BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/8684 21. Wahlperiode 18.04.17 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Cansu Özdemir (DIE LINKE) vom 10.04.17 und Antwort des Senats Betr.: Weibliche Genitalverstümmelung in Hamburg Weibliche Genitalverstümmelung (female genital mutilation, kurz FGM) ist eine Menschenrechtsverletzung, die für die Betroffenen häufig mit großem physischem und psychischem Leid einhergeht. Die Anzahl der betroffenen und bedrohten Frauen und Mädchen kann nicht eindeutig bestimmt werden, da von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist. Schätzungen divergierten bisher zwischen 19.000 und 30.000 Betroffenen in Deutschland. Am 6. Februar 2017 stellte das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine Studie vor, nach der die Zahl der in Deutschland lebenden von FGM Betroffenen auf knapp 50 000 gestiegen ist. Hintergrund der Steigerung sei die Zuwanderung von Geflüchteten aus Regionen, in denen FGM praktiziert werde. Meine Schriftliche Kleine Anfrage zu diesem Thema (Drs. 21/4274) liegt ein Jahr zurück. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie viele von weiblicher Genitalverstümmelung betroffene und viele bedrohte Frauen und Mädchen leben nach Einschätzung des Senats in Hamburg? In Hamburg liegen keine validen Daten vor. Siehe Drs. 20/10264. 2. Wie viele Fälle oder Verdachtsfälle von weiblicher Genitalverstümmelung gab es seit dem 31. März 2016? Bitte PKS und MESTA angeben. 2016 sowie im 1. Quartal 2017 sind in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) keine Fälle von FGM registriert. Auch im Vorgangserfassungs- und -verwaltungssystem MESTA der Staatsanwaltschaft Hamburg sind für den angefragten Zeitraum keine Verfahren wegen Verstümmelung weiblicher Genitalien (§ 226a StGB) erfasst. 3. Wie viele Fälle von Passentzug zur Verhinderung von sogenannten Ferienbeschneidungen gab es in Hamburg seit der entsprechenden Gesetzesänderung ? Keine. 4. Inwiefern liegen Erkenntnisse über die Anzahl der Frauen aus Hamburg vor, die weibliche Genitalverstümmelung als Fluchtursache in einem Asylverfahren benennen? Bitte darstellen für die letzten drei Jahre. Siehe Drs. 21/4274. Die Sachlage hat sich insoweit nicht verändert. 5. Auf welche Weise stellt der Senat sicher, dass alle Frauen, die als Schutzsuchende nach Hamburg kommen, darüber informiert sind, dass Drucksache 21/8684 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 FGM und auch die drohende FGM ihrer Töchter im Herkunftsland ein Asylgrund sein können? Gibt es dazu Kooperationen/Schulungen des Ankunftszentrums beziehungsweise seiner Mitarbeitenden? Bitte genau darstellen. Das Thema Bedrohung mit weiblicher Genitalverstümmelung als möglicher Anerkennungsgrund im Asylverfahren ist Teil der gemäß Drs. 21/4174 vorgesehenen Qualifizierungsmaßnahmen . Im Übrigen siehe Antwort zu 4. 6. Wie viele Fälle von drohender und/oder vorgenommener weiblicher Genitalverstümmelung an Minderjährigen sind den Allgemeinen Sozialen Diensten – Jugendämtern bekannt? Bitte nach Alter der Minderjährigen für die Jahre 2016 – 2017 auflisten. Dem Bezirksamt Wandsbek ist 2016 der Fall eines achtjährigen Mädchens bekannt geworden, an dem im Sudan eine Genitalbeschneidung bereits durchgeführt worden war. 2017 ist in Wandsbek bislang kein Fall bekannt geworden. Im Bezirk Altona gab es im Jahr 2016 drei Fälle von drohender Genitalverstümmelung an Säuglingen von unter einem Jahr, in denen die Sorgeberechtigten durch intensive Beratung des Jugendamtes dazu gebracht werden konnten, die Eingriffe nicht durchzuführen . 2017 gab es bislang keinen Fall. Dem Bezirksamt Hamburg-Nord sind keine Fälle bekannt geworden. Der in Drs. 21/4274 für das Jahr 2016 berichtete Fall wurde zwischenzeitlich aufgeklärt und der ehemals bestehende Verdacht ausgeräumt. Den Bezirksämtern Hamburg-Mitte, Eimsbüttel, Bergedorf und Harburg ist in den Jahren 2016 und 2017 bislang kein Fall bekannt. 7. Inwiefern gibt es in den Jugendämtern Stellen/Personen, die schwerpunktmäßig zum Thema weibliche Genitalverstümmelung arbeiten? Wenn ja, wo? Den Fachkräften in allen Jugendämtern stehen die Kinderschutzkoordinatoren zur Beratung zur Verfügung und es besteht die Vereinbarung, dass sie von den Fachkräften der Jugendhilfe unter anderem bei drohender oder vorgenommener weiblicher Genitalverstümmelung einbezogen werden, Die Kinderschutzkoordinatoren aus den Bezirken Wandsbek und Hamburg-Nord wirken am „Hamburger Runden Tisch gegen weibliche Genitalverstümmelung“ mit und sind Mitverfasser einer Arbeitshilfe zum Thema Genitalverstümmelung (siehe Drs. 20/10158). 8. In der Antwort des Senats auf meine Schriftliche Kleine Anfrage (Drs. 21/4274) wird das UKE als ein Ort genannt, an dem Betroffene weiblicher Genitalverstümmelung behandelt werden. Wie viele Fälle wurden dort in den vergangenen drei Jahren in welchen Bereichen behandelt? Wie viele operative Rekonstruktionen weiblicher Genitalien wurden in den vergangenen drei Jahren vorgenommen? Nach Auskunft des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) hat eine Auswertung der Datenbank des UKE vier Fälle im Jahr 2016 ergeben, die im Zusammenhang mit weiblichen Genitalverstümmelungen im UKE behandelt und betreut wurden. Drei Fälle standen im Zusammenhang mit Entbindungen, ein Fall betraf eine rekonstruktive Zweitversorgung nach einer Operation in einem anderen Hamburger Klinikum. 9. Welche Maßnahmen zur Verhinderung von FGM und zum besseren Schutz und zur Unterstützung betroffener Frauen hat der Senat bisher ergriffen? Bitte darstellen. Das Thema weibliche Genitalverstümmelung ist Bestandteil des Konzeptes zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Menschenhandel und Gewalt in der Pflege (Drs. 20/10994). Es findet zudem Berücksichtigung bei den Maßnahmen zum verbesserten Schutz geflüchteter Frauen und Mädchen (siehe Drs. 21/4174). Die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) ist im Gespräch mit dem Projekt CHANGE und dem Kinderhilfswerk Plan International Deutschland e.V. mit Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/8684 3 dem Ziel, Präventionsmaßnahmen im Kontext der Flüchtlingsarbeit weiter zu stärken. Die Planungen sind insoweit noch nicht abgeschlossen. Um potenziell bedrohte Mädchen wirksam zu schützen, hat der „Hamburger Runde Tisch gegen weibliche Genitalverstümmelung“ 2015 eine Handreichung erarbeitet, die Handlungsoptionen bei unterschiedlichen Gefährdungssituationen erläutert. Die Fachveröffentlichung richtet sich dabei nicht nur an Fachkräfte aus der Kinder- und Jugendhilfe, sondern auch an Fachkräfte in den Unterstützungssystemen Schule, Gesundheit, Opferschutz, Polizei, Staatsanwaltschaft sowie Fachkräfte aus den Community-Gruppen (http://www.hamburg.de/opferschutz/3091566/weiblichegenitalverstuemmelung /). Im Übrigen siehe Antwort zu 7. und Drs. 20/10158. 10. Welche Maßnahmen zur Information, Aus- und Fortbildung medizinischen Personals zu FGM gab es in Hamburg in den vergangenen drei Jahren? Nach Auskunft des UKE verfügt die Klinik und Poliklinik für Gynäkologie des UKE über die Möglichkeit und das Fachwissen zur ambulanten und stationären Betreuung der Frauen mit Genitalverstümmelung. Es besteht die Möglichkeit zur konsiliarischen Mitbetreuung durch Psychologie, Urologie und Pädiatrie. Rekonstruktive Operationen können in dieser Abteilung ebenfalls durchgeführt werden. In den Abteilungen für Gynäkologie und Geburtshilfe haben Fortbildungen des ärztlichen und Pflegepersonals zu diesem Thema stattgefunden. Weiterhin werden über die Fortbildungsveranstaltungen und das Engagement des Berufsverbandes der Frauenärzte e.V. in Hamburg und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe zu diesem Thema Erfahrungen ausgetauscht. Der Berufsverband informiert und sensibilisiert regelmäßig Gynäkologinnen und Gynäkologen über das Thema auch durch Artikel in Fachmagazinen. Darüber hinaus wurden 2016 in einer Veröffentlichung im Hamburger Ärzteblatt alle Hamburger Ärztinnen und Ärzte auf die neu entwickelten Empfehlungen der Bundesärztekammer (BÄK) zum Umgang mit Patientinnen nach weiblicher Genitalverstümmelung informiert . Sie enthalten die Formen weiblicher Genitalverstümmelung, die daraus entstehenden Krankheitsbilder sowie Hinweise über rechtliche Grundlagen und Beratungsangebote . Eine Überarbeitung der Empfehlungen war aufgrund der geänderten Gesetzeslage zum Straftatbestand Genitalverstümmelung, der Präzisierung der vier Formen von Genitalverstümmelung durch die WHO und wegen der Überarbeitung des Diagnoseschlüssels ICD-10-DE 2016 notwendig geworden. Im Übrigen siehe Antwort zu 9. 11. Inwiefern ist das Thema FGM Bestandteil von Integrationskursen, Elternschulen oder Ähnlichem? Das Curriculum der Orientierungskurse, die Bestandteil der Integrationskurse des Bundes sind, sieht keine verbindliche Befassung mit dem Thema weibliche Genitalverstümmelung vor. Im Modul III der Orientierungskurse „Mensch und Gesellschaft“ wird die „Selbstbestimmung und Gleichberechtigung von Mädchen und Frauen“ thematisiert . Dies bietet Raum, auch dieses Thema dort zu behandeln. Weibliche Genitalverstümmelung ist Bestandteil der Beratungsarbeit von Opferschutzeinrichtungen (siehe Drs. 20/10994). Die Elternschulen sind über die Thematik grundsätzlich informiert und sensibilisiert. In ihren Kursen ist allerdings weibliche Genitalverstümmelung aktuell kein Thema, da die Kursteilnehmerinnen nicht aus entsprechenden Herkunftsländern stammen. Darüber hinaus liegen der zuständigen Behörde keine Erkenntnisse vor.