkermord an den Herero und Nama – Wird Hamburg seiner Verantwortung gerecht? Zwischen 1904 und 1908 schlugen deutsche Truppen den Widerstand der Herero und Nama gegen die kaiserliche Kolonialmacht im damaligen „Deutsch-Südwestafrika“, heute Namibia, blutig nieder. Bis zu 100.000 Angehörige der Volksgruppen verloren im Zuge dieses Genozids ihr Leben. Als Völkermord formlos anerkannt wurden diese Gräueltaten von der Bundesregierung erstmals im Jahr 2015. Eine offizielle Entschuldigung seitens der BRD steht noch aus. Verhandlungen über Entschädigungszahlungen durch Deutschland blieben bisher erfolglos. Über dieses düstere Kapitel deutscher Geschichte wird im Rahmen des gesamtstädtischen (post-)kolonialen Erinnerungskonzeptes seit 2015 auch an der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe/Hamburg und die (frühe) Globalisierung“ geforscht. Bereits jetzt kann die direkte Verbindung Hamburgs als Kolonialmetropole mit den Verbrechen in Namibia wissenschaftlich untermauert werden; beispielsweise durch Erkenntnisse über die vom Hamburger Hafen ausgehenden Truppenverschiffungen, unter anderem der Kaiserlichen „Schutztruppe“. An Bord ging in Hamburg auch Lothar von Trotha, General der Infanterie, der den dokumentierten Vernichtungsbefehl in Namibia exekutierte. „Von Trotha wurde im Hafen offiziell begrüßt und verabschiedet. Das bringt Hamburg in direkte Verbindung mit dem Genozid“, so Prof. Zimmerer, Leiter der Forschungsstelle . Am 27. Januar 2017 richtete sich die „Association of the Ovaherero Genocide in the USA“ (AOG) mit einem offenen Brief an die Hansestadt Hamburg, adressiert an Bürgermeister Olaf Scholz. Darin weisen die direkten Nachfahren der Opfer deutscher Kolonialverbrechen nachdrücklich auf Hamburgs historische Verantwortung hin und schlagen diverse Maßnahmen für eine angemessene Auseinandersetzung mit diesem Kapitel der Hamburger Kolonialgeschichte vor: Als bedeutende Erinnerungsorte, die einer kritischen und reflektierten Auseinandersetzung mit der hiesigen Geschichte rassistischer Verbrechen bedürfen , benennt der offene Brief unter anderem das noch immer unkommentierte Lothar-von-Trotha-Relief an einem der Studentenwohnheime der Helmut- Schmidt-Universität in Wandsbek oder die nach wie vor unkommentierte Gedenktafel für deutsche Kolonialsoldaten im Hamburger Michel. Betont wird auch die notwendige Befassung mit der Rolle des Hamburger Kaufmanns, Reichstagsabgeordneten und Präses der Hamburger Handelskammer Drucksache 21/8643 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Adolph Woermann. Dessen Name ist noch immer, ebenfalls unkommentiert, auf diversen Straßenschildern zu lesen. In diesem Zusammenhang schlägt die AOG vor, Straßen wie den Woermannstieg oder den Woermannsweg umzubenennen und ihnen Namen von Opfern des Genozids in Namibia zu geben. Abschließend laden die Vertreter/-innen der Ovaherero die Hansestadt Hamburg mit der Bitte um Rückmeldung zu einem Dialog ein. Ich frage den Senat: Mit der Einrichtung der Forschungsstelle „Hamburgs (post)koloniales Erbe/Hamburg und die frühe Globalisierung“ beim Arbeitsbereich Außereuropa am Historischen Seminar der Universität Hamburg nimmt die Stadt ihre besondere Verantwortung für die Schaffung nachhaltiger Strukturen zur postkolonialen Erinnerungskultur wahr. Namibia und die Ereignisse des Krieges von 1904 bis 1908 sind wesentlicher Teil der Forschungen und Aktivitäten der Forschungsstelle, so zum Beispiel auch in einer Ringvorlesung der Universität Hamburg im Sommersemester 2016 und im Rahmen einer Präsentation in der Vertretung der Freien und Hansestadt Hamburg beim Bund in Berlin am 11. November 2016. Das Thema wird auch in dem im nächsten Jahr erscheinenden Sammelband zu „Hamburgs kolonialen Erinnerungsorten“ vertreten sein. Im Übrigen siehe Drs. 20/12383. Der Leiter der Forschungsstelle forscht und publiziert seit mehr als 25 Jahren zum „Genozid an den Herero und Nama“ und ist Mitherausgeber des Buches „Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904-1908) in Namibia und seine Folgen “ (2003, 3. Aufl. 2016), welches die Debatte um eine Anerkennung und Entschuldigung erst in die Öffentlichkeit und damit ins Rollen brachte. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wurde vonseiten des Senats auf den offenen Brief der „Association of the Ovaherero Genocide in the USA“ vom 27. Januar 2017 reagiert? Wenn ja, wann, durch wen und auf welchem Wege? Wenn nein, warum nicht? 2. Wie beurteilt der Senat die Vorschläge der „Association of the Ovaherero Genocide in the USA“ bezüglich der im Brief genannten Erinnerungsorte beziehungsweise der Auseinandersetzung mit konkreten Personen, die für den Völkermord in Namibia mitverantwortlich waren oder davon profitiert haben, wie beispielsweise Lothar von Trotha oder Adolph Woermann ? Der Senat sieht in ständiger Praxis davon ab, sich zu offenen Briefen zu äußern. Zum Anspruch auf meinungsbildende Stellungnahmen des Senats im Rahmen des Parlamentarischen Fragerechts siehe Drs. 21/8004. 3. An welchen Orten wird nach Kenntnisstand des Senats in Hamburg an den Völkermord in Namibia erinnert? Der zuständigen Behörde sind keine ausgewiesenen Gedenkorte bekannt. 4. Welche konkreten Maßnahmen schlägt der Senat vor, um in Kooperation mit den Bezirken ein konstruktives Verfahren bezüglich der Umbenennung von Straßennamen in die Wege zu leiten? Die Meinungsbildung in den Bezirken ist noch nicht abgeschlossen. Zum Verfahren siehe die Bestimmungen über die Benennung von Verkehrsflächen in der Fassung vom 28. Februar 2005, insbesondere Abschnitt III, Ziffern 3 und 4. 5. Welche konkreten Maßnahmen schlägt der Senat vor, um die Themen Kolonialismus und Kolonialverbrechen fester in den Lehrplänen der Hamburger Schulen zu verankern? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/8643 3 Die Themen Kolonialismus und Kolonialverbrechen sind im Geschichtsunterricht an den Hamburger Schulen gut verankert. In den kompetenzorientierten Rahmenplänen werden größere Themenfelder benannt, die im Unterricht thematisiert werden müssen . Der Rahmenplan für das Fach Geschichte in der Sekundarstufe I der Gymnasien sieht als verbindlichen Inhalt für Jahrgang 9/10 vor: „Wie konnten die Europäer seit 500 Jahren der Welt ihren Stempel aufdrücken?“, der Rahmenplan der Stadtteilschule nennt für die Vorstufe einen „Längsschnitt: Migration und Kolonisation“ mit dem möglichen Aspekt „Kolonialismus um 1900“ als eines von vier wählbaren Themenfeldern. Die Schulen sind gehalten, diese Vorgaben in schulinternen Curricula zu konkretisieren . Es kann davon ausgegangen werden, dass dabei die deutsche Kolonialherrschaft und der Krieg gegen Nama und Herero als besonders naheliegende Themen regelmäßig in den Fokus genommen werden. Im von der für Bildung zuständigen Behörde 2012 veröffentlichten Beispiel für ein schulinternes Fachcurriculum Geschichte an Gymnasien wird als geeigneter Inhalt das Themenfeld „Kolonialismus und Kolonialkriege“ vorgeschlagen, als mögliche vertiefende Fallbeispiele werden unter anderem „Deutsch-Südwest“ und „Der Boxer- Aufstand“ genannt. In den Fortbildungsveranstaltungen des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung ist mehrfach auf die Gewaltgeschichte des deutschen Kolonialreichs hingewiesen worden. Im Hamburger Schulmuseum ist der Kolonialismus fester Bestandteil der regelmäßig angebotenen Führung zum Thema „Schule und Gesellschaft im Wilhelminischen Kaiserreich“. In allen in Hamburg gängigen Schulbüchern sind die Themen Kolonialismus und Kolonialverbrechen und namentlich der Herero-Aufstand enthalten.